Donnerstag, 31. März 2011

Nachrichtenüberblick zum Monatsende

Heute ist der 31. März 2011 - ein Viertel des "neuen" Jahres ist schon wieder geschafft. Für manche beruhigend, für andere erschreckend. Die Tage werden wieder länger, doch unaufhaltsam geht es weiter. Das Rad der Zeit dreht sich, die Weltgeschichte schreitet voran. Und das bekommt in diesen Tagen ganz besonders einer zu spüren: Muammar al-Gaddafi, der Großfürst der Libyschen Wüste, der Modezar von Tripolitanien.
Die Rebellen atmeten erleichtert auf, als die ersten französischen und britischen Kampfjets übe
r die Hausdächer von Bengasi düsten. Eine neue Motivation für die Kämpfer, den fast schon verlorenen Kampf weiterzuführen. Und doch, so klar wie in Ägypten scheint die Lage nicht zu sein. In Tripolis versammeln sich weiterhin Befürworter und Anhänger Gaddafis, und nicht alle scheinen dafür bezahlt zu werden. Immer wieder finden sich Menschen, die noch nicht offen für Neues sind. "Lieber Stabilität als Demokratie!"
heißt die Devise mancher Bürger. Und wirklich, die Gefahr eines Bürgerkriegs besteht in solchen Fällen immer. Doch der nordafrikanische Trend, sich endlich seiner Diktatoren zu entledigen, scheint sich auf lange Sicht durchzusetzen.
Der jüngste Rückschlag für Gaddafi war die Flucht seines Außenministers Mussa Kussa. Die Nachricht, dass Kussa in London angekommen sei, versetzte den Diktator in wütendes Toben. Für die westlichen Alliierten bedeutet der Verrat des Libyers jedoch einen gewaltigen Schlag gegen Gaddafi. Die "rechte Hand" des Diktators sitzt nun auf der Insel und trinkt englischen Tee.
Allerdings stürzt die Flucht des Mussa Kussa die Engländer in ein Dilemma: Wie verfährt man nun mit einem mutmaßlichen Mörder? Denn es wird angenommen, dass Kussa unter anderem hinter den Anschlägen von Lockerbie 1988 steckt. Die Disku
ssion ist in vollem Gange, und Großbritannien muss nun Stärke beweisen: Kommt man einem Verbrecher entgegen, um an militärischen Gehe
imnisse zu kommen? Oder verfährt man mit ihm wie mit jedem anderen Feind der Demokratie: Man stellt ihn in Den Haag vor Gericht und lässt die internationale Staatengemeinschaft entscheiden.

Entsetzt: Libyens noch-Staatschef Gaddafi

Von Libyen geht es weiter in ein anderes Land, das vor der selben Situation steht, aber wiederum ganz andere Voraussetzungen, Chancen und Risiken birgt: Syrien.
In den letzten Tagen und Wochen kam es auch hier zu Demonstrationen. Die Folge waren Gewaltakte vonseiten der syrischen Polizei. Vor allem in der südsyrischen Stadt Dera'a kam es zu dutzenden Toten. Unterdessen scheint es, als wolle Präsident Baschar al-Assad den Menschen entgegenkommen: Das Kabinett wurde vollständig aufgelöst und soll ausgetauscht werden. Kritiker sehen darin jedoch nichts weiter als eine Show, puren Aktionismus. Ähnlich verhält es sich mit einer weiteren Maßnahme, die Assad verkünden ließ: Der seit 1963 herrschende Notstand soll aufgehoben werden - eine zentrale Forderung der Demonstranten. Gleichzeitig beschuldigt Assad in einer Rede auch Israel, schuld an den Demonstrationen zu sein. Es solle eine "israelische Agenda" angestrebt werden, behauptete er. Wie in den meisten Ländern suchen auch die syrischen Herrscher nach Schuldigen aus dem Ausland. Doch in Syrien könnte Assad mit weitreichenden Reformen vielleicht noch davonkommen, denn ein großer Teil der Bevölkerung steht weiterhin hinter ihrem Präsidenten - der das Amt übrigens von seinem Vater geerbt hat.

Im Jemen geht es ähnlich zu. Dort will man Ali Abdullah Salih loswerden, einen seit 32 Jahren herrschenden Präsidenten. Hier stehen die Chancen ebenfalls gut, dass es noch vor 2013 zu Neuwahlen kommen wird. Für 2013 waren nämlich neue Präsidentschaftswahlen angesetzt, zu denen Salih nicht mehr hätte antreten dürfen, da er schon zwei Amtszeiten hinter sich hat. Diktatoren sind jedoch nicht auf den Kopf gefallen, und deshalb hatte Salih schon den passenden Einfall: Man verkürze die Amtszeit des Präsidenten von 7 Jahren auf 5 Jahre (als Kompromiss), gestehe dem Herrscher jedoch so viele Amtszeiten zu, wie er eben durch gekonnte Wahlfälschung arrangieren kann. Kurz die Verfassung geändert, und schwuppdiwupp werden aus den 32 Jahren ein halbes Jahrhundert. Wenn ihm sein Volk da mal nicht gewaltig die Suppe versalzt....

Und noch eine kurze Zwischenmeldung aus dem Pott: In Dortmund sollte wohl ein Anschlag auf das Fußballspiel des BVB gegen Hannover 96 verübt werden, was jedoch verhindert werden konnte. Vielleicht war es ja ein wütender Schalke-Fan, der auch mal gern Meister werden will... Okay, über sowas macht man keine Witze. Sehr ernstes Thema. Bei dem Täter soll es sich um einen 25jährigen Deutschen ohne Migrationshintergrund handeln, der auch in keinerlei Beziehungen oder Kontakte zu irgendwelchen islamistischen Szenen hatte. Das Bundesinnenministerium spricht von einem "Einzeltäter mit allgemeinkriminellen Motiven". Dem Himmel sei Dank.

