Herzlich Willkommen auf meinem Blog! Reiseberichte und Kommentare zu Politik und Gesellschaft.
Samstag, 26. Oktober 2013
Freitag, 25. Oktober 2013
Gedanken zu Europa
„Es gibt in Deutschland keine millionenfache
Grundrechtsverletzung.“ – Das waren die Worte von Kanzleramtsminister Ronald Pofalla am 12. August, mit denen er die NSA-Affäre für beendet erklärte. Die
damals bestehenden Vorwürfe waren es scheinbar nicht wert, dass man groß über
sie diskutieren wollte. Außerdem war Wahlkampf und das Thema war schneller vom
Tisch als die NSA „Snowden“ buchstabieren kann. Da wirkt es irgendwie
befremdlich, dass nun eine einzige
Grundrechtsverletzung für so viel Wirbel sorgt. Gut, zuvor waren ja „nur“ die
Bürger ausgespäht worden, jetzt allerdings geht es um die Verletzung unserer
Souveränität in Gestalt von Angela Merkel. Der US-Geheimdienst soll sich
virtuell auf dem Handy der Kanzlerin umgesehen haben und erntet nun Kritik, strenge
Worte und heftige, aber irgendwie hilflose Bestürzung. Auf dem EU-Gipfel in
Brüssel stehen die Politiker Europas mit der starken Frau aus Deutschland
Schulter an Schulter. Merkel verkündet, dass es nicht mehr nur um gute Worte
ginge, sondern um wirkliche Veränderungen. Auch in den USA regt sich mittlerweile
Widerstand gegen die neugierigen Augen der Obrigkeit. Es ginge nicht an, dass
ein Staat seine Bürger ausspioniere, heißt es auf einem von Hollywood-Stars
veröffentlichten Video. „In einem Überwachungsstaat ist die Demokratie tot“,
sagt Schauspieler John Cusack warnend in die Kamera. Allerdings ist in den
US-amerikanischen Widerstandsnestern meist nur die Rede von den eigenen citizens. Auf der anderen Seite des
Großen Teichs sorgt sich kaum jemand um das Wohl der europäischen Verbündeten.
Die Geheimdienste der USA verteidigen die Souveränität Amerikas – politisch,
militärisch und auch wirtschaftlich. Wenn sie dabei sogar die Rechte ihrer
eigenen Schützlinge übergehen, wie egal müssen ihnen dann die unseren sein?
War die Bundesregierung die ganze Zeit zu naiv?
Auf jeden Fall. Hätte man von Anfang an aus der Wartehaltung herausrücken und Klartext
reden sollen? Sicherlich. Doch wahrscheinlich war die Bundesregierung – wie die
meisten Regierungen – zu verunsichert, zu überfordert und möglicherweise zu
schwach.
Doch was würde es ändern, wenn wir Obama nur
aufforderten, seine NSA endlich unter Kontrolle zu bekommen, und auf
irgendwelche Abkommen drängten, die in der Welt der Geheimdienste lediglich
beschriebenes Papier ohne nennenswerten Inhalt darstellten? Am Ende wäre der
durchschnittliche Europäer, ob er jetzt Leichen im Keller oder Bomben in der
Garage hat, genauso transparent einsehbar wie im Moment. Um die Wahrung unserer
Rechte zu garantieren, müssen wir anders reagieren – nicht nur als einzelne
Nationalstaaten, sondern als starkes, geeintes Europa.
Europa braucht eine transnationale
Souveränität – heute mehr denn je
Heute Morgen hat der SPD-Politiker Martin
Schulz bei Beckmann einen interessanten Aspekt angesprochen, den ich aufgreifen
und gegebenenfalls erweitern möchte: Ein Land wie Malta hätte heute keine
Chance, den USA auf Augenhöhe begegnen zu können. Selbst ein größerer Staat wie
Deutschland hat diese Chance nur noch scheinbar, meinte er. Was Europa brauche,
sei eine transnationale Souveränität.
Und damit hat er Recht. In der Realität müssen
auch wir kuschen, wenn es hart auf hart kommt. Mit unseren amerikanischen
Freunden verbindet uns zwar vieles, aber kaum jemand kann ihnen bei politischen
Streitthemen auf gleicher Höhe begegnen. Angelegenheiten wie die aktuelle
Ausspäh-Affäre sind nur ein weiterer ein Beweis dafür. Solange die europäischen
Staaten sich eher voneinander entfernen als sich anzunähern, haben wir keinen
sicheren Stand auf dem Weg in die Zukunft. Ob Malta, Rumänien, Deutschland oder
Frankreich – wir schaffen es nur gemeinsam. Einzeln betrachtet sind wir ein
Flickenteppich von Nationalstaaten, von denen alle einer oft widersprüchlichen
Politik folgen. Dies hat es den USA in der Vergangenheit zu oft ermöglicht,
sich seine Verbündeten gezielt herauszupicken. Als es beispielsweise 2003 gegen
den Irak ging, wurden Deutschland und Frankreich kurzerhand als das „alte
Europa“ deklariert. Das „neue Europa“ (Polen) hingegen bekam das Oberkommando
über eine der Besatzungszonen südlich von Bagdad.
Mehr denn je befindet sich Europa heute in
einer Krise. Der Euro wackelt bedenklich, die Skeptiker scheitern selbst in
Deutschland nur noch knapp an der 5-Prozent-Hürde. Nach der totalen Zerstörung
1945 hatten Adenauer und De Gaulle eine Vision, heute dagegen ziehen die ersten
wieder den Schwanz ein. Doch ist uns überhaupt klar, was wir mit unserer
Skepsis aufs Spiel setzen? Wir sind nur als geeintes Europa überlebensfähig –
sowohl politisch als auch wirtschaftlich. Wenn wir auch nur anfangen mit dem
Gedanken zu spielen, das Projekt Europa für gescheitert zu erklären, dann haben
wir bereits verloren. Wenn wir uns wieder zersplittern, um danach innerhalb der
eigenen, dichten Grenzen – geografisch wie kulturell – vor uns hin zu vegetieren,
finden wir uns dort wieder, wo wir am Beginn des 20. Jahrhunderts schon waren,
während die Konkurrenz schon darauf wartet, uns aufzukaufen. Aus Angst vor zu
viel Europa suchen wir uns verzweifelt die letzten deutschen Werte zusammen,
mit denen wir uns identifizieren können, und pflegen sie dann, ohne sie zu
leben, ausgestellt und ausgestopft wie in einem Museum. Und dieses Museum
schützen wir vor jungen, arbeitswilligen und überdies schutzbedürftigen Asylsuchenden,
aus Angst vor Überfremdung und vor allem aus Angst um unser Geld.
