Die
Einstellung des SPD-Spitzenkandidaten Peer Steinbrück gleicht einer Mischung
aus Mut, Wahnsinn und bewundernswertem Optimismus, denn dieser Mann will
Kanzler werden. Ohne Große Koalition und auch ohne Rot-Rot-Grün. Lange wussten
die Umfragewerte etwas ganz anderes zu berichten, doch zwei Wochen vor der Wahl
hat Steinbrück bei der Frage, welchen Kanzler bzw. welche Kanzlerin sich die
Deutschen wünschen würden, ordentlich zugelegt und die 35-Prozent-Marke
geknackt. Währenddessen verliert Angela Merkel ein paar Punkte – um genau zu
sein: zwei – und findet sich nun bei 50 Prozent wieder, immer noch weit vor
ihrem Herausforderer.
Der
Wahlkampf, der dieses Jahr nicht heftiger geführt wurde als sonst auch, spitzt
sich langsam aber sicher zu. Wir haben dutzende von Interviews gesehen und
gelesen, mussten ein Kanzlerduell über uns ergehen lassen und durften
anderntags die Spitzenkandidaten aller dritt- oder schlechter platzierten
Parteien anhören. Und dennoch bleibt eine der bedeutendsten Fragen bestehen,
mit denen sich der oder die deutsche/r Bundesbürger_In dieser Tage konfrontieren
muss:
Was,
wen und um Himmels Willen warum soll ich im September wählen? (Hilfe)
Grund
genug um einmal den Rundumschlag an Informationen einzukassieren. Inhalte sind
gefragt! Was sind die zentralen Themen des Wahlkampfes und worin besteht
eigentlich der Unterschied? Lohnen die gefühlt wenigen Differenzen überhaupt,
etwas anderes zu wählen – oder überhaupt eine Stimme abzugeben?
„Stillstand“
Ein
Hauptargument der Herausforderer in diesem Wahlkampf ist die Tatsache, dass
sich angeblich nichts tut in Deutschland. Es gebe keine Veränderung, keine
Verbesserungen. Franz Müntefering (SPD) bringt im Interview mit der ZEIT zum
Ausdruck, an was es vor allem der deutschen Politik momentan fehlt: „Wenn man
nicht mehr die Leidenschaft hat, Dinge zu verändern, wenn man nichts mehr will,
sondern nur verwaltet, dann muss man besser aufhören. Leider ist das im Moment
der Zustand in der deutschen Politik. Da ist keine Perspektive, keine Vision
von dem, was eigentlich passieren muss.“ Und dies werfe er vor allem der
Kanzlerin vor, sagt Müntefering.
Im
TV-Kanzlerduell musste sich Bundeskanzlerin Angela Merkel von Herausforderer
Steinbrück anhören, die amtierende Regierung hätte nichts erreicht. Steinbrück
nahm vor allem den sozialen Bereich als Angriffsfeld wahr. Obwohl 2011 das
„Jahr der Pflege“ ausgerufen worden sei, hätte sich in der Branche nichts
positiv verändert. Doch Merkel verweist auf die vielen Gesetze, die unter ihrer
Regierung verabschiedet worden waren: Der Demenz-Begriff zum Beispiel sei schon
längst in das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz mit eingenommen worden.
Steinbrück
und auch seinen Bündnispartnern ist das deutlich zu wenig. Auch die linke Ver.di-Zeitschrift
„Publik“ schreibt, dass zu wenig getan wurde, vor allem für den kleinen Mann.
Aufstockung und Altersarmut als Bedrohungen im Alltag – während die
schwarz-gelbe Koalition keinen Handlungsbedarf sehe, bliebe
Steuerungerechtigkeit bestehen. Ein stark unterfinanziertes Bildungssystem,
marode öffentliche Infrastruktur, Defizite bei der Versorgung
Pflegebedürftiger.
Auch
die Grünen sehen vor allem Aufholbedarf bei Infrastruktur, Familien und Bildung.
Angela Merkel erweckt zwar bisweilen den Anschein, ihnen wichtige
Wahlkampfthemen geklaut zu haben – der Atomausstieg ist in vollem Gange, die
Homo-Ehe ist auf dem Weg, über den Mindestlohn wird geredet – doch der Schein
trügt! So zumindest die Meinung der Grünen. Die Kanzlerin widmet sich den
meisten Themen nur widerwillig oder ganz einfach weil sie es muss. Zum
Atomausstieg sei sie durch die Geschehnisse in Fukushima gedrängt worden, kurz
nachdem sie die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke durchgebracht hatte.