Zusammenfassung zur Landtagswahl in BW

Am Ende des Monats wollen wir noch einen Blick auf das Weltgeschehen werfen. Und wo könnte man da anders anfangen als beim mutmaßlichen Mittelpunkt der Erde? - Genau, die Rede ist von Baden-Württemberg, meiner oft missverstandenen Heimat. Am Sonntag, den 27. März 2011, wurde hier ein neuer Landtag gewählt. Das letzte Jahr war geprägt von Debatten. Wichtigstes Thema: Stuttgart 21 - die Diskussion um einen Bahnhof. Und genau diese Diskussion wird als ausschlaggebend betrachtet für das Wahlergebnis: Die Grünen räumten ganze 25 Prozent der Stimmen ab - ein nie zuvor dagewesenes Ergebnis. Größte Fraktion blieb die CDU mit 38 Prozent, jedoch galt sie als der Verlierer der Wahl schlechthin: Da die FDP nur auf knapp 5 Prozentpunkte kam, und somit um ein Haar aus dem Landtag ausgeschieden wäre, wird die Union regierungsunfähig. Die SPD kommt auf 23,5 Prozent und steht als drittgrößte Kraft hinter den Grünen. Das ist auch eine Sensation, denn so heißt es in Deutschland zum ersten Mal nicht mehr "rot-grün", sondern "grün-rot"! Und für Baden-Württemberg bedeutet dies, dass zum ersten Mal nach 58 Jahren kein CDU-Politiker mehr an der Spitze des "Ländle" stehen wird. Und mit den Grünen wird in Zukunft ein neuer Wind durch BW wehen. Was das nun im Speziellen bedeutet, vermag noch niemand zu sagen. Bei den heutigen Koalitionsverhandlungen wurde deutlich, dass gerade das Thema Stuttgart 21 ein Hindernis sein wird: Die Grünen wollen das Milliardenprojekt stoppen, die SPD will weiterbauen. Doch beide Seiten ließen verlauten, dass an dieser Diskussion die neue Koalition keinesfalls scheitern wird.
Der Wahlkampf wurde sehr emotional geführt. Neben Stuttgart 21 schlug sich auch die Atomdebatte in den Wahlergebnissen nieder. Seitdem in Japan der Super-GAU trotz gelegentlicher positiver Nachrichten nicht mehr abwendbar scheint, verfielen auch die Deutschen in Panik. Was, wenn auch bei uns ein Erdbeben der Stärke 9,0 auftreten würde? Das wäre eine noch nie dagewesene Katastrophe! - Genau, sowas gab's nämlich in Mitteleuropa bis dato noch nie... Wie dem auch sei: Panikmache hin oder her - sicher ist, dass Atomkraftwerke nie 100prozentig sicher sein können. Doch man kann nicht bestreiten, dass diese Katastrophe den Grünen genau reinspielte. Hinzu kam noch die unbegreifliche Unfähigkeit der CDU, ein Land oder einen Staat zu regieren. Während Angela Merkel in der Atomdebatte zurückrudert ("Unsere Kraftwerke sind SICHER, aber wir schalten zur Vorsicht mal sieben davon ab..."), wollte Stefan Mappus keinen Zentimeter weichen. Als baden-württembergischer Ministerpräsident hat er einige Sympathiepunkte einbüßen müssen. Mal wurden Demonstranten bewässert, mal kaufte man EnBW zurück. Oft gut gemeint, aber meistens irgendwie nicht ganz so gut angestellt. Ein herber Rückschlag für die Union war wohl auch das schnelle Abtreten des als "Lügenbaron" verschrienen Herrn von und zu Guttenberg. Mit ihm ist nicht nur eine leuchtende Lichtfigur der CDU/CSU vom politischen Horizont verschwunden, sondern mit ihm auch die Glaubwürdigkeit - der schwerwiegendere Verlust für alle Konservativen in Deutschland.
Der emotionalisierte Wähler im Südwesten wollte den Wechsel. Über Themen wie Wirtschaft oder Bildung wollte keiner Nachdenken. Man war vollkommen eingenommen von Großbauprojekten und Strahlenschutz. Demonstrieren hat schon was für sich - und ist zudem noch eines der angenehmsten Mittel in einer Demokratie, seinem Unmut Ausdruck zu verleihen.
Sicher ist, dass die Wahl einen Wechsel bringt, sowohl für die Landesregierung als auch für die teilnehmenden Parteien. Die Linke hat es wieder nicht in den Landtag geschafft. Die FDP hätte den Einzug fast verfehlt - der richtige Zeitpunkt, um nachzudenken. Während die Grünen endgültig zu einer Volkspartei geworden sind, bekommt die CDU nun die Möglichkeit, erstmals das Geschehen aus Sicht der Opposition zu betrachten, und gegebenenfalls die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen. Es ist eine Neuordnung in der Union notwendig. Vielleicht hat man den Anschluss an die neue Zeit verpasst - oder zumindest sieht es für viele Wähler so aus. Man hätte deutlicher zeigen müssen, dass man bereit ist, von der "Hau-ruck-zuck"-Politik der letzten Jahrzehnte Abstand zu nehmen. Vielleicht muss nun in den eigenen Reihen auch ein wenig sortiert werden. Während man sich in Stuttgart also Gedanken über ein "Danach" macht, hat Stefan Mappus schon die Koffer gepackt und ist aus der CDU-Führungsriege ausgestiegen.

Dienstag, 15. März 2011

Der Frühling könnte so schön sein - Wahlkampf in BW

Ein Beitrag über die bevorstehenden Landtagswahlen 2011 in Baden-Württemberg.

Heute ist wunderschönes Wetter in Tübingen, der Studentenstadt auf der Schwäbischen Alb. Die Nachbarn streichen ihren Balkon, überdecken die schwarzen, morschen Balken mit frischer Farbe. Der Himmel ist nur mit wenigen weißen Wolken durchwachsen. Der erste Tag des Abiturs. Für Studenten ist es aber ein schöner Tag wie so viele inmitten der Semesterferien.

Die politische Wettervorhersage lässt jedoch Turbulenzen vermuten. Am Horizont ziehen schwarze Mappus-Wolken auf. Es donnert und kracht. Ein Gemisch aus den grellsten Farben. Gelbe Blitze, die nicht einmal mehr bis zum Boden reichen. Der Sonnenuntergang - so rot wie SPD und Linke. Nur die Grünen stehen auf festem Boden, wie das Gras, das in diesen Tagen zu wachsen beginnt. Doch auch das ist ein Trugschluss. Denn auch die grüne Wunsch-Mehrheit vieler Bürger verliert an Halt.

Und doch: Jede Partei denkt, sie hätte schon gewonnen. Werfen wir einen Blick auf die Wahlkampfplakate des Landkreises Tübingen. Da entdecken wir gar merkwürdige und rätselhafte Bilder...

Fragen wirft zum Beispiel dieses Plakat der Union auf. Wer kann hier ahnen, dass es um die Tübinger Spitzenkandidatin Lisa Federle geht?
Entweder denkt die CDU, dass sie über billige Slogans und halb-glaubwürdige Ansagen erhaben ist - oder sie hält diesen Spruch für besonders fetzig...
Sicher ist jedoch, dass sich das eher anhört wie eine der Telenovelas, die im Fernsehen von einer nicht zu vernachlässigenden Zahl junger (und jungebliebener) Wähler geschaut wird. Da heißt es dann "Julia - Wege zum Glück" oder "Anna und die Liebe" - und bald eben auch "LISA - Mitten im Leben".

Die CDU hat keinen einfachen Wahlkampf vor sich. Doch Stefan M. sitzt nicht im dunklen Kämmerchen und verdaut den Schrecken, den der EnBW-Kauf mit sich gebracht hat, sondern er tourt in seinem Mappusmobil durch's Ländle.

Reden wir Klartext: Hat Mappus irgendeinen Hauch einer Chance, Baden-Württemberg in Hand der Union zu halten? Es scheint nicht so. Stuttgart 21 und EnBW, dazu noch die Energiepolitik (siehe Atomkraftwerke) der CDU auf Bundes- und Landesebene. Es sieht düster aus.

Aber wollen wir auch einmal einen Blick auf die anderen Parteien werfen. Denn dort sind die plakatförmigen Kampagnen zum Wahlfang (Fang von Wählern) nicht sonderlich aufschlussreicher.


