Montag, 23. März 2015

Die Ruinen von Angkor (Teil 8)

Morgens um halb sechs wartete unser Tuk-Tuk-Fahrer unten in der Guesthouse-Lobby, um uns pünktlich zum Sonnenaufgang nach Angkor Wat zu bringen. Um diese Uhrzeit war es noch kühl und der Fahrtwind wehte uns um die Ohren, als wir der größten religiösen Tempelanlage der Welt entgegenfuhren. Zu früher Stunde sollten angeblich noch nicht so viele Menschen unterwegs sein, die chinesischen Neujahrsurlauber schliefen noch in den großen Hotels am Rand von Siem Reap, der bescheidenen Provinzhauptstadt, und wurden erst zu einer menschlicheren Uhrzeit zu den Sehenswürdigkeiten gekarrt. Die Tempel von Angkor liegen etwas nördlich von Siem Reap. Das Areal ist so riesig, dass man sich ein Tuk Tuk mieten muss. Um die Arbeit der Fahrer zu erhalten wurde Ausländern sogar das Mieten von Mopeds verboten. So sind die Plätze vor den Eingangstoren der Tempel durchgehend von hunderten Motorradrikschas besiedelt, die auf die Rückkehr ihrer Kunden warten.
Der Sonnenaufgang war etwas enttäuschend, denn anders als anderswo geht die Sonne in den Tropen recht schnell auf und verzichtet dabei auf großartige Farbeinlagen. Dafür kann man der weißgelben Kugel förmlich dabei zusehen, wie sie vom Horizont aufsteigt.


Angkor Wat ist nur eine der zahlreichen Tempelanlagen auf dem Gebiet der mittelalterlichen Stadt Angkor, die vom 9. Jahrhundert an sechshundert Jahre lang das Zentrum des historischen Khmer-Reiches Kambuja bildete. Durch Kriege und die Verschiebung wirtschaftlicher Interessen kam eine glanzvolle Geschichte im 15. Jahrhundert zu ihrem Ende. Die Entdeckung der Ruinen durch den französischen Forscher Henri Mouhot im 19. Jahrhundert ist allerdings ein Mythos – oder vielmehr die falsche Auffassung eurozentrischer Wissenschaftler der damaligen Zeit. Angkor war nie verschwunden. Die Gebäude wurden auch nach dem Untergang der Metropole stellenweise weiter genutzt und ausgebaut. Auch als Angkor vom Dschungel überwuchert wurde, blieben die monumentalen Tempel im Gedächtnis der Khmer und wurden sogar lange Zeit noch in ihrer ursprünglichen Funktion als Orte des Gebets genutzt.


Der heute so berühmte buddhistische Tempel Angkor Wat wurde im 12. Jahrhundert von König Suryavarman II. gebaut und war ursprünglich dem Hindu-Gott Vishnu geweiht. Der Grundriss der Anlage folgt einem mandala, einer symbolhaften Darstellung des hinduistischen Kosmos. Und für aufmerksame Beobachter offenbaren sich durchaus noch mehr Indizien darauf, dass hier vor dem Aufstieg des Buddhismus eine andere Religion die Vormachtstellung hatte.


Das zentrale Heiligtum ist eingeschlossen von einem inneren und einem äußeren Viereck. Innerhalb der steinernen Galerien rund um das Innere des Areals sind Reliefs zu sehen, die Kampfszenen aus dem indischen Nationalepos Mahabharata zeigen. Der untere Teil der äußeren Säulen gegenüber dem Relief war ursprünglich mit einer Abbildung Vishnus verziert, jede einzelne der Säulen zeigte sein Antlitz. Bei den meisten von ihnen wurde jedoch die steinerne Gravur der Gottesabbildung herausgemeißelt, nur an manchen Stellen findet man sie noch im Originalzustand. Doch an einem recht zentralen Punkt geht noch eine Vishnu-Statue ihrem Schicksal als Fotomotiv nach.


Unter den Khmer-Tempeln stellt Angkor Wat eine Besonderheit dar, da die Tempelanlage ungewöhnlicherweise nach Westen ausgerichtet ist, zur untergehenden Sonne hin, dem Symbol des Todes. Abseits dieser Symbolik sorgen aber die gut gebauten Tänzerinnen (Apsara) auf dem 600 Meter langen Flachrelief für Unterhaltung.


