Sonntag, 28. Dezember 2014

Friedrich, Deutschland und Pegida

Es freut mich ja, wenn unsere eiserne, unbeugsame und alternativlose Kanzlerin auch aus den eigenen Reihen mal Kritik zu hören bekommt – allerdings nicht unbedingt von Peter Friedrich! Dieser macht nämlich den scheinbar zu linken Kurs der CDU mitverantwortlich für den aktuellen Pegida-Höhenflug und meint: „Ich glaube, dass wir in der Vergangenheit mit der Frage nach der Identität unseres Volkes und unserer Nation zu leichtfertig umgegangen sind.“ Zur doppelten Staatsbürgerschaft (für Türken in Deutschland) hat er zu sagen: „Natürlich war die Zustimmung zur doppelten Staatsangehörigkeit ein Fehler. Gerade in einer Zeit, in der die Menschen wieder nach kultureller Identität, Heimat und Zusammenhalt fragen, ist der leichtfertige Umgang mit der Staatsbürgerschaft falsch.
Fragen die Menschen wirklich wieder nach kultureller Identität, Heimat und Zusammenhalt? Und wenn ja, warum?! Die Deutschen gehen wie Jahre und Jahrzehnte zuvor auf Weihnachtsmärkte, die in keiner einzigen deutschen Stadt in „Jahresabschlussmärkte“ umbenannt wurden. Ob Christ/-in oder nicht, gefühlt hat jede/-r zweite Facebook-Nutzer/-in mindestens ein kitschiges Foto gepostet, auf dem irgendwelche Weihnachtsaccessoires zu sehen sind. Die Deutschen sind Weltmeister und haben im Sommer eine riesige Party in Schwarz-Rot-Gold auf den Straßen gefeiert. Deutschland ist seit November offiziell das beliebteste Land der Welt. Natürlich geht es in diesem Land auch einigen Menschen ziemlich sche*ße, aber alles in allem haben wir eine souveräne Grundlage, auf die wir aufbauen können. Wieso um alles in der Welt sucht der/die durchschnittliche Deutsche plötzlich nach mehr Identität, mehr Heimat, mehr Zusammenhalt? Ist das, was wir haben, nicht schon eine ganze Menge?
Vielleicht stellt sich heute gar nicht die Frage, wie viel „Fremdes“ eine Gesellschaft verträgt, sondern wie viel „Nation“ eine Gesellschaft ertragen kann, bevor es zu bleibende Schäden kommt. Doch in unseren Tagen gehen immer mehr „besorgte Deutsche“, die angeblich der „bürgerlichen Mitte“ entstammen, auf die Straße und vertreten Thesen wie „Für mich ist es völlig unerheblich, ob es denHolocaust gegeben hat. Das ist 70 Jahre her!“ – Zur Erinnerung: Im März 1933 wurde die NSDAP von 43,9% des Volkes demokratisch an die Macht gewählt. Damals waren (nur) etwas mehr als 9% der Bevölkerung arbeitslos. Dies offenbart, was oft übersehen wird: Hitlers Wahlsieg wurde von großen Teilen der „bürgerlichen Mitte“ getragen. – Vielleicht ist das auch der Grund, wieso uns unser deutsches Schulsystem und die von Pegida & Co. als „Lügenpresse“ bezeichneten Medien zu Recht immer wieder daran erinnern, was zwischen 1933 und 1945 passiert ist.

Montag, 22. Dezember 2014

Zweite Bogida-Demo in Bonn

Oh, Du friedliche Weihnachtszeit…! Heute, am 22. Dezember 2014, fand die zweite Bogida-Demonstration in Bonn statt. Wahrscheinlich ist dies der Anfang einer Reihe von Veranstaltungen gegen Islamismus und die „Islamisierung des Abendlandes“. Man darf sich also – wie in so vielen deutschen Großstädten – auf mehr gefasst machen.


