Freitag, 18. Oktober 2013

Die "Reichsbürger"-Bewegung (Teil 2)

(Teil 2 meiner Rechtsextremismus-Reihe 2013)

Zahlreiche Staatsgründungen

Die „Reichsbürger-Union“ (RBU) hat nur ca. 50 Mitglieder. Insgesamt dürfte es aber in jedem Bundesland mehr als 100 und in manchen sogar mehrere hunderte von ihnen geben. Auffallend sind vor allem die zahlreichen „Staatsgründungen“, die sich in den letzten Jahren ereignet haben. Erst am 19. Oktober 2012 wurde der „Freistaat Preußen“ (wieder)gegründet – von einem Personenkreis, in dessen Führung auch die brandenburgische NPD-Politikerin Bärbel Redlhammer-Raback agiert. Der Staat „Germanitien“ wurde dagegen schon 2007 geschaffen. Seine derzeitige Präsidentin stammt sogar aus meiner Geburtsstadt... - Es existiert auch eine Neuauflage des zur Zeit der Weimarer Republik existenten „Freien Volksstaates Württemberg“ und seit September 2012 gibt es auch ein „Königreich Deutschland“, am Stadtrand von Wittenberg in Sachsen-Anhalt. Der „König“, Peter Fitzek, wird vom Verfassungsschutz beobachtet.

Flagge der Republik Germanitien
Einige dieser Umtriebe sind also noch recht aktuell, ihren Anfang nahm die organisierte Form der Reichsbürgerbewegung jedoch im Jahre 1985. Damals gründete Wolfgang Ebel in Westberlin die „Kommissarische Reichsregierung des Deutschen Reichs“, den bis heute existierenden Vorläufer aller „Reichsbürger“-Organisationen. Bekannt ist auch eine andere Scheinregierung, die „Exilregierung Deutschen Reich“, die sogar selbsternannte „Reichspräsidenten“ vorweisen kann.

Ein Verein von Spinnern?

Sind die „Reichsbürger“ ein Verein von Spinnern? Der Eindruck könnte durchaus entstehen. Viele Verschwörungstheoretiker, die die Existenz der Bundesrepublik anzweifeln, hängen auch noch anderen Theorien an und vertreten äußerst bizarre Ansichten. So ist zum Beispiel Norbert Schittke, selbsternannter „Reichspräsident“ der sogenannten „Exilregierung des Deutschen Reiches“ der Meinung, dass auch die Kondensstreifen am Himmel, die „ acht Stunden stehen bleiben“, etwas zu bedeuten hätten. Sie seien ein Beweis dafür, dass der Abbau der Menschheit um 85% aktiv betrieben. Politik und Weisheit bzw. Wissenheit verschwimmen hier miteinander. Oft ist es auch ein Mix aus Esoterik, Religion und Nationalismus, der den „Reichsbürgern“ zu Kopf steigt – oder die vermeintliche Chance, durch ein gesetzliches Schlupfloch den Steuerzahlungen zu entkommen. In einer Erklärung des Amtsgerichts Duisburg wird zusammengefasst, dass hinter den Motiven der „Reichsbürger“ rechtsextreme, aber auch finanzielle Absichten sowie ideologische Wahnvorstellungen stecken würden.

