In den
letzten Tagen hat die Horizonte-Sendung
vom 15. November 2014 im Hessischen Rundfunk
mancherorts für einige Diskussionen und oft auch für große Empörung
gesorgt. Als Auftakt einer ARD-Themenwoche gedacht, begann der Moderator
Meinhard Schmidt-Degenhardt mit den Worten: „Man
kann ja über Deutschland denken, was und wie man will. Sie dürfen gerne mäkeln,
sie dürfen meckern, aber komme mir bitte keiner und sage, Deutschland sei kein
tolerantes Land. Im Gegenteil! Wer, wenn nicht wir?“ Ihm gehe dieser „Tanz
um die Toleranz“ auf den Geist. Und das erste Einspieler-Video polarisiert, was
es nur zu polarisieren gibt: „Sind wir
nicht längst das toleranteste Land der Welt?“ Dabei werden Frauen mit
Kopftuch zusammen mit dem Bundespräsidenten gezeigt. „Schmeißen wir nicht bewährte Ansichten über Bord und jeder wird
glücklich?“ Im Bild: Eurovision-Songcontest-Gewinner Conchita Wurst. In
diesem Fall heißt altbewährt scheinbar
nicht homosexuell. Ist diese Art von
Intro überhaupt noch provokant oder ist das schon strafbar? Dann: Bilder von
gewaltbereiten, tobenden Nazis, kommentiert mit den Fragen „Doch wie lange geht das gut? Was brodelt
unter der Oberfläche? Geht der Schuss nach hinten los?“ Als Zuschauer
zögert man. Ist das ernst gemeint, kommt da noch ein großer Umschwung zur Objektivität?
Man vermutet, dass sich hier etwas wenig konstruktives anbahnt.
Geladen sind
Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentags, und Matthias
Matussek, katholischer Journalist und Autor. Gleich zu Beginn geht es um
Salafisten und den Umgang mit dem Islam. Das Einspieler-Video zu diesem ersten
Themenblock: „Nie wieder
Schweineschnitzel, nie wieder Bier, kein Kreuz an der Wand“ – eine Realität
wird suggeriert, die angeblich den deutschen Alltag schon lange bestimmt. Und
das alles aus Toleranz? Matussek spricht von „tolerant bis zur
Prinzipienlosigkeit“, gerade im Umgang mit dem Islam. Anstatt Nazis den Protest
gegen den Salafismus zu überlassen, solle lieber die Mitte der Gesellschaft – die
Christen – auf die Straße gehen und ihren Glaubensbrüdern zur Seite stehen.
Welche Glaubensbrüder er hier meint wird nicht deutlich. Das Publikum darf sich
hier wohl eine bedrohte christliche Minderheit aussuchen. Ueberschär will die
ziellose Diskussion weg von den wahllosen Beispielen Matusseks hin zu
konstruktiven Ansätzen lenken. Wir würden Toleranz mit Beliebigkeit
verwechseln, meint sie. Und genau das könnten wir der Gesellschaft nicht
deutlich machen. Doch hier Lösungsansätze zu entwerfen ist von Anfang an ein
aussichtsloses Unterfangen.
Weiter geht
es mit Themenblock zwei: Sex. Im Intro-Einspieler geht ein nachdenklicher Mann
über den Kiez, überall das gleiche Bild: Jeder mit jedem. Seine Freundin hat 5
unbeantwortete Anrufe auf dem Handy – er muss eben akzeptieren, dass es neben
ihm noch andere gibt, denkt er sich. Der arglose Zuschauer runzelt hier die
Stirn, die Darstellung ist schon ziemlich verstörend. Doch hier werden
gesellschaftliche Problematiken oder Phänomene zusammengefasst und bewertet aus
der Sicht einen erzkonservativen Christen. Die Welt wird so gezeigt, wie sie
durch eine äußerst religiöse Brille gesehen wird. Und auch Matussek macht sich
Sorgen über dieses Thema: Sex sei ja fast die neue Religion, meint er. Über
nichts werde so viel gequatscht. Und natürlich läuft dieser Themenblock auf die
Homo-Ehe hinaus. Matussek scheint in einen Sack zu stecken, was Ueberschär zum
Glück deutlich zu unterscheiden weiß: Prostitution und Menschenhandel sind eine
Sache, die Heirat homosexueller Paare sei eine ganze andere. Matussek
verteidigt sofort – ohne direkt angegriffen worden zu sein – die katholische
Kirche in ihrem Umgang mit den Homosexuellen, indem er darauf verweist, in
Teheran würden Schwule an Kränen aufgehängt. Mehrmals lenkt er die Diskussion
auf den Islam, um die katholische Kirche in Schutz zu nehmen. Ohne sichtlichen
Zusammenhang wirft er dem Moderator, der so tut, als würde er kritisch
nachfragen wollen, entgegen: „Ehrenmord
gibt’s auch hier!“
Im dritten
Themenblock dann: Eine Art Kapitalismuskritik, der Zuschauer fühlt seine
Aufmerksamkeit wieder auf die wirklich wichtigen christlichen Werte gelenkt.