Der gesetzliche Mindestlohn werde bisher genauso verhindert wie z.B. die
Mietpreisbremse. Und was die Homo-Ehe angeht, musste die Regierung ganze acht
Mal vom Bundesverfassungsgericht zu Fortschritten gezwungen werden. Es werde
viel geredet, aber nur wenig getan. Der Eindruck einer mehr verwaltenden als
regierenden Kanzlerin – zumindest was die innerdeutschen Angelegenheiten angeht
– hat sich bei den Wählerinnen und Wählern festgesetzt.
Aus
Perspektive der Bundesregierung sieht die Lage bedeutend anders aus.
Deutschland sei in den letzten zehn Jahren ein gutes Stück vorangekommen, sagt Merkel.
Sie verschiebt den Fokus vor allem auf die Wirtschaft. Man habe im Übrigen auch
von Schröders Agenda 2010 einiges mitgetragen und in der Großen Koalition z.B.
die Rente mit 67 beschlossen, um auf die gestiegene Lebenserwartung zu
reagieren – was ja grundsätzlich eine sehr positive Entwicklung sei. Sie bemerkt
zudem, dass „die sozialen Sicherungssysteme Rente, Pflege und Gesundheit […]
wegen der erfreulichen Beschäftigungslage zurzeit recht gut“ dastünden. Merkel
hat jedoch erkannt, dass sich mit der Alterung der Gesellschaft neue Probleme
ergeben werden: In unserem Land gäbe es „bis 2025 rund sechs Millionen
Arbeitskräfte weniger“ als heute. Man müsse reagieren und z.B.
Uni-Vorkenntnisse von Studienabbrechern in einer Ausbildung berücksichtigen.
Dies reiche jedoch nicht, gesteht sie ein. Deshalb hätte die Bundesregierung
die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse vorangetrieben, was
zehntausenden in Deutschland lebenden Migranten zugutekommen würde. Europa
bräuchte nicht nur einen Binnenmarkt, „sondern in Zukunft einen gemeinsamen
Arbeitsmarkt“.
Arbeit
Peer
Steinbrück zeigt sich als Vertreter der sozialdemokratischen Ur-Werte: „Ich
will Kanzler eines Landes sein, in dem jeder, der Vollzeit arbeitet, auch davon
leben kann.“ Dies sei im Moment nicht der Fall – ein gutes Argument. Doch es
kommt auf die Perspektive an, auf die Art und Weise, wie man die Zahlen liest.
Die Bundeskanzlerin zieht ein sehr positives Fazit der letzten vier Jahre. Die
Arbeitslosenzahlen seien von fünf Millionen auf weniger als drei Millionen
gesunken. Die Regierung wolle aber „noch mehr Menschen in Beschäftigung
bringen, faire Beschäftigung….“ Was ist faire Beschäftigung? Merkel meint, man
sei bei der Leiharbeit ein gutes Stück vorangekommen. „Für diesen Bereich
bedeutet der tarifliche Mindestlohn einen echten Fortschritt.“ Es gehe
insgesamt fairer zu auf dem Arbeitsmarkt. Auch was die Managergehälter angeht,
sei man nicht komplett untätig gewesen und habe bei der Festlegung der
Vorstandsvergütung den Aktionärshauptversammlungen mehr Verantwortung gegeben.
„Das ist nicht mehr nur den Aufsichtsräten überlassen.“ Nur der Bundesrat müsse
das Gesetz noch verifizieren.
Mit
ihrem Wahlkampfthema Nr. 1 scheint sich die Bundeskanzlerin auf gesichertem
Terrain zu bewegen. „Sichere Arbeit“ ist der Wahlkampfslogan, drei Millionen
minus X die Referenz. Die Gewerkschaften haben andere Zahlen vorliegen. Ver.di
macht Wahlkampf in seinem Sprachrohr „Publik“ und klagt an: „In unserem Land
ist manches aus den Fugen geraten“, heißt es da. „Weil der geringe Verdienst
zum Leben nicht reicht, müssen hunderttausende Beschäftigte in Deutschland
zusätzlich staatliche Hilfe beantragen. Allein in den fünf Jahren zwischen 2005
und 2010 hat der Staat 50 Milliarden Euro für die Aufstockung der Niedriglöhne
gezahlt, wie aus Zahlen des Bundesarbeitsministeriums hervorgeht.“ Das Blatt
weist berechtigterweise auch darauf hin, dass aus Lohnarmut irgendwann
Altersarmut wird, beschimpft die Bundesrepublik jedoch auch als Steueroase –
ein wenig hoch gegriffen.
An
dieser Stelle kollidieren die Weltbilder: „Arbeit um jeden Preis“ gegen
„drohende Altersarmut“. Die Zahlen lassen sich unterschiedlich deuten. Am Ende
scheint sich der Wähler auf sein Bauchgefühl verlassen zu müssen und die Partei
zu wählen, die mehr Vertrauen schafft.
Europa und sein Geld
Europa
und der Euro sind auch in diesem Wahlkampf ein zentraler Themenblock. Doch wie
kann man die Europapolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel bewerten? Zu
Beginn der Euro-Krise hat die Kanzlerin ihre eiserne Haltung konsequent
durchgezogen. Ohne ihre Unnachgiebigkeit hätten überfällige Reformen in den
südeuropäischen Staaten wohl nie begonnen. Mark Schieritz, Wirtschaftsredakteur
der ZEIT, ist jedoch auch der Meinung, dass die Kanzlerin selbst Mitschuld
daran trage, dass aus der „griechischen Misere ein Flächenbrand“ werden konnte.
Mit ihren harten Sparauflagen habe sie die Wirtschaft in Griechenland erdrückt.
Die Drohung, Schuldenstaaten im Notfall aus der Euro-Zone auszuschließen, hätte
dazu geführt, dass internationale Investoren ihr Kapital aus betroffenen
Ländern abgezogen hätten. Kredite wurden teuer und die Talfahrt begann. Wie
sehr die europäische Wirtschaft an Zusagen und Versprechen hängt, zeigt auch
die jüngste Verbesserung der Lage: Die Panik an den Finanzmärkten sei beendet
worden, als Notenbankpräsident Mario Draghi versichert hatte, die Währungsunion
um jeden Preis vor dem Zerfall zu bewahren. Dieser Politikwechsel wird von der
Kanzlerin mitgetragen, obwohl sich ihre Rhetorik kaum verändert hätte, so der
Wirtschaftsexperte Schieritz. Für die Zukunft prophezeit er, dass die Deutschen
irgendwann wissen wollten, für was ihre Kanzlerin steht – eine berechtigte
Forderung in Zeiten, wo es manchmal einfacher ist, sein Fähnchen in den Wind zu
hängen.
Beim
Thema Euro treffen wir auf die „Alternative für Deutschland“ (AfD), die mit dem
ungeliebten, für viele Nostalgiker immer noch neuen Geld nichts anfangen können
und einer „alternativlosen“ Politik trotzen wollen. Mit Wirtschaftsprofessoren
und einer handvoll Experten appellieren sie an die Vernunft der Deutschen. Das
Wahlprogramm der Partei, die um eine Koalition mit der CDU buhlt, hat noch mehr
zu bieten als die Euro-Krise. Doch Europa ist das Hauptanliegen. Mehr
Demokratie bei wichtigen Entscheidungen, Volksabstimmungen auf Bundesebene –
Deutschland soll souverän bleiben und seine eigene Stimme schützen. Zwar will
sich die AfD nicht in die rechtsextreme Ecke drängen lassen und empfindet
Vergleiche mit der NPD „lächerlich“, doch Beobachter sehen durchaus Parallelen
zur Rhetorik rechtspopulistischer Parteien. Alles in allem wird man die „Alternative“
wohl rechts von der CDU im Bundestag platzieren müssen – sollte es soweit
kommen.
Unterdessen
meldet sich Angela Merkel im FOCUS zur Euro-Krise zu Wort und sagt, man sei ein
gutes Stück vorangekommen. „Den Investoren in aller Welt ist klar geworden,
dass die Euro-Zone zum Euro steht. Es war richtig, dass die Bundesregierung
seit Beginn der Staatsschuldenkrise konsequent auf eine Stabilitätsunion und
nicht auf eine Schuldenunion gesetzt hat.“ Außerdem definiert sie das Bild
eines geeinten Kontinents: „Europa ist für uns nicht nur als Wirtschaftsraum
wichtig, sondern als Wertegemeinschaft.“ Europa sei auch in der Krise keine
Opfergemeinschaft, sondern eine „Friedensgemeinschaft, wie sie dieser Kontinent
zuvor nie erlebt hat.“
„Neuland“ und die NSA
Das
aufregendste Eigentor, das sich Angela Merkel kürzlich geschossen hat, ist die
„Neuland“-Aussage. Das Internet als unbekanntes Terrain – vielleicht nur ein
Vorwand, um sich bei der NSA-Affäre aus der Verantwortung zu ziehen? So
zumindest sieht es Jürgen Trittin. Das Internet sei für die Grünen kein
Neuland, fügt er in einem FOCUS-Interview an und verweist auf das Versagen der
Bundesregierung im Umgang mit der Ausspähaffäre. Die Menschen hätten zwar das
Gefühl gehabt, es geahnt zu haben. Neu sei aber, „dass eine Regierung stumm und
tatenlos zusieht, wie elementare Rechte ihrer Bürgerinnen und Bürger von
befreundeten Staaten verletzt werden.“ Damit holt er sich in der fiktiven
Diskussionsrunde einen wichtigen, aber für die Opposition recht leicht
verdienten Punkt. Die abwartende und übervorsichtige Haltung der Regierung hat
viele Bürger verunsichert. Später, im Kanzlerduell, machte die Bundeskanzlerin
jedoch deutlich, dass sie nichts halte vom unüberlegten Vorpreschen.