Einen wunderbaren Ansatz haben - natürlich - die Linken. Sie fordern: "Strom ohne Atomkraft und für alle bezahlbar." Ohne Auisrufezeichen, nur mit einem Punkt. Eine bescheidene Forderung, mit der sie in den Wahlkampf ziehen. Super Idee, nur wie soll das konkret funktionieren??
Einen Vorteil haben die Linken - und alle anderen Atomkraftgegner: Die AKWs schalten sich zuzeit fast von selbst ab. Während in Japan die Lage immer noch nicht klar ist, zeiht Frau Merkel die Notbremse. Und BW-Union und FDP müssen mitziehen, um am 27. März überhaupt eine Chance zu haben.


Gehen wir weiter zur FDP. Hier erwartet uns eine Überraschung:

Freundlich lächelnd tritt uns ein gewisser Freiherr von Rassler entgegen, der sich den Bürgern verpflichtet fühlt und deshalb lässig seinen Sacko über der Schulter trägt. Leider hat die FDP nicht auf den Trend der Zeit geachtet: Freiherren sind aus der Mode gekommen, seit ein Herr Guttenberg den Doktor machen wollte und als arbeitsloser, ehemaliger Verteidigungsminister endete. Und wer genau hinsieht, der entdeckt, dass es sich auch beim Tübinger FDP-Sitzenkandidaten um einen Doktor handelt. Das kann ja heiter werden...
(Anmerkung der Redaktion: Die FDP gehört wohl ohnehin zu den Parteien, die in naher Zukunft der Vergangenheit angehören werden.)

Weiter im Text. Die Grünen hängen auch an jedem Laternenpfahl. Ab und zu sticht der spitze Turm des Stuttgarter Hauptbahnhofes ins Auge und fordert im Namen der Grünen dazu auf, gegen Stuttgart 21 zu wählen. Aber die meisten Plakate bleiben eher nüchtern - und verbreiten eine siegessichere Aura, vor allem in Tübingen, der Hochburg der Umwelt- und Gutmenschenpartei.


Man ist für den politischen Wechsel - und hat derzeit auch ganz gute Aussichten. Doch sollten die Grünen als stärkste Kraft in den Landtag einziehen, bräuchten sie einen Bündnispartner. Wer würde sich da anbieten?

Hmm, was ist die beste Mischung aus Demokratie und sozial? Genau, die Sozialdemokratie. Geschichtsträchtig, traditionsbewusst - und wie die FDP vom Aussterben bedroht. Das wurde auch im Tübinger Plakatenwald deutlich: Nach den eher spartanischen Bildchen musste man erst suchen.

Die hammerharte Frau Haller-Haid hielt sich versteckt. Das Straßenbild der Universitätsstadt ist eher dunkelrot als sozialdemokratischrot: Die Linken dominieren das Bild. Sie sitzen über jedem CDU-Plakat, auf der Spitze jedes Laternenmasten.

Und noch zwei andere Splittergruppen sitzen unter jeder Laterne: Klarmachen zum ändern! lautet der Slogan der Piratenpartei. Volle Segel statt leere Versprechen! Eine wahrlich tugendhafte Herangehensweise. Als Vertreter der Informationsgesellschaft befindet sich Roman Kremer in stürmischen Gewässern. Doch er hat nichts zu befürchten. Eine so junge Parteienneugründung (Jahrgang 2006) kann nur gewinnen.


Und jetzt noch einen Blick auf das rechte Spektrum. Leider fand ich keines der so schmeichelhaften schwarz-weiß-roten Plakate der ewig-kruppstählernen Pappnasen von der NPD. Normalerweise wird da mit so einfallsreichen Slogans geworben wie z.B. "Ausländer raus!" oder gar "Ausländer raus!"
Heute lief mir nur die abgeschwächte Version der Nationaldemokraten über den Weg: REP - Die Republikaner. Ein längst verdrängtes Thema wird hier wieder ins Rennen gebracht: Sarrazin und die 40 Asylbewerber.

































Es stehen uns noch zwei (mehr oder weniger) interessante Wochen bevor, bis es dann richtig zur Sache geht. Und doch, man hat dieses mal so das Gefühl, dass sowieso mehr Leute gegen etwas wählen gehen als für. Das betrifft alle Seiten. Die linken und rechten Kräfte sind sowieso gegen alles; die Grünen und die SPD mehrheitlich gegen Stuttgart 21. Und die CDU? Schwarz gilt als das neue Grün und ist deshalb attraktiver denn je - lässt es sich aus Expertenkreisen vernehmen. Und was ist mit den Gelben? Liberal - war einmal. Alle Parteien dümpeln in den Umfragewerten so vor sich herum. Und der neue Faktor Atomkraft - also in diesem Fall ein eher strahlendes Gelb außerhalb jedes Parteinespektrums - könnte zu einer ausschlaggebenden Kraft in diesem politischen Unwetter werden.

Ach ja, das kann ja was werden. Ein beispiellos interessantes Wahljahr. Jetzt gilt es nur, abzuwarten. Und vor allem:

Geht wählen!

Meine Aufforderung an alle Leute, die an einem Sonntag lieber faul zuhause rumsitzen: Demokratie heißt nicht nur, Rechte zu haben, sondern auch Pflichten. Und das Wählen gehört zu einer dieser Pflichten.

Samstag, 12. März 2011

News Überblick: Japan

Auf der anderen Seite der Erde hat unterdessen eine andere Macht zugeschlagen: Mutter Erde. In Japan gab es das schwerste Erdbeben in der Geschichte des Landes. Mit 8,8 bis 8,9 auf der Richterskala brach die Naturgewalt gestern um 14:46 Uhr Ortszeit (6:46 MEZ) über das Land der aufgehenden Sonne herein. Die Wände wackelten, Straßen barsten. Ein Bild der Zerstörung, überall brennen Gebäude und Fabriken. Rauchfahnen steigen auf. Doch damit nicht genug: Ein Tsunami verwüstete die Hafenstadt Sendai auf der Insel Honschu. Die Videoaufnahmen erinnern an Weihnachten 2004 - Wellen reißen Autos mit sich. Es ist unglaublich, was Wassermassen alles anrichten können.

So makaber es klingen mag - bei den Bildern von zerstörten Häusern, brennenden Stadtvierteln, von einer Flutwelle mitgerissenen Autos und einem ganzen vermissten Regionalzug erscheinen die Zahlen von 574 offiziell bestätigten Toten und etwa 800 Vermissten beinahe schon wie die Zahlen eines Flugzeugabsturzes. Das schwerste Beben in der Geschichte der Aufzeichnungen in Japan hat - verglichen mit dem Beben von 1995 in Kobe - nicht so viele Menschen getötet wie die Bilder befürchetn ließen. Doch die Bilder eines Tsunamis - aufgetürmte Wasserwände, wie Spielzeuge hin und hergerissene Militärboote - lassen uns mit Schaudern an 2004 denken, als in Südostasien mehr als 200.000 Menschen durch eben so einen Tsunami in den Tod gerissen wurden. Und mit dieser Naturkatastrophe ist nichts zu vergleichen...
Natürlich befindet sich Japan in einem Schockzustand. Die Opferzahlen müssen in den nächsten Tagen wohl tragischerweise noch nach oben korrigiert werden.