Eine Gefahr sind die ideologischen Anführer der „Reichsbürger“ vor allem für jene Menschen, die sich auf ihre Steuertipps einlassen. Vorgedruckte Formulare und Briefe sollen dabei helfen, dem Finanzamt zu trotzen. Oft musste schon mit einer Anzeige rechnen, wer mit den Ratschlägen der „Reichsbürgern“ argumentiert hat, im schlimmsten Fall haben sich Menschen bis über beide Ohren verschuldet. Blinder Glaube an Verschwörungstheorien, naives Wunschdenken und oftmals bloße Dummheit sind Eigenschaften, die den „Reichsbürgern“ entgegenkommen. Diese verbreiten ihre Ansichten über das Internet und auch über Bücher: Meist publizieren die Autoren im Eigenverlag, so auch Hans-Peter Thietz, ein ehemaliges Mitglied der letzten, frei gewählten Volkskammer der DDR. Er vertritt hauptsächlich antisemitische und revisionistische Positionen, aber auch kreationistische und esoterische. In seinem Buch Die Satanisierung des Neuen Testaments behauptet er, Jesus sei gekommen, um den biblischen Gott als von den Juden angebeteten Satan zu entlarven. An anderer Stelle meint er, nicht die Juden, sondern die Germanen seien das auserwählte Volk Gottes. Genau dieser Mann und sein Schriftwerk werden auf der Online-Präsenz der RBU als Lektüre empfohlen.
Viele der „Reichsbürger“ sind Juristen, wie etwa auch der Sprecher der RBU, Runhardt Sander, die sich ein Zubrot verdienen mit dem Verkauf ihrer drittklassigen Schriftwerke voller Rechtschreibfehler oder durch ihre mehr oder weniger schwach besuchten Seminaren, die dem naiven Zuhörer den einen oder anderen Aha-Effekt bescheren. Manche erwecken den Anschein, man müsse alte Werte wieder aufbauen: Der schon erwähnte „Reichspräsident“ Schittke will ein freies, souveränes und weltoffenes Deutschland, in dem die Alliierten nicht mehr machen können, er sieht ein Hauptproblem in der amerikanischen Militärpräsenz.

Die Sache mit den Staatsgründungen und den Kondesstreifen-Verschwörungen könnte ja ganz lustig sein, wenn es nicht noch einige braune Nebenwirkungen geben würde. Mehr dazu in Teil 3 meiner Reihe.

2 Kommentare:

  1. Reichsbürger sind offenbar Bürger, die durch Machtmissbrauch geschädigt wurden und wie ich nach Lösungen suchen. Es ist kaum möglich, eine Lösung zu finden. Die Sklavenhalter-Mentalität scheint sich immer wieder durchzusetzen. Alle scheinen zu verkennen, dass Macht den Charakter verändert und damit neue Herrschende wieder ihrer eigenen Bequemlichkeit den Vorzug geben werden. Die Bösen sind die Linken, die Rechten, Randgruppen... Wer schützt uns vor dem Staatsapparat?

    Leider wird all zu oft in deutschen Schulen und Universitäten von einer Forderung des Grundgesetzes schon auf deren Realisierung geschlossen. Die Realität wird nicht auf den Prüfstand gehoben, im Gegenteil: Wer in Deutschland nach der Verfassungswirklichkeit gefragt wird, pflegt oftmals nur das Grundgesetz aufzuschlagen um dann zu behaupten, dass das Wirklichkeit ist, was nach der Zielvorstellung des Grundgesetzes Wirklichkeit sein soll, allein weil es dort so geschrieben steht. Das ist irreführend.... Die Organisationsstrukturen des kaiserlichen Obrigkeitsstaates blieben bis heute erhalten. Die deutsche Gewaltenteilung steht nur auf dem Papier. (Weiteres, auch über die Ämterpatronage z.B. unter http://gewaltenteilung.de/idee.htm = Homepage eines ehemaligen Richters).
    Die angeblich funktionierende Gesetzgebungs- und Gerichtspraxis ist die schlimmste Lebenslüge, denn hier ist die Berichterstattung in allen Medien nicht nur sehr weit von den wahren Verhältnissen entfernt, sondern sogar irreführend...... Gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen (nebst Justizministerien, Petitionsausschüssen etc.) fehlt wegen gewollter Verdrehungsabsicht der Tatsachen und der Rechtslage zumeist eine plausible Begründung, oft sogar die Sachbezogenheit. Hauptverantwortlich für das perfide Rechtschaos mit Methode sind die Parlamentsabgeordneten, das Bundesverfassungsgericht und auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte... (von http://unschuldige.homepage.t-online.de/default.html).

