Eine kleine
Zwischenstation auf unserem Weg nach Süden sollte Vang Vieng sein, das
eigentlich nur 230 Kilometer von Luang Prabang entfernt liegt. Dank der kurvigen
Straße trennen Start und Ziel aber ganze sieben Stunden. Alles halb so schlimm,
hätte ich mich am Vorabend genauer informiert und wäre am Tag der Abreise nicht
guten Mutes eine Viertelstunde zu spät vom Hostel aufgebrochen. So habe ich den
Bus um eben diese fünfzehn Minuten verpasst. Spontan wie planlos kam ich mit
meinem (deutlich zu schwer bepackten) Reiserucksack an der Busstation an und
erkannte, dass ich ganze fünf Stunden Zeit haben würde, um mich mit roten
Plastikbänken, grimmigen Ticketverkäufern und laotischem Fernsehen
anzufreunden. Das Ticket kostete 14 Dollar, was für die bisherigen Verhältnisse
ein kleines Vermögen war. Ich schaute tatsächlich eine Weile fern, nachdem mir
keine Notizen mehr einfielen, die ich hätte niederschreiben können, und war
erstaunt über die Bandbreite und Qualität des sozialistischen Staatsfernsehens.
Nur ein einziges Mal wurden schwarz-weiße Aufnahmen irgendeines militärischen
Ereignisses gezeigt, der Rest des Programmes bestand aus Nachrichten, Talkrunden
und einer äußerst modernen Koch-Show. Als vorurteilsbeladener Sensationstourist
hätte ich im TV zumindest im Ansatz so etwas ähnliches wie Nordkorea erwartet, doch
stattdessen wirbt das laotische Staatsfernsehen für den hauseigenen
Youtube-Channel und die offizielle Facebook-Präsenz. Die
zwei ewig wehenden Flaggen am oberen linken Bildschirmrand – eine für den
Staat, eine für die (einzige) Partei – sind da nur ein schwacher Trost. Nach
quälend langen Stunden des Wartens und einer höchst delikaten Nudelsuppe ging
es endlich los – und die eigentliche Odyssee begann: Immer wenn die klägliche
Hoffnung bestand, der Bus würde hinter der nächsten Biegung endlich auf über 60
km/h beschleunigen, lauerte ein paar Meter weiter schon die nächste scharfe
Kurve. So ging es stundenlang durch atemberaubende Landschaften mit bewaldeten
Berggipfeln und kleinen Dörfern, die sich zwischen Straße und Hang festklammerten.
Die schlichten Siedlungen beheimaten jeweils ein paar Hütten aus Holz und
Schilfmaterial und sind besonders vor und nach Einbruch der Nacht sehr
beeindruckend. Busfahren wird zum Kino. Wenn in der Dämmerung die Frauen an den
Brunnen Wasser holen, Kinder an der Straße mit Hunden und Hühnern spielen und
die Männer das letzte Licht ausnutzen, um in Badehose neben den Häusern zu
duschen, fühlt man sich als unbeteiligter Beobachter irgendwie mitten in den örtlichen
Alltag versetzt. Die Haustüren sind stets offen. Wenn es dunkel ist, kann man
so in die sporadisch eingerichteten Wohnzimmer hineinsehen, wo in jedem Haushalt
ein Fernseher läuft. Oft sitzen Familien um einen Topf mit Klebereis und essen
zu Abend. Zumindest aus dem klimatisierten Bus heraus, der über die einzige
Hauptstraße wackelt, hat die nicht abreißende Kulisse aus Dorf und Urwald etwas
Idyllisches.
Irgendwann
nachts bin ich schließlich am Ziel und checke in ein Backpacker-Hostel ein.
Wenn man bei Dunkelheit ankommt merkt man erst am nächsten Morgen, wo man
eigentlich gelandet ist. Vang Vieng ist nicht die schönste Stadt der Welt, aber
es bietet viele Ausflugsziele in der Umgebung. Per Fahrrad kann man die
Wasserfälle und Höhlen des Umlands erkunden, wobei die Schotterpisten oft
besser für Mopeds geeignet sind als für klapprige, ganglose Drahtesel. Doch die
Natur ist jede Anstrengung wert.
In dieser
Stadt treffen wir uns wieder, da meine zwei Freunde zuvor ja eine andere Route
genommen haben. Sie waren bei den Steinkrügen in Phonsavan und sind deshalb deutlich
mehr Bus gefahren als ich. Im Waschbecken eines Dreibettzimmers lässt sich die
erste Ladung Wäsche zumindest notdürftig reinigen und dann in der Abendsonne
trocknen.
