Sonntag, 6. März 2011

Jerusalem - Letzter Tag

Heute bin ich wieder zurück in Deutschland. Meine letzten beiden Tage habe ich in Jerusalem verbracht, habe die Altstadt noch ein letztes Mal auf mich wirken lassen, mir ein paar Souvenirs gekauft. Als ich gestern Nacht zurück nach Hause kam, hatte ich mich vor meinen PC gesetzt und wollte einen letzten, abschließenden Blogeintrag schreiben. Allerdings machte ich eine weniger tolle Entdeckung: Ich hatte meine Fotokarte in Israel vergessen. Sie steckte noch im Computer von einem der Volontäre, bei denen ich übernachtet hatte. Demnach werde ich wohl erstmal keine aktuellen Fotos mehr liefern können. In diesem Abschlussbeitrag greife ich deshalb auf meine persönlichen Archivfotos vom August 2010 zurück.

Auf meiner Reise durch Israel und die Palästinensergebiete habe ich viele interessante Orte besucht. Durch meine (momentan noch sehr bescheidenen) Arabischkenntnisse habe ich auch einen besseren Zugang zur arabischen Bevölkerung gefunden. Eine neutrale Sichtweise ermöglicht dem Beobachter, mit beiden Seiten einigermaßen gut auszukommen. Dazu gehört, dass man sich vor Ort ein eigenes Bild macht. Der Nahostkonflikt ist nichts, was man aus der Ferne beobachten kann. Der Europäer kommt immer mit seinen allzu guten Lösungsvorschlägen daher und hat doch keine Ahnung. Ob ein Herr Westerwelle, der den Siedlungsbau anmahnt, oder irgendein anderer Politiker - alle wollen sie angeblich ihrern Beitrag leisten, drängen auf Friedensgespräche, auf Zwei-Staaten-Lösungen, erkennen diese und jene Grenze an (oder auch nicht). Hinzu kommt noch die von mir schon das ein oder andere Mal erwähnte Propagandamaschinerie ("Pallywood") der arabischen Welt, die aus Gerüchten Tatsachen macht und so versucht, das jüdische Israel in eine Ecke zu drängen und aus Zionisten Mörder zu machen. Währenddessen erkennt halb Südamerika einseitig einen Palästinenserstaat an, der faktisch noch nicht existiert und noch nie existiert hat.

Der interessierte Beobachter steht praktisch in der Pflicht, sich vor Ort ein eigenes Bild zu machen, auf beiden Seiten der Mauer. Das habe ich zu tun versucht. Auf meinem Weg durch die Westbank kam ich durch das vergleichsweise moderne Ramallah, durch das streng-konservative Nablus mit seiner am Boden liegenden Olivenseifenindustrie. Auch durch Hebron, wo auf beiden Seiten tiefer Hass sitzt. Betlehem habe ich nur aus der Ferne gesehen; von Gilo aus. In Gilo habe ich einige Tage bei Freunden gewohnt. Auf dem Gebiet jenseits der Green Line (Grenze von 1949) liegt dieser Stadtteil Jerusalems auf vormals arabischem Land und gilt laut UNO und internationaler Staatengemeinschaft als "illegale jüdisceh Siedlung". Ich bin gegen diese Bezeichnung und bin der Meinung, dass man hier einmal vorbeischauen soll, um selbst einen Eindruck zu bekommen.
Von Gilo aus hat man einen guten Blick auf Bet Jala und Betlehem. Bis September stand hier noch eine 2,5 Meter hohe Betonmauer, die 2005 errichtet worden war, um vor dem Beschuss von palästinensischen Raketen zu schützen. Heute ist die Gefahr vorerst vorbei. Man hat freien Blick auf die israelischen Grenzanlagen, den "Sicherheitszaun". Er geht durch Land, dass von den einen als "arabischer Boden" bezeichnet wird, von den anderen als Staatsland. Sicher ist nur, dass der meterhohe Betonwall eine traurige Aufgabe erfüllt, nämlich ein Land zu spalten, das mit ein wenig Dialog und gutem Willen eine unzertrennbare Einheit bilden könnte.