Die Zerstörungen in Japan sind jedoch noch nicht genug. Schon bald wurde eine neue Gefahr deutlich: Das Atomkraftwerk Fukushima an der Küste der Insel Honschu hatte erheblichen Schaden genommen. Eine Kernschmelze droht oder ist schon im Gang - so genau war das heute Morgen noch nicht bekannt. Gegen Mittag (MEZ) kam es in Fukushima dann zu einer Explosion. Ob die Hülle des Reaktorkerns beschädigt wurde, ist nicht bekannt. Die Meldungen überschlagen sich, es erfolgen jedoch auch Dementis. Im schlimmsten Fall könnte es jedoch zu einem zweiten Tschernobyl kommen. Die Nachrichten werden uns auf dem Laufenden halten.

Japan setzt seit Jahrzehnten auf Atomkraft. Für das kleine, aber bevölkerungsreiche Land ist die Versorgung mit Energie enorm wichtig. Japan ist ein sehr erdbebengefährdetes Land, und dennoch setzt man auf Atomkraft. Nach den vergangenen Beben wurde Japan für seine erdbebensichere Bauweise bekannt. Alle Lebensbereiche werden durch den Schutz und die Vorsorge beeinflusst: Es gibt Katastrophenübungen schon für Kindergartenkinder, die Gesellschaft ist für Erdbeben vorbereitet. Darauf sind auch die noch relativ niedrigen Opferzahlen - wenn man die Bevölkerungsdichte Japans bedenkt - nicht verwunderlich. Die meisten Toten kamen auch nicht bei dem Beben ums Leben, sondern um den nachfolgenden Tsunami.

Aktuell: Gerade heißt es, dass in der Küstenstadt Minamisanrigu bei Miyagi allein seien 10.000 Menschen vermisst. (Stand 14:39)

News Überblick: Libyen

In Libyen tobt die Revolution. Doch insbesondere heute wurde deutlich, dass die libysche Armee und damit der Einfluss des Diktators Muammar Gaddafi zurückkehrt. Der gesamte Westen sei unter staatlicher Kontrolle, hieß es. Im Osten rückt die Armee Stück für Stück vor. Die Stadt Swaija, die vor einigen Tagen noch komplett in der Hand der Rebellen war und als Hochburg der Opposition galt, befindet sich heute vollständig unter der Kontrolle der Armee. Die Kämpfe um Ras Lanuf halten unterdessen an.
Die Euphorie in Libyen schwindet. Die Opposition beginnt zu resignieren. In Bengasi beraten die Anführer über ihr weiteres Vorgehen. In Tripolis sitzt der immerwährende Gaddafi und lässt seine Söhne unter seinen Anhängern für Stimmung sorgen. Die Versammlungen der Gaddafitreuen sind organisiert und gesteuert. Der Diktator lässt sich feiern. Und doch: Der Korrespondent von phoenix berichtet, dass man in Tripolis wirklich Anhänger findet, die für sich lieber die Sicherheit des Gaddafi-Regimes bevorzugen würden als den unübersichtlichen Umsturz unter einem Haufen zusammengewürfelter Rebellen. Die libysche Opposition verliert an Zustimmtung.

Was bedeutet das für Europa und für die zukünftige Libyen-Politik? Während man sich in den letzten Tagen schon auf ein weiteres Umsturzland eingestellt hat - nach Tunesien und Ägypten nun auchb Libyen? - muss man jetzt wieder umschwenken. Oder man setzt auf eine "Flugverbotszone" (die jedoch weit überschätzt wird) und zieht sogar eine militärische Intervention vonseiten Europas in Betracht. Bei einem EU-Sondergipfel in Brüssel wurde gestern über die weitere Vorgehensweise gestritten.
Nicolas Sarkozy stellte klar, man werde nicht militärisch eingreifen und auch keine Flugverbotszone einrichten, so lange die Arabische Liga nicht zustimmt.
Großbritannien und Frankreich seien jedoch für einen Militäreinsatz gerüstet.
Von dieser Haltung grenzten sich Angela Merkel und viele andere Regierungschefs der europäischen Länder ab. Man fürchtet eine Spaltung der Union.
Der britische Premier David Cameron warnte aber davor, dass man nicht zu spät eingreifen dürfe, wie etwa vor Jahren im Bosnienkrieg.

Die Wirkung einer Flugverbotszone wird jedoch überschätzt. Gaddafis Truppen sind gut gerüstet. Es wird auch vermutet, dass die Rebellen schon von Frankreich und Großbritannien mit Waffen versorgt worden waren. Europ hat praktisch schon eingegriffen. Und man muss sich auch darüber klar werden: Sollte es zu einer Flugverbotszone kommen, dann kommt es auch zu weiteren militärischen Aktionen. Bei einer Überwachung des libyschen Luftraums würde es dann nicht bleiben.
Eine militärische Intervention würde auch vor allem die Unterstützung der USA benötigen, denn die USA haben im Mittelmeer vor der libyschen Küste als einzige genügend Schiffe zur Verfügung. Eine Einmischung der Europäer und Amerikaner könnte aber auch einen neuen Irak oder ein neues Afghanistan entstehen lassen.

Und uns wird eines immer klarer: Europa steht vor einer Krise. Wen soll man unterstützen? Auf welche Seite soll man sich schlagen? Was, wenn Gaddafi sich doch an der macht hält?
Ja, was dann? - Dann wird alles so weitergehen wie bisher. Natürlich wird der libysche Diktator viel Kritik ernten wegen seinem harschen Vorgehen gegen die Rebellen. Doch im Grunde wird sich nichts ändern. Gaddafi wäre ein neuer Saddam Hussein in den 90er Jahren. Man wird ihn akzeptieren müssen.

Die Revolutionen in Nordafrika haben uns aber auch gezeigt, wie wir - unsere Gesellschaften und unsere Politik - bisher zu den Staaten und den Menschen in der arabischen Welt standen. Wir haben gewusst, dass in fast jedem Land dieser Region skrupellose Diktatoren herrschen. Doch uns war die "Sicherheit" und die "Stabilität" wichtiger als die von uns selbst so hoch gehaltene Demokratie. Ein Beispiel dafür ist Husni Mubarak aus Ägypten. Vor einem Jahr wurde er von unserem Außenminister Westerwelle als ein "Mann von großer Weisheit, der die Zukunft im Blick hat" bezeichnet. Bei seinem vorletzten Besuch in Deutschland sagte Angela Merkel: "Herr Präsident, Sie sind seit vielen Jahren ein Freund Deutschlands und deshalb sind sie uns in ganz besonderer Weise herzlich hier Willkommen" Es ist ja logisch, dass die Politik ihr Fähnchen immer nach dem Wind hängen muss. Aber ethisch verantwortbar ist das nicht. Vielleicht sollten wir unsere eigene Position ein wenig überdenken; denn im Grunde hat sich bis heute nichts verändert: Wir sind immer noch Europa, der Mittelpunkt der Welt - wie zur guten alten Zeit des Imperialismus.