Es waren angeblich über 2.500 Gegendemonstranten,die sich vor dem Rathaus auf dem Bonner Marktplatz versammelten. Anders als letzte Woche war man sich näher, stand sich Auge in Auge gegenüber. Wie angekündigt waren rechte Demonstranten eigens aus dem Saarland angereist. „Saarländer gegen Salafisten“ konnte man auf einem Plakat lesen, hinter dem sich Kahlköpfe mit Deutschlandflaggen postiert hatten. Zu Beginn und am Ende präsentierten die Rechten ihre Redner. Die Stimmung war aufgeheizt, meist gelang es, die Worte von Initiatorin Melanie Dittmer, einer stadtbekannten Persönlichkeit der rechten Szene, zu übertönen. Ein mehr oder weniger prominenter Gast war Udo Ulfkotte, ehemaliger FAZ-Reporter und Politikwissenschaftler, der in der Vergangenheit schon oft wegen islamfeindlicher Haltungen aufgetreten ist und den rechtspopulistischen Verein Pax Europa mitbegründet hat. Von den verschiedenen Rednern gab es wieder die gewohnten Fakten zum gewohnten Zweck: "Es wurden über 3.000 Moscheen gebaut!" - "Asylbewerber machen hier Urlaub!" - "Die Politiker wollen Deutschland islamisieren."


Diese Woche dominierten Hooligans und kahl rasierte Köpfe unter den 250 Teilnehmern, doch auch die eine oder andere Großmutter war unter den Bogida-Demonstranten. Eine von ihnen streckte den lauten Gegendemonstranten ein Plakat entgegen, das über die Bösartigkeit des Islam aufklärte, man winkte sich höhnisch zu und würdigte sich mit Stinkefingern. Ein Nazi drehte durch und wurde abgeführt, ein paar Antifas warfen mit Plastikbechern. Doch dann setzte sich der Zug in Bewegung und den Rechten gelang es dieses Mal tatsächlich, ihren „Abendspaziergang“ zu vollführen. Die Straßen waren gesäumt von Polizeisperren und Uniformierten mit Helmen, laut vorherigen Berichten waren 900 Polizisten im Einsatz. Jenseits der Sperren warteten die gegendemonstrierenden Hundertschaften mit Pfiffen und Sprechchören, sogar aus den Fenstern der umliegenden Häuser kam das eine oder andere Plakat.


Auch anderswo in Deutschland kam es heute zu Demonstrationen. Allerdings sieht es nicht überall gut aus für den Widerstand gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus: In Dresden zum Beispiel konnten sich gegen 17.500 Pegida-Demonstranten nur 4.300 Bürger_innen mobilisieren. Die Rechten haben gegenüber letzter Woche einen Zulauf erfahren. In München gingen aber immerhin 12.000 Menschen gegen die Pegida-Bewegung auf die Straße. Höchstwahrscheinlich wird die Welle des Ausländerhasses und der Islamfeindlichkeit uns auch nächstes Jahr begleiten. Doch die Bonner Bogida hat durch ihre kahlköpfigen Unterstützer ein für alle Mal klargemacht, wo sie zu verordnen ist – am äußeren rechten Rand dieser Stadt.


Bericht zur ersten Bogida-Demo: hier.