Der Arabische Frühling
Syrien
und Ägypten sind keine Wahlkampfthemen – wohl deshalb, weil man sich über alle
Lager hinweg, in allen EU-Staaten und Regierungen bis vor kurzem unklar war über
ein weiteres Handeln. Vom FOCUS zu den mutmaßlichen Giftgasangriffen in Syrien
befragt, verweist Bundeskanzlerin Merkel auf Russland und China, die eine Aufforderung
des UN-Sicherheitsrats an das Assad-Regime, den Kontrolleuren freien Zugang zu
gewährleisten, verhindert haben. „Wir werden aber weiterhin auf Aufklärung
drängen.“ – Beim Gipfel der G20-Nationen einige Wochen später hielt sie sich
zurück, unterzeichnete eine Erklärung zur Unterstützung des Vorgehens der USA
nicht. Am nächsten Tag schloss sich Deutschland dann doch noch an, mit einiger
Verzögerung. Man wolle einen einheitlichen europäischen Kurs fahren.
Der
Arabische Frühling gehört nicht in den Wahlkampf. Doch die Politik sollte sich
darüber klar werden, dass die Maßstäbe der europäischen Demokratie von
außerhalb gut beobachtet werden. Wer sich in einer grausamen Welt als
Verfechter der moralischen Werte sieht und angesichts politischer Umstürze im
Mittelmeerraum ins Schwanken kommt, riskiert seine Glaubwürdigkeit. Auch was
z.B. Wafenexporte angeht: Der Linke Jan van Aken prangert schon seit längerem
das Verkaufen von Waffen an Staaten mit zweifelhaftem Demokratiestatus an. Mit
ihrer Forderung „Waffenexporte verbieten!“ steht die LINKE jedoch ziemlich
alleine da.
Der Veggie-Day
Die
Grünen sorgten mit dem Veggie-Day für Schlagzeilen. An Freitagen soll es in
deutschen Kantinen nur noch vegetarische Gerichte geben – oder wie war das?
„Wir wollen, dass die Kantinen zeigen, dass ein fleischloser Tag pro Woche gut
möglich ist. Es soll ein Angebot zum Ausprobieren sein“, sagt
Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckhardt im Interview mit dem FOCUS.
„Wir schaffen Wahlfreiheit und wollen, dass die Leute wissen, was sie
tatsächlich auf dem Teller haben.“ Aus dieser Perspektive klingt das Vorhaben
dann doch etwas weniger erschreckend für Fleischgenießer. Dennoch dürfte der
Veggie-Day vor allem den freiheitsliebenden Liberalen von der FDP ein Dorn im
Auge sein. Sogar die Kanzlerin meldete sich in einem Interview zu Wort und
erläuterte ihre Ansicht zu der Debatte: „Auch viele CDU-Wähler interessieren
sich sehr für gesunde Ernährung, alternative Medizin oder Umweltthemen, aber
wir schreiben niemandem vor, was richtig und falsch ist und was er oder sie zu
tun hat.“ Ihre Partei wolle sich nicht einmischen in die Belange der Einzelnen.
Das
Schicksal Deutschlands wird vermutlich nicht in den Kantinen und Suppenküchen
entschieden, weshalb der Veggie-Day-Faktor beim Ausgang der Bundestagswahl auch
so gut wie keine Rolle spielen wird. Und doch werden wir uns in einigen Jahren
vielleicht schmunzelnd zurückerinnern an dieses kleine kulinarische Intermezzo.
