Unseren
letzten Tag in Phnom Penh verbrachten wir mit einem Marktbesuch und einem
kleinen Ausflug in den muslimischen Teil der Stadt. Im Grunde besteht das
islamische Phnom Penh nur aus einer einzigen Straße, die parallel zum Fluss
verläuft und von der links und rechts kurze Seitenwege abzweigen. Etwa zwanzig
Minuten nördlich des Stadtzentrums reihen sich hier ein Dutzend Moscheen auf
einer Strecke von circa zwei Kilometern aneinander. Michael hatte uns am Morgen
verlassen und war an die Küste nach Sihanoukville weitergezogen, also waren wir
für heute nur noch zu zweit. Marian gehört zu meinen fellow orientalists aus Tübinger Zeiten und war deswegen genauso
interessiert an einem Abstecher zu den Cham-Muslimen.
Das
muslimische Volk der Cham bildet nach den Vietnamesen die größte Minderheit in
Kambodscha. Zu den genauen Zahlen gibt es sehr widersprüchliche Angaben,
verlässliche Quellen gehen von 237.000 Muslimen in Kambodscha aus, was ungefähr
1,6% der Bevölkerung gleichkommt. Die hiesigen Cham werden seit den 1960er
Jahren auch als Khmer Islam
bezeichnet, um sie als Kambodschaner von den chinesischen und vietnamesischen
Muslimen abzuheben. Sie besitzen eine eigene Sprache und Schrift und gehören größtenteils
dem sunnitischen Islam an. Unter den Roten Khmer litten sie Seite an Seite mit
allen anderen religiösen Kambodschanern. Nach eigenen Angaben wurden 132 Moscheen
zerstört, nur 20 Geistliche überlebten das Terrorregime. Viele der modernen
Moscheen wurden beim Wiederaufbau durch ausländische Gelder gefördert, so gibt
es (wie vergleichbar z.B. auch in Bosnien nach dem Bosnienkrieg) einige von
Saudi-Arabien finanzierte Moscheen.
Ein Tuk Tuk
bringt uns durch die Vororte, wo sich wieder Textilfabriken und
Tochterunternehmen vietnamesischer Lebensmittelhersteller zwischen Straße und
Fluss drängen. Vor einer Moschee lässt er uns absteigen. Wir haben uns bei der
größten Hitze trotzdem Jeans angezogen, um nicht in Shorts durch die
Gotteshäuser tingeln zu müssen. Pünktlich zum Nachmittagsgebet kommen wir an
und setzen uns in den hinteren Teil der Moschee, während sich die vorderen
Reihen mit Gläubigen füllen. Einige kleine Jungen, vermutlich Koranschüler,
scheinen noch nie Ausländer aus dem Westen gesehen zu haben und halten es nicht
so genau mit Disziplin und Ernsthaftigkeit beim Gebet. Als wir wieder gehen
spricht uns jemand von den erwachsenen Männern an und fragt freundlich, woher
wir kommen. Natürlich interessiert es ihn auch, ob wir Muslime sind, er verabschiedet
uns nach einem sehr kurzen Gespräch mit „Welcome to Cambodia“ und erstattet
seinen Freunden Bericht.
Wir
spazieren die Straße entlang. Nirgendwo sonst in Phnom Penh sieht man Frauen
mit Kopftuch oder Männer mit langen Gewändern und Käppchen. Das muslimische
Leben scheint sich ausschließlich in dieser Gegend abzuspielen. Vor den Eingängen
fehlen die kleinen Geisterhäuschen, die man überall sonst findet, und es gibt
eine Vielzahl von Koranschulen und religiösen Einrichtungen. Viele Cham-Muslime
leben vom Fischfang. In einer unscheinbaren Einfahrt auf der flussabgewandten
Seite befindet sich das Amt des Muftis von Kambodscha, der höchsten religiösen
Autorität. Die Männer an der Rezeption beäugen uns misstrauisch, während wir
uns draußen den Schaukasten mit den angepinnten Fotos des letzten großen Projektes
mit Malaysia anschauen. Wieder fragt jemand, was uns hierher verschlagen hat,
und wieder geben wir Auskunft. Im Erdgeschoss soll gleich der
Englischunterricht stattfinden.