Samstag, 20. Dezember 2014

Rheinländische Weihnacht

Weihnachtsmärkte sind der perfekte Ort, um das alltägliche Elend, das einen in diesem Jahr stetig begleitet hat, eine kurze Weile zu vergessen. Sicherlich, um an Glühwein-, Bratwurst- und Crêpes-Ständen satt zu werden ist ein gewisses finanzielles Polster von Nöten. Aber wenn man das einmal außer Acht lässt sind Weihnachtsmärkte einfach nur schön. Wo sonst findet man bunte Vogelhäuschen, Himbeerseife und Lángos auf einem Fleck? Wo könnte man sonst dem Lachs zusehen, wie er – mit mittelalterlichen Metallstiften an grobe Holzbretter genagelt – vor sich hin räuchert? Kunst und Kitsch erfreuen das Auge, Brauchbares und Unbrauchbares findet seinen Weg in die Einkaufstüte, bis die Liste mit den Namen der zu Beschenkenden nach und nach mit Häkchen abgearbeitet ist. Jung und alt erwärmt sich am Glühwein, während die sprechenden Hirsche auf dem Dach versuchen, die bayerische Sprache zu imitieren oder die Trinkenden mit den nervigsten Weihnachtsliedern anzulocken.
Es ist aber mal wieder an der Zeit für ein paar Fotos aus Bonn. Weihnachtsmärkte ähneln sich überall, und dennoch hat jede Stadt ihren eigenen Style, wie sie eben auch ihren eigenen Charme hat.

Das typischste aller Bilder von jedem Weihnachtsmarkt: Bunte Herzen, allesamt essbar, aber schwer verdaulich...

Der Bonner Weihnachtsmarkt bietet sogar ein Riesenrad.

Dom und Weihnachtspyramide in Großformat.

Zum Schluss noch ein Ausflug nach Köln mit einem Bild der Krippe im Dom, die ich irgendwie sehenswert fand. Jesus und seine Family sind allerdings irgendwo rechts versteckt, dafür sehen wir in der Mitte unten auch einen netten „Weihnachtsmarkt“.


Montag, 15. Dezember 2014

Demo und Gegendemo in Bonn

Was wäre ein Montag ohne Demonstrationen? Das haben sich auch ein paar Zeitgenossen aus der oft beschworenen bürgerlichen Mitte gedacht und im Namen von Bogida („Bonn gegen Islamismus in Deutschland und im Abendland“) einen sogenannten „Abendspaziergang“ organisiert. Angemeldet waren 500 Teilnehmer für 18.30 Uhr, doch mit dem Spaziergang wurde es nichts, denn „Bonn stellt sich quer“ stellte sich erfolgreich in den Weg. Um zwanzig vor sieben wird der Spaziergang abgesagt und stattdessen gibt es ein paar Redebeiträge: „Seit 1945 kamen 600.000 Muslime in unser Land!“ – „Moscheen!“ – „Frauen!“ – „Wir sind das Volk!“ – Das Übliche eben.

Bevor die beiden Demos losgingen, konnte man noch unbehelligt zwischen den Polizeireihen hindurch diffundieren und von den Gewerkschaften, Parteien, Kirchen und Antifas hinüberwechseln zu den Verteidigern der deutschen Weltordnung. Ab und zu traf man aber auf ein paar wackere Großmütter, die sich den Weg zur Bogida erfragten. Die Bonner Bürgerschaft teilte sich mit der Zeit je einer der beiden Seiten zu. Wie vermutet waren die Personen mit Deutschlandfahnen in der Unterzahl. Am Rande der anfangs noch recht mickrigen Truppe diskutierte man schon über das N-Wort. „Nein, das sind doch keine Nazis!“, argumentiert ein angegrauter Herr. – „Ja, was sind Sie dann?“, wird er direkt angesprochen. – „Ich? Ich gehöre da gar nicht dazu! Ich beobachte nur.“ Fast will man den beiden entgegenrufen: Nazis sagt man doch heute nicht mehr! Das sind doch lediglich treue Nationaldemokraten. Und AfD-Professoren natürlich.


Zurück zur Ernsthaftigkeit, denn ernst ist die Lage ganz sicher. Die ganze Pegida-, Bogida- oder Dügida-Debatte führt uns eines vor Augen: Möglicherweise demonstriert hier tatsächlich nur die bürgerliche Mitte. Hatte nicht 1933 niemand anderer das große Unheil heraufgewählt als eben die Durchschnittsbürger/-innen ihrer Zeit? Ausländerfeindlichkeit, Islamophobie, Antisemitismus und vor allem das Misstrauen gegenüber Asylbewerbern finden sich in der Mitte der Gesellschaft, nicht seltener und nicht weniger als anderswo.

