Morgens um
halb sechs wartete unser Tuk-Tuk-Fahrer unten in der Guesthouse-Lobby, um uns
pünktlich zum Sonnenaufgang nach Angkor Wat zu bringen. Um diese Uhrzeit war es
noch kühl und der Fahrtwind wehte uns um die Ohren, als wir der größten
religiösen Tempelanlage der Welt entgegenfuhren. Zu früher Stunde sollten
angeblich noch nicht so viele Menschen unterwegs sein, die chinesischen
Neujahrsurlauber schliefen noch in den großen Hotels am Rand von Siem Reap, der
bescheidenen Provinzhauptstadt, und wurden erst zu einer menschlicheren Uhrzeit
zu den Sehenswürdigkeiten gekarrt. Die Tempel von Angkor liegen etwas nördlich
von Siem Reap. Das Areal ist so riesig, dass man sich ein Tuk Tuk mieten muss. Um
die Arbeit der Fahrer zu erhalten wurde Ausländern sogar das Mieten von Mopeds verboten.
So sind die Plätze vor den Eingangstoren der Tempel durchgehend von hunderten Motorradrikschas
besiedelt, die auf die Rückkehr ihrer Kunden warten.
Der Sonnenaufgang
war etwas enttäuschend, denn anders als anderswo geht die Sonne in den Tropen
recht schnell auf und verzichtet dabei auf großartige Farbeinlagen. Dafür kann
man der weißgelben Kugel förmlich dabei zusehen, wie sie vom Horizont
aufsteigt.
Angkor Wat
ist nur eine der zahlreichen Tempelanlagen auf dem Gebiet der mittelalterlichen
Stadt Angkor, die vom 9. Jahrhundert an sechshundert Jahre lang das Zentrum des
historischen Khmer-Reiches Kambuja bildete. Durch Kriege und die Verschiebung
wirtschaftlicher Interessen kam eine glanzvolle Geschichte im 15. Jahrhundert zu
ihrem Ende. Die Entdeckung der Ruinen durch den französischen Forscher Henri
Mouhot im 19. Jahrhundert ist allerdings ein Mythos – oder vielmehr die falsche
Auffassung eurozentrischer Wissenschaftler der damaligen Zeit. Angkor war nie
verschwunden. Die Gebäude wurden auch nach dem Untergang der Metropole
stellenweise weiter genutzt und ausgebaut. Auch als Angkor vom Dschungel überwuchert
wurde, blieben die monumentalen Tempel im Gedächtnis der Khmer und wurden sogar
lange Zeit noch in ihrer ursprünglichen Funktion als Orte des Gebets genutzt.
Der heute so
berühmte buddhistische Tempel Angkor Wat wurde im 12. Jahrhundert von König
Suryavarman II. gebaut und war ursprünglich dem Hindu-Gott Vishnu geweiht. Der
Grundriss der Anlage folgt einem mandala,
einer symbolhaften Darstellung des hinduistischen Kosmos. Und für aufmerksame
Beobachter offenbaren sich durchaus noch mehr Indizien darauf, dass hier vor
dem Aufstieg des Buddhismus eine andere Religion die Vormachtstellung hatte.
Das zentrale
Heiligtum ist eingeschlossen von einem inneren und einem äußeren Viereck.
Innerhalb der steinernen Galerien rund um das Innere des Areals sind Reliefs zu
sehen, die Kampfszenen aus dem indischen Nationalepos Mahabharata zeigen. Der untere Teil der äußeren Säulen gegenüber
dem Relief war ursprünglich mit einer Abbildung Vishnus verziert, jede einzelne
der Säulen zeigte sein Antlitz. Bei den meisten von ihnen wurde jedoch die
steinerne Gravur der Gottesabbildung herausgemeißelt, nur an manchen Stellen
findet man sie noch im Originalzustand. Doch an einem recht zentralen Punkt geht
noch eine Vishnu-Statue ihrem Schicksal als Fotomotiv nach.
Unter den
Khmer-Tempeln stellt Angkor Wat eine Besonderheit dar, da die Tempelanlage
ungewöhnlicherweise nach Westen ausgerichtet ist, zur untergehenden Sonne hin,
dem Symbol des Todes. Abseits dieser Symbolik sorgen aber die gut gebauten
Tänzerinnen (Apsara) auf dem 600
Meter langen Flachrelief für Unterhaltung.