PKW-Maut
Ebenso
verhält es sich mit der PKW-Maut: Ein Thema, das bis zum Ende der
Legislaturperiode keinen interessiert, kurz vor Schluss jedoch doch noch aus
dem Waffenschrank geholt wird. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU)
erhoffte sich wohl, einige Stimmen zu sichern, indem er (den Fakten nach völlig
ungerechtfertigt) ausländische Autofahrer auf deutschen Autobahnen zur Kasse
bitten will. Im Kanzlerduell machte Angela Merkel (auf vehementes Nachfragen
der Moderatoren) jedoch eine klare Ansage: „Mit mir wird es keine Pkw-Maut
geben.“ Die Kanzlerin hat keine Angst vor den Drohgebärden des bayerischen
CSU-Querulanten. FDP-Generalsekretär Patrick Döring hatte kurz zuvor die Idee
einer PKW-Maut als „bayerisches Wahlkampfgetöse“ bezeichnet – mehr ist sie auch
nicht.
Weitere (Nicht)Themen
Was
kam in diesem Wahlkampf zu kurz? Um Waffenexporte kümmern sich wie gesagt nur
die Linken. Was Integration und Migranten angeht sah sich die SPD lange Jahre
in einer gesicherten Position: Arbeiter – auch Gastarbeiter – wählen die SPD.
Deshalb lohnt es sich scheinbar nicht, in dieser Bevölkerungsgruppe gezielt
Wahlkampf zu machen – ein Fehler? Das Thema Integration und Zuwanderung bleibt wieder
einmal fest in der Hand der NPD, der es bekanntlich weniger um die in
Deutschland lebenden Menschen geht, sondern ausschließlich um die Müllers und
Mayers unter uns. Auch um die Rente kümmern sich die Rechten: Unter ihrer
Herrschaft soll es weniger Geld für Sinti und Roma geben und mehr für die sympathische
Großmutter von nebenan…
Es
wurde zwar über Arbeit gesprochen und über Soziales, über Kitas und
Altersarmut, aber Bildung als solche war selten im Blickpunkt. Wahrscheinlich
will sich niemand dafür rechtfertigen, dass überall Lehrer eingespart werden.
Die CDU spart Lehrer ein, die Grünen in Baden-Württemberg neuerdings auch,
obwohl sie sich früher – als sie noch in der Opposition waren – immer dagegen
gewehrt haben.
Markt der Koalitionen
Für
alle Beteiligten sind die Optionen für die kommende Regierung klar: Merkel will
weiter christlich-liberal regieren. Dazu bedarf es aber wohl zuerst einer
Wiederbelebung der FDP. Für die Bundeskanzlerin kommt ein Bündnis mit den
Grünen nicht infrage, versichert sie dem FOCUS. Sie gesteht ein, dass durch das
Thema Kernenergie „ein großes Streitthema unserer Gesellschaft ausgeräumt“
wurde, ansonsten sieht sie jedoch viele Unterschiede zwischen dem Programm der
CDU und denen der SPD und der Grünen. Von der Krisenpolitik der Grünen
(Schuldentilgungsfonds für alle Euro-Staaten) hält sie genauso wenig wie von
Vermögenssteuer, höheren Belastung der Einkommen oder Streichung des
Ehegattensplittings. An anderer Stelle hat sie schon oft behauptet, dass sie
sich durchaus gern an die Zeit der Großen Koalition zurückerinnert. Merkel hält
sich die Option offen, unter Schwarz-Gelb noch eine Amtszeit hinzulegen.
Steinbrück
hält unterdessen an Rot-Grün fest. Er will keine Große Koalition. Und auch mit
der Linken lehnt er jede mögliche Zusammenarbeit für einen Regierungswechsel ab
und hat die Partei u.a. im Kanzlerduell als „kommunistische Plattform“
bezeichnet. Die Linke würde aber wahrscheinlich über diese Beleidigung
hinwegsehen und trotzdem koalieren wollen. Vielleicht werden Ende September die
Karten nochmal gemischt. Vielleicht überlebt die FDP, vielleicht fordern die
Piraten einige Sitze im Bundestag? Vielleicht erstickt das Pflänzchen der AfD
schon im Keim? Wir wissen es nicht.
Letztlich
lässt sich nur sagen, dass es am 22. September durchaus noch spannend werden
kann. Wie seufzte schon der Volksmund: „Jeder hat sein Kreuz zu machen…“ – Und weil
ich jedem Demokraten die aktive Partizipation an dieser lebenserhaltenden
Maßnahme unseres nicht perfekten, aber immer noch im weltweiten Vergleich als am
tauglichsten erwiesenen Systems gönne, kommt an dieser Stelle meine
Aufforderung:
Liebe
Leserinnen und Leser, geht wählen!
(Fußnoten sind bei Interesse beim Autoren anzufordern.)