Grenzwall auf dem Weg nach Ramallah

Am Freitagnachmittag saß ich in Gilo in der WG meiner Freunde und hatte den Tag schon irgendwie abgeschlossen. Es war mein letzter voller Tag in Jerusalem. Am Freitagabend begann der Schabbat, alles kam dann zur Ruhe. Am Vormittag war ich in der Stadt gewesen und hatte einige Dinge eingekauft, hatte mein Sammeltaxi (Scherut) für den nächsten Tag bestellt, bin ein wenig durch die Orthodoxenviertel gelaufen. In Gilo saß ich also jetzt. Draußen war so schönes Wetter. Plötzlich packte es mich. Ich nahm meinen Rucksack und erwischte um 15.30 Uhr noch knapp den letzten Bus in die Stadt. Von der Ben Yehuda aus ging ich in Richtung Altstadt. Die letzten Geschäfte schlossen gerade. Die Schienen der Straßenbahn mit ihren ewigen Probefahrten lagen verwaist da. Es ist unglaublich wie schön an einem Freitag in Jerusalem die Stadtmauer der Altstadt in der Spätnachmittagssonne leuchtet. Überall waren Menschen unterwegs. Es hatte aber nichts Hektisches mehr. Gemütlichkeit. Und irgendwie war dieser Abend der perfekte Abschluss meiner Israel-Tour 2011. Ich kam zur Klagemauer. Dort sah ich eine türkische (!) Reisegruppe, dutzende bekopftuchte Gestalten, die in den Frauenteil der heiligsten jüdischen Stätte gingen. Der Reiseführer erklärte ihnen alles. Touristen, Juden und Muslime, amerikanische Christen. An einem Freitagabend an der Klagemauer. Es klingt kitschig, aber irgendwie hatte das Ganze etwas Hoffnungsvolles. In den Basaren sah ich dann zwei israelische Soldaten, die bei einem Araber einige Nüsse und Knabberzeug für die Nachtpatrouille kauften. Sie unterhielten sich, lachten. Zwei orthodoxe Juden feilschten mit einem anderen Händler, über ihren Köpfen hingen Palitücher. Plötzlich erscheinen die T-Shirts in den Geschäften wie eine urkomische Politparodie. Da hängt "Israeli Defense Force" neben "Free Palestine", oder "America don't worry - Israel is behind you" neben Palästinensertüchern und Bildern von Arafat. Die Händler in den Basaren tun hier keine politische Meinung kund. Sie wollen den Touristen nur das Geld aus der Tasche ziehen. Und damit sind sie wahrscheinlich auch auf der sicheren Seite.
Die Konturen verwischen. Beim Jerusalemer McDonald's arbeiten Araber nicht mehr nur, sie gehen dorthin jetzt auch zum Essen. Trotz aller Verworrenheit der politischen Lage - ab und zu sieht man einen Schimmer von Hoffnung. Vielleicht sollte man die Leute einfach einmal machen lassen. Vielleicht sollte die westliche Welt nicht immer drängen und ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellen, auch wenn sie es nicht zugibt. Vielleicht sollten wir nur den gesunden Menschenverstand schulen helfen und die Menschen - egal auf welcher Seite - darin unterstützen, auf den anderen zuzugehen. Genau das ist mir an einem Freitagabend wieder einmal klar geworden.

An der Klagemauer setzte ich mich auf eine Treppe und genoss die Atmosphäre. Ein älterer Mann sprach mich an. Er hatte gleich erkannt, dass ich deutsch war. Irgendwie sieht man mir das an. Ich wundere mich oft darüber. Wir unterhielten uns, über meine Volontärszeit, über Jerusalem, über dies und das. So macht man das in Israel. Man unterhält sich mit Fremden über das Leben und fühlt sich danach befreit. Er freute sich, dass ich nach Israel zurückgekommen war. Das sei ein Zeichen, dass es mir gefallen hatte. Wie recht er hatte. Er verabschiedete sich von mir mit den Worten, die religiöse Juden sich an Jom Kippur und an Pessach wünschen: "L'schana ha'bah bi'Jeruschalajim - Next year in Jerusalem".

Und so wünsche ich es mir: Dass ich eines Tages nach Jerusalem kommen kann und dort eine Stadt finde, die von einer modernen Straßenbahn verbunden wird, die von Westjerusalem nach Ostjerusalem verläuft. Eine Stadt ohne Grenzen zwischen zwei Völkern, eine Stadt die keine Zwei-Staaten-Lösung braucht und dann erst recht ein zweites (geteiltes) Berlin wird. Ich wünsche mir, zurückzukommen in ein Jerusalem des Friedens.


1 Kommentar:

  1. Ich bin ja immer wieder beeindruckt, zu welch objektiver Betrachtungsweise du mittlerweile gelangt bist. Schöne Berichte über den neuerlichen Besuch in Israel. Weiter so!

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