Doch wie kann man von einem Bürger oder einer
Bürgerin erwarten, Asylbewerber als gleichwertige Individuen zu betrachten,
wenn er oder sie doch sogar gegen diejenigen noch Vorurteile hegt, die schon
seit vierzig Jahren hier leben? Oder gar gegen europäische Nachbarn wie Franzosen
oder Italiener? Während die einen über Europa fantasieren und den Blick für den
Alltag verloren haben, denken die anderen immer noch, Deutschland sei ein
autarker Organismus, der ohne Zuwanderung auskommt oder sich gegen diese gar zu
schützen hätte. Beide Gruppen reden aneinander vorbei und entfernen sich
voneinander. Und irgendwann blockiert der eine den anderen. Europa droht immer
wieder an unserer eigenen Engstirnigkeit zu scheitern, in Berlin genauso wie in
London oder Brüssel. Dabei bietet der Gedanke Europa jedem die Chance, sich
einzubringen und Dinge zum besseren zu verändern. Da diese Chance jedoch zu
selten eingefordert und gelebt wird, gerät sie immer mehr in Vergessenheit und
wird mit der Zeit so irrelevant, dass sie als Möglichkeit zu bestehen aufhört.
Einheit in Vielfalt
Wir sind nicht die USA, heißt es. Die „Vereinigten
Staaten von Europa“ seien eine Illusion. Viel zu vielseitig seien die
europäischen Länder, viel zu verschieden. – Doch wollen wir so werden wie die
USA? Der Große Bruder sollte seine Vorbildfunktion schon lange verloren haben.
Wir wollen nicht so oberflächlich und blind vor Patriotismus sein wie unsere
westlichen Nachbarn. Trotzdem ist ein vereintes Europa möglich. Unterschiede
und Differenzen sind nur faule Ausreden, um sich der Herausforderung zu
entziehen.
Es gibt ein Land im Süden Asiens, das sich den
Grundsatz „Einheit in Vielfalt“ seit jeher zur Devise gemacht hat. Indien ist
die bevölkerungsreichste Demokratie dieser Erde und ein Land, das 28
Bundesstaaten und 23 offizielle Sprachen in sich vereint. Obwohl Hindi die
Amtssprache ist, wird es von kaum jemandem im Süden des Landes verstanden.
Indien ist so groß, dass es von London bis Moskau reichen würde und vom Süden
Norwegens bis nach Tunesien. Die Menschen sind topmotiviert und erfüllt von
einem uns ungewohnten Nationalstolz, der auch vom gewaltigen wirtschaftlichen
Aufschwung der letzten Jahre herrührt.
Dieses Land hat noch sehr große Probleme, viele
Menschen leben in Armut, die Slums sind überfüllt. Wahrscheinlich findet man
dutzende Gründe, weshalb man Indien nicht mit Europa vergleichen kann. Und doch
ist es ein Land, das genauso viele Staaten in sich vereint wie die EU, in denen
sich Menschen in fast genauso vielen verschiedenen Sprachen unterhalten, unter
einer gemeinsamen Flagge.
Europa steckt in einer Krise, die mit dem Euro
begann und bei Bürgerrechtsverletzungen noch nicht zu Ende ist. Oft mangelt es
am gemeinsamen Kurs, der an großen Meinungsverschiedenheiten scheitert. Doch
das Projekt Europa ist noch nicht zu Ende, es steht vielmehr am Anfang einer
Erneuerung. Es wird noch Jahrzehnte dauern, bis sich jeder Deutsche mit dem
Gedanken einer europäischen Einheit anfreunden kann oder bis ein Ungar seine
Vorurteile gegen einen Rumänen abbaut. Doch wir haben keine andere Wahl als flexibel,
offen und nachhaltig zu agieren, wenn wir unser Ansehen, unsere Werte, unseren
Frieden und vor allem unseren Wohlstand auf lange Dauer wahren wollen. Um
unsere europäische Freiheit zu sichern, müssen wir einen Teil unserer
nationalen Souveränität aufgeben und der Verantwortung der europäischen
Allgemeinheit anvertrauen. Erst eine transnationale europäische Souveränität
bringt uns mit den Großen der Welt endgültig auf Augenhöhe. Zusammen bilden wir
mit knapp 507 Millionen Einwohnern den größten Binnenmarkt der Erde und einen
verlässlichen Partner. Nur geschlossen könnten wir uns dauerhaft behaupten
gegen aufstrebende Wirtschaftsriesen wie China oder Indien – und gegen Menschenrechtsverletzungen
auf eigenem Territorium, durch die eigenen, übermächtig erscheinenden Freunde
in Washington.
Dienstag, 22. Oktober 2013
Der Fall Florian H.
„Bad Cannstatt: Aus bislang
ungeklärter Ursache ist am Montagmorgen (16.09.2013) gegen 09.00 Uhr an der
Mercedesstraße ein Peugeot in Brand geraten.“ – So beginnt
die Pressemitteilung des Polizeipräsidiums Stuttgart. Ein Zeuge habe Rauchentwicklung
bemerkt und das brennende Auto entdeckt. Der Insasse des Wagens sei verbrannt.
In den folgenden Wochen sorgte der Fall des 21jährigen
Florian H. aus Eppingen (Landkreis Heilbronn) für Wirbel, aber nicht für die
wirklich großen Schlagzeilen. Dabei ist der Sachverhalt äußerst interessant:
Ein Aussteigewilliger aus der rechten Szene wird als Zeuge vernommen, zum NSU
und seinem Bezug zu Baden-Württemberg. Dabei erwähnt er auch eine bisher
unbekannte Gruppierung, die NSS („Neoschutzstaffel Öhringen“). Und genau an dem
Tag, an dem er zum zweiten Mal an einem geheimen Ort in Stuttgart vor den
Ermittlern des Landeskriminalamtes aussagen soll, verbrennt er in seinem Auto,
in der Nähe des Canstatter Wasens, um 9.00 Uhr morgens. Angeblich auf der
Zufahrt desselben Campingplatzes, auf dem sich schon die drei NSU-Terroristen aufgehalten
haben sollen. Die Polizei stellt Suizid als Todesursache fest, der Fall wandert
zu den Akten.
© 7aktuell |
Schon vor Bekanntwerden der NSU-Morde sprach H.
angeblich von einem rechtsextremistischen Hintergrund des Mordes an der Polizistin
Michèle Kiesewetter in Heilbronn. Man hielt ihn für einen Wichtigtuer, bis die
Terrorgruppe aufflog. Später erwähnte H. die NSS Öhringen und bezeichnete sie
nach dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ als zweitradikalste Gruppe in
Deutschland. Es habe sogar ein Treffen zwischen den beiden Gruppierungen
gegeben, behauptet er. Auch jetzt hielt man ihn für größenwahnsinnig, weil er
sich bei den Aussagen in Widersprüche verstrickte. Er hatte behauptet, den
Polizistenmörder zu kennen, konnte bei der Vernehmung jedoch keine Namen nennen.