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    1. Es ist eine Tatsache, dass über eine deutsche Verfassung nie abgestimmt wurde, obwohl das Grundgesetz nur als Provisorium gedacht war. Doch in einer etwaigen Diskussion wäre es vielleicht hilfreich, sich mit der Politik Kohls auseinanderzusetzen und auf Grundlage historischer Forschung die Gründe hierfür zu untersuchen sowie sich über die Ausmaße dieser Tatsache klar zu werden.
      Dass die Herangehensweise der „Reichsbürger“ oder anderer „besorgter Deutscher“ an dieses Problem der richtige Weg ist wage ich zu bezweifeln.

      Jeder Mensch hat das Recht, sich im Rahmen der ihm zur Verfügung gestellten Mittel gegen Machtmissbrauch zu wehren. Wenn Machtmissbrauch stattfindet, müssen die Gründe hierfür gefunden und offen angesprochen werden. Allerdings fielen mir persönlich dutzende Mittel und Wege ein, bevor ich auf die Idee käme, einen bestehenden Staat in seiner Legitimität anzuzweifeln.

      Ich bin kein Jurist und mein diesbezügliches Wissen übersteigt nicht das, was ich selbst in der Schule gelernt habe. Mein Eindruck ist der, dass unser System bei näherer Betrachtung Mängel hat, doch meine Vermutung ist auch, dass vieles mit Formulierungen und Ausdrücken steht und fällt. Aufgrund einiger (wenn auch vielleicht schwerwiegender) rechtlicher Unklarheiten ein ganzes Staatssystem und auch eine Gesellschaftsordnung infrage zu stellen – wie es die „Reichsbürger“ tun – halte ich für falsch.
      Nun, warum? – Erstens halte ich das thematisierte Problem nicht für ein grundsätzliches Hindernis, in jeder erdenklichen Form am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben in Deutschland teilzunehmen. Ein System lässt sich auch verändern, wenn man selbst Teil des Systems ist – vielleicht dann sogar noch eher. „Reichsbürger“ genauso wie linksradikale Gruppen in den letzten vier Jahrzehnten forderten und fordern die Umwälzung des Systems. Die Revolution aus Sicht der „Reichsbürger“ will ein (de facto totes) Kaiserreich wieder zum Leben erwecken. Erfolgsaussichten gibt es dafür keine.
      Zweitens bin ich mir sicher, dass die Bewegung der „Reichsbürger“ nicht vom Verlangen nach Gerechtigkeit getrieben ist, sondern vielmehr Ziele verfolgt, die im heutigen geeinten Europa keine Zukunft haben. Das Interesse der Bevölkerung an der Verfassungsproblematik würde mitunter durch eine sachliche Diskussion steigen, in der nicht das Deutsche Reich gegen die Bundesrepublik stünde. Doch den meisten „Reichsbürgern“ geht es nicht um eine Verfassung und die Erfüllung von Völkerrechten, sondern um die Wiedererrichtung eines komplett anderen Systems, von dem sich Deutschland vor nunmehr über 70 Jahren verabschiedet hat. Sie wollen am bestehenden System nur deshalb nicht partizipieren, weil es nicht ihrer grundsätzlichen Deutung von Volk und Vaterland entspricht. Zeigen Sie mir einen prominenten und einflussreichen „Reichsbürger“, der nicht entweder den Holocaust geleugnet hat oder wegen anderer Straftaten aus dem rechten Spektrum angeklagt war oder verurteilt wurde. Zulauf finden die „Reichsbürger“ nur unter naiven Menschen, die wie ich – wie am Anfang schon bemerkt – nur wenig Ahnung von staatsrechtlichen Dingen haben und sich deshalb von Paragrafen und rot unterlegten Theorien in Werken von rechten Ideologen (wie z. B. Holger Fröhner) beeindrucken lassen. Und so gehen sie braunen Pseudojuristen im Schafspelz auf den Leim, um später die Dummen zu sein, weil sie nicht beachtet haben, dass es in diesem Land sehr wohl geltende Gesetze gibt.

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