Welch eine Erlösung…
Was spielt
sich in dieser Sendung eigentlich ab? Islam, Homosexuelle – und immer wieder dieselbe
Frage: Müssen wir denn überall tolerant sein? Dürfen wir da überhaupt tolerant
sein? Beantwortet wird durch die Videobeiträge von alleine: Nein, denn es läuft
aus dem Ruder. Der Islam regiert unsere Straßen, Schwule heiraten und paaren
sich an jeder Ecke, vor den Augen unserer Kinder.
Nun, das
Entscheidende ist aber: Bei der Sendung Horizonte
im Hessischen Rundfunk handelt es sich um ein offensichtlich christliches
Programm, die Diskussion zwischen Matussek und Ueberschär ist eine
Auseinandersetzung unter Christen. Hier wird nicht von einer säkularen
Gesellschaft ausgegangen, sondern von einem christlichen Deutschland, das alles
außerhalb dieses Rahmens vielleicht dulden, im seltensten Fall aber tolerieren
kann. Und diese christliche Auseinandersetzung mit Problemen der modernen
Gesellschaft ist nicht nur äußerst homophob, sondern auch enorm Islam-fixiert. Horizonte entlarvt sich an dieser Stelle
aber nicht als hetzerisches Anti-Toleranz-Programm, was von vielen Beobachtern
vielleicht so aufgenommen wurde. Vielmehr zeigt die Sendung, was für ein klägliches
Minimum an Toleranz unter großen Teilen der deutschen Christenheit vertretbar
erscheint – nicht mehr und nicht weniger. Bewerten kann man das jetzt auf unterschiedliche
Art und Weise – von skandalisierend bis achselzuckend. Verstörend und auch ein
wenig beschämend ist es aber auf jeden Fall.
Es kann
eigentlich nur festgestellt werden: Fernsehsendungen wie Horizonte, die scheinbar nur mit den und für die christlichen
Zuschauer sprechen, sind alles andere als geeignet, um in einer
gesellschaftlichen Diskussion über Salafismus und Scharia-Polizei angehört zu
werden. Selten habe ich erlebt, dass Stereotypen über Kopftuchfrauen und
Schwule so fahrlässig (oder beabsichtigt?) zu einem Toleranz-Brei vermischt
wurden, der natürlich jedem konservativem Publikum eklig erscheinen muss. Es wird
propagiert, dass der eigentliche Grund für den Verfall der Gesellschaft und den
scheinbaren Aufwind rechtsextremer Kräfte die Toleranz gegen Andersgläubige und
Andersdenkende sei. Erneut muss man die Frage stellen, ob Thesen, Behauptungen
und emotional-unsachliche Auswüchse wie die des Herrn Matussek sowie die auf
unverschämte Art und Weise polarisierende Anmoderation von Herrn Schmidt-Degenhardt einen Platz haben dürfen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Ein sinnvoller
Auftakt zur ARD-Themenwoche hätte wohl anders ausgesehen. Der eigentliche
Skandal an der ganzen Geschichte ist es, dass jede/-r BürgerIn in Deutschland
für diese Art des Fernsehens eine Zwangsabgabe namens G.E.Z. leisten muss.
Für jede
inhaltliche Auseinandersetzung ist die Sendung eigentlich ungeeignet. Nur so
viel: Toleranz – das ganze Wochenende hätten wir jetzt Zeit und Pflicht,
darüber nachzudenken, meint der Moderator. Oh ja, das sollten wir, lieber Herr
Schmidt-Degenhardt.
(Ein Artikel,
der einigermaßen investigativ vorgeht und auf den Kern der Sache zu sprechen
kommt: