Heute
befassen wir uns mit einem IS-Video, das nicht zu den Kategorien Nasheed (Musikvideo)
oder Grußvideo gehört. Ich war mir nicht ganz sicher, wie
dieses Filmchen einzuordnen ist, doch am nächsten kommt vielleicht die
Bezeichnung Reportage.
„A Visit
To Mosul“ bringt das Publikum ins Herz des Islamischen Staates und an die
aktuelle Kraftquelle der Terrorbewegung. Seit Mitte Juni 2014 befindet sich die
Stadt in der Macht des IS und ist seither einer schaurigen Entwicklung
ausgesetzt: Christen wurden vertrieben oder zur Konversion gezwungen, Jesiden
in der Umgebung mussten flüchten und waren in isolierten Bergregionen zeitweise
dem Hungertod ausgesetzt. In Mosul selbst begann der IS, Kirchen zu Moscheen
umzuweihen und schiitische Schreine, Grabstätten und Gotteshäuser mit Dynamit
oder Vorschlaghämmern dem Erdboden gleich zu machen. Nun ist Mosul die
Hauptstadt des „Wilayat Ninawa“, des Verwaltungsbezirks Ninive.
Zu Beginn
des Videos werden Passanten gefragt, wie sich die Situation seit der
„Befreiung“ durch den IS verändert habe. Natürlich gibt es nur positive
Resonanz: „Es gab [früher] Verhaftungen. Verhaftungen ohne Gnade“, erzählt
einer der Befragten. Straßenblockaden, unbeschreibliche Ereignisse. Doch die
Behandlung der Menschen durch die Soldaten des Islamischen Staates sei sehr
gut. „Es gibt keine Probleme mit der Behandlung.“ – Nach dem kurzen Interview
folgt der eigentlich interessante Teil: Ein bärtiger, mutmaßlich
tschetschenischer Kämpfer beschreibt die Eroberung der Millionenstadt. Er steht
auf einer Autobahnbrücke und erzählt, wie die irakischen Truppen nach der
Tötung eines Offiziers aus der Stadt flohen und Waffen und Ausrüstung
zurückließen. Als nächstes nimmt der dschihadistische „Tour Guide“ die
Zuschauer mit zur Großen Moschee von Mosul. „Mit der Ankunft des Islamischen
Staates nahm der Islam in einem völlig neuen Weg Eingang in das Leben der
Bewohner“, erzählt er, während zwei Männer gezeigt werden, die mit einem Auto
durch die Straßen fahren und durch Lautsprecher etwas verkünden. Auf einem
Schild steht „Hisba“ (حسبة), es handelt sich dabei wohl um eine Art Religionspolizei oder
eher noch „Ordnungsamt“. Während die Straßenszenen mit der Kamera aufgefangen
werden, berichtet der Erzähler stolz: „Viele Christen, die in der Stadt
geblieben sind, sind jetzt interessiert am Islam, weil sie den wahren Islam
gesehen haben, wie er umgesetzt wird und welche Ergebnisse er für alle Aspekte
des Lebens bringt.“ Viele christliche Familien würden nun den Islam annehmen.
Etwas zynisch – aber vom Erzähler wohl tatsächlich als Errungenschaft
wahrgenommen – wirkt der Bericht darüber, dass „erst vor kurzem 130 jesidische
Männer den Islam angenommen“ hätte. „Und wie Ihr wisst, sind die Jesiden
Teufelsanbeter.“ Der Islam verbreite sich mit Wort und Schwert. Und aller Lob
gebühre Allah…
Letzte
Station der „Reportage“ ist der bekannte Scharia-Gerichtshof von Mosul. Denn
die Durchsetzung der Scharia für alle Lebensbereiche sei der fundamentale
Unterschied zwischen säkularen Staaten und dem Islamischen Staat. In den
letzten zwei Monaten seien an diesem Gericht mehr als 1.000 Fälle behandelt
worden, sagt der Reporter. Ein Beweis dafür, dass das Vertrauen der Menschen in
den Islamischen Staat ungebrochen sei.
Das Video
ist von der Machart her den von mir in Teil
1 gezeigten Produktionen ähnlich, was Effekte und Qualität angeht. Es
fällt zudem auf, dass sich dieses Video an russisches oder tschetschenisches
Publikum richtet. Dennoch wird das Gesagte durch Untertitel auch auf Englisch
und Arabisch wiedergegeben. Ich bin mir nicht sicher, welcher Kategorie man
dieses Video zuordnen kann, aber es trägt ganz klar Züge einer Reportage. Es
gibt Interviews mit Passanten oder Offiziellen, Straßenszenen und Aufnahmen des
Gebets, während der Kampfveteran das Publikum mit Informationen versorgt. Wenn
er selbst ins Bild kommt, steht er meistens, doch im letzten Abschnitt geht er
die Treppe des Scharia-Gerichtshofes hinauf, während er erzählt – und erinnert
dabei fast zwangsläufig an amerikanische Dokumentationen, in denen der Reporter
gerne gestikulierend eine Straße entlanggeht oder Treppenstufen ersteigt.
Während diese Elemente zunehmen, werden andere Effekte seltener.
Hintergrundmusik setzt erst im letzten Fünftel des Videos ein, schwarze Fahnen
treten etwas weniger vehement auf. Bilder von Toten, die der Abschreckung
dienen sollen, fehlen gänzlich. In der letzten Minute werden aber trotzdem
Zeitlupe und Zeitraffer eingesetzt, fast so als sei dieses Merkmal
charakteristisch für die zynische Verspieltheit der Produzenten des Al-Hayat
Media Center. Als wolle es das Video, das die Ideologie eines kunst- und
humorlosen Herrschaftsgebildes in die Welt tragen soll, doch um eine kunstvolle
Nuance ergänzen. Und um dem Ganzen einen gewichtigen Schlusspunkt zu setzen,
zeigen die Macher am Ende, als der Gerichtsbeamte aus dem Koran zitiert, ein
Minarett, über dem die schwarze Fahne des IS weht. Willkommen im Kalifat, wo
Recht und Ordnung herrscht. Diese Botschaft geht – wie wir gesehen haben – auf
den verschiedensten Sprachen und auf unterschiedlichen Wegen hinaus in die
Welt. Die wichtigste Erkenntnis für die Beobachtenden mag aber sein, dass der
IS auf keinen Fall zu unterschätzen ist, was seine strukturgebenden Fähigkeiten
angeht: Diese Videos bleiben nur Videos, Erzeugnisse einer Propagandamaschinerie,
doch trotzdem geben sie dem Experiment „Terrorgruppe gründet Staat“ eine
gewisse Festigkeit und Stabilität sowie eine Repräsentanz, die fast ganz ohne
hohe Abgeordnete auskommt, sondern sich hauptsächlich auf (insgeheim
wahrscheinlich verängstigte) Passanten und Ex-Frontkämpfer beruft.
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