Glücklicherweise gibt es noch einen weit größeren Teil, der sich dem entgegenstellt. Auch wenn sich nicht jeder mit den „Nie wieder Deutschland!“-Rufen der antideutschen extremen Linken identifizieren kann, so kann man doch sagen, dass am Montag in Bonn ein befriedigendes Zeichen gegen Rechts gesetzt wurde. Mit Musik und vor allem mit viel Lärm wurden die Redner der Gegenseite übertönt, mit Menschenmassen wurde die rechte Demo eingekesselt. Bonn kriegen sie nicht.

Gegendemonstrantion in Bahnhofsnähe.
Da wäre aber noch etwas anderes. Ich habe mich ungefähr zwei Sekunden lang gefragt, was es denn zu bedeuten hätte, dass neben Plakaten mit der Forderung „Stoppt die Islamisierung Europas!“ eine norwegische Flagge auftaucht. Und die Antwort darauf offenbart, dass der patriotische Teil der bürgerlichen Mitte keine Skrupel hat, sich mit einem Mann zu identifizieren, der am 22. Juli 2011 den Kampf gegen die „Islamisierung“ begann und kaltblütig 77 Menschen massakrierte. Wenn das mal nicht einiges über diese neue abendlandsbesessene Bewegung aussagt...

Klarstellung und Anmerkung vom 21. Dezember: Norwegische Flaggen werden auf rechten Demos schon seit Jahren verwendet, nicht erst seit den Attentaten von Breivik. Norwegen ist ein besonders tolerantes und offenes Land, gilt bei europäischen Nationalisten jedoch als jenes Land, in dem sich bis heute die "arische Rasse" am reinsten erhalten hat. Es besteht natürlich noch eine zweite Möglichkeit, nämlich dass es sich dabei nicht um eine norwegische Flagge gehandelt hat, sondern um jenen Entwurf, der 1948 als Vorschlag zur neuen deutschen Flagge eingereicht wurde. In diesem Fall war es kein blaues Kreuz (wie das auf der norwegischen Flagge), sondern ein schwarzes. Diese "alternative" deutsche Flagge wird gerade auf solchen "patriotischen" Demonstrationen oft gern gezeigt.

Freitag, 12. Dezember 2014

"Sie sind überall!" - Faktencheck und nachdenkliches Kopfschütteln

Der Spiegel macht den Faktencheck zu Behauptungen der Pegida („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“), widerlegt falsche Behauptungen und uralte Ressentiments. Sogar GMX fragt: „Was ist dran an den Vorurteilen?“ So stellt man sich den neuen alten Ängsten derjenigen, die von sich selbst behaupten, aus der Mitte der Gesellschaft zu kommen. Die Zeitungen und Magazine schreiben angestrengt gegen jene Kräfte an, die in Dresden kürzlich 19.000 „besorgte Bürger“ mobilisieren konnten, um gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ zu demonstrieren. Zumindest versuchen sie es.
Doch wo schreiben hoffnungslos erscheint, muss man fragen: Was treibt diese Menschen an? Woher kommt die Angst – und wie kann man ihr begegnen?

Die immer gleichen Vorurteile

Die gängigsten Vorurteile und Behauptungen lassen sich mittlerweile sogar mit Statistiken und in Stein gemeißelten Zahlen widerlegen. Dass Zuwanderung den fleißigen Deutschen nur Geld kosten würde, hat eine Studie des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) als falsch erwiesen: Die 6,6 Millionen Menschen ohne deutschen Pass haben im Jahr 2012 für einen Überschuss von rund 22 Milliarden Euro gesorgt. Jeder Ausländer und jede Ausländerin zahlt pro Jahr etwa 3.300 Euro mehr Steuern und Sozialabgaben, als er oder sie an staatlichen Leistungen erhält.
Nun gut, aber kriminell ist der Ausländer an und für sich ja doch, oder? Wieder falsch. Die polizeiliche Kriminalstatistik (ebenfalls 2012) offenbart, dass nur jeder vierte Tatverdächtige keinen deutschen Pass hat – darin inbegriffen Touristen und aus dem Ausland agierende Banden.