Die libysche Flagge von 1951 - Zeichen des neuen Widerstandes der Opposition

Sonntag, 6. März 2011

Jerusalem - Letzter Tag

Heute bin ich wieder zurück in Deutschland. Meine letzten beiden Tage habe ich in Jerusalem verbracht, habe die Altstadt noch ein letztes Mal auf mich wirken lassen, mir ein paar Souvenirs gekauft. Als ich gestern Nacht zurück nach Hause kam, hatte ich mich vor meinen PC gesetzt und wollte einen letzten, abschließenden Blogeintrag schreiben. Allerdings machte ich eine weniger tolle Entdeckung: Ich hatte meine Fotokarte in Israel vergessen. Sie steckte noch im Computer von einem der Volontäre, bei denen ich übernachtet hatte. Demnach werde ich wohl erstmal keine aktuellen Fotos mehr liefern können. In diesem Abschlussbeitrag greife ich deshalb auf meine persönlichen Archivfotos vom August 2010 zurück.

Auf meiner Reise durch Israel und die Palästinensergebiete habe ich viele interessante Orte besucht. Durch meine (momentan noch sehr bescheidenen) Arabischkenntnisse habe ich auch einen besseren Zugang zur arabischen Bevölkerung gefunden. Eine neutrale Sichtweise ermöglicht dem Beobachter, mit beiden Seiten einigermaßen gut auszukommen. Dazu gehört, dass man sich vor Ort ein eigenes Bild macht. Der Nahostkonflikt ist nichts, was man aus der Ferne beobachten kann. Der Europäer kommt immer mit seinen allzu guten Lösungsvorschlägen daher und hat doch keine Ahnung. Ob ein Herr Westerwelle, der den Siedlungsbau anmahnt, oder irgendein anderer Politiker - alle wollen sie angeblich ihrern Beitrag leisten, drängen auf Friedensgespräche, auf Zwei-Staaten-Lösungen, erkennen diese und jene Grenze an (oder auch nicht). Hinzu kommt noch die von mir schon das ein oder andere Mal erwähnte Propagandamaschinerie ("Pallywood") der arabischen Welt, die aus Gerüchten Tatsachen macht und so versucht, das jüdische Israel in eine Ecke zu drängen und aus Zionisten Mörder zu machen. Währenddessen erkennt halb Südamerika einseitig einen Palästinenserstaat an, der faktisch noch nicht existiert und noch nie existiert hat.

Der interessierte Beobachter steht praktisch in der Pflicht, sich vor Ort ein eigenes Bild zu machen, auf beiden Seiten der Mauer. Das habe ich zu tun versucht. Auf meinem Weg durch die Westbank kam ich durch das vergleichsweise moderne Ramallah, durch das streng-konservative Nablus mit seiner am Boden liegenden Olivenseifenindustrie. Auch durch Hebron, wo auf beiden Seiten tiefer Hass sitzt. Betlehem habe ich nur aus der Ferne gesehen; von Gilo aus. In Gilo habe ich einige Tage bei Freunden gewohnt. Auf dem Gebiet jenseits der Green Line (Grenze von 1949) liegt dieser Stadtteil Jerusalems auf vormals arabischem Land und gilt laut UNO und internationaler Staatengemeinschaft als "illegale jüdisceh Siedlung". Ich bin gegen diese Bezeichnung und bin der Meinung, dass man hier einmal vorbeischauen soll, um selbst einen Eindruck zu bekommen.
Von Gilo aus hat man einen guten Blick auf Bet Jala und Betlehem. Bis September stand hier noch eine 2,5 Meter hohe Betonmauer, die 2005 errichtet worden war, um vor dem Beschuss von palästinensischen Raketen zu schützen. Heute ist die Gefahr vorerst vorbei. Man hat freien Blick auf die israelischen Grenzanlagen, den "Sicherheitszaun". Er geht durch Land, dass von den einen als "arabischer Boden" bezeichnet wird, von den anderen als Staatsland. Sicher ist nur, dass der meterhohe Betonwall eine traurige Aufgabe erfüllt, nämlich ein Land zu spalten, das mit ein wenig Dialog und gutem Willen eine unzertrennbare Einheit bilden könnte.

Grenzwall auf dem Weg nach Ramallah

Am Freitagnachmittag saß ich in Gilo in der WG meiner Freunde und hatte den Tag schon irgendwie abgeschlossen. Es war mein letzter voller Tag in Jerusalem. Am Freitagabend begann der Schabbat, alles kam dann zur Ruhe. Am Vormittag war ich in der Stadt gewesen und hatte einige Dinge eingekauft, hatte mein Sammeltaxi (Scherut) für den nächsten Tag bestellt, bin ein wenig durch die Orthodoxenviertel gelaufen. In Gilo saß ich also jetzt. Draußen war so schönes Wetter. Plötzlich packte es mich. Ich nahm meinen Rucksack und erwischte um 15.30 Uhr noch knapp den letzten Bus in die Stadt. Von der Ben Yehuda aus ging ich in Richtung Altstadt. Die letzten Geschäfte schlossen gerade. Die Schienen der Straßenbahn mit ihren ewigen Probefahrten lagen verwaist da. Es ist unglaublich wie schön an einem Freitag in Jerusalem die Stadtmauer der Altstadt in der Spätnachmittagssonne leuchtet. Überall waren Menschen unterwegs. Es hatte aber nichts Hektisches mehr. Gemütlichkeit. Und irgendwie war dieser Abend der perfekte Abschluss meiner Israel-Tour 2011. Ich kam zur Klagemauer. Dort sah ich eine türkische (!) Reisegruppe, dutzende bekopftuchte Gestalten, die in den Frauenteil der heiligsten jüdischen Stätte gingen. Der Reiseführer erklärte ihnen alles. Touristen, Juden und Muslime, amerikanische Christen. An einem Freitagabend an der Klagemauer. Es klingt kitschig, aber irgendwie hatte das Ganze etwas Hoffnungsvolles. In den Basaren sah ich dann zwei israelische Soldaten, die bei einem Araber einige Nüsse und Knabberzeug für die Nachtpatrouille kauften. Sie unterhielten sich, lachten. Zwei orthodoxe Juden feilschten mit einem anderen Händler, über ihren Köpfen hingen Palitücher. Plötzlich erscheinen die T-Shirts in den Geschäften wie eine urkomische Politparodie. Da hängt "Israeli Defense Force" neben "Free Palestine", oder "America don't worry - Israel is behind you" neben Palästinensertüchern und Bildern von Arafat. Die Händler in den Basaren tun hier keine politische Meinung kund. Sie wollen den Touristen nur das Geld aus der Tasche ziehen. Und damit sind sie wahrscheinlich auch auf der sicheren Seite.
Die Konturen verwischen. Beim Jerusalemer McDonald's arbeiten Araber nicht mehr nur, sie gehen dorthin jetzt auch zum Essen. Trotz aller Verworrenheit der politischen Lage - ab und zu sieht man einen Schimmer von Hoffnung. Vielleicht sollte man die Leute einfach einmal machen lassen. Vielleicht sollte die westliche Welt nicht immer drängen und ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellen, auch wenn sie es nicht zugibt. Vielleicht sollten wir nur den gesunden Menschenverstand schulen helfen und die Menschen - egal auf welcher Seite - darin unterstützen, auf den anderen zuzugehen. Genau das ist mir an einem Freitagabend wieder einmal klar geworden.