Etwas nördlich des großen Tempels liegt Angkor Thom, wo sich einst der profane Teil der Stadt Angkor mitsamt einer großen Festung befand. Den Mittelpunkt bildet der Bayon, ein pyramidenförmiger Tempelberg, der vor allem wegen seiner monumentalen Steingesichter bekannt ist.


Teile des Tempels werden zurzeit restauriert, was jedoch die Touristenströme nicht fern hält. Chinesen, Deutsche, Amerikaner und Spanier machen Selfies und klettern auf den Felsen herum. Es lässt sich nicht leugnen, dass die alten Stätten Angkors durchaus unter dem Massentourismus zu leiden haben. Allein 2011 ließen 1,6 Millionen Besucher ihre Rucksäcke an den Eingangstoren vorbeischrammen, untersuchten neugierig mit den Fingern die sandsteinernen Figuren der Reliefs oder erklommen die Haufen rätselhafter Steinblöcke. Doch die Besucherströme tragen andererseits natürlich auch zum Erhalt des UNESCO-Weltkulturerbes bei, denn jede Person bezahlt am Eintritt ganze 20 Dollar.
Viele Besucher werden besonders vom exotisch-abenteuerlichen Ruinentempel Ta Prohm angezogen, in dem einige Filmszenen des Computerspiels Tomb Raider (mit Angelina Jolie als Lara Croft) entstanden waren. Heute kann man in Ta Prohm vor allem gute Fotos machen.


Banyan-Bäume wachsen quer über die Reste der Gebäude und bringen mit ungeheurer Geduld Mauern zu Fall. Das Dschungeldickicht darf wuchern, denn man will die Ruinen so authentisch wie möglich belassen. Auf diese Weise wird das Bild bewahrt, das schon die französischen Erforscher im 19. Jahrhundert vor Augen hatten, als sie über die Steine des antiken Angkor kletterten.


Die Zahl der Ruinen ist unendlich und alle ihre Namen sind für touristische Eintagsfliegen wie uns, die wir nur einen Tag in Angkor verbringen wollten, schwer zu behalten. Doch es lässt sich vermerken, dass es am ehesten die unscheinbaren Tempel und Ruinen am Wegesrand sind, welche ein wenig jene Magie wieder aufleben lassen, die man als kleiner Junge spüren wollte, als man noch plante, eines Tages Dschungeltempel im tropischen Urwald zu entdecken.


Um vierzehn Uhr kamen wir zurück, erschöpft und übermüdet, aber mit vielen guten Fotos in der Tasche. Am Abend gab es dann einen Stromausfall, das ganze Viertel war ohne Licht. Gerade als wir nach einer letzten nachmittäglichen Erkundungstour in die Lobby des Hauses eintraten, erloschen überall die Lampen. Vom Balkon des ersten Stocks aus konnte man die Menschen mit Taschenlampen umherirren sehen, in einigen Häusern wurden (wahrscheinlich routiniert und in völliger Gelassenheit) die Kerzen angezündet. Irgendwann setzte ich mich zwischen Balkontür und Treppe in den Korridor und wartete ab. Marian war unten an der Rezeption, als zwei Japaner direkt neben mir die Treppe hinunter kamen und sich vorsichtig vorantasteten. Der eine hatte ein schwaches Licht dabei und törichterweise nahm ich an, die beiden würden mich genauso gut sehen können wie ich sie. Dass dies nicht der Fall war merkte ich erst, als Marian von unten „Was für eine Zimmernummer haben wir…?“ rief und ich aus dem Dunkel meiner Ecke mit „Waaas…?!“ antwortet, woraufhin die beiden Japaner den Schreck ihres Lebens erleiden mussten und verstört fast die Stufen hinunterfielen. Ich entschuldigte mich tausendmal, konnte mir das Lachen aber kaum verkneifen.

Am nächsten Tag ging es weiter. Die Wochen wurden länger und der Drang nach ein paar Tagen Ruhe wurde größer. Am Horizont winkte eine abschließende Woche Strand und Sonne, aber so weit war es noch nicht. Vom Siem Reap aus ging es direkt nach Phnom Penh, in die Hauptstadt Kambodschas.

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