Während
man in Baden-Württemberg mit etwas über 4 Prozent in fast schon paradiesischen
Verhältnissen lebt, haben die Arbeitslosenzahlen innerhalb der Europäischen
Union ein Rekordhoch erreicht. In Spanien und Griechenland kletterten die
Zahlen der Erwerbslosen auf jeweils 27 Prozent, in Portugal sind 17,5 Prozent
der eigentlich Erwerbstätigen betroffen. Besonders die Arbeitslosigkeit unter
jungen Menschen ist dramatisch: Während 40 Prozent der Spanier unter 25 Jahren
arbeitslos sind, werden aus Griechenland ganze 60 Prozent gemeldet. Die Krise
scheint sich auszuweiten: Auch unsere französischen Nachbarn haben spürbar mit steigender
Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Insgesamt sind die Arbeitslosenzahlen in den
Euro-Ländern im Vergleich zum Vorjahr um 1,7 Millionen gestiegen.[1]
Schockierende
Zahlen, die uns im zweiten Quartal des Jahres 2013 pünktlich zum Tag der Arbeit erreichen. Einen Grund
zum Optimismus müsste man erst noch suchen.
Der Erste Mai wurde im Jahre 1933 als Tag der
Arbeit zum gesetzlichen Feiertag gemacht, nachdem die SPD und andere
Parteien zuvor in der Weimarer Republik mit einem Gesetzesentwurf vor der
Nationalversammlung gescheitert waren. Einen Tag später, am 2. Mai 1933, ließ Hitlers
NSDAP alle Gewerkschaften verbieten. Der freie Tag für den deutschen Arbeiter
hatte einen bitteren, ironischen Nachgeschmack.
Zwar wurde der Erste Mai von den
Nationalsozialisten als Feiertag eingeführt, erfunden haben sie ihn jedoch
nicht. Schon 1886 kam es zur Ausrufung eines Generalstreiks am 1. Mai – zur Durchsetzung
des 8-Stunden-Tages. In Australien wurde schon 30 Jahre früher, am selben Tag,
für die faire Regulation der Arbeitszeiten und gegen die Ausbeutung der
Arbeiter demonstriert. Der Generalstreik in den nordamerikanischen
Industrieregionen zum Ende des 19. Jahrhunderts hatte Folgen: Es kam zu
Auseinandersetzungen mit der Polizei und einer Vielzahl von Toten. Seit 1889
gilt der Erste Mai zum Gedenken an diese Vorkommnisse als „Kampftag der
Arbeiterbewegung“.
Heutzutage tanzt man in den Mai und geht am Tag
darauf mit dem Bollerwagen auf Tour. Mit einem Kasten Bier und Grillzeug zieht
man durch Wald und Wiesen. Man feiert dieses symbolische Zugeständnis an die „Arbeiterklasse“
meist ohne sich seiner Bedeutung klarzuwerden. Dabei müsste gerade in einer Zeit
von Bankenkrisen, Staatspleiten und steigenden Arbeitslosenzahlen innerhalb der
ganzen EU immer häufiger die Frage gestellt werden nach der Legitimierung des
Kapitalismus in seiner heutigen Form. Kann es einen ewigen Aufschwung überhaupt
geben? Wird nicht jedes System, in dem mehr gearbeitet werden soll, während
Stellen eingespart werden, irgendwann zusammenbrechen? Und ist es nicht an der
Zeit, die Fehler zu erkennen und zu korrigieren?
Es braucht viel, um ein Umdenken in Politik und
Wirtschaft zu erreichen. Denn es ist einfacher, die Schuld an den Problemen auf
andere zu schieben.
Nehmen wir einmal ein Beispiel: Die Zuwanderung von
Menschen aus den neusten EU-Mitgliedsstaaten Rumänien und Bulgarien ist vielen
ein Dorn im Auge. Es ist von „Armutsmigration“ die Rede, die Angst vor einer
Überschwemmung durch Wirtschaftsflüchtlinge wächst. Einwanderer würden unsere
Sozialsysteme missbrauchen. Der Ruf nach Einreisestopps wird laut, vor allem
vonseiten der Konservativen.
Doch was sagen die Fakten? Zwar ist die Zahl der
Einwanderungen aus den beiden jüngsten EU-Mitgliedsländern zwischen 2004 und 2011
von 64.000 auf 147.000 gestiegen (und wird weiter steigen) – das nordrhein-westfälische
„Institut für Wirtschaftsforschung“ belegt jedoch auch, dass 80 Prozent aller
Einwanderer aus Bulgarien und Rumänien (seit 2007) einer Erwerbstätigkeit
nachgehen. Etwa 22 Prozent von ihnen sind zudem hochqualifiziert und 46 Prozent
werden als qualifiziert eingestuft.[2]
– Diese Zahlen relativieren die Grundlagen zu schnellen Schlüssen, was
rumänische und bulgarische Zuwanderer angeht. Er stellt auch das Bild, das
bisher vermittelt wird – nämlich dass es sich bei Zuwanderern aus Osteuropa ausschließlich
um raubende und plündernde Zigeunerbanden handle, die durch deutsche Großstädte
ziehen würden – infrage.
Osteuropäische Zuwanderer sind nur eines jener
populären Diskussionsthemen, die man von politischer Seite populistisch
ausschlachten könnte, um von anderen, durchaus gleichwertigen oder gar wichtigeren
Problemen abzulenken.
Wie einfach wäre unser Finanzhaushalt zu retten,
würde man an den richtigen Stellen sparen und die richtigen Menschen
strafrechtlich verfolgen. Personen wie Uli H. und hunderte andere, die
unzähligen Menschen als moralische Vorbilder gegolten haben mögen, bunkern
unversteuerte Millionen in der Schweiz. Ehemalige Bundespräsidenten lassen sich
nach einer halben, vergeigten Amtszeit den Ruhestand überfinanzieren. Politiker
schwänzen Sitzungen im Parlament, um auswärts gegen gutes – besseres – Geld Reden
zu halten oder in irgendeinem Aufsichtsrat zu sitzen. In Bayern beschäftigen
Unionspolitiker ihre Ehefrauen als Sekretärinnen und zahlen ihnen 5.000 Euro
monatlich.
Doch hiervon sind im Übrigen nicht nur die
Konservativen betroffen: Auch bei der SPD beschäftigt man Familienangehörige zu
unerhört hohen Löhnen. Nicht die Parteizugehörigkeit sagt etwas über das Maß an
Asozialität aus. (Man muss sich nur in Erinnerung rufen, dass einer der größten
Sklaventreiber seiner Zeit, Hans Vogel, der in der 1980er Jahren Leiharbeiter
vermittelte und den man aus Günther Wallraffs Buch „Ganz unten“ kennt, Mitglied
der nordrhein-westfälischen SPD war.) Bestimmte Unternehmer orientieren sich seit
jeher an den populärsten Volksparteien. Die Frage ist also nicht, ob links oder
rechts, „sozial“ oder konservativ. Politik und Wirtschaft sind seit jeher eng
verbunden und verhindern auf diese Weise auch nur zu oft, dass der normale
Durchschnittsbürger Wind von krummen Dingen bekommt. Diese Zeiten könnten
jedoch bald vorbei sein. Bewegungen wie die der Piraten, deren Tage nach einem
kurzen Aufwind schon gezählt scheinen, haben doch ein Zeichen gesetzt. Mehr
Transparenz in der Politik wird nötig sein, um den Durst der Massen nach
Mitbestimmung, Engagement und Teilhabe zu stillen.
Wie leicht wären Staaten zu retten, wenn nicht
gerade die schwarzen Schafe das meiste Geld hätten – und dieses zu oft
unversteuert ließen. Man kann die eigene Empörung kaum im Zaun halten, wenn man
weiß, dass die reichsten der Reichen ihre Moneten beiseiteschaffen, während die
eigenen Eltern jahrzehntelang ihre Steuern zahlen. Und wer sich stellt, bleibt
straffrei. Wieso? Weil man wahrscheinlich den einen oder anderen Staatsanwalt regelmäßig
zum Golfen trifft.
Es lohnt sich auch heute noch, den Tag der Arbeit
in Ehren zu halten. Früher mussten Rechte wie der 8-Stunden-Tag erst erkämpft
werden, heute sehen sich Menschen immer häufiger mit anderen Problemen
konfrontiert. In Zeiten der Krise wird die Standfestigkeit unserer Gesellschaft
auf die Probe gestellt. Europa muss sich wieder fangen. Und Bankenbosse,
Superverdiener und Politiker sollten sich ihrer Verantwortung innerhalb dieser
Gesellschaften bewusst werden. Denn wenn das Schiff sinkt, sitzt der Kapitän
(im Normalfall) nicht als erster im Rettungsboot und schifft seine Millionen
nach Zürich, während die Passagiere (oder seine Angestellten) einer nach dem
anderen über die Reling hüpfen. Der Kapitän hat bis zum Schluss das Kommando. Er
versucht das Schiff mitsamt den Passagieren zu retten und geht im Zweifelsfall
mit ihnen unter.
Der Tag der Arbeit ist nicht nur für die
Arbeiter da, sondern auch für die Chefs. Damit sie ihren Angestellten einen
ausgeben können.
In diesem Sinne wünsche ich meinen Lesern einen
sonnigen, inspirierenden 1. Mai!