An der Klagemauer setzte ich mich auf eine Treppe und genoss die Atmosphäre. Ein älterer Mann sprach mich an. Er hatte gleich erkannt, dass ich deutsch war. Irgendwie sieht man mir das an. Ich wundere mich oft darüber. Wir unterhielten uns, über meine Volontärszeit, über Jerusalem, über dies und das. So macht man das in Israel. Man unterhält sich mit Fremden über das Leben und fühlt sich danach befreit. Er freute sich, dass ich nach Israel zurückgekommen war. Das sei ein Zeichen, dass es mir gefallen hatte. Wie recht er hatte. Er verabschiedete sich von mir mit den Worten, die religiöse Juden sich an Jom Kippur und an Pessach wünschen: "L'schana ha'bah bi'Jeruschalajim - Next year in Jerusalem".

Und so wünsche ich es mir: Dass ich eines Tages nach Jerusalem kommen kann und dort eine Stadt finde, die von einer modernen Straßenbahn verbunden wird, die von Westjerusalem nach Ostjerusalem verläuft. Eine Stadt ohne Grenzen zwischen zwei Völkern, eine Stadt die keine Zwei-Staaten-Lösung braucht und dann erst recht ein zweites (geteiltes) Berlin wird. Ich wünsche mir, zurückzukommen in ein Jerusalem des Friedens.


Donnerstag, 3. März 2011

Hebron - Stadt der Patriarchen

Die größte Stadt des Westjordanlandes hat nur wenige Sehenswürdigkeiten zu bieten. Eine davon bildet den Kernpunkt von jahrhundertelangen Streitigkeiten: die Höhle Machpela, die der Urvater Abraham als Grabstätte für seine Familie gekauft hatte.


Das am besten erhaltene Architekturdenkmal des antiken Israel steht in jener Zone Hebrons, die nur ca. 3 Prozent der Stadt einnimmt - der jüdischen Sieldung. Hebron ist in mehrere Teile zerpflückt, die entweder der palästinensischen Verwaltung unterstehen oder eben der israelischen Militärhoheit. Im jüdischen Bezirk leben auch Araber, die durch strikte Regelungen eingeschränkt sind. Zugang zu den Gräbern der Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob in der Höhle Machpela hat heute jeder. Es führt jedoch ein extra Eingang von der arabischen Seite her. Ich war erstaunt über die etwas halbherzigen Kontrollen auf der jüdischen Seite; letztes Jahr war hier deutlich mehr Spannung in der Luft. Auch gab es mehr Touristen als bei meinem letzten Besuch. Damals bin ich durch eine halb verlassene jüdische Siedlung gelaufen.






























Verlassen sind die Häuser und Geschäfte der ehemaligen arabischen Bewohner heute auch noch. Eine ganze Straße, leer und verkommen. Ab und zu ein israelischer Beobachtungsposten oder zumindest einer der offenen Betonquader, der bei eventuellem Schusswechsel als Deckung dient.
Heute war alles ruhig. Die Touristen schlenderten ihres Weges, einige religiöse Juden beteten an den steinernen Kenotaphen (Scheingräber) an den Stellen, an denen sich unter dem Boden die echten Gräber der Patriarchen befanden. Von der anderen Seite des Gebäudes, die als Moschee dient, können Muslime das Grab von Abraham sehen. Sie sehen genauso viel wie die jüdischen Besucher: Ein Steinklotz hinter Gittern. Die muslimischen Besucher versammelten sich auf der anderen Seite um die Mittagszeit zum Gebet.


Alles machte heute einen ungewohnt bzw. unerwartet friedlichen Eindruck. Ich bin auf jener Straße in Richtung arabische Stadt gegangen, die man aus youtube-Videos kennt, auf denen man jüdische Siedlerkinder sieht, die arabische Schüler auf dem Weg von der Schule nach Hause pisacken. Heute sind alle friedlich nach Hause gegangen. Ein alter Scheich mit rotem Palästinensertuch ging die Straße entlang, der israelische Soldat saß auf einer Mauer und langweilte sich. In der H2-Zone, dem Gebiet unter Schutz der IDF (israelische Armee), leben 500 jüdische Siedler und 30.000 Araber. Die Soldaten sorgen für den Schutz der ultrareligiösen Siedler.

Die Lage in Hebron ist bekanntermaßen nicht immer friedlich. Und das liegt hier weniger an großer Weltpolitik oder arabischer Hetzpropaganda, sondern eher an der offenen Feindseligkeit der radikalen Siedler, die häufig zum Ausdruck kommt. Ich bin in den arabischen Teil gegangen, über einen kleinen Checkpoint. Auf der anderen Seite findet man, wenn man den Basar entlanggeht, eine Gasse, die mit einem großen Gitter überspannt ist. Dieses Gitter dient zum Schutz der arabischen Bevölkerung gegen die jüdischen Siedler, die sich in den oberen Stockwerken der Häuser niedergelassen haben (!) und beizeiten Dinge auf arabische Passanten herabgeworfen haben. Man sieht allerlei Müll und auch größere Steine auf dem Gitter liegen.


"Observer" beobachten das Geschehen

Im arabischen Teil bin ich den Ratschlägen des Reiseführers gefolgt: Als Tourist zu erkennen geben, Fotoapparat umhängen, viele Fotos schießen, am besten ein Kreuz um den Hals tragen. Hab ich gemacht. Und es stimmt: Anders als in Ramallah oder Nablus wird man hier von jedem (!) Entgegenkommer angeschaut und einegschätzt. Im Basar begegnete mir ein Halbstarker, der laut "Walla, Masihi!" ("Bei Gott, ein Christ!") ausrief. Jeder fünfte Passant kommentierte mich oder mein Kreuz. Ob das gut oder schlecht war, konnte ich nicht immer deuten. Zumindest wurde ich nicht verdächtigt, ein Israeli zu sein -was in Hebron wohl zu einer politischen Krise geführt hätte...

Es ist merkwürdig. Die Gräben zwischen den Menschen sind hier so tief. Die Geschichte der Stadt hat es gezeigt: 1929 brachte der arabische Mob in Hebron 67 Mitglieder der jüdischen Gemeinde um. Im Zuge der antijüdischen Aufstände im ganzen Land wurden auch alle Juden aus Hebron vertrieben. Im Jahre 1980 warfen Araber an einem Freitagabend Granaten von einem Dach aus auf eine Gruppe vom Gebet heimkehrender Juden. Dabei wurden sechs Menschen getötet und 16 verletzt. Die Geschichte prägt die jüdischen Siedler. Bis heute ist den Juden der Stadt das Massaker von 1929 im Gedächtnis geblieben.
Ein anderes schreckliches Massaker ereignete sich im Februar 1994 im muslimischen Teil der Machpela-Höhle: Der radikale Siedler Baruch Goldstein drang mit einem Sturmgewehr in die Moschee ein und ermordete 29 betende Muslime und verletzte über hundert andere, bevor er gelyncht wurde. Noch heute wird er von vielen Siedlern als Held verehrt.
In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Ausschreitungen. Zuletzt randalierten jüdische Siedler, als 2008 ein Haus vom israelischen Staat geräumt wurde. Es wurde geschossen, muslimische Gräber geschändet, eine Moschee beschmiert.
Und erst im Januar wurden auf einer Straße bei Kiryat Arba, der jüdischen Sieldung nahe bei Hebron, vier Siedler in ihrem Auto von Hamas-Terroristen erschossen.


Gedenken an jüdische Opfer eines arabischen Überfalls

Juden und Muslime haben vor Jahrhunderten einmal auch hier friedlich zusammengelebt. Ob so etwas wohl jemals wieder möglich sein wird? Bis dahin ist es ein sehr langer Weg, der für beide Seiten Eingeständnisse bedeutet - in Hebron vielleicht mehr für die jüdische.

Der gepanzerte Bus, der mich und einige andere Besucher wieder zurück zur Central Bus Station in Jerusalem brachte, fuhr auch durch die jüdische Siedlung Kirjat Arba, nahe bei Hebron. Laut Reiseführer leben hier fanatische, radikale jüdische Siedler. Aber eigentlich sehen die Leute hier auch nicht anders aus als sonstwo in Israel. Die wirklich radikalen, hartgesottenen und ultrareligiösen Siedler leben direkt in Hebron. In Kirjat Arba ist mir nur aufgefallen, dass es auffallend viele ostasiatische Juden gibt. Ostasiaten gibt es in Israel viele, doch dabei handelt es sich meist um Pflegekräfte und Landarbeiter aus Thailand oder vor allem von den Philippinen. Doch in der jüdischen Sieldung sind es asiatische Juden, Frauen mit Röcken, ein junger Soldat. Auf dieses "Phänomen" habe ich bis dato noch keine Erklärung gefunden.

Mittwoch, 2. März 2011

Nablus

Für meinen Trip nach Nablus hatte ich mir relativ viele Programmpunkte vorgenommen. Aus den meisten ist jedoch nichts geworden. Ich war zuvor noch nie in dieser Stadt gewesen. Und immer wenn ich in eine neue Stadt komme, muss ich mich zuallererst einmal umschauen. Das habe ich dann auch gemacht.
Wie gestern schon bin ich morgens am Damaskustor aufgebrochen. Mit dem arabischen Bus nach Ramallah, und von dort dann mit dem klapprigen palästinensischen Linienbus nach Nablus.

Die Strecke nach Nablus führt durch die Berge Samarias. Überall kleine arabische Dörfer am Wegesrand, Olivenbäume so weit das Auge reicht. Auf dem Weg fährt man an einigen jüdischen Siedlungen und Armeestützpunkten vorbei. Teilweise geht es über die israelische Staatsstraße. Zufahrten von kleineren palästinensischen Straßen sind oft zugeschüttet oder mit Betonblöcken blockiert. Ein äußerst unübersichtliches Chaos von Zufahrtsstraßen, Schotterpisten und geteerten Highways.
Die Vorstadt von Nablus besteht dem Anschein nach hauptsächlich aus KfZ-Werkstätten und Autolackierereien. Noch nie habe ich so viele VW-Busse und alte Mercedes gesehen. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Nablus eröffnen die Menschen wohl bevorzugt Werkstätten am Rand der großen Zufahrtsstraße in die Stadt.



Zwischen zwei Berghängen liegt die Stadt. Nablus, das biblische Sichem (Schechem), heute geprägt durch unfertige Hochhäuser und helle, graue Häuser, die den Berg hinaufkriechen. Große Moscheen mit kleinen Minaretten prägen das Bild. Und dieser Verkehr. Überall sieht man die typisch palästinensischen gelben Taxis. Dazu kommen die oben schon erwähnten Mercedes-Generationen der letzten Jahrzehnte sowie eine Vielzahl anderer uralter, aber funktionstüchtiger Autos. Vor allem die Hupen funktionieren hier noch. Die Hupe ist auch das letzte Accessoir, das in Nablus zu rosten drohen könnte. Eine Geräuschkulisse ohnegleichen.



Nablus ist - laut Reiseführer - eine sehr konservative und palästinensische Stadt. Das habe ich schon am ersten Kreisverkehr gemerkt: Bilder von Märtyrern und gefallenen Kämpfern der Intifada. Und auch in den Straßen der Stadt fällt auf, dass die meisten Frauen Kopftücher tragen oder sogar bis auf die Augen verschleiert sind. In Ramallah waren oft auch unverhüllte Frauen und Mädchen zu sehen. Doch Nablus bietet ein Beispiel muslimischer Frömmigkeit. Das wird auch deutlich, als ich um die Mittagszeit an einer der großen, im Suq versteckten Moscheen vorbeikomme: Aus ihr strömen dutzende von Männern, die am Gebet teilgenommen haben. In Ramallah habe ich nur vereinzelte Beter in der großen Moschee am Busbahnhof gesehen.
In Nablus trifft man zudem auf keine Touristen. Ich habe das Gefühl, dass ich der einzige Ausländer in der Stadt war.

Märtyrerdemkmal in einer Basarstraße

Der Basar von Nablus hat mich überrascht: Er ist noch größer und aromatischer als der der Jerusalemer Altstadt; so kam es mir zumindest vor. Die Aufteilung der Geschäfte folgt keinem System; Nahrungsmittelläden reihen sich an Kleidungsgeschäfte. Lebendige Hühner werden in Käfigen gehalten, halbe Lämmer hängen in den Metzgereien von der Decke. Dafür gibt es deutlich weniger Schmuckhändler als in Ramallah.
Nablus ist (bzw. war) bekannt für seine Olivenseife. Doch zu meiner Enttäuschung fand ich nur einen Stand, der mir zum Erwerb zweier großer, grüner Seifenwürfel verhalf.


Auf der meiner Liste der zu besuchenden Sehenswürdigkeiten standen das Cultural Heritage Enrichment Center (CHEC), das auch irgendwie mit Seife zu tun hat, und der Tuqan-Palast. Beides habe ich irgendwie nicht gefunden. Außerdem war meine Zeit knapp, denn für den Rückweg musste ich (aufgrund der Kontrollen am Checkpoint bei Jerusalem) mehr Zeit einberechnen. Ursprünglich hatte ich auch noch den Berg Garizim besuchen wollen, auf dem in der Antike das Heiligtum der Samaritaner - quasi das Gegenstück zum Jerusalemer Tempel - stand. Dort soll es neben einigen weniger interessanten Ruinen auch ein Samaritaner-Museum geben. Doch auch dafür reichte meine Zeit leider nicht. In der Stadt selbst habe ich einen Samaritaner gesehen, den Berg musste ich aus der Ferne fotografieren.
Auf dem Garizim findet im Morgengrauen des (samaritanischen) Passah-Festes ein großes Opfer statt. Der Termin liegt früher als der des jüdischen Pessach (Passah-Festes). Es werden Lämmer geschlachtet. Für den Laien mutet diese Szenen wie ein Blutbad an, ein Alptraum für jeden Vegetarier.

Berg Garizim (Heiligtum der Samaritaner)

Für meinen Rückweg musste ich erst einmal den Busbahnhof für die Richtung Ramallah aufsuchen. Dieses Mal nahm ich ein Taxi, das mich 10 Schekel kostete. Die Busfahrt nach Ramallah kostete 11 Schekel. Der Taxifahrer konnte kein Englisch - wie fast niemand in Nablus, abgesehen von den Studenten - also konnte ich mein Arabisch ein wenig ausprobieren.

Plakat mit Marwan Barghuthi

Die Busfahrt bot wieder einmal etwas Typisches für diese Region: Ganz plötzlich fing etwas an zu gackern. Die umsitzenden Leute fingen an zu lachen. Der alte Herr neben mir hatte in seiner Plastiktüte einen Karton, in dem er ein lebendiges Huhn transportierte. Irgendwie war es ihm peinlich, und er versuchte das Huhn zu beruhigen, was ihm jedoch nur mit Mühe gelang. Wer weiß, vielleicht ist das arme Tier heute Abend gleich in der Suppe gelandet...

Für alle Interessierten: Ich habe in Nablus keinen Buchladen gefunden, d.h. meine Suche nach einem deutsch-arabischen Wörterbuch blieb bislang erfolglos.

Dienstag, 1. März 2011

Ramallah

Heute morgen habe ich meine Exkursion nach Ramallah gestartet. Am Damaskustor in Jerusalem warten die arabischen Kleinbusse, die für 6.50 Schekel über den Checkpoint fahren. Keine Kontrollen bei der "Einreise" in die A-Zone. Nur ein letzter Griff in den Rucksack, um auch sicherzugehen, dass man den Reisepass für die Rückreise dabei hat.
Hinter der Betonmauer beginnt das Gebiet, das irgendwann einmal wahrscheinlich offiziell Palästina heißen wird. Keine israelische Soldaten oder Polizisten, nur Palästinenser. Der Bus fährt vorbei an den eng bebauten "Flüchtlingslagern", die heute mehr Städten ähneln. Das Straßenbild wird beherrscht von Staub und halbfertigen Häusern. Der Müll lagert hinter den Häusern oder auf Hängen neben der Straße.

In Ramallah findet man sich dann auf einmal im hektischen Treiben wieder, das man schon von Ostjerusalem kennt. Endlose Marktstraßen mit frischem Obst und Gemüse, allen möglichen Alltagsgegenständen und anderen Sachen. Ich komme vorbei an vielen der typischen arabischen Teestuben, die schlicht eingerichtet sind und um die Mittagszeit vor allem alte Männer und ihr Kartenspiel beherbergen.




Auch Ramallah hat eine Altstadt, allerdings ist die nicht allzu groß. Dennoch bietet sie die ein oder andere interessante Sehenswürdigkeit. So etwa einige christliche Kirchen und Schulen. Ramallah wurde Mitte des 16. Jahrhunderts von christlichen Arabern gegründet. An die fünf Gründerfamilien erinnern heute die fünf Löwen am Manara-Platz, der in der Stadtmitte (außerhalb der Altstadt) liegt. Ramallah hat auch eine christliche Bürgermeisterin (!), was den außergewöhnlichen Charakter der Stadt betont.


In der Altstadt findet sich auch das Ramallah-Museum, das von außen einen interessanten Eindruck machte, aber abgeschlossen war.
In Ramallah gibt es unzähliche Schmuckgeschäfte, Falafelbuden und Bekleidungsläden, in denen man einen Kaffee angeboten bekommt. Während meinem ganzen Aufenthalt sind mir nicht mehr als eine handvoll Touristen begegnet. Und dennoch sprechen hier viele Leute einige Fetzen Englisch.



Ich bin durch die Stadt geschlendert und habe ein paar Fotos geschossen. Die letzte Station meines "Stadtrundgangs" war das Mausoleum von Yassir Arafat. Ich habe mich diesbezüglich im Vorfeld nicht erkundigt - was nicht sonderlich professionell ist - und war dementsprechend positiv überrascht, dass man dort einfach so hineinspazieren kann. Der palästinensische Soldat am Eingang hat sogar auf meinen Rucksack aufgepasst, weil ich den nicht mit rein nehmen durfte. Es war sehr wenig los. Nur eine Gruppe von arabischen Touristen besuchte das Grabmal. Eine Frau brach in Tränen aus, aber im Großen und Ganzen hielten sich die Emotionen der Besucher in Grenzen.
Yassir Arafat (1929-2004) war der wohl berühmteste palästinensische Staatsmann. 1994 erhielt er zusammen mit Schimon Peres und Jitzchak Rabin den Friedensnobelpreis.


Gegen Nachmittag machte ich mich auf den Rückweg. Während ich mich bei meinem letzten Ramallah-Besuch von einem Taxifahrer über den Tisch ziehen ließ, der mich zum Checkpoint fuhr, fand ich dieses Mal einen der grünen Kleinbusse, die die Rückfahrt nach Jerusalem antraten. Für den selben Preis wie bei der Hinfahrt kam ich nach Jerusalem. Und zu meinem Erstaunen musste ich dieses Mal am Checkpoint nicht einmal aussteigen. Das letzte Mal lief es folgendermaßen ab: Etwa einhundert Menschen drängen sich in drei Gänge, wo man sich einzeln durch Gitterdrehtüren schieben muss (sobald das grüne Licht angeht) und dann von einer Magnetschleuse durchleuchtet wird. Diese Prozedur kann zwischen 20 Minuten und einer Stunde dauern. Heute jedoch konnte ich im Bus sitzen bleiben und musste nur meinen Pass vorzeigen. Dieses Privileg genießen auch Palästinenser über 60 Jahren und Frauen mit kleinen Kindern. Wer einen speziellen Jerusalem-Pass hat, kommt ebenfalls relativ schnell durch die Kontrollen. Alles in allem mussten wir zehn Minuten am Checkpoint warten, dann ging die Fahrt weiter nach Jerusalem.

In Ostjerusalem versuchte ich dann, ein deutsch-arabisches Wörterbuch zu bekommen. In Deutschland kostet es bei einem bekannten Internetversandhaus um die 135 Euro. In Jerusalem kann man angeblich bis zu 75 Euro sparen - wenn man den richtigen Buchladen findet. Ich habe ihn noch nicht gefunden. Der Verkäufer eines Educational Bookshop sagte mir, dass ihm auch nicht bekannt sei, ob sich ein solches Wörterbuch überhaupt in der Stadt befinde. Naja, ich werde mein Glück morgen nochmal versuchen. Vielleicht in Nablus oder Hebron.