Nach zwei
Nächten geht es weiter gen Süden in die mit 620.000 Einwohnern größte Stadt von
Laos und kleinste Hauptstadt Asiens: Vientiane – ein Name, den ich als Elfjähriger
ohne jegliche Fremdsprachenkenntnisse noch ausgesprochen habe wie er
geschrieben wird und der mir immer wie ein merkwürdiger Frauenname vorkam. Meinen
ersten Eindruck von Laos bekam ich in meiner Kindheit durch eine Buchreihe, die
mein Vater irgendwann Anfang der Neunziger gekauft hatte. Aus diesen Büchern
nahm ich mein erstes geografisches Wissen, ich lernte alle Hauptstädte der Welt
auswendig, von denen ich bis heute über die Hälfte wieder vergessen habe. Zu
Laos gab es in einem dieser Bücher nur eine einzige Seite, mit einem einzigen
Bild. Es war das einer Straßenszene, natürlich mit Moped. Irgendwann in den
vier Wochen unserer Reise habe ich mich an jenes Bild zurückerinnert und bemerkt,
dass ich jahrelang keine andere Vorstellung von Laos und Vientiane hatte als
eben diese Frau oder diesen Mann auf einem Moped. Auch hätte ich früher nie gedacht,
dass ich jemals in dieses Land kommen würde, doch nun war ich aber tatsächlich
hier. Die schwammige Erinnerung an dieses Buch konnte ich nun durch neue
Impressionen ersetzen – und vor allem durch neue Bilder von Mopeds. Der Verkehr
von Vientiane – das auf Laotisch übrigens Vieng Chang heißt und einem so
auch nahelegt, wie der französische Name auszusprechen sein könnte – führt einem
vor Augen, dass es hier tatsächlich auch große Städte gibt, oder mindestens
eine. Beruhigend und ernüchternd zugleich, denn Vientiane ist nicht wirklich
schön. Aber es gibt einige beachtenswerte Sehenswürdigkeiten, wie etwa den
Triumphbogen (Patuxai) irgendwo im
Zentrum der Stadt. Die Türmchen und die Figuren entstammen der indischen
Mythologie, auffallend sind dabei vor allem die Kinnari (halb Frau, halb Vogel). Beim Bau des Monuments fand auch
Zement Verwendung, den die USA eigentlich zum Bau eines Flugplatzes für den
Vietnamkrieg vorgesehen hatten.
Zum Zeichen
des weltweiten Friedens wurde am anderen Ende des Patuxai-Boulevards ein großer
Gong angebracht, auf dem sämtliche Religionen der Welt durch Symbole markiert
sind. Zunächst wird man stutzig, wenn man das Zeichen mit den vier Haken sieht,
aber natürlich muss man sich den kulturellen Kontext vor Augen führen: Die
Swastika ist im indischen Kulturraum ein Symbol für verschiedene Dinge, es ist
u.a. dem Sonnenaufgang, dem Tag oder auch dem Gott Ganesha zugeordnet. In
Europa wäre dieser Gong allein wegen dieses Zeichens wohl undenkbar gewesen,
aber jenseits von Indien hat man hier natürlich keine Bedenken.
Das
Wahrzeichen von Laos ist der Pha That Luang, der Große Stupa aus dem 16. Jahrhundert. Er ist auch auf einem Geldschein
zu sehen und stellt die Vereinigung des Buddhismus mit der laotischen Kunst
dar.
Leider war
das Gebäude schon geschlossen, denn wir kamen dort recht spät am Tag an. Dafür
konnten wir die zahlreichen Sportbegeisterten beobachten, die von ihrem
abendlichen Workout zurückkamen und über die riesige geteerte Fläche vor dem
Pha That Luang nach Hause gingen. Ich habe keinen Schimmer, ob das mal ein Flugplatz
war oder Paraden diente, aber es bot hunderten Menschen aller Generationen einen
Ort um sich zu versammeln. Abends kann man jedoch auch den Nachtmarkt am Ufer
des Mekong besuchen, wenn man unter Menschen sein will. Auf der anderen Seite
liegt Thailand, aber diesseits des Flusses lassen sich nach Einbruch der
Dunkelheit die letzten Souvenirs in Laos kaufen, nebst kurzen Hosen, billigen Hemden
und gefälschten Musik-CDs.
Ich muss ja zugeben, dass bei mir nach den ersten zwei Wochen ein bisschen die Luft raus war. Quasi fast so wie bei dem Hund oder dem Buddha da oben im Bild. In Laos
hatten wir Bergfest und somit die zeitliche Mitte unserer Reise erreicht.
Die nächste Etappe wollten wir von der laotisch-thailändischen Grenze aus mit
dem Nachtzug zurücklegen, wodurch wir morgens in Bangkok ankommen würden und
dann gleich weiter nach Kambodscha starten könnten. Eine Tour von mehr als 24
Stunden, aber durch den Nachtzug würden wir nur wenig Zeit verlieren.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen