Der 9. November ist ein geschichtsträchtiges
Datum für Deutschland und auch für Europa. Eigentlich ist er das schon immer
gewesen. Am 9. November 1848 wurde der Publizist und demokratische Politiker
Robert Blum in Wien hingerichtet. Die Märzrevolutionen, die bis nach Österreich
übergeschwappt waren, brachten noch keinen Durchbruch der Demokratie. Den
historischen 9. November kennen wir aber spätestens seit dem Jahr 1918, als die
Demokratie den ersten Etappensieg einfuhr: Am 9. November rief Philipp
Scheidemann vom Westbalkon des Reichstages in Berlin die Republik aus. Der
Krieg war zu Ende, Deutschland schaffte seine Monarchie ab. Diese erste Republik
konnte sich jedoch nicht etablieren und mündete in das Dritte Reich. Zwanzig
Jahre nach Einführung der Demokratie brannten im ganzen Land die Synagogen.
Inszenierter Volkszorn, SA-Männer in Zivil und Uniform – und ein Volk, das
zuschaute. Ein Jahr später gab es Krieg. Deutschland versetzte Europa um
Jahrzehnte zurück, Armeen hinterließen verbrannte Erde, Elend und Massengräber.
Der Neuanfang teilte das Land, oder vielmehr die Welt in Ost und West.
Grenzzäune und Mauern hatten vierzig Jahre lang Bestand. Heute ist es nun 24
Jahre her, dass man eine Regelung beschlossen hatte, welche DDR-Bürgern den
Grenzübertritt ermöglichte. Nachdem Kohl und Gorbatschow schon Hammer und
Meißel an den bröckelnden Beton angelegt hatten, brachte Günter Schabowski vom
SED-Politbüro die Mauer vollends zum Einsturz. Er musste dem Druck der Straße
weichen – und wahrscheinlich auch dem Druck der Diplomaten, der Wirtschaft – oder
dem Druck der Geschichte. Seitdem hat der 9. November ein wenig sein negatives
Image aufpoliert, das ihm die Schande der Reichspogromnacht auferlegt hatte.
Heute ist er gleichermaßen ein Mahnmal für die dunklen und die fröhlichen Tage
der Geschichte. Übrigens, der 9. November 1993 war der Tag, an dem die alte
Brücke von Mostar im Bosnienkrieg zum Einsturz gebracht wurde. Dieser Tag im
Herbst, der sich alle Jahre wiederholt, mahnt, wenn man so will, für die
Zukunft. Brücken und Mauern sind starke Symbole. Denn auch heute noch werden
Völker von Mauern getrennt, denken wir nur einmal an Israel und die
Palästinenser. Mauern und Trennzäune sind selten etwas Gutes, auch wenn sie zu
verschiedenen Zeiten unterschiedlich bewertet werden.
Eigentlich sollten wir Brücken bauen und Mauern
einreißen, nicht andersrum.
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