Dann drängt das LKA nach Monaten plötzlich auf
ein erneutes Treffen. Zwischen dem ersten Termin im Januar 2012 und der zweiten,
nicht mehr stattgefundenen Befragung lagen mehr als eineinhalb Jahre. Egal, was
Florian H. aussagen sollte, er kam nicht mehr dazu. Entweder hat er es selbst
verhindert – und dann stellt sich die Frage nach dem Warum – oder er ist
verhindert worden. Dabei trennten den Ort, an dem er angeschnallt, in
aufrechter Sitzposition und 50 Kilometer von seinem Heimatort entfernt starb, nur
700 Meter vom Landeskriminalamt. Die Stuttgarter Polizei bestreitet zudem nicht,
dass es am Ort des Suizids eine Explosion gegeben habe. Allerdings seien auch
Spuren von Brandbeschleunigern gefunden worden. Wollte H. den beiden
NSU-Terroristen Böhnhardt und Mundlos nacheifern, die ebenfalls vor ihrem Tod
das eigene Auto in Brand setzten? Man weiß es nicht. Man könnte aber durchaus
in dieser Richtung weiter ermitteln. Doch die Polizei ermittelt nicht weiter.
Sind die zahlreichen Ungereimtheiten nur Zufall?
Vielleicht. Doch wie oft haben sich – gerade im Zusammenhang mit dem NSU –
viele gemutmaßten Zufälle als fatale Irrtümer und Fehleinschätzungen erwiesen?
Es bleiben auf jeden Fall noch eine Menge Fragen offen. Vielleicht würde es
sich lohnen, in Baden-Württemberg einen eigenen NSU-Untersuchungsausschuss
einzurichten, um Licht hinter all die Zusammenhänge zu bringen.
Sonntag, 20. Oktober 2013
Die "Reichsbürger"-Bewegung (Teil 4)
(Teil 4 meiner
Rechtsextremismus-Reihe 2013)
Das „Deutsche
Polizei-Hilfswerk“ (DPHW)
Im Gegensatz zu den meisten Begriffen sagte mir
das sogenannte „Deutsche Polizei-Hilfswerk“ überhaupt nichts, als ich zum
ersten Mal davon hörte. Beim näheren Hinschauen war ich aber zumindest
beunruhigt.
Zwar melden Internet-Quellen, dass sich das
DPHW schon im Juni aufgelöst hätte, doch die offizielle Homepage der
Organisation sagt etwas anderes. Dort wird immer noch Werbung gemacht.
Werbeplakat des DPHW |
Was ist das DPHW? – Die Mitglieder der
Organisation verstehen sich als eine Art Bürgerwehr, in der natürlich nicht nur
groß gewachsene, blonde Germanen willkommen sind. Wie die meisten ihrer Art
zeigt sich auch diese Gruppe offen für alle Bürger. Das DPHW will „Lücken
schließen“, die durch mangelnde Polizeipräsenz entstanden sind. Recht und Ordnung
sollen durchgesetzt werden, Gesetzesverstöße werden „durch öffentliches
Einschreiten“ abgestellt, heißt es auf der DPHW-Website. „Die
Nachbarschaftshilfe und das menschliche Miteinander sollen dabei wieder in den
Vordergrund gerückt werden.“ Man könnte es auch organisierte Selbstjustiz
nennen.
Beispielhaft ist ein Vorfall vom November 2012:
Die Hilfspolizisten in
Uniform gerieten den Ermittlern ins Visier, als sie am 23. November des letzten
Jahres einen Gerichtsvollzieher in Bärwalde bei Meißen festnahmen, als dieser
dort Schulden eintreiben wollte. Die Amtsperson musste von der richtigen
Polizei befreit werden. Der Mann ist seither krank. Offensichtlich ist das kein
Einzelfall. Mehrfach versuchte das Polizeihilfswerk, die Vollstreckung von
Geldforderungen zu verhindern. Am 11. Oktober in Sonneberg: Hier musste die
echte Polizei eingreifen, weil Mitglieder des DPHW den Chef des Finanzamts
bedrängten. Und am 29. November wurde die echte Polizei in Weimar gerufen, weil
Uniformierte des DPHW eine Gerichtsvollzieherin festnehmen wollten. Gegen
sieben Beschuldigte wird nun ermittelt.
(Quelle: Exakt/MDR)
Das DPHW hat – wie auch z.B. der „Freistaat
Preußen – eine überraschend gut organisierte Internet-Präsenz. Die Homepage
macht einen vertrauenserweckenden Eindruck – auf den ersten Blick. Pressesprecher
dieser Miliz ist Holger Fröhner, der in seinen weitgehend unbekannten Büchern (Die Jahrhundertlüge) ideologisch betätigt
und im März 2013 von Fahndern des Operativen
Abwehrzentrums Rechtsextremismus festgenommen wurde.
Derzeitiger Vorstand des DPHW ist Volker
Schöne, der sich ebenfalls in Presseerklärungen der Organisation zu Wort
meldet. Dort wirft er mit Zitaten von Mahatma Gandhi um sich, doch auf seiner
privaten Homepage verweist er auf vaterländische Rechtsrock-Lieder wie z.B. „Wenn
der Wind sich dreht“ von Faktor
Widerstand.
Diese Selbstdarstellung des DPHW soll darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der Bürgerwehr um einen Verein rechter Macht-Junkies handelt. |
Das DPHW ist eine polizeiähnliche Organisation
mit rechtsextremem Hintergrund – wer findet das noch beunruhigend? Was noch
beunruhigender ist: Man weiß zu wenig über solche rechten Umtriebe. Das zu
ändern war meine Intension, als ich diesen Blogeintrag geschrieben habe.
Fazit
Sollten bei einigen meiner Leser Zweifel an der
Existenz der Bundesrepublik aufkommen, möchte ich zum Schluss auf eine
Erklärung des Amtsgerichts Duisburg aus dem Jahr 2006 verweisen:
„Das Deutsche Reich in seiner
historischen Gestalt ist spätestens mit der bedingungslosen Kapitulation aller
Streitkräfte vom 7. und 8. Mai 1945 institutionell vollständig
zusammengebrochen. Seine damals noch vorhandenen Organe und sonstigen
staatsrechtlichen Strukturen sind im Mai 1945 auf allen Ebenen endgültig
weggefallen, an ihre Stelle sind in den folgenden Jahren, zuletzt durch die
deutsche Wiedervereinigung vom 3. Oktober 1990, neue, durch allgemeine Wahlen
historisch und rechtlich uneingeschränkt legitimierte Strukturen getreten.“
Eine etwas knappe Erklärung, die sich jedoch
weitgehend mit anderen Gerichtsurteilen deckt – und mit dem gesunden
Menschenverstand.
Samstag, 19. Oktober 2013
Die "Reichsbürger"-Bewegung (Teil 3)
(Teil 3 meiner
Rechtsextremismus-Reihe 2013)
Stellen die „Reichsbürger“
eine Gefahr dar? Was steckt hinter ihrer Ideologie?
Nach außen hin stecken hinter den Ideologien
meist nur Landkarten von 1937 und uralte, preußische Gesetze, doch hinter
vielen der Namen verbergen sich großkalibrige, rechte Persönlichkeiten. Und diese
Persönlichkeiten wollen dem deutschen Volk zu seinem Recht verhelfen, sich
selbst zu regieren, denn sie lehnen die gewählten Volksvertreter der
Bundesrepublik ab. Neben Esoterikern und missverstandenen Freigeistern finden
sich in den Reihen der „Reichsbürger“ auch waschechte Systemfeinde und Neonazis
wie etwa der Holocaustleugner und ehemaliger RAF-Rechtsanwalt Horst Mahler, der
schon vor Jahren auf die Seite der Rechten wechselte.
Die meisten „Reichsbürger“ weisen den Vorwurf,
sie seien Nazis, entschieden zurück. Die bürgerliche Fassade soll stets gewahrt
werden. Auch auf der Seite der RBU wird schon ganz am Anfang der Eindruck
erweckt, hier sei aus der Vergangenheit gelernt worden: „Es lebe Deutschland!“,
habe der Widerstandskämpfer Graf von Stauffenberg vor seiner Erschießung
gerufen. „Er meinte mit Deutschland das Reich – an das sich die Mitglieder der
Reichsbürger-Union weiter halten wollen“, sagen die „Reichsbürger“.
Heutzutage ist es sehr populär, „unbequeme
Wahrheiten“ auszusprechen. Und so gelingt es den „Reichsbürgern“ meist,
geschickt in der Masse der Verschwörungstheoretiker unterzutauchen. Hinter der von
„Reichsbürgern“ oft zur Schau gestellten Ablehnung von Militäreinsätzen
deutscher und europäischer Streitkräfte oder ihrer Feindschaft gegen die Banken
und die gelebte Form des Kapitalismus stehen keine modernen, sondern vielmehr uralte
und längst gescheiterte Staatskonzepte, die auf nationalistischen Theorien zu
Wirtschaft und Gesellschaft basieren.
Viele „Reichsbürger“ sind noch dazu einfach
hochkarätige Nazis, die durch ihre Aktionen immer wieder auffallen. So verfasste
ein gewisser „Reichsbürger Walther“ im April 2004 einen „Offenen Brief“ an
einen Schulleiter in Bernau bei Berlin, in dem er eine baldige Bestrafung
androht. Der Grund: „Sie stehen an vorderster Front, wenn es gilt, unsere
Jugend mit der Auschwitz-Lüge seelisch zu vergiften“.
Eine Bewegung, mit der viele „Reichsbürger“ in
Kontakt stehen, ist das Internetprojekt Nürnberg
2.0 Deutschland. Diese „Erfassungsstelle zur Dokumentation der
systematischen und rechtswidrigen Islamisierung Deutschlands“ will alle
„Verantwortlichen“ zur Rechenschaft ziehen.
Der Brandenburger Verfassungsschutz hat Teile
der Bewegung als „hochgefährlich“ eingestuft. Deshalb sollte man die
„Reichsbürger“ nicht als Spinner wahrnehmen, nur weil sie sich hinter einer
Wand von ebensolchen verstecken. Es sind durchaus waschechte, rechte Ideologen,
von denen eine Gefahr ausgehen kann.
Das Internet dient ihnen – wie an einigen
Beispielen schon verdeutlicht – als Rednerpult, auf Facebook-Seiten scharen sie
Anhänger um sich und auf Video-Portalen bringen sie ihre Botschaften unter,
ohne zwangsläufig ihre komplette Identität offensichtlich werden zu lassen. So
erkennt man z.B. bei Andreas Popp, der im Internet seine Wissensmanufaktur
betreibt, nur auf den zweiten Blick, dass er als „Reichsbürger“ die
Bundesrepublik Deutschland ablehnt.
Neben Internet-Ideologen gibt es jedoch noch
Personengruppen eines anderen Kalibers, die mit den „Reichsbürgern“ in
Verbindung stehen: Zum „Deutschen Polizei-Hilfswerk“ (DPHW) folgt morgen der
letzte Beitrag der aktuellen Reichsextremismus-Reihe 2013.
Freitag, 18. Oktober 2013
Die "Reichsbürger"-Bewegung (Teil 2)
(Teil 2 meiner
Rechtsextremismus-Reihe 2013)
Zahlreiche Staatsgründungen
Die „Reichsbürger-Union“ (RBU) hat nur ca. 50
Mitglieder. Insgesamt dürfte es aber in jedem Bundesland mehr als 100 und in
manchen sogar mehrere hunderte von ihnen geben. Auffallend sind vor allem die
zahlreichen „Staatsgründungen“, die sich in den letzten Jahren ereignet haben. Erst
am 19. Oktober 2012 wurde der „Freistaat Preußen“ (wieder)gegründet – von einem
Personenkreis, in dessen Führung auch die brandenburgische NPD-Politikerin Bärbel
Redlhammer-Raback agiert. Der Staat „Germanitien“ wurde dagegen schon 2007
geschaffen. Seine derzeitige Präsidentin stammt sogar aus meiner Geburtsstadt... - Es
existiert auch eine Neuauflage des zur Zeit der Weimarer Republik existenten „Freien
Volksstaates Württemberg“ und seit September 2012 gibt es auch ein „Königreich
Deutschland“, am Stadtrand von Wittenberg in Sachsen-Anhalt. Der „König“, Peter
Fitzek, wird vom Verfassungsschutz beobachtet.
Flagge der Republik Germanitien |
Einige dieser Umtriebe sind also noch recht
aktuell, ihren Anfang nahm die organisierte Form der Reichsbürgerbewegung
jedoch im Jahre 1985. Damals gründete Wolfgang Ebel in Westberlin die „Kommissarische
Reichsregierung des Deutschen Reichs“, den bis heute existierenden Vorläufer aller
„Reichsbürger“-Organisationen. Bekannt ist auch eine andere Scheinregierung,
die „Exilregierung Deutschen Reich“, die sogar selbsternannte „Reichspräsidenten“
vorweisen kann.
Ein Verein von Spinnern?
Sind die „Reichsbürger“ ein Verein von
Spinnern? Der Eindruck könnte durchaus entstehen. Viele
Verschwörungstheoretiker, die die Existenz der Bundesrepublik anzweifeln,
hängen auch noch anderen Theorien an und vertreten äußerst bizarre Ansichten.
So ist zum Beispiel Norbert Schittke, selbsternannter „Reichspräsident“ der
sogenannten „Exilregierung des Deutschen Reiches“ der Meinung, dass auch die
Kondensstreifen am Himmel, die „ acht Stunden stehen bleiben“, etwas zu
bedeuten hätten. Sie seien ein Beweis dafür, dass der Abbau der Menschheit um
85% aktiv betrieben. Politik und Weisheit bzw. Wissenheit verschwimmen hier
miteinander. Oft ist es auch ein Mix aus Esoterik, Religion und Nationalismus,
der den „Reichsbürgern“ zu Kopf steigt – oder die vermeintliche Chance, durch
ein gesetzliches Schlupfloch den Steuerzahlungen zu entkommen. In einer
Erklärung des Amtsgerichts Duisburg wird zusammengefasst, dass hinter den
Motiven der „Reichsbürger“ rechtsextreme, aber auch finanzielle Absichten sowie
ideologische Wahnvorstellungen stecken würden.
Eine Gefahr sind die ideologischen Anführer der
„Reichsbürger“ vor allem für jene Menschen, die sich auf ihre Steuertipps
einlassen. Vorgedruckte Formulare und Briefe sollen dabei helfen, dem Finanzamt
zu trotzen. Oft musste schon mit einer Anzeige rechnen, wer mit den Ratschlägen
der „Reichsbürgern“ argumentiert hat, im schlimmsten Fall haben sich Menschen
bis über beide Ohren verschuldet. Blinder Glaube an Verschwörungstheorien,
naives Wunschdenken und oftmals bloße Dummheit sind Eigenschaften, die den „Reichsbürgern“
entgegenkommen. Diese verbreiten ihre Ansichten über das Internet und auch über
Bücher: Meist publizieren die Autoren im Eigenverlag, so auch Hans-Peter
Thietz, ein ehemaliges Mitglied der letzten, frei gewählten Volkskammer der
DDR. Er vertritt hauptsächlich antisemitische und revisionistische Positionen,
aber auch kreationistische und esoterische. In seinem Buch Die Satanisierung des Neuen Testaments behauptet er, Jesus sei
gekommen, um den biblischen Gott als von den Juden angebeteten Satan zu
entlarven. An anderer Stelle meint er, nicht die Juden, sondern die Germanen seien
das auserwählte Volk Gottes. Genau dieser Mann und sein Schriftwerk werden auf
der Online-Präsenz der RBU als Lektüre empfohlen.
Viele der „Reichsbürger“ sind Juristen, wie
etwa auch der Sprecher der RBU, Runhardt Sander, die sich ein Zubrot verdienen
mit dem Verkauf ihrer drittklassigen Schriftwerke voller Rechtschreibfehler
oder durch ihre mehr oder weniger schwach besuchten Seminaren, die dem naiven
Zuhörer den einen oder anderen Aha-Effekt bescheren. Manche erwecken den
Anschein, man müsse alte Werte wieder aufbauen: Der schon erwähnte
„Reichspräsident“ Schittke will ein freies, souveränes und weltoffenes
Deutschland, in dem die Alliierten nicht mehr machen können, er sieht ein
Hauptproblem in der amerikanischen Militärpräsenz.
Die Sache mit den Staatsgründungen und
den Kondesstreifen-Verschwörungen könnte ja ganz lustig sein, wenn es nicht
noch einige braune Nebenwirkungen geben würde. Mehr dazu in Teil 3 meiner
Reihe.
Donnerstag, 17. Oktober 2013
Die "Reichsbürger"-Bewegung (Teil 1)
(Teil 1 meiner
Rechtsextremismus-Reihe 2013)
In letzter Zeit bin ich immer öfter über eine
Gruppierung gestolpert, von der ich zuvor zwar schonmal etwas gehört hatte, die
mir aber dennoch mehr oder weniger unbekannt geblieben ist. Von den sogenannten
„Reichsbürgern“ wusste ich, dass sie die Bundesrepublik Deutschland als
Nachkriegserfindung der Alliierten ablehnen und dass sie ihre Ablehnung sogar durch
selbstgebastelte Personalausweise zum Ausdruck bringen, um ihre Autonomie auf
Papier festzusetzen. Doch als ich vor einigen Wochen einen Artikel in der ZEIT
gelesen habe, wurde mein Interesse an dieser neurechten Bewegung endgültig geweckt.
Es wurde bekannt, dass einer dieser Verschwörungstheoretiker, ein gewisser
Daniel S., aus der Haft geflohen war, nachdem man ihn zuvor wegen illegalen
Sprengstoffbesitzes festgenommen hatte. Auf seinem Grundstück, das er mit einem
Schild („Republik Freies Deutschland“) als unabhängiges Gebiet gekennzeichnet
hatte, sammelte der bekennende „Reichsbürger“ Unmengen von „Sprengmitteln“. Im
weiteren Verlauf des Artikels war noch davon die Rede, dass bei der Verhaftung
ein Mitglied des DPHW zugegen war und für sich in Anspruch nahm, der „einzig
wahren deutschen Polizei“ anzugehören. Ich hatte von dieser Organisation noch
nie etwas gehört. Nach einigen Klicks im Internet war ich dann schlauer.
Über die „Reichsbürger“ und das riesige Netz,
in das sie verwickelt sind, wissen die meisten Deutschen noch zu wenig, wie ich
finde. Auch über die Größe des Gefahrenpotenzials, das von dieser Bewegung
ausgeht, sind sich viele noch im Unklaren. Bis jetzt sind es meist nur lose
Strukturen, die sich aber nach und nach zu einem Netzwerk zusammenfügen, das
nicht nur Spinnern, Verschwörungstheoretikern, deutschen Alternativ- und
Querdenkern eine neue Heimat bietet, sondern auch knallharten Nazis. – Wer also
sind diese „Reichsbürger“? Dieser Frage möchte ich in meiner diesjährigen
Rechtsextremismus-Reihe nachgehen.
Selbstgebastelte Ausweise und Steuerallergie
Selbstgebastelte Ausweise und Steuerallergie
Die Bewegung der „Reichsbürger“ lebt heute mit durch
das Internet, hat sich aber auch in realen Gruppierungen schon lange organisiert.
Sie sind der Meinung, dass die Bundesrepublik Deutschland eine von den
Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg gegründete GmbH ist – also eine Firma.
Was in so mancher Kabarett-Stube für Erheiterung sorgt, ist bei diesen
Ideologen bitterer Ernst. Sie können nicht lachen über die Bezeichnung „Personalausweis“,
die uns als Mitglieder des Personals dieser GmbH ausweist. Aus diesem Grund
haben die „Reichsbürger“ ihre Personalausweise schon lange zerschnitten,
verbrannt und für Ersatz gesorgt. Ja, die haben tatsächlich ihre eigenen
Ausweise:
Die „Reichsbürger“ spielen gerne mit Gesetzen
und rechtlichen Grundlagen, sie versuchen zu beweisen, dass die Bundesrepublik
nicht existiert – ganz im Gegensatz zu Deutschland! Die Bundesrepublik sei mit
Deutschland nicht identisch, heißt es. Es gibt auf bestimmten Seiten sogar
Formulare und vorgefertigte Erklärungen, die man an Finanzämter und Rathäuser
schicken kann, sollte man Bußgelder verordnet bekommen haben – sei es wegen dem
Fehlen eines bundesdeutschen Führerscheins oder der Verweigerung von Steuerzahlungen.
Ein Blick auf die zentrale Organisation der
meisten „Reichsbürger“, die sogenannte „Reichsbürger-Union“ (RBU), gibt einen
genaueren Eindruck davon, wie man im Milieu argumentiert. Schon auf der
Eingangsseite der Website der RBU finden sich aufschlussreiche Informationen:
Die deutsche
Staatsangehörigkeit beruht seit 1913 auf dem Reichs- und
Staatsangehörigkeitsgesetz, also einem Reichsgesetz: Alle deutschen
Staatsbürger sind somit (nach wie vor) Bürger des Deutschen Reichs (eine besondere
Staatsangehörigkeit der „Bundesrepublik Deutschland“ gibt es nicht).
Das Deutsche Reich existiert – sagen seine
selbsternannten Bürger, die ihre alten Phrasen und die nationalsozialistische
Symbolik eingetauscht haben gegen Gesetzesbücher.
Dienstag, 8. Oktober 2013
Unser Lampedusa
Es gibt zu viele Flüchtlinge, sagen die
Menschen.
