Mein erster Eindruck von Kurdistan-Irak war ein dunkler. Es war tiefste Nacht, als wir das Kings Motel (genau gegenüber vom mutmaßlich besser gestellten Kings Hotel) in Erbil, der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan, bezogen. Der kurdische Name der Stadt ist Hawler, doch die irakischen Autokennzeichen tragen den arabischen Namen. - Unser Motel war relativ dürftig. Es gab eine große Lobby mit Sofas, dafür aber nur ein kleines Frühstück. Ein Ei, ein Brot, ein Keks. Dazu ein Schüsselchen Suppe. Kurdische Suppe ist unvergleichlich. Leider (?) weiß ich bis heute nicht, was die genauen Bestandteile sind.
Der erste Stadtrundgang führte uns über den großen Platz und durch den Basar. Die belebten Straßen sind staubig, hier und da gibt es ölige Schlaglöcher oder verstopfte Rinnsteine. Für den romantisierenden Orientalisten ist das mehr als beruhigend: In Bagdad, also im "echten" Irak, kann es kaum anders aussehen.
Der Basar von Erbil wird zurzeit mit einer arkadenähnlichen Backsteinkonstruktion umschlossen. In seinem Inneren gibt es Seife aus Aleppo, Musik-CDs mit den kurdischen Charts, Stoffe für feine Anzüge und eine ganze Menge Gold. Frisch gepresster Orangensaft wird zu einem fairen Preis angeboten, neugierige Passanten wollen sich mit den hübschen deutschen Frauen fotografieren lassen. Und selbst mit uns Männern, die wir zwei Köpfe größer und ein ganzes Stück blonder sind als der städtische Durchschnitt. Doch der erste Eindruck vermittelt nicht das Bild von aufdringlichen Händlern, sondern eher von neugierigen bis gleichgültigen Einheimischen, die in ihrer Stadt selten Touristen sehen.
Wir erklimmen die Zitadelle, von der aus man den zentralen Platz mit seinen Springbrunnen und dem Glockenturm überblicken kann. Die Stadt hat knapp über 800.000 Einwohner, also etwas größer als Stuttgart. Die meisten Einwohner sind Kurden, es gibt aber auch einige assyrische Christen, von denen viele aus dem Irak geflohen waren und sich nun im Norden ansiedelten. - Auf der Zitadelle wird renoviert und restauriert. Mit europäischen Geldern will man hier jahrtausendealtes Erbe retten, was scheinbar auch ganz gut gelingt. Eine riesige kurdische Flagge weht über den Lehmziegeldächern der teils noch sehr ruinösen Gebäude, ein Textilmuseum mit life geknüpften Teppichen verbirgt sich in einem der Häuser. Im Souvenirshop stoßen wir verwundert auf einen Teller mit dem Antlitz des ehemaligen und zwischenzeitlich exekutierten Herrschers Saddam Hussein. "Die nehmen das hier locker", sagt unser "Reiseleiter".
In Erbil spürt man stellenweise förmlich den Aufschwung. Es gibt keine Privatautos, die nicht strahlend weiß und übergroß wären. Die Straßen der Stadt sind fast ausschließlich überschwemmt mit fetten, ostasiatischen SUVs und Familienwagen. Eine Menge großer Unternehmen, auch aus der Türkei, siedeln sich in den Vororten an. Wir besichtigen sowohl eine riesige, eindrucksvolle Moschee (Baujahr 2007) mit frischen, bunten Farben, als auch eine Shopping-Mall. Hier gibt es eigentlich alles, was es bei uns auch gibt. Nur die Menschenmassen lassen noch auf sich warten; es stellt sich die Frage, ob hier wirklich jeder die Möglichkeit hat, in den Genuss dieses Wohlstandes zu kommen. Dem ein oder anderen kommen da Zweifel...
Doch scheinbar ist der Wohlstand Kurdistans nicht nur Schau. Normale Angestellte zahlen hier keine Steuern. Und das Universitätsstudium sei kostenlos, sagt uns der Rektor der Salahaddin University. Die Studenten bekämen kostenlose Unterkunft und darüber hinaus noch 50 US-$ Taschengeld monatlich. "Hier muss niemand neben dem Studium arbeiten. Anders als in Deutschland", meint er an einer Stelle lachend und bietet uns an, für zwei Monate nach Erbil zu kommen für einen Kurdisch-Crashkurs.
Der Reichtum Kurdistans rührt natürlich auch vom Öl her. Die Automone Region wird an den irakischen Ölgeldern beteiligt. Alleine und ohne den Bezirk Kirkuk, dessen brennende Öltürme man schon aus der Ferne sieht, sobald man Erbil nach Süden hin verlässt, wäre das Land wohl lange nicht so gut gestellt wie im Moment. Hinsicht der finanziellen Zukunft der Region würde eine Unabhängigkeit Kurdistans im Moment wohl eher wenig nützen.
Ist Kurdistan das neue Dubai? Ölreichtum, Investoren aus dem Ausland, dicke Autos. Das alles könnte auf eine ähnliche Entwicklung hindeuten. Allerdings gibt es noch weitere Parallelen: Südostasiaten als Verkäufer in den kleinen Cafés im Inneren der Mall, deren glänzender Boden gerade von Turkmenen und Pakistanis gewischt wurde. Der Billiglohnsektor scheint mit asiatischen Gastarbeitern gefüllt zu werden, zumindest ist das an diesem Nachmittag mein Eindruck. Und wer Dubai kennt, der kennt auch die unmenschlichen Strukturen und die antisozialen Verhältnisse, von denen die neue Wohlstandsgesellschaft gestützt wird. Kurdistan hätte noch die Chance, es anders zu machen.
In Erbil besuchen wir das Parlament, wo uns der Parlamentsvizepräsident empfängt und sich erstaunlich viel Zeit für unsere Fragen nimmt. Wir machen Fotos, posieren mit der kurdischen und der irakischen Flagge. Den provisorischen Sitzungsraum des Parlaments - der große Saal wird renoviert - überragt das Gemälde von Mustafa Barzani, mit Turban und Munition, gemalt von einem französischen Künstler.
Barzani ist überall präsent. Wir stoßen auf seine Portäts, Büsten, Statuen und Ölgemälde in jedem offiziellen Gebäude und in jedem Universitätssekretariat. Das Andenken an den 1979 in den USA verstorbenen Freiheitskämpfer wird von den irakischen Kurden hochgehalten. Für den westlichen Betrachter ist dieser Personenkult manchmal mehr als gewöhnungsbedürftig.
Ansonsten gibt sich das moderne Kurdistan sehr westlich. Bei den offiziellen Besuchen wurden unsere Fragen nach den Rechten der Frau und der Minderheiten schon fast ungefragt beantwortet. Und sogar auf die Behinderten kam man ungefragt zu sprechen. Das war dann schon etwas auffällig. Man will einer deutschen Delegation natürlich einen guten Eindruck vermitteln. Und wir sollten diesen Eindruck dann auch nach Deutschland bringen, das wurde uns ganz klar deutlich gemacht. Dabei machten die Repräsentanten der verschiedenen Einrichtungen, die wir besuchten, keinen Hehl daraus, dass auch ihre junge Demokratie nicht perfekt sei. Wie könne sie denn, wo es auch in Deutschland alles seine Zeit gebraucht hätte. Obwohl man leicht zum überzeugten Nicken verleitet wird, klingt dieses Statement ein wenig nach einer Ausrede.
Nichtsdestotrotz gibt es in Kurdistan sowohl kurdische als auch arabische Zeitungen, die Menschen können scheinbar ihre Meinung frei äußern und vor einiger Zeit wurde das schwedische Schulsystem eingeführt. Man hasst die Amerikaner nicht, man hat sie als Befreier gefeiert. Der Kurs der Autonomen Region Kurdistan geht zielstrebig nach Westen.
Nun gut, an was sich unserereins neben der allgegenwärtigen Barzani-Präsenz außerdem gewöhnen musste, war das ständige Sakko-Tragen. In Hemd, Krawatte und Anzug ging es von einem Termin zum nächsten. Irgendwann gewöhnt man sich daran, hatte ich den Eindruck. Und da im Nahen Osten erstaunlich viele (vor allem ältere) Männer gut gekleidet unterwegs sind, kann es nicht schaden, einen halbwegs anständigen Eindruck zu hinterlassen. Doch trotz allem ist man erleichtert, wenn man sich, wieder im Hotel angekommen, der lästigen Etikette entledigen kann und ganz leger zu einer der seltenen, nachmittäglichen Freizeiteinheiten in die Stadt aufbrechen kann. Denn der Ausblick von der Zitadelle bei Abend, untermalt vom Gesang der Muezzine und abgerundet durch die wechselnden Farben der Wasserfontänen, ist unbezahlbar.
Der erste Stadtrundgang führte uns über den großen Platz und durch den Basar. Die belebten Straßen sind staubig, hier und da gibt es ölige Schlaglöcher oder verstopfte Rinnsteine. Für den romantisierenden Orientalisten ist das mehr als beruhigend: In Bagdad, also im "echten" Irak, kann es kaum anders aussehen.
Der Basar von Erbil wird zurzeit mit einer arkadenähnlichen Backsteinkonstruktion umschlossen. In seinem Inneren gibt es Seife aus Aleppo, Musik-CDs mit den kurdischen Charts, Stoffe für feine Anzüge und eine ganze Menge Gold. Frisch gepresster Orangensaft wird zu einem fairen Preis angeboten, neugierige Passanten wollen sich mit den hübschen deutschen Frauen fotografieren lassen. Und selbst mit uns Männern, die wir zwei Köpfe größer und ein ganzes Stück blonder sind als der städtische Durchschnitt. Doch der erste Eindruck vermittelt nicht das Bild von aufdringlichen Händlern, sondern eher von neugierigen bis gleichgültigen Einheimischen, die in ihrer Stadt selten Touristen sehen.
Wir erklimmen die Zitadelle, von der aus man den zentralen Platz mit seinen Springbrunnen und dem Glockenturm überblicken kann. Die Stadt hat knapp über 800.000 Einwohner, also etwas größer als Stuttgart. Die meisten Einwohner sind Kurden, es gibt aber auch einige assyrische Christen, von denen viele aus dem Irak geflohen waren und sich nun im Norden ansiedelten. - Auf der Zitadelle wird renoviert und restauriert. Mit europäischen Geldern will man hier jahrtausendealtes Erbe retten, was scheinbar auch ganz gut gelingt. Eine riesige kurdische Flagge weht über den Lehmziegeldächern der teils noch sehr ruinösen Gebäude, ein Textilmuseum mit life geknüpften Teppichen verbirgt sich in einem der Häuser. Im Souvenirshop stoßen wir verwundert auf einen Teller mit dem Antlitz des ehemaligen und zwischenzeitlich exekutierten Herrschers Saddam Hussein. "Die nehmen das hier locker", sagt unser "Reiseleiter".
In Erbil spürt man stellenweise förmlich den Aufschwung. Es gibt keine Privatautos, die nicht strahlend weiß und übergroß wären. Die Straßen der Stadt sind fast ausschließlich überschwemmt mit fetten, ostasiatischen SUVs und Familienwagen. Eine Menge großer Unternehmen, auch aus der Türkei, siedeln sich in den Vororten an. Wir besichtigen sowohl eine riesige, eindrucksvolle Moschee (Baujahr 2007) mit frischen, bunten Farben, als auch eine Shopping-Mall. Hier gibt es eigentlich alles, was es bei uns auch gibt. Nur die Menschenmassen lassen noch auf sich warten; es stellt sich die Frage, ob hier wirklich jeder die Möglichkeit hat, in den Genuss dieses Wohlstandes zu kommen. Dem ein oder anderen kommen da Zweifel...
Doch scheinbar ist der Wohlstand Kurdistans nicht nur Schau. Normale Angestellte zahlen hier keine Steuern. Und das Universitätsstudium sei kostenlos, sagt uns der Rektor der Salahaddin University. Die Studenten bekämen kostenlose Unterkunft und darüber hinaus noch 50 US-$ Taschengeld monatlich. "Hier muss niemand neben dem Studium arbeiten. Anders als in Deutschland", meint er an einer Stelle lachend und bietet uns an, für zwei Monate nach Erbil zu kommen für einen Kurdisch-Crashkurs.