Zu meiner
Schande muss ich gestehen, dass mir zu oft eher die Rolle des passiven
Beobachters zufällt, der die Szene überfliegt und dann zum nächsten Ort
weiterzieht. Zum Glück ist Marian da anders und fragt, ob wir uns den
Unterricht mal anschauen können. Wir müssen kurz auf die Lehrerin warten, die
zwei Minuten später auf ihrem Moped angeflogen kommt. Die kleine Frau mit den
stets vor Erstaunen geweitetem Augen und dem schwarzen Khimar, einem langen
Kopftuch, ist von der Idee begeistert. Da wir Ausländer seien, hätten wir eine
bessere Aussprache („prrrrronunciation“) als die Kambodschaner, meint sie und
beschließt, dass heute wir den Unterricht durchführen. Die Lehrerin schaut uns
perplex und abermals mit großen Augen an, als wir ihre Frage ob wir Muslime
seien verneinen, aber das scheint nicht allzu schlimm zu sein. Wir stellen uns
zunächst vor, Marian glänzt mit seinem Arabisch und dann lassen wir die Jungen
und Mädchen, die wohl zwischen 15 und 18 Jahren alt sind und getrennt nach
Geschlechtern vor uns sitzen, Fragen stellen. Die meisten trauen sich nicht
richtig und die Lehrerin verkündet fast schon drohend, dass dies eine einmalige
Chance sei – schließlich seien wir die ersten Ausländer in ihrem Unterricht,
nach dem Mann aus Pakistan, der vor zwei Monaten zu Gast war. Nach und nach
kommen dann doch in äußerster Höflichkeit gestellte Fragen, hauptsächlich von
den jungen Männern: Wo kommt Ihr her? Warum seid Ihr hier? Wie gefällt Euch
Kambodscha? Ein Mädchen fragt wie groß wir eigentlich seien, was für ein paar
Lacher sorgt. Die meisten Fragen drehen sich aber um die Religion: Wenn Ihr
Euch doch mit dem Islam beschäftigt, wieso seid Ihr dann noch nicht
konvertiert? Was denkt Ihr über den Islam? Welchen Eindruck habt Ihr von
Muslimen? Wir finden diplomatische Antworten und erzählen ein wenig von
Deutschland. Leider vergesse ich Fotos zu machen, denn der Unterricht nimmt ein
abruptes Ende, als die Lehrerin nach einer Dreiviertelstunde gehen muss. Vorher
lädt sie uns aber noch für irgendwann zu sich nach Hause ein. Da wir dankend
ablehnen, weil für den Folgetag schon die Weiterfahrt nach Thailand geplant ist,
ruft sie einen „Bruder“ an, der mit uns reden soll. Über Islam natürlich. Wir
wissen nicht, ob er ihr wirklicher Bruder ist oder nur in religiösen Dingen,
doch er heißt Said und kommt mit dem Moped, auf das wir uns zu dritt setzen.
Nur eine kurze Strecke ist es bis zu der großen Wiese hinter dem Viertel, in
dem das Amt des Muftis liegt, und wir steigen ab.
Der Bruder
kann nur Arabisch und weiß erst nicht so recht, was er mit uns anfangen soll.
Auf der Fläche wird Fußball gespielt, in einem verschmutzten Wasserloch am Rande
plantschen ein paar Kinder. Der Mann holt einen Freund zur Hilfe, der Englisch
spricht und interessanterweise in nächster Nähe zu unserem Hostel in einem
anderen Hotel arbeitet. Wir fragen typische Recherchefragen: Wie viele Muslime
gibt es in Kambodscha? Das entpuppt sich allerdings als sehr interessante
Frage, denn die meisten Menschen in dieser Gegend scheinen die Zahl der Muslime
deutlich zu überschätzen. Als ich in der Schule erzählte, in Deutschland seien
fünf Prozent der Bevölkerung muslimisch, ging ein erstauntes Raunen durch die
Reihen und erst als die Lehrerin übersetzte, dass Deutschland aber auch 80
Millionen Einwohner hätte, sah man Köpfe nicken. Auch der Mann auf der
Fußballwiese behauptet, dass knapp die Hälfte der Kambodschaner muslimischen
Glaubens sei. Ich erkläre mir diese Überschätzung am ehesten mit der Tatsache,
dass das muslimische Viertel von Phnom Penh tatsächlich sehr isoliert ist. Die
Menschen bleiben unter sich und kommen vermutlich eher selten aus ihrer Welt
heraus.
Vor einer
anderen Moschee machen wir Abschlussfotos mit Said und lassen uns von einem Tuk
Tuk wieder in die Stadt bringen. Irgendwie war das ganze ziemlich surreal und
obwohl der Fernbus aus und nach Siem Reap genau durch diese Gegend fährt kommt es
uns vor, als seien wir die ersten Touristen auf diesem Fleckchen Erde gewesen.
Der kurze Besuch war aber eines der Highlights unseres ganzen Urlaubs und schon
am Abend hat Said die zwei Fotos mit uns auf Facebook hochgeladen.
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