Es gibt zu wenig Menschen, sagen die
Flüchtlinge.
(Ernst Ferstl)
Vor Lampedusa ist es wieder passiert. Nicht
anders als sonst, nur mit mehr Opfern, die man nach und nach aus dem Mittelmeer
fischt. So viele Opfer, dass man sie nicht mehr ignorieren kann. Diskussionen
werden geführt, die Politik will sich jedoch nicht beeindrucken lassen.
Deutschland nehme genug Flüchtlinge auf, Italien solle sich um „seine Flüchtlinge“
gefälligst selbst kümmern, heißt es.
Deutschland hat im vergangenen Jahr 65.000
Flüchtlinge aufgenommen. Das ist eine natürlich eine ganze Menge. Und doch gibt
es so etwas wie eine Willkommenskultur nicht, weder für diejenigen, die schon
seit Jahrzehnten hier sind, noch für die Migranten der letzten Jahre oder gar
für Flüchtlinge. Allein beim Klang dieses neudeutschen Wortes geht so manchem
Nationaldemokraten wohl das Messer in der Tasche auf. In Berlin-Hellersdorf
marschierten die Rechten auf, um gegen die Aufnahme von Asylanten zu
demonstrieren. Die NPD ließ vor der Wahl in ihrem Programm verlauten: „Das weltweit einzigartige Asylrecht der
Bundesrepublik Deutschland hat nicht nur zu einem Mißbrauch in unvorstellbarem
Ausmaß geführt, sondern auch zu einer Belastung der Staatsausgaben in
Milliardenhöhe.“ Deshalb solle man das Grundrecht auf Asyl aus dem
Grundgesetz streichen. Doch nicht nur die Rechten haben die Nase voll: In jedem
Ort, in dem ein Wohnheim für Asylbewerber eingerichtet werden soll, fürchten
die Menschen um ihre Sicherheit. „Wer soll unsere Frauen beschützen?“ ist eine
der wohl beschämendsten Fragen, die bei Bürgerversammlungen auftauchen. Wir
erinnern uns an die 1990er Jahre, als man allen Statistiken zum Trotz Panik
unter den Bürgern dieses Landes schürte mit Parolen wie „Das Boot ist voll!“ –
Eine ähnliche Stimmung kommt heute wieder auf, während sich Vorpommern und
Brandenburg langsam entvölkern und die echten Boote im Mittelmeer zumeist
unbeachtet sinken. Angeheizt wird die Stimmung von den Bildern raubender
Zigeunerbanden, die durch deutsche Großstädte ziehen. Natürlich, es gibt
Probleme mit Armutszuwanderern, die man nicht ignorieren darf und die man
sinnvoll angehen sollte, um die Entstehung von rechtsfreien Räumen wie beispielsweise
Duisburg-Rheinhausen. Doch von diesen Zuwanderern ist hier nicht die Rede. Es
geht um jene Menschen, die alles riskieren, um nach Europa zu kommen – auch ihr
eigenes Leben.
Was ist es, das den Deutschen solche Angst
macht vor jenen Menschen, die alles riskieren, nur um ein besseres Leben zu
leben? Haben wir etwa Angst um unser Geld? Unser Geld ist ständig in Gefahr,
aber hauptsächlich von anderer Seite: Während der Staat Milliarden irgendwo im
Nirgendwo der Bürokratie versickern lässt, reden alle möglichen Parteien wieder
über Steuererhöhungen – bis auf die kürzlich verstorbene FDP. Es geht um Geld,
das da ist, ohne sinnvoll eingesetzt zu werden. In einem Land, dessen
Wirtschaft wächst, in dem aber zu wenig investiert wird. Und wo es schon an
innereuropäischer Solidarität (z.B. mit Griechenland) in der Bevölkerung fehlt,
da hat man auch keinen Nerv für Syrer und Afrikaner.
Dabei ist der „Neid“ auf die Asylbewerber,
denen man aus reiner Nächstenliebe Geld zu geben scheint, völlig unbegründet.
Die Realität ist hart: Bis vor kurzem war das, was ein Asylbewerber in
Deutschland bekam, weit unter dem Hartz-IV-Satz. Vielerorts bekamen diese
Menschen sogar nur auf Landkreise beschränkte Aufenthaltsgenehmigungen und
konnten auf diese Weise oft nicht von der Provinz in die nächstgrößere Stadt
fahren. Größere Lager für Asylbewerber liegen meist außerhalb der dicht
bevölkerten Ballungsräume, weit abgelegen von der Masse der Bevölkerung. Ein
Beispiel hierfür ist das Lager Horst in Mecklenburg-Vorpommern, wo Hamburg
seine Flüchtlinge „auslagert“. Oft gibt es in solchen Unterkünften keine
Deutschkurse, eine Arbeitserlaubnis schon gar nicht – geduldet, nicht akzeptiert.
Ein Leben in Würde? Fehlanzeige. Soll sich ein Asylbewerber etwa langweilen,
während er auf das Ende des Krieges in seiner Heimat wartet? Außerdem darf man
nicht vergessen, dass manchmal ganze Familien nach Deutschland kommen, Familien
mit Kindern. Die sind dann auf das Engagement örtlicher Grundschullehrer und
–lehrerinnen angewiesen, um im Unterricht einigermaßen folgen zu können.
Schulpflicht gilt in Deutschland schließlich für alle Menschen. Eine
Willkommenskultur gab es nie, nicht einmal für Menschen, die in ihrer Heimat
ihr Zuhause verloren haben und nur als Gäste nach Deutschland kamen, ohne für
immer bleiben zu wollen.
Können wir wirklich ruhig schlafen, während
hunderte Menschen vor jenen Küsten ertrinken, an denen wir bevorzugt Urlaub
machen? Und das nur, weil sie sich ein besseres Leben erhoffen und die legalen
Mittel dazu nicht ausreichen? Manche Flüchtlinge sitzen jahrelang in einem
nordafrikanischen Land fest, haben kein Geld fürs Weiterkommen. Zurückkehren
können sie auch nicht, denn die Familie hat oft ihr komplettes Vermögen
investiert, damit ein junger Mann oder eine Frau die lange Reise nach Europa
antreten kann. Wer sein Gesicht und seine Ehre nicht verlieren will, der steigt
in die klapprige Nussschale und lässt sich irgendwo vor der Küste im
vermeintlich flachen Wasser aussetzen. Manche schwimmen ans Ufer, andere
ertrinken, weil sie von den mehreren Lagen Kleidung, die gegen die Kälte helfen
soll, nach unten gezogen werden. Und dann gibt es welche, die verbrennen auf
einem in Seenot geratenen Boot, weil irgendjemand Fackeln angezündet hat, um
die Küstenwache auf sich aufmerksam zu machen…
Dabei sind die Deutschen normalerweise kein
gefühlskaltes Volk – und sie sollten sich auch nicht durch Schreckensszenarien
eines überfremdeten, wirtschaftlich zerstörten Deutschland dazu verleiten
lassen, eines zu werden. Deutschland ist stark und kann solidarisch sein. Nach
dem Horror-Tsunami 2004 haben tausende Familien auf ihr Silvesterfeuerwerk
verzichtet und das Geld stattdessen den Opfern gespendet. Das ist nicht schwer
und wir wissen doch alle, wie es geht.