Der Reichtum Kurdistans rührt natürlich auch vom Öl her. Die Automone Region wird an den irakischen Ölgeldern beteiligt. Alleine und ohne den Bezirk Kirkuk, dessen brennende Öltürme man schon aus der Ferne sieht, sobald man Erbil nach Süden hin verlässt, wäre das Land wohl lange nicht so gut gestellt wie im Moment. Hinsicht der finanziellen Zukunft der Region würde eine Unabhängigkeit Kurdistans im Moment wohl eher wenig nützen.
Ist Kurdistan das neue Dubai? Ölreichtum, Investoren aus dem Ausland, dicke Autos. Das alles könnte auf eine ähnliche Entwicklung hindeuten. Allerdings gibt es noch weitere Parallelen: Südostasiaten als Verkäufer in den kleinen Cafés im Inneren der Mall, deren glänzender Boden gerade von Turkmenen und Pakistanis gewischt wurde. Der Billiglohnsektor scheint mit asiatischen Gastarbeitern gefüllt zu werden, zumindest ist das an diesem Nachmittag mein Eindruck. Und wer Dubai kennt, der kennt auch die unmenschlichen Strukturen und die antisozialen Verhältnisse, von denen die neue Wohlstandsgesellschaft gestützt wird. Kurdistan hätte noch die Chance, es anders zu machen.
In Erbil besuchen wir das Parlament, wo uns der Parlamentsvizepräsident empfängt und sich erstaunlich viel Zeit für unsere Fragen nimmt. Wir machen Fotos, posieren mit der kurdischen und der irakischen Flagge. Den provisorischen Sitzungsraum des Parlaments - der große Saal wird renoviert - überragt das Gemälde von Mustafa Barzani, mit Turban und Munition, gemalt von einem französischen Künstler.
Barzani ist überall präsent. Wir stoßen auf seine Portäts, Büsten, Statuen und Ölgemälde in jedem offiziellen Gebäude und in jedem Universitätssekretariat. Das Andenken an den 1979 in den USA verstorbenen Freiheitskämpfer wird von den irakischen Kurden hochgehalten. Für den westlichen Betrachter ist dieser Personenkult manchmal mehr als gewöhnungsbedürftig.
Ansonsten gibt sich das moderne Kurdistan sehr westlich. Bei den offiziellen Besuchen wurden unsere Fragen nach den Rechten der Frau und der Minderheiten schon fast ungefragt beantwortet. Und sogar auf die Behinderten kam man ungefragt zu sprechen. Das war dann schon etwas auffällig. Man will einer deutschen Delegation natürlich einen guten Eindruck vermitteln. Und wir sollten diesen Eindruck dann auch nach Deutschland bringen, das wurde uns ganz klar deutlich gemacht. Dabei machten die Repräsentanten der verschiedenen Einrichtungen, die wir besuchten, keinen Hehl daraus, dass auch ihre junge Demokratie nicht perfekt sei. Wie könne sie denn, wo es auch in Deutschland alles seine Zeit gebraucht hätte. Obwohl man leicht zum überzeugten Nicken verleitet wird, klingt dieses Statement ein wenig nach einer Ausrede.
Nichtsdestotrotz gibt es in Kurdistan sowohl kurdische als auch arabische Zeitungen, die Menschen können scheinbar ihre Meinung frei äußern und vor einiger Zeit wurde das schwedische Schulsystem eingeführt. Man hasst die Amerikaner nicht, man hat sie als Befreier gefeiert. Der Kurs der Autonomen Region Kurdistan geht zielstrebig nach Westen.
Nun gut, an was sich unserereins neben der allgegenwärtigen Barzani-Präsenz außerdem gewöhnen musste, war das ständige Sakko-Tragen. In Hemd, Krawatte und Anzug ging es von einem Termin zum nächsten. Irgendwann gewöhnt man sich daran, hatte ich den Eindruck. Und da im Nahen Osten erstaunlich viele (vor allem ältere) Männer gut gekleidet unterwegs sind, kann es nicht schaden, einen halbwegs anständigen Eindruck zu hinterlassen. Doch trotz allem ist man erleichtert, wenn man sich, wieder im Hotel angekommen, der lästigen Etikette entledigen kann und ganz leger zu einer der seltenen, nachmittäglichen Freizeiteinheiten in die Stadt aufbrechen kann. Denn der Ausblick von der Zitadelle bei Abend, untermalt vom Gesang der Muezzine und abgerundet durch die wechselnden Farben der Wasserfontänen, ist unbezahlbar.
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