Das älteste aller Vorurteile müsste heutzutage eigentlich gar nicht mehr thematisiert werden, gäbe es nicht einige Hetzer und ihre ungebildeten Fußsoldaten, die immer noch an das Märchen von der weggenommenen Arbeit glauben: Ausländer nehmen den fleißigen Deutschen die Arbeitsplätze weg. – Die Zahlen sprechen auch hier eine andere Sprache, der Mangel an Fachkräften und die Vielzahl unbesetzter Lehrstellen in vielen Regionen Deutschlands untermauern die Statistik. Währenddessen arbeiten studierte Iraner mitunter als Taxifahrer in Köln oder München, weil ihre Abschlüsse nicht anerkannt werden.
Aber wenn wir ehrlich sind, hat „der Ausländer“ immer nur die Drecksarbeit gemacht – und wurde genauso behandelt wie das, was er wegputzen musste. Wer sich an die Achtziger und Günter Wallraffs „Ganz unten“ (1985) nicht mehr erinnern kann, der sei an dieser Stelle auf die entsprechenden Links verwiesen.

„Sie sind überall“

Wer mit dem Jargon der extremen Rechten vertraut ist, dem muss jedes Mal ein Schauer über den Rücken laufen, wenn er Stimmen aus der Mitte der Gesellschaft mit dem Begriff „Überfremdung“ jonglieren hört. Was bitte soll man darunter verstehen? Von Überfremdung singen „national gesinnte“ Liedermacher mit weinerlicher Stimme, gegen die Überfremdung schreien neubraune Führer in Bierzelten auf NPD-Kinderfesten an – aber in der bürgerlichen Mitte hat diese Sprache nichts verloren, nicht zuletzt weil die Aussage, die dahinter steht, grober Unfug ist. Wenn sich ein ganzes Land fremd wird, dann hat es größere Probleme als die Zuwanderung.

Die Diskussion um Zuwanderung, Integration und Migranten hält mittlerweile schon zu viele Jahre an, ohne wirklich Ergebnisse zu liefern. Bei den zuvor genannten Vorurteilen und den dazugehörigen Diskussionen am sprichwörtlichen Stammtisch geht es in Wirklichkeit nicht um Tatsachen – auch nicht beim Thema Muslime. Es geht um subjektives Empfinden. Denn Fakt ist: Muslime machen in Deutschlands gerade einmal um die 5 Prozent der Bevölkerung aus. Eine verschwindend kleine Minderheit, vor der das deutsche Abendland eigentlich keine Angst zu haben braucht. Doch fragt man jenen Teil der Bevölkerung, der Angst vor „dem Islam“ hat, so wird der Anteil der Muslime um ein Vielfaches höher eingeschätzt. Dieses Phänomen gibt es nicht nur in Deutschland, sondern überall, wo Einwanderer ankommen und sich ins alltägliche Stadtbild integrieren. So wird z.B. auch in Großbritannien der prozentuale Anteil von Muslimen und Ausländern zu hoch eingeschätzt.
Die Angst vor dem Fremden hat die Tendenz, sich bisweilen in eine unkontrollierbare Hysterie zu steigern. Doch wie kommt man gegen die neue Bewegung der Angstbürger an? Scheinbar nicht mit Zahlen und Fakten, denn die Anhänger dieser selbsternannten Bürgerbewegungen glauben nur der eigenen Statistik: Sie sehen einige überwiegend von Arabern bevölkerte Stadtteile, eine größtenteils von fremdländisch aussehenden Kindern besuchte Schule, ein morgenländisches Gebetshaus und können es angesichts dessen nicht ertragen, dass in ihrer Heimat auch andere Menschen heimisch geworden sind.
Die Angst vor dem Unbekannten – oder noch schlimmer: vor dem aus politically incorrecten Gruselmärchen schon bekannt Erscheinenden – ist es, die neuerdings Massen auf die Straße bringen kann. Seit dem Elften September ist das Kopftuch, das unsere deutschen Großmütter vor vierzig oder fünfzig Jahren noch wie selbstverständlich trugen, zu einem Symbol der „Überfremdung“ geworden. Die Debatte über entweder unterdrückte oder fundamentalistische „Kopftuchmädchen“, die in Wirklichkeit doch eigentlich nur ihren Glauben leben und in Ruhe gelassen werden wollen, scheint erst jetzt abzuflauen, da man endlich ein handfestes, brandgefährliches und noch bedrohlicheres Beispiel für die Schattenseiten der islamischen Kultur gefunden hat: Während Terroristen und Theokraten im Nahen Osten ein Kalifat des Schreckens zu errichten versuchen, fühlen sich die rechten Hetzer und Breivik-Anhänger in der Echtheit des Konstrukts, das sie „Islamisierung des christlich-jüdischen Abendlandes“ nennen, bestärkt.

