Sonntag, 24. Juli 2016

Epilog

Liebe LeserInnen,

über mein Blog habe ich nun mehrere Jahre meine Meinung kundgetan und Euch auch mit (wie ich hoffe) interessanten Berichten einiger meiner Reisen und Unternehmungen versorgt. Hiermit schließe ich nun dieses Blog-Projekt, das mich seit Sommer 2010 begleitet hat.


Alles hat seine Glanzzeiten, aber alles überschreitet irgendwann auch seinen Höhepunkt. In den letzten zwei Jahren konnte ich hier meine eigene rote Linie nicht mehr so richtig finden, dabei bin ich doch ein großer Fan von Regelmäßigkeit und Konstanz. Doch so schnell wie sich die Welt heute verändert, wer hat da schon die Zeit und die Muße alles ausführlich zu kommentieren. Und außerdem, muss überhaupt alles von jedem kommentiert werden? Ich werde mich in nächster Zeit anderen Dingen zuwenden und an denen sicherlich genauso viel Freude haben wie an diesem Blog. Bei gegebener Zeit und gegebenem Anlass beabsichtige ich aber mein publizistisches Comeback zu feiern. Mein Blog wird natürlich weiter bestehen bleiben, als stilles Denkmal eines lebhaften, bunten, wichtigen und aufregenden Abschnitt meines Lebens. Sollte ich irgendwann wieder zur Feder... zur Tastatur greifen, um der Welt meinen Senf beizusteuern, so werde ich es Euch hier wissen lassen.

Gehabt Euch wohl und mischt Euch immer schön ein! :-)

Euer Thorschten


Mittwoch, 10. Februar 2016

Racial Profiling an Karneval (Kommentar)

„Die Kölner Polizei hat an ‪Karneval wieder reichlich zu tun“, meldet der WDR. Die Polizei sei diesmal sehr konsequent eingeschritten, von 1.100 Einsätzen ist die Rede – das sind 200 mehr als letztes Jahr. „Die Zahl der Einsätze, Platzverweise und Festnahmen ist zum Teil stark gestiegen. Der Polizeipräsident und die Oberbürgermeisterin werten aber gerade das als Erfolg.“ – Natürlich finde ich es gut, dass man die Fehler von Silvester an Karneval verhindern wollte und auch verhindert hat. Wenn man allerdings als kleine Gruppe jordanischer Austauschstudenten auf der Fahrt von Aachen nach Hamm eine halbe Stunde Aufenthalt in ‪‎Köln hat und einen Abstecher zum Dom wagt, dann kann es schnell passieren, dass man von der Polizei mit anderen Arabern, Türken und Afrikanern zusammengetrieben und kontrolliert wird. Es habe Beschwerden über arabisch aussehende Männer in dieser Gegend gegeben, heißt es dann. Austauschstudenten werden zwar ganz vorne in der Reihe platziert, aber dennoch werden alle ihre Personalien aufgenommen, sie werden von der Polizei nummeriert und sogar fotografiert. Die Handys werden untersucht und nebenbei erfasst man auch alle für eine Handy-Ortung notwendigen Daten. Dann darf man gehen – mit der Belehrung, dass man direkt ins Gefängnis wandern würde, sollte man Köln nicht innerhalb der nächsten halben Stunde verlassen haben. Die Kontrolle selbst kostet die Studenten 40 Minuten, einige Beamte sind freundlich, andere unheimlich respektlos. Deutsche Passanten, obgleich teilweise stark alkoholisiert, bleiben von den Kontrollen verschont, einer pinkelt sogar vor den Augen der Polizisten auf die Straße. Obwohl der erfolgreiche Polizeieinsatz ausschließlich arabisch aussehenden Männern gilt, bei der Polizeidienststelle reagiert man auf kritische Nachfragen wütend, von „racial profiling“ will man hier natürlich nichts wissen. Arabische Männer als potenzielle zukünftige Straftäter vorsorglich zu erfassen – sinnvoll, gerechtfertigt, notwendig? Vielleicht. Japaner, Dänen und US-Amerikaner geraten aber wegen ihres Aussehens auch nicht in Kontrollen. Es bleibt also unschön, diskussionswürdig und zumindest zur Kenntnis zu nehmen.

Samstag, 23. Januar 2016

Solidarität - Ein vergessener Wert

Solidarität als Begriff ist bis heute zunehmend in Vergessenheit geraten. Dabei sprach Richard von Weizsäcker, der damalige Bundespräsident, schon 1986 diese Worte: „Nur eine solidarische Welt kann eine gerechte und friedvolle Welt sein.“ – Haben wir uns diesen Satz, in dem auch eine klare Aufforderung steckt, zu Herzen genommen?

Im Jahre 1986 bestimmte noch der Kalte Krieg das politische Klima in Europa und Solidarität war – mit der oben zitierten Ausnahme – vor allem im Osten ein Begriff. Die Arbeiterbewegung beschreibt sie als „Tugend der Arbeiterklasse“, in der sozialistischen DDR war Solidarität daher ein wichtiges Schlagwort. Nach der Wiedervereinigung scheint mit dem Sozialismus auch das einschlägige Vokabular verschwunden zu sein. In unseren Tagen begrenzt sich Solidarität deshalb in erster Linie auf Finanzspritzen: Bankenrettung in Griechenland, „Solidaritätszuschlag“ an Ostdeutschland – dies alles geschieht stets unter lautem Protest, die Geber suhlen sich im Selbstmitleid der angeblich Betrogenen. Dabei muss Solidarität noch viel mehr sein als Geld und finanzielle Zuwendung. Günter Grass hat einmal so etwas Ähnliches gesagt wie: „Die Werte einer Solidargemeinschaft lassen sich nicht an der Börse handeln.“ – Und er hatte Recht.