Und wo man ins Gespräch kommt mit denjenigen, die
ihr Schicksal in die Hände von tunesischen Schleppern gelegt haben, da zeigt
man durchaus Verständnis und überwindet Unterschiede. Wo Asylanten
Theaterstücke aufführen, da kommt man ins Gespräch, wo Kirchengemeinden bei
Behördengängen helfen und hilfsbereite Menschen den Bedürftigen ein Quartier
bieten, da zerfällt das Schreckensbild des anonymen und mutmaßlich kriminellen Asylbewerbers.
Zahlreiche Kirchen und auch Moscheen in St. Pauli haben schon im August
Flüchtlinge aufgenommen und tragen ihrerseits dazu bei, dass Menschen den
nötigen Beistand bekommen. Die wirkliche Begegnung ist viel stärker als die populistische
Panikmache, der man nur zu oft zu folgen verleitet ist.
Deutschland zeigt sehr wohl Mitgefühl. Die
Stuttgarter Zeitung schrieb, dass die Opfer von Lampedusa auch unsere Toten
seien. Doch auch die Politik muss ihren Beitrag leisten. Ein Asylbewerber hat eine
recht geringe Chance, in Deutschland bleiben zu dürfen. Im Jahr 2011 wurden 84%
der Anträge auf Asyl abgelehnt. Europa muss endlich beginnen, seine Werte nicht
nur gegen Terroristen, Kommunisten und Kapitalisten zu verteidigen, sondern in
erster Linie gegen seinen inneren Schweinehund. Denn um dem Elend rund um das
Mittelmeer ein Ende zu machen würde es vielleicht schon genügen, die legalen
Wege für Flüchtlinge einfacher zugänglich zu machen.
Samstag, 5. Oktober 2013
Einwanderungsland Deutschland (Zusammenfassung eines Artikels aus der ZEIT vom 09.10.2013)
(Presseschau)
Vor einigen Tagen habe ich in der ZEIT einen interessanten, teils provokanten, teils bewusstseinserweiternden Artikel mit der Überschrift „Deutschland durchgehend geöffnet“ gelesen. Die Journalistin Özlem Topçu und der stellvertretende Chefredakteur Bernd Ulrich erörtern die momentan existierende Chance, Deutschland zu einem echten Einwanderungsland zu machen. Es kommen verschiedenste Punkte zur Sprache, u.a. geht es um die doppelte Staatsbürgerschaft, um das gesellschaftliche Klima in Deutschland und um den Bedarf an neuen Zuwanderern, der unbestreitbar besteht.
Vor einigen Tagen habe ich in der ZEIT einen interessanten, teils provokanten, teils bewusstseinserweiternden Artikel mit der Überschrift „Deutschland durchgehend geöffnet“ gelesen. Die Journalistin Özlem Topçu und der stellvertretende Chefredakteur Bernd Ulrich erörtern die momentan existierende Chance, Deutschland zu einem echten Einwanderungsland zu machen. Es kommen verschiedenste Punkte zur Sprache, u.a. geht es um die doppelte Staatsbürgerschaft, um das gesellschaftliche Klima in Deutschland und um den Bedarf an neuen Zuwanderern, der unbestreitbar besteht.
Da ich vermute, dass wahrscheinlich ein großer
Teil meiner Leser diesen Artikel auf Seite 3 der Printausgabe nicht gelesen
hat, möchte ich ihn hier zusammenfassen, einige interessante Stellen zitieren
und eventuell den einen oder anderen Aspekt ein wenig erweitern.
Die Autoren beginnen mit der aktuellen
Situation in Deutschland, mit der Problematik des Nachwuchsmangels. Alte
Strategien, Akademikerinnen und Akademiker zum Kinderkriegen zu überreden, seien
gescheitert. Deutschland brauche eine stabile Einwanderung, laut Statistik
sogar bis zu 400.000 Menschen pro Jahr. Bis 2030 würden in Deutschland fünf
Millionen Arbeitskräfte fehlen. – Für ein Land, das nicht nur geografisch,
sondern auch wirtschaftlich die Mitte Europas bildet, ist Zuwanderung
lebenswichtig.
Einwanderung sei außerdem nichts, das man bloß „ertragen“
müsse, sondern etwas Erstrebenswertes. Die
Autoren des Artikels haben entdeckt, was den Deutschen seit jeher davon abhält,
seine Heimat als Einwanderungsland zu begreifen. Es ist die „altdeutsche Frage:
Wann geht ihr wieder nach Hause?“ Denn tief im Bewusstsein der meisten
Deutschen sitzt immer noch der Gastarbeiter, der seit 40 Jahren auf die
Heimkehr wartet, genauso wie sein alteingesessener Gastgeber. Ob das Wort
Gastgeber hier angemessen ist, wage ich in Zweifel zu ziehen – vielleicht wäre
Arbeitgeber besser. Doch das ist meine eigene Deutung, denn Topçu und Ulrich schreiben
ehrlich und zukunftsgewandt, ohne Spott, weniger mit dem Blick nach hinten als
mit dem nach vorne. Und so sollte aus ihrer Sicht die Frage nach der Heimkehr von
einem modernen, „neudeutschen Wunsch“ abgelöst werden: „Kommt zu uns, geht
nicht in die USA!“
„Integration“
Deutschland ist stetig im Wandel, wurde über
die Jahre internationaler – und hat es überlebt. Schon nach dem Zweiten
Weltkrieg hätte diese Geschichte der Einwanderung begonnen. Die Deutschen
hätten Millionen Vertriebene integriert, „auch wenn sie sich diese Leistung nie
eingestanden und sie nie gefeiert haben“, schreiben die Autoren. „Später kamen
die Ostdeutschen, deren Fremdheit ein Tabu und eine Tatsache war.“ Es habe
Investitionen erfordert und ein Vierteljahrhundert gedauert, doch letztendlich sei
diese Integration erfolgreich gewesen. Schon in den Sechzigerjahren begann dann
die Zuwanderung von Arbeitern aus Süd- und Südosteuropa, von denen viele
blieben. „Man brauchte sie, aber so richtig wollen wollte man sie nicht. – Trotzdem,
alle sind jetzt irgendwie drin im Club. Und das Land, es ist nicht
untergegangen.“
Der Begriff Integration hat mittlerweile gänzlich
ausgedient, meinen Topçu und Ulrich. Wohin solle man sich denn überhaupt integrieren?
In eine Mehrheitsgesellschaft, die über die Jahrzehnte immer dieselbe geblieben
wäre? Heute kommen wieder Zuwanderer aus ähnlichen Gründen wie die Gastarbeiter
damals. Junge Spanier, die in ihrer Heimat mit einer erdrückend hohen
Jugendarbeitslosigkeit zu kämpfen haben, füllen hier die vielen unbesetzten Lehrstellen.
Ist für solche Menschen das Wort Integration noch zeitgemäß? Immerhin kommen
sie aus dem europäischen Ausland. Innerhalb der EU sind wir alle irgendwie zuhause.