Willkommenskultur – Auffanglagerkultur

Ressentiments gegen Ausländer und Zuwanderungskritik gibt es seit der ersten Stunde deutscher Einwanderungsgeschichte. Bis zum heutigen Tag hat sich die Stimmung zu einem neuen Höhepunkt seit den 1990er Jahren hochgeschaukelt, doch der Grund ist nicht etwa die aggressive Missionierungskultur rheinländischer Salafisten. Entscheidend ist vielmehr die Tatsache, dass immer mehr Menschen – und darunter auch viele Flüchtlinge aus arabischen Ländern – in Deutschland Schutz vor Krieg, Vergewaltigung und Mord suchen. Denn mehr noch als das geliebte Vaterland lieben der und die Deutsche das Geld, das im Namen der deutschen Allgemeinheit ausgegeben wird. Und da kommt es vielen gerade Recht, wenn ihnen jemand erzählt, dass hunderttausende Asylbewerber_innen in Deutschland wie Gott in Frankreich leben. Bei Pegida-Demonstrationen wetterte der Initiator Lutz Bachmann gegen „Heime mit Vollversorgung“ für Flüchtlinge, während sich die deutschen Alten „manchmal noch nicht mal ein Stück Stollen leisten können zu Weihnachten“. Wie groß muss der Hass eines Volkes sein, wenn es seine Alten in miserable Heime steckt und dann Bürgerkriegsflüchtlinge zu Schuldigen erklärt?

Die ZEIT (04.12.2014, Nr. 50) berichtet über die aktuellen Zustände in vielen Lagern. Es wird auch der Kinderarzt Andreas Schultz zitiert, der in einem Asylbewerberheim in München Kinder behandelt.

Manchmal, sagt Schultz, erinnere ihn München an den Sudan. […] An die hundert Kinder wohnen in der Notunterkunft, viele von ihnen seien krank, sagt Schultz. Er hört ihren Brustkorb ab, untersucht ihre Ohren und Atemwege. Er erzählt von Kindern, die eitrige Mandeln haben, weil sie seit Tagen im Zelt schlafen. Von Jungen und Mädchen, die apathisch an die Decke starren, weil es kein Spielzeug gibt. Von Jugendlichen, die nachts vor Kummer schreien und tagsüber Bilder mit blutüberströmten Menschen malen. Von Babys, die Durchfall bekommen, weil sie das Essen im Heim nicht vertragen. „Die Kleinen bräuchten Brei“, sagt Schultz. „Stattdessen setzt man ihnen Hackfleisch vor.“