Doch was ist Solidarität eigentlich? Als die Familie meines Vaters in den 1980er Jahren aus Rumänien nach Westdeutschland übersiedelte, war Europa durch den Eisernen Vorhang geteilt. Man bezahlte mit D-Mark und es gab auch noch die gelben Telefonzellen, die heute fast gänzlich aus dem Stadtbild verschwunden sind. In einer solchen Telefonzelle fand einer meiner frisch in der Bundesrepublik angekommenen Verwandten drei Mark, die dort einfach so lagen, oben über der Telefonhalterung. Jemand hatte sie dort liegen gelassen. Ob es nun eine uneigennützige Gabe für bargeldlose Anrufer war, aus einer guten Laune heraus, oder ob der unbekannte Telefonbenutzer sie einfach dort vergessen hatte –  eine winzige, nahezu unbedeutende Spende, die jedoch viel bewirkt hat: Diese kleine, stets als Akt der Solidarität interpretierte Tat ist bis heute im Gedächtnis meiner Familie geblieben, auch nach mehr als dreißig Jahren. Daraus wird deutlich, welch große Wirkung Solidarität haben kann, auch wenn sie im Kleinen beginnt. Etwas Ähnliches findet man in einigen Cafés, in denen man zwei Getränke kaufen kann, aber nur eines selbst trinkt. Bedürftige Personen können sich auf diese Weise einen heißen Drink abholen, für den eine gute Seele schon aufgekommen ist. „Nimm eins, zahl zwei“ – kein Sonderangebot in einer konsumgesteuerten Zeit, sondern der erste Schritt zu einer wärmeren Gesellschaft, deren Kraft auch frierende Obdachlose im Magen spüren können.

Doch was im Kleinen beginnt muss wachsen. Nur eine solidarische Welt kann eine gerechte und friedvolle Welt sein. Richard von Weizsäcker starb im Jahr 2015, als die Flüchtlingskrise ihren ersten Höhepunkt erreicht hatte. Seit seiner Rede 1986 hat sich die Welt gewandelt. Sie ist nicht besser und nicht schlechter geworden, doch sie ist mit Sicherheit nicht solidarisch. Dass selbst die, die sich dieses Wort einst auf die Fahnen geschrieben haben, sein großes Gewicht vergessen zu haben scheinen, zeigt auch ein Blick nach Polen: Der Elektriker Lech Wałęsa hatte in den 1980ern aus einer Streikbewegung die Gewerkschaft Solidarność (dt. „Solidarität“) gegründet, die mit der Unterstützung von Intellektuellen und der Kirche einen Zusammenhalt über die Standesgrenzen hinweg schuf. Obwohl selbst aus dem Geiste des Kommunismus entsprungen, brachte diese Solidarität das ungerechte kommunistische Regime in Polen neun Jahre später zu Fall. Derselbe Lech Wałęsa, der einen Friedensnobelpreis trägt, sprach sich 2015 in erschütternder Deutlichkeit gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aus. Aus seinen in einem Interview getätigten Aussagen, die einen an mehreren Stellen heftig schlucken lassen, lässt sich schließen, dass Solidarität selbst im sozialistischen Osten in erster Linie eine nationale Angelegenheit war und bis in unsere Tage eine solche geblieben ist.

Solidarität wird auch heute noch zu oft ausschließlich national begriffen, dabei sollte sie doch grenzüberschreitend sein. Sowohl Länder- und Staatsgrenzen als auch Barrieren innerhalb unserer eigenen Gesellschaft könnten durch eine Verbundenheit der Menschen auf der untersten, menschlichen Ebene überwunden werden. Denn Solidarität ist nichts, was von der Politik gesetzlich verordnet werden kann. Sie ist dennoch einer von den Werten, über die alle reden, an denen es uns aber mangelt.

Solidarität als Mutter des Mitgefühls, der Feinfühligkeit und des Respekts ist nicht nur in Notzeiten gefragt, nach Tsunamis oder Erdbeben. Feingefühl will den Verletzten, den Missbrauchten der Gesellschaft jeden Tag entgegengebracht werden. Mitgefühl und Verständnis benötigen heimatlose Flüchtlinge, genauso wie die Diskriminierten, die hierzulande noch immer leiden müssen, weil sie anders sind. Die Bedingung für ein solidarisches Miteinander ist der Respekt. Doch er fehlt so oft, wenn wir Debatten über die Köpfe derjenigen hinweg führen, die eigentlich am meisten betroffen sind und die dennoch kaum zu Wort kommen. Solidarität muss im Zentrum der Gesellschaft verwurzelt sein, doch hier verläuft jene Kluft, welche sich in diesen stürmischen Tagen immer weiter vor uns und zwischen uns auftut. Wir müssen heute dringender als irgendwann zuvor im kleinen Rahmen wieder lernen, was wir im Großen umsetzen sollten: Das „Wir“ entdecken, ohne das „Andere“ auszustoßen. Das Boot, in dem wir alle sitzen, beginnt nur dann zu sinken, wenn wir uns gegenseitig zerfleischen. Solidarität ist keine harte Arbeit und sie muss auch nicht teuer sein. Sie ist eine Frage des Willens und des Loslassens all der Einwände, die uns und anderen noch das Leben schwer machen. Und sie ist für jede Gesellschaft überlebenswichtig.