Dienstag, 30. April 2013

Zum Ersten Mai - Arbeiten und Steuern zahlen


Während man in Baden-Württemberg mit etwas über 4 Prozent in fast schon paradiesischen Verhältnissen lebt, haben die Arbeitslosenzahlen innerhalb der Europäischen Union ein Rekordhoch erreicht. In Spanien und Griechenland kletterten die Zahlen der Erwerbslosen auf jeweils 27 Prozent, in Portugal sind 17,5 Prozent der eigentlich Erwerbstätigen betroffen. Besonders die Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen ist dramatisch: Während 40 Prozent der Spanier unter 25 Jahren arbeitslos sind, werden aus Griechenland ganze 60 Prozent gemeldet. Die Krise scheint sich auszuweiten: Auch unsere französischen Nachbarn haben spürbar mit steigender Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Insgesamt sind die Arbeitslosenzahlen in den Euro-Ländern im Vergleich zum Vorjahr um 1,7 Millionen gestiegen.[1]
Schockierende Zahlen, die uns im zweiten Quartal des Jahres 2013 pünktlich zum Tag der Arbeit erreichen. Einen Grund zum Optimismus müsste man erst noch suchen.

Der Erste Mai wurde im Jahre 1933 als Tag der Arbeit zum gesetzlichen Feiertag gemacht, nachdem die SPD und andere Parteien zuvor in der Weimarer Republik mit einem Gesetzesentwurf vor der Nationalversammlung gescheitert waren. Einen Tag später, am 2. Mai 1933, ließ Hitlers NSDAP alle Gewerkschaften verbieten. Der freie Tag für den deutschen Arbeiter hatte einen bitteren, ironischen Nachgeschmack.
Zwar wurde der Erste Mai von den Nationalsozialisten als Feiertag eingeführt, erfunden haben sie ihn jedoch nicht. Schon 1886 kam es zur Ausrufung eines Generalstreiks am 1. Mai – zur Durchsetzung des 8-Stunden-Tages. In Australien wurde schon 30 Jahre früher, am selben Tag, für die faire Regulation der Arbeitszeiten und gegen die Ausbeutung der Arbeiter demonstriert. Der Generalstreik in den nordamerikanischen Industrieregionen zum Ende des 19. Jahrhunderts hatte Folgen: Es kam zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und einer Vielzahl von Toten. Seit 1889 gilt der Erste Mai zum Gedenken an diese Vorkommnisse als „Kampftag der Arbeiterbewegung“.

Heutzutage tanzt man in den Mai und geht am Tag darauf mit dem Bollerwagen auf Tour. Mit einem Kasten Bier und Grillzeug zieht man durch Wald und Wiesen. Man feiert dieses symbolische Zugeständnis an die „Arbeiterklasse“ meist ohne sich seiner Bedeutung klarzuwerden. Dabei müsste gerade in einer Zeit von Bankenkrisen, Staatspleiten und steigenden Arbeitslosenzahlen innerhalb der ganzen EU immer häufiger die Frage gestellt werden nach der Legitimierung des Kapitalismus in seiner heutigen Form. Kann es einen ewigen Aufschwung überhaupt geben? Wird nicht jedes System, in dem mehr gearbeitet werden soll, während Stellen eingespart werden, irgendwann zusammenbrechen? Und ist es nicht an der Zeit, die Fehler zu erkennen und zu korrigieren?

Es braucht viel, um ein Umdenken in Politik und Wirtschaft zu erreichen. Denn es ist einfacher, die Schuld an den Problemen auf andere zu schieben.

Nehmen wir einmal ein Beispiel: Die Zuwanderung von Menschen aus den neusten EU-Mitgliedsstaaten Rumänien und Bulgarien ist vielen ein Dorn im Auge. Es ist von „Armutsmigration“ die Rede, die Angst vor einer Überschwemmung durch Wirtschaftsflüchtlinge wächst. Einwanderer würden unsere Sozialsysteme missbrauchen. Der Ruf nach Einreisestopps wird laut, vor allem vonseiten der Konservativen.
Doch was sagen die Fakten? Zwar ist die Zahl der Einwanderungen aus den beiden jüngsten EU-Mitgliedsländern zwischen 2004 und 2011 von 64.000 auf 147.000 gestiegen (und wird weiter steigen) – das nordrhein-westfälische „Institut für Wirtschaftsforschung“ belegt jedoch auch, dass 80 Prozent aller Einwanderer aus Bulgarien und Rumänien (seit 2007) einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Etwa 22 Prozent von ihnen sind zudem hochqualifiziert und 46 Prozent werden als qualifiziert eingestuft.[2] – Diese Zahlen relativieren die Grundlagen zu schnellen Schlüssen, was rumänische und bulgarische Zuwanderer angeht. Er stellt auch das Bild, das bisher vermittelt wird – nämlich dass es sich bei Zuwanderern aus Osteuropa ausschließlich um raubende und plündernde Zigeunerbanden handle, die durch deutsche Großstädte ziehen würden – infrage.

Osteuropäische Zuwanderer sind nur eines jener populären Diskussionsthemen, die man von politischer Seite populistisch ausschlachten könnte, um von anderen, durchaus gleichwertigen oder gar wichtigeren Problemen abzulenken.

Wie einfach wäre unser Finanzhaushalt zu retten, würde man an den richtigen Stellen sparen und die richtigen Menschen strafrechtlich verfolgen. Personen wie Uli H. und hunderte andere, die unzähligen Menschen als moralische Vorbilder gegolten haben mögen, bunkern unversteuerte Millionen in der Schweiz. Ehemalige Bundespräsidenten lassen sich nach einer halben, vergeigten Amtszeit den Ruhestand überfinanzieren. Politiker schwänzen Sitzungen im Parlament, um auswärts gegen gutes – besseres – Geld Reden zu halten oder in irgendeinem Aufsichtsrat zu sitzen. In Bayern beschäftigen Unionspolitiker ihre Ehefrauen als Sekretärinnen und zahlen ihnen 5.000 Euro monatlich.
Doch hiervon sind im Übrigen nicht nur die Konservativen betroffen: Auch bei der SPD beschäftigt man Familienangehörige zu unerhört hohen Löhnen. Nicht die Parteizugehörigkeit sagt etwas über das Maß an Asozialität aus. (Man muss sich nur in Erinnerung rufen, dass einer der größten Sklaventreiber seiner Zeit, Hans Vogel, der in der 1980er Jahren Leiharbeiter vermittelte und den man aus Günther Wallraffs Buch „Ganz unten“ kennt, Mitglied der nordrhein-westfälischen SPD war.) Bestimmte Unternehmer orientieren sich seit jeher an den populärsten Volksparteien. Die Frage ist also nicht, ob links oder rechts, „sozial“ oder konservativ. Politik und Wirtschaft sind seit jeher eng verbunden und verhindern auf diese Weise auch nur zu oft, dass der normale Durchschnittsbürger Wind von krummen Dingen bekommt. Diese Zeiten könnten jedoch bald vorbei sein. Bewegungen wie die der Piraten, deren Tage nach einem kurzen Aufwind schon gezählt scheinen, haben doch ein Zeichen gesetzt. Mehr Transparenz in der Politik wird nötig sein, um den Durst der Massen nach Mitbestimmung, Engagement und Teilhabe zu stillen.
Wie leicht wären Staaten zu retten, wenn nicht gerade die schwarzen Schafe das meiste Geld hätten – und dieses zu oft unversteuert ließen. Man kann die eigene Empörung kaum im Zaun halten, wenn man weiß, dass die reichsten der Reichen ihre Moneten beiseiteschaffen, während die eigenen Eltern jahrzehntelang ihre Steuern zahlen. Und wer sich stellt, bleibt straffrei. Wieso? Weil man wahrscheinlich den einen oder anderen Staatsanwalt regelmäßig zum Golfen trifft.

Es lohnt sich auch heute noch, den Tag der Arbeit in Ehren zu halten. Früher mussten Rechte wie der 8-Stunden-Tag erst erkämpft werden, heute sehen sich Menschen immer häufiger mit anderen Problemen konfrontiert. In Zeiten der Krise wird die Standfestigkeit unserer Gesellschaft auf die Probe gestellt. Europa muss sich wieder fangen. Und Bankenbosse, Superverdiener und Politiker sollten sich ihrer Verantwortung innerhalb dieser Gesellschaften bewusst werden. Denn wenn das Schiff sinkt, sitzt der Kapitän (im Normalfall) nicht als erster im Rettungsboot und schifft seine Millionen nach Zürich, während die Passagiere (oder seine Angestellten) einer nach dem anderen über die Reling hüpfen. Der Kapitän hat bis zum Schluss das Kommando. Er versucht das Schiff mitsamt den Passagieren zu retten und geht im Zweifelsfall mit ihnen unter.
Der Tag der Arbeit ist nicht nur für die Arbeiter da, sondern auch für die Chefs. Damit sie ihren Angestellten einen ausgeben können.

In diesem Sinne wünsche ich meinen Lesern einen sonnigen, inspirierenden 1. Mai!


[1] Die aktuellen Zahlen zur Arbeitslosigkeit innerhalb der EU stammen aus der Süddeutschen Zeitung.
[2] Die Zahlen stammen aus Der Markt kennt keine Moral (Helga Suleiman) auf der Seite des Online-Magazins MiGAZIN.

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