Vollverpflegung sieht anders aus. Das interessiert Leute wie Pegida-Bachmann aber nicht. Dabei geht es hier nicht einmal um Zuwanderung an sich, denn Asylbewerber sind zunächst einmal Schutzsuchende. (Oft wird dies auf beiden Seiten missverstanden: Asylgegner argumentieren, das Boot sei voll. Deutschland könne nicht noch mehr Menschen durchfüttern. Asylbefürworter argumentieren dagegen beim Thema Asyl, Deutschland bräuchte doch Zuwanderung, allein schon um die Wirtschaft am Laufen zu halten.)  Doch Flüchtlinge in Deutschland wollen in allererster Linie als Menschen behandelt werden und nicht als Zahlen, Nummern und Objekte. Sie wollen ein Leben in Würde führen. Ein Recht, das ihnen das Grundgesetz eigentlich zugesteht.
Dabei sind die meisten Deutschen gastfreundlich – nur eben nicht im eigenen Wohngebiet:

Im wohlhabenden Hamburger Stadtteil Harvestehude wird seit Oktober um ein Asylbewerberheim gestritten. Einige Nachbarn sind gegen das Heim vor Gericht gezogen, sie sagen, sie hätten Angst vor „Kinderlärm“. Harvestehude ist kein kinderfeindlicher Ort. Es gibt „Wohlfühlkindergärten“ mit Biofrühstück und Kinderyogakursen, es gibt Kochschulen für Zwölfjährige und Kieferorthopäden speziell für Kinder. In manchen Flüchtlingsheimen gibt es nicht einmal Zahnbürsten. In Würzburg zum Beispiel werden Zahnbürsten nur an Asylbewerber verteilt, die älter als zwölf Jahre sind. Deutsche Kinder bekommen Zahnputzkurse, sie haben kaum noch Karies. Viele Flüchtlingskinder kann man an ihren schlechten Zähnen erkennen, sie sind oft braun und morsch. Wenn ein deutsches Kind Karies hat, bohrt man ein Loch und füllt den Zahn. wenn ein Flüchtlingskind Karies hat, wartet man, bis der Zahn verrottet ist, so will es das deutsche Gesetz.

Das ist eigentlich zum Heulen. Menschen leben in Baracken, bekommen nicht einmal Hartz-IV und alleinstehende Männer versuchen häufiger als der umliegende deutsche Durchschnitt, sich selbst das Leben zu nehmen. Doch der Mainstream will in den Zeitungen lieber von ungerechtfertigter Vollverpflegung oder Drogenrazzien lesen.

„Ich bin autochthoner Deutscher.“ – „Ist das heilbar?“

„Bürgerbewegungen“ wie die Pegida und viele andere sprechen das offen aus, was (zu) viele Deutsche mittlerweile oder noch immer denken. Sie vertreten ein unvertretbares Deutschlandbild, in dem unterschieden wird zwischen Einheimischen und „Gästen“, die oft seit Generationen ihre Steuern in Deutschland zahlen, nie wirklich wie Gäste aufgenommen wurden und auch so schnell wie möglich wieder verschwinden sollen. Sie werfen diesen Gästen vor, undankbar zu sein. Dabei sind sie es selbst, die undankbar sind. In einem Land, das aus jeder Krise nahezu unbeschadet hervorgeht und sich dennoch bemitleidet, haben Zuwanderer oder Flüchtlinge dennoch keinen Platz. Im Land der Dichter und Denker denkt man immer weniger und dichtet nur noch selten – allerdings nicht deshalb, weil Zuwanderer, Asylanten oder Salafisten einen davon abhalten würden, sondern weil es viel komfortabler ist, erst einmal einen Schuldigen für ein aktuelles Schlamassel zu suchen. Doch vielleicht ist es die Art des (und der) Deutschen an sich: Wir haben schon mit uns selbst ein Problem, da brauchen wir nicht noch Andere, mit denen wir mehr Probleme haben können.

Doch wann fangen wir endlich an, uns um die wirklichen  Probleme zu kümmern – gemeinsam?