Etwas
nördlich des großen Tempels liegt Angkor Thom, wo sich einst der profane Teil
der Stadt Angkor mitsamt einer großen Festung befand. Den Mittelpunkt bildet
der Bayon, ein pyramidenförmiger Tempelberg, der vor allem wegen seiner monumentalen
Steingesichter bekannt ist.
Teile des
Tempels werden zurzeit restauriert, was jedoch die Touristenströme nicht fern
hält. Chinesen, Deutsche, Amerikaner und Spanier machen Selfies und klettern
auf den Felsen herum. Es lässt sich nicht leugnen, dass die alten Stätten
Angkors durchaus unter dem Massentourismus zu leiden haben. Allein 2011 ließen
1,6 Millionen Besucher ihre Rucksäcke an den Eingangstoren vorbeischrammen,
untersuchten neugierig mit den Fingern die sandsteinernen Figuren der Reliefs
oder erklommen die Haufen rätselhafter Steinblöcke. Doch die Besucherströme tragen
andererseits natürlich auch zum Erhalt des UNESCO-Weltkulturerbes bei, denn
jede Person bezahlt am Eintritt ganze 20 Dollar.
Viele
Besucher werden besonders vom exotisch-abenteuerlichen Ruinentempel Ta Prohm
angezogen, in dem einige Filmszenen des Computerspiels Tomb Raider (mit Angelina Jolie als Lara Croft) entstanden waren.
Heute kann man in Ta Prohm vor allem gute Fotos machen.
Banyan-Bäume
wachsen quer über die Reste der Gebäude und bringen mit ungeheurer Geduld Mauern
zu Fall. Das Dschungeldickicht darf wuchern, denn man will die Ruinen so
authentisch wie möglich belassen. Auf diese Weise wird das Bild bewahrt, das
schon die französischen Erforscher im 19. Jahrhundert vor Augen hatten, als sie
über die Steine des antiken Angkor kletterten.
Die Zahl der
Ruinen ist unendlich und alle ihre Namen sind für touristische Eintagsfliegen
wie uns, die wir nur einen Tag in Angkor verbringen wollten, schwer zu behalten.
Doch es lässt sich vermerken, dass es am ehesten die unscheinbaren Tempel und
Ruinen am Wegesrand sind, welche ein wenig jene Magie wieder aufleben lassen, die
man als kleiner Junge spüren wollte, als man noch plante, eines Tages Dschungeltempel
im tropischen Urwald zu entdecken.
Um vierzehn
Uhr kamen wir zurück, erschöpft und übermüdet, aber mit vielen guten Fotos in
der Tasche. Am Abend gab es dann einen Stromausfall, das ganze Viertel war ohne
Licht. Gerade als wir nach einer letzten nachmittäglichen Erkundungstour in die
Lobby des Hauses eintraten, erloschen überall die Lampen. Vom Balkon des ersten
Stocks aus konnte man die Menschen mit Taschenlampen umherirren sehen, in
einigen Häusern wurden (wahrscheinlich routiniert und in völliger Gelassenheit)
die Kerzen angezündet. Irgendwann setzte ich mich zwischen Balkontür und Treppe
in den Korridor und wartete ab. Marian war unten an der Rezeption, als zwei
Japaner direkt neben mir die Treppe hinunter kamen und sich vorsichtig
vorantasteten. Der eine hatte ein schwaches Licht dabei und törichterweise nahm
ich an, die beiden würden mich genauso gut sehen können wie ich sie. Dass dies
nicht der Fall war merkte ich erst, als Marian von unten „Was für eine
Zimmernummer haben wir…?“ rief und ich aus dem Dunkel meiner Ecke mit „Waaas…?!“
antwortet, woraufhin die beiden Japaner den Schreck ihres Lebens erleiden
mussten und verstört fast die Stufen hinunterfielen. Ich entschuldigte mich
tausendmal, konnte mir das Lachen aber kaum verkneifen.
Am nächsten
Tag ging es weiter. Die Wochen wurden länger und der Drang nach ein paar Tagen
Ruhe wurde größer. Am Horizont winkte eine abschließende Woche Strand und Sonne,
aber so weit war es noch nicht. Vom Siem Reap aus ging es direkt nach Phnom Penh,
in die Hauptstadt Kambodschas.
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