(Presseschau)
Vor einigen Tagen habe ich in der ZEIT einen interessanten, teils provokanten, teils bewusstseinserweiternden Artikel mit der Überschrift „Deutschland durchgehend geöffnet“ gelesen. Die Journalistin Özlem Topçu und der stellvertretende Chefredakteur Bernd Ulrich erörtern die momentan existierende Chance, Deutschland zu einem echten Einwanderungsland zu machen. Es kommen verschiedenste Punkte zur Sprache, u.a. geht es um die doppelte Staatsbürgerschaft, um das gesellschaftliche Klima in Deutschland und um den Bedarf an neuen Zuwanderern, der unbestreitbar besteht.
Vor einigen Tagen habe ich in der ZEIT einen interessanten, teils provokanten, teils bewusstseinserweiternden Artikel mit der Überschrift „Deutschland durchgehend geöffnet“ gelesen. Die Journalistin Özlem Topçu und der stellvertretende Chefredakteur Bernd Ulrich erörtern die momentan existierende Chance, Deutschland zu einem echten Einwanderungsland zu machen. Es kommen verschiedenste Punkte zur Sprache, u.a. geht es um die doppelte Staatsbürgerschaft, um das gesellschaftliche Klima in Deutschland und um den Bedarf an neuen Zuwanderern, der unbestreitbar besteht.
Da ich vermute, dass wahrscheinlich ein großer
Teil meiner Leser diesen Artikel auf Seite 3 der Printausgabe nicht gelesen
hat, möchte ich ihn hier zusammenfassen, einige interessante Stellen zitieren
und eventuell den einen oder anderen Aspekt ein wenig erweitern.
Die Autoren beginnen mit der aktuellen
Situation in Deutschland, mit der Problematik des Nachwuchsmangels. Alte
Strategien, Akademikerinnen und Akademiker zum Kinderkriegen zu überreden, seien
gescheitert. Deutschland brauche eine stabile Einwanderung, laut Statistik
sogar bis zu 400.000 Menschen pro Jahr. Bis 2030 würden in Deutschland fünf
Millionen Arbeitskräfte fehlen. – Für ein Land, das nicht nur geografisch,
sondern auch wirtschaftlich die Mitte Europas bildet, ist Zuwanderung
lebenswichtig.
Einwanderung sei außerdem nichts, das man bloß „ertragen“
müsse, sondern etwas Erstrebenswertes. Die
Autoren des Artikels haben entdeckt, was den Deutschen seit jeher davon abhält,
seine Heimat als Einwanderungsland zu begreifen. Es ist die „altdeutsche Frage:
Wann geht ihr wieder nach Hause?“ Denn tief im Bewusstsein der meisten
Deutschen sitzt immer noch der Gastarbeiter, der seit 40 Jahren auf die
Heimkehr wartet, genauso wie sein alteingesessener Gastgeber. Ob das Wort
Gastgeber hier angemessen ist, wage ich in Zweifel zu ziehen – vielleicht wäre
Arbeitgeber besser. Doch das ist meine eigene Deutung, denn Topçu und Ulrich schreiben
ehrlich und zukunftsgewandt, ohne Spott, weniger mit dem Blick nach hinten als
mit dem nach vorne. Und so sollte aus ihrer Sicht die Frage nach der Heimkehr von
einem modernen, „neudeutschen Wunsch“ abgelöst werden: „Kommt zu uns, geht
nicht in die USA!“
„Integration“
Deutschland ist stetig im Wandel, wurde über
die Jahre internationaler – und hat es überlebt. Schon nach dem Zweiten
Weltkrieg hätte diese Geschichte der Einwanderung begonnen. Die Deutschen
hätten Millionen Vertriebene integriert, „auch wenn sie sich diese Leistung nie
eingestanden und sie nie gefeiert haben“, schreiben die Autoren. „Später kamen
die Ostdeutschen, deren Fremdheit ein Tabu und eine Tatsache war.“ Es habe
Investitionen erfordert und ein Vierteljahrhundert gedauert, doch letztendlich sei
diese Integration erfolgreich gewesen. Schon in den Sechzigerjahren begann dann
die Zuwanderung von Arbeitern aus Süd- und Südosteuropa, von denen viele
blieben. „Man brauchte sie, aber so richtig wollen wollte man sie nicht. – Trotzdem,
alle sind jetzt irgendwie drin im Club. Und das Land, es ist nicht
untergegangen.“
Der Begriff Integration hat mittlerweile gänzlich
ausgedient, meinen Topçu und Ulrich. Wohin solle man sich denn überhaupt integrieren?