Auch Topçu und Ulrich sind dieser Meinung. Sie haben auch eine Lösung für das
Begriffsproblem parat: „Nur, was soll man sagen, wenn das Wort Integration
nicht mehr funktioniert? Probieren wir es vielleicht vorerst mal mit:
Zusammenleben.“
Vielfalt und
Willkommenskultur
Migranten gingen lieber dorthin, wo entspannter
mit Vielfalt umgegangen wird, meinen Topçu und Ulrich. „Die Frage ist also
nicht: Wollen wir sie? Die Frage ist: Wie kriegen wir sie zu uns – und was für
Gründe hätten sie zu bleiben?“ Man müsse das Klima ändern. Die Union hätte
schon das Amt des Bundesbeauftragten für Integration geschaffen, auch die
Islamkonferenz war ein guter Anfang. (Leider wurde diese von HP Friedrich an die
Wand gefahren…) – Das Innenministerium müsse seinen Job machen und sich um das
Kümmern, was in seine Zuständigkeit fiele: Terrorabwehr gegen rechts, links und
Islamisten. „Integration und Migration haben dort nichts zu suchen, sie sollten
als das behandelt werden, was sie in erster Linie sind: ein arbeits-, bildungs-
und gesellschaftspolitisches Thema.“
Manchmal brauche es etwas Radikalität, meinen
die Autoren und schlagen etwas vor, das sowohl neue Einwanderer anlocken solle
als auch einen Klimawechsel beschleunigen würde:
„Modern und wirklich radikal wäre es, wenn man
so jemanden [eine/n Migrant/-in] zum Außenminister macht. Ein Deutscher, dessen
Eltern eingewandert sind, repräsentiert Deutschland im Ausland. Wie könnte man
besser neue Einwanderer bekommen? Und ein Deutscher, dessen Eltern hier geboren
sind, kümmert sich um die, die neu dazukommen.“
Ein interessanter Gedanke. Selbst wenn man in
nicht ganz so extremen Zügen denkt, ist die Richtung klar: Die Unterscheidung
zwischen uns und denen, die spätestens mit Sarrazin einen neuen Höhenflug erfahren
hat, ist für den Wandel Deutschlands zu einer offenen, toleranten Gesellschaft
des Miteinanders eher hinderlich.
Die doppelte
Staatsbürgerschaft
Schon ziemlich am Anfang kommen die Autoren auf
die Sache mit der doppelten Staatsbürgerschaft zu sprechen. Ich stelle diese
Thematik an den Schluss, da sie einige gewichtige Schlüsse enthält, welche
diejenigen Menschen, die den sogenannten Doppelpass strikt ablehnen, zum Denken
anregen könnte.
Topçu und Ulrich stellen fest, dass die Zeiten
des Die und Wir vorbei seien. Menschen mit und ohne Migrationshintergrund
könnten sich heute leiden, die Deutschen glaubten nicht mehr, dass jemand, der
die deutsche und eine andere Staatsbürgerschaft hat, seine Loyalität dann immer
der anderen Nationalität schenken würde. Das Fazit:
„Aus diesem Selbstbewusstsein heraus sollte es
doch endlich möglich sein, doppelte Staatsbürgerschaften zu akzeptieren.
Deutschsein ist etwas Gutes und Haltbares, auch wenn man nebenher noch Türke,
Libanese oder Italiener ist. Darum wäre es ein hochwichtiges Symbol, wenn die
nächste Regierung […] diese kleinliche, ängstliche Regelung abschafft, die
junge Türken und Araber dazu zwingt, eine ihrer Identitäten, ihre Herkunft oder
ihre Zukunft, aufzugeben, wenn sie volljährig werden. Ihre erste erwachsene
Entscheidung soll ein Nein sein? Eine Trennung? Verrückt.“
Donnerstag, 3. Oktober 2013
Zum Tag der Deutschen Einheit 2013
Ich
möchte hier ausnahmsweise keine großen Reden schwingen, obwohl es viel zum Tag
der Deutschen Einheit zu sagen gäbe. Trotzdem, an diesem sonnigen Tag,
wahrscheinlich einem der letzten dieses Sommers, ist mir nicht nach
theoretischen und politischen Hirnanstrengungen zumute. Stattdessen habe ich
mich heute schon früh nach Stuttgart aufgemacht. Und es hat sich irgendwie
schon gelohnt, an diesem Feiertag übertrieben früh aufzustehen:
Seit
heute gehöre ich offiziell zu den wenigen Millionen Menschen, die
Bundeskanzlerin Angela Merkel einmal persönlich zu Gesicht bekommen haben.
Die Kanzlerin in Stuttgart (3. Oktober 2013), © Thorschten |
Fast
hätten ganze drei Stuttgart-21-Gegner den meisten Schaulustigen mit ihren
Bannern die Sicht genommen, doch dann hat man sie höflich, aber nachdrücklich
gebeten, doch an jedem anderen Tag und an jedem anderen Ort demonstrieren zu
wollen. Ein bisschen pissig sind sie dann abgezogen. Kurz darauf kamen die
Politiker: Beim Auszug aus der Stiftskirche nach einem ökumenischen
Gottesdienst am Morgen schritt neben der Kanzlerin auch Bundespräsident Gauck
sehr repräsentativ aus der Pforte. Beide wurden jedoch überragt vom
baden-württembergischen Ministerpräsidenten, dem Gastgeber des diesjährigen „Bürgerfestes“
anlässlich des Tags der Deutschen Einheit. Der Festakt und die Rahmenveranstaltungen
fanden dieses Jahr in Stuttgart statt, weil Baden-Württemberg zurzeit den
Vorsitz im Bundesrat hat. Zeitgleich findet auch das Volksfest auf dem Cannstatter
Wasen statt, was die Zug- und Bahnverbindungen erst recht strapaziert hat.
Am
2./3. Oktober gab auf Schlossplatz, Königs- und Theodor-Heuss-Straße eine
Vielzahl von Würstchenbuden, repräsentativen Pavillons politischer
Einrichtungen und Zelten der verschiedenen Bundesländer. Neben bekannten und
unbekannten Musikgruppen stieß man zudem auf Autohersteller, die zum
Gewinnspiel einluden. Bundestag und Bundesrat veranstalteten einen Tag der
offenen Tür – weit weg von Berlin.
Hier
ein paar Bilder.
Der Bundesrat in Stuttgart. :) |
Volksmusik und Trachten. |
Ein afrikanischer Chor unter Anleitung dieses charismatischen Herrn singt zu Ehren der Kanzlerin. |
Natürlich
gäbe es viel zu sagen zu Deutschland, der Einheit und den letzten zwei Jahrzehnten.
Auch könnte man das Selbstbild Deutschlands diskutieren, über Wirtschaft, Werte
und Integration reden. Andererseits sind wir jeden Tag aufgefordert, uns mit
unserer Gesellschaft und ihren Herausforderungen auseinanderzusetzen, morgen wieder
und auch gestern schon. Heute lasst uns einfach unsere Einheit genießen und im
Radio auf die Hits des Jahres 1989 horchen… :)
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