Vor
einer Woche war ich in der tschechischen Hauptstadt Prag, wo das Bier günstig ist
und die Touristen zahlreich sind. In der „Goldenen Stadt“ verbrachte ich einige
sonnige und auch verregnete Tage. Meiner Meinung nach ist Prag eine der
schönsten Metropolen Europas, die sich nicht nur durch eindrucksvolle
epochenübergreifende Architektur auszeichnet, sondern auch durch kulturelle
Vielfalt. Jahrhundertelang war Prag ein Zentrum der tschechischen, deutschen
und jüdischen Kultur. Komponisten wie Smetana, Schriftsteller wie Kafka und
Politiker wie Václav Havel verbindet man mit Prag. Wer mich kennt, der kennt aber
auch mein frühes Interesse für das Judentum und seine kulturellen und
historischen Aspekte. Es ist daher fast schon eine Schande, dass ich dieser
hochinteressanten Stadt nun im Jahr 2014 zum ersten Mal einen Besuch
abstattete, denn Prag und das europäische Judentum gehören zusammen. Mit ein
paar Bildern möchte ich Euch auf einen „jüdischen Stadtrundgang“ mitnehmen.
Nordwestlich
der Altstadt liegt das Viertel Josefov, die Josefstadt.
Per Königserlass wurde dieser Stadtteil im 13. Jahrhundert zum jüdischen
Viertel ernannt. Von dieser Zeit an bis zur Assimilierung der jüdischen
Bevölkerung am Ende des 18. Jahrhunderts war dies der Ort, an dem sich der
Alltag und das ganze Leben der Prager Juden abspielten. Kaiser Joseph II. erließ
im Jahre 1781 das Toleranzpatent, um 1850 wurde den Juden dann das Bürgerrecht
gewährt. Den Ghettozwang war damit aufgehoben und viele Familien zogen aus der
Josefstadt fort. Die meisten Synagogen und der gewaltige jüdische Friedhof aber
blieben bis heute erhalten. Ebenso kann man bis heute das Jüdische Rathaus sehen, heute Sitz der tschechischen jüdischen
Gemeinde.
Das wohl
bedeutendste Gebäude des Viertels ist aber die Altneusynagoge. Sie ist einer der frühesten gotischen Bauten Prags
und eine der ältesten noch erhaltenen Synagogen Europas. Jahrhundertelang war
sie von Legenden und Mythen umwoben. Ein Tunnel sollte von hier direkt nach
Jerusalem führen.
Am
bekanntesten ist jedoch die Geschichte des Golems: Der Gelehrte Rabbi Löw
(Jehuda ben Bezalel Löw) soll im 16. Jahrhundert einen Koloss aus Lehm gebildet
und ihm Leben eingehaucht haben. Dieser Golem sollte dem Schutz der jüdischen
Gemeinde dienen und war angeblich auf dem Dachboden der Altneusynagoge
versteckt. Die Neugier eines Journalisten machte diese Legende im 19.
Jahrhundert zunichte, als er heimlich den Dachboden erklomm und keinen Golem
vorfand.
In
nächster Nähe zur Altneusynagoge und dem Rathaus befindet sich der alte
jüdische Friedhof der Prager Gemeinde. Auf nur einem Hektar stehen hier 12.000
Grabsteine. Da der Platz auf dieser letzten Ruhestätte begrenzt war, wurde im
Laufe der Jahrhunderte immer mehr Erde aufgeschüttet, sodass die Toten
stellenweise in bis zu neun Lagen übereinander bestattet sind. Heute bietet der
(von Touristen überlaufene) Friedhof mit seinen mystisch und exotisch
anmutenden Grabsteinen dutzende spannende Fotomotive.
Auch
Rabbi Löw, der Erschaffer des Golem, fand hier seine letzte Ruhe. Heute ist
sein Grab ein Anlaufpunkt für einige der Gläubigen unter den Touristen.
Direkt
an den alten Friedhof grenzt die Klausensynagoge
an, in der sich heute ein recht gut ausgestattetes Museum über die jüdische
Kultur befindet. Hier kann man Artefakte aus dem religiösen Leben der jüdischen
Gemeinde betrachten.
Auf der
anderen Seite des Friedhofs steht die Pinkas-Synagoge.
Hier stehen die Namen der 78.000 tschechoslowakischen Juden, die während des
Holocaust umgekommen sind.
Eines
der schönsten jüdischen Gotteshäuser in Prag ist die Spanische Synagoge. Vor ihr steht eine kafkaeske plastische Figur,
die den Herrn Kafka abbilden soll. Das Innere der Synagoge ist jedoch (für den
Moment) viel interessanter.
In einem
anderen Stadtteil, nahe dem Wenzelplatz, findet man die Jerusalem-Synagoge. Ihr maurischer Stil mutet sehr orientalisch.
Sie wurde erst 1906 gebaut und ist somit eine der jüngeren Synagogen der Stadt.
Wer das
Grab Franz Kafkas sucht, muss zum Neuen Jüdischen Friedhof gehen. Dort entdeckt
man ein Zeugnis der Komplexität und Vielfalt der Prager Bevölkerung, die sich
sogar innerhalb der jüdischen Gemeinde wiederspiegelte. Friedhöfe sind
wunderbar aufschlussreiche Orte, die man nicht unterschätzen sollte. Sie
dokumentieren durch ihre verschiedensprachigen Grabsteininschriften ein breites
kulturelles Spektrum: Hier liegen assimilierte tschechisch-jüdische Familien
neben assimilierten deutsch-jüdischen Familien begraben. Weltkriegssoldaten,
gefallen in Diensten des österreichischen Kaisers. Grabdenkmäler nennen die
Namen derer, die in Auschwitz, Treblinka oder Theresienstadt verscharrt wurden.
Deutsche Namen, tschechische Namen, hebräische Namen. Vereinzelt russische
Gräber.
Die
Grabsteinsymbolik gibt Auskunft über den Stamm oder die historische Abkunft der
Verstorbenen: Zum Segen erhobene Hände stehen für ein Mitglied des
Priestergeschlechts, der Kohanim. Und wer die hebräischen Schriftzeichen lesen
kann, der findet Aufschluss darüber, ob die hier bestattete Person ein
Abkömmling der Leviten, der Priester oder gar der Hohepriester des Jerusalemer
Tempels war. Fehlt die hebräische Inschrift, war der verstorbene königliche Kommerzienrat
wahrscheinlich sehr tief in die nichtjüdische Gesellschaft der Stadt
integriert. Friedhöfe sind ein offenes Buch und eine historische
Dokumentensammlung. Und inmitten dieses Waldes aus steinernen Grabstelen,
relativ am Anfang und in der ersten Reihe, stößt man auf Herrn Dr. jur. Franz
Kafka, dessen letzte Ruhestätte mit Zettelchen, Steinchen und geschriebenen
Nachrichten auf Englisch, Deutsch und Japanisch übersät ist.
Zum jüdischen Prag gehören
viele Aspekte: Das alte Viertel Josefov, die Synagogen, der alte und der neue
Friedhof, Kafka, der Holocaust. Diese Bilder waren nur ein kleiner Einblick in
ein spannendes, vielseitiges, doch von Touristen überlaufenes Kapitel der
Prager Geschichte.
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