In eine Mehrheitsgesellschaft, die über die Jahrzehnte immer dieselbe geblieben
wäre? Heute kommen wieder Zuwanderer aus ähnlichen Gründen wie die Gastarbeiter
damals. Junge Spanier, die in ihrer Heimat mit einer erdrückend hohen
Jugendarbeitslosigkeit zu kämpfen haben, füllen hier die vielen unbesetzten Lehrstellen.
Ist für solche Menschen das Wort Integration noch zeitgemäß? Immerhin kommen
sie aus dem europäischen Ausland. Innerhalb der EU sind wir alle irgendwie zuhause.
Auch Topçu und Ulrich sind dieser Meinung. Sie haben auch eine Lösung für das
Begriffsproblem parat: „Nur, was soll man sagen, wenn das Wort Integration
nicht mehr funktioniert? Probieren wir es vielleicht vorerst mal mit:
Zusammenleben.“
Vielfalt und
Willkommenskultur
Migranten gingen lieber dorthin, wo entspannter
mit Vielfalt umgegangen wird, meinen Topçu und Ulrich. „Die Frage ist also
nicht: Wollen wir sie? Die Frage ist: Wie kriegen wir sie zu uns – und was für
Gründe hätten sie zu bleiben?“ Man müsse das Klima ändern. Die Union hätte
schon das Amt des Bundesbeauftragten für Integration geschaffen, auch die
Islamkonferenz war ein guter Anfang. (Leider wurde diese von HP Friedrich an die
Wand gefahren…) – Das Innenministerium müsse seinen Job machen und sich um das
Kümmern, was in seine Zuständigkeit fiele: Terrorabwehr gegen rechts, links und
Islamisten. „Integration und Migration haben dort nichts zu suchen, sie sollten
als das behandelt werden, was sie in erster Linie sind: ein arbeits-, bildungs-
und gesellschaftspolitisches Thema.“
Manchmal brauche es etwas Radikalität, meinen
die Autoren und schlagen etwas vor, das sowohl neue Einwanderer anlocken solle
als auch einen Klimawechsel beschleunigen würde:
„Modern und wirklich radikal wäre es, wenn man
so jemanden [eine/n Migrant/-in] zum Außenminister macht. Ein Deutscher, dessen
Eltern eingewandert sind, repräsentiert Deutschland im Ausland. Wie könnte man
besser neue Einwanderer bekommen? Und ein Deutscher, dessen Eltern hier geboren
sind, kümmert sich um die, die neu dazukommen.“
Ein interessanter Gedanke. Selbst wenn man in
nicht ganz so extremen Zügen denkt, ist die Richtung klar: Die Unterscheidung
zwischen uns und denen, die spätestens mit Sarrazin einen neuen Höhenflug erfahren
hat, ist für den Wandel Deutschlands zu einer offenen, toleranten Gesellschaft
des Miteinanders eher hinderlich.
Die doppelte
Staatsbürgerschaft
Schon ziemlich am Anfang kommen die Autoren auf
die Sache mit der doppelten Staatsbürgerschaft zu sprechen. Ich stelle diese
Thematik an den Schluss, da sie einige gewichtige Schlüsse enthält, welche
diejenigen Menschen, die den sogenannten Doppelpass strikt ablehnen, zum Denken
anregen könnte.
Topçu und Ulrich stellen fest, dass die Zeiten
des Die und Wir vorbei seien. Menschen mit und ohne Migrationshintergrund
könnten sich heute leiden, die Deutschen glaubten nicht mehr, dass jemand, der
die deutsche und eine andere Staatsbürgerschaft hat, seine Loyalität dann immer
der anderen Nationalität schenken würde. Das Fazit:
„Aus diesem Selbstbewusstsein heraus sollte es
doch endlich möglich sein, doppelte Staatsbürgerschaften zu akzeptieren.
Deutschsein ist etwas Gutes und Haltbares, auch wenn man nebenher noch Türke,
Libanese oder Italiener ist. Darum wäre es ein hochwichtiges Symbol, wenn die
nächste Regierung […] diese kleinliche, ängstliche Regelung abschafft, die
junge Türken und Araber dazu zwingt, eine ihrer Identitäten, ihre Herkunft oder
ihre Zukunft, aufzugeben, wenn sie volljährig werden. Ihre erste erwachsene
Entscheidung soll ein Nein sein? Eine Trennung? Verrückt.“
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