Zum Gedenken an die Reichspogromnacht vor 72 Jahren fand heute Abend eine Veranstaltung in der Frankfurter Paulskirche statt. Gedacht wurde der als "spontanen Volksgewalt" getarnten Pogrome der SS im Jahre 1938. Landesweit wurden Synagogen niedergebrannt, Heilige Schriften geschändet und tausende von jüdischen Geschäften geplündert. Bei den Ausschreitungen kamen auch 91 Menschen ums Leben. Dieses Ereignis bot den in Deutschland verbliebenen Juden damals ein deutliches Zeichen, dass es wohl doch schlimmer kommen würde als befürchtet.
Was für mich interessant ist, ist der Redner an diesem Gedenktag selbst: der wie es heißt "umstrittene" Publizist und Autor Alfred Grosser. Der Zentralrat der Juden hatte im Vorfeld schon gedroht, sollte Grosser gegen Israel oder den Zentralrat selbst wettern, würden die Mitglieder die Veranstaltung verlassen. Zu dem großen Eklat kam es nicht.
Ich hatte im Oktober die Ehre, einer Rede von Grosser an der Uni Tübingen beizuwohnen. Grosser, selbst deutschstämmiger Jude, ist eine höchsstinteressante Persönlichkeit. Ich teile mit ihm so gut wie keine Meinung. Aber ich bewundere ihn. Er vertritt nicht etwa eine bestimmte Strömung an Meinungen. Er hat sich seine Meinung zu jedem Thema selbst gebildet.
Grosser hielt Mitte Oktober 2010 die 9. Theodor Eschenburg Vorlesung an der Uni Tübingen zum Thema "Welche Last der Vergangenheit? Deutschland und Israel". Und da ich zu dieser Vorlesung damals keinen Blogeintrag gestaltet habe, will ich das nun nachholen und Euch einmal die Politik des A. Grosser vorstellen.
Als Franzose ging Grosser natürlich zuerst einmal auf die Deutsch-Französische Zusammenarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg ein und betont, dass schon die Französische Verfassung in ihrer Präambel vom Zweiten Weltkrieg als Krieg gegen ein "Regime", nicht gegen Völker oder Länder, spricht. Grosser distanziert sich betont von der "Kollektivschuld" ("Alle Deutschen waren Nazis") und erwähnt, dass es auch Deutsche gab, die geholfen haben und von denen niemand spricht.
Er spricht die "Auschwitzkeule" an - das Totschlagargument Auschwitz. Mit der Schuldfrage geht er liberaler um als die meisten Deutschen es heute tun.
Elie Wiesel werde in Deutschland zu Unrecht verehrt, behauptet Grosser.
Auch auf Sarrazin geht er ein. Er verurteilt dessen "Werk" und weist darauf hin, dass Sarrazin geschickt Quellen verfälscht hätte - eine Sache, auf die man selten eingegangen ist, als die großen Diskussionen um Integration und Islam tobten. Grosser hält nichts vom Trend der Deutschen: "Ein bisschen Wahrheit steckt ja schon drin..." usw. hält er für schwachsinnig.
Schlagwort zur Integration:
"Frei machen ohne zu entwurzeln."
Grosser befürwortet den Ethikunterricht als Pflichtveranstaltung. So würde das muslimische Mädchen außerhalnb ihrer Familienstrukturen erkennen, dass man nicht unbedingt ein Kopftuch tragen müsse. Das gelte (in einer anderen Konstellation) natürlich auch für den katholischen Jungen aus Bayern.
Die Kirchen würden zu wenig sagen zu den verfolgten Christen weltweit, vor allem denen in der islamischen Welt.
Grossers Ansatzpunkt zur Israel-Politik und zu einigen anderen Themen lautet:
"Die Leiden der Anderen anerkennen."
Wie könne der palästinensische Junge den Schrecken der Selbstmordattentate verstehen, wenn man sein Leiden nicht anerkenne?
Grosser sieht die Gaza-Blockade als völkerrechtswidrig an.
Er sagt, es gäbe auf der Welt kein "Rückkehrrecht". Das gibt es für die vertriebenen/geflüchteten Palästinenser genauso wenig wie für die Juden (nach 2.000 Jahren!), so Grosser.
Der Schriftsteller spricht sich gegen eine Zwei-Staaten-Lösung aus. Er würde eine Ein-Staaten-Lösung anstreben, nach dem Modell Theodor Herzls. Denn schon der Begründer des Zionismus spricht in seinem Werk "Der Judenstaat" von einem friedlichen Miteinander. Hier geht er einen ziemlich einsamen Weg in unserer heutigen Zeit. Doch ich muss ehrlich sagen, dass das auch mein Lösungsansatz war, bevor ich ein Jahr in Israel verbracht habe.
Grosser weist deutlich auf das Unrecht hin, das den Palästinensern in Israel widerfahre. Doch er kritisiert auch die arabischen Staaten rund um Israel. Deutschland hätte nach dem Krieg die Vertriebenen (Sudentendeutsche, u.a.) erfolgreich in die Gesellschaft integriert. In den arabischen Staaten geschieht genau das Gegenteil. Palästinensische Flüchtlinge werden gezielt ausgegrenzt.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass Alfred Grosser dem Staat Israel das Existenzrecht abspricht, wenn dieses nur auf die jüdische Identität aufbaut. Grosser, der selbst Atheist ist, verurteilt außerdem jene atheistischen Israelis, die trotz des Abfalls von der jüdischen Religion auf die Bibel als Legitimation eines jüdischen Staates verweisen. Ich kritisiere vor allem die Ansicht, dass der Staat Israel als jüdischer Staat nicht nötig wäre. Ich stimme Grosser zu, wenn er auf dass Unrecht hinweist, das den Palästinensern geschieht. Doch er differenziert nicht genug zwischen den Ursachen für dieses Unrecht. Grossers Haltung gegenüber Lobbypolitikern wie den Mitgliedern des Zentralrats der Juden in Deutschland kommt klar rüber.
Vor allem in der nachfolgenden Diskussion kommen Anmerkungen und Fragen aus dem Publikum, bei denen in mir stellenweise die Wut aufkocht. "Warum tut keiner was, um Israel an seinen Verbrechen zu hindern?" So nach dem Motto: Wann stürzt sich die Welt endlich auf diesen kleinen, jüdischen Staat? Dann wären alle Probleme gelöst. Ich glaube, die Leute vergessen, dass sich unsere Presse auf jedes kleine Detail stürzt, mit dem der israelische Staat falsch umzugehen scheint. Und dass sich unsere Politiker doch schon an Free Gaza Aktionen auf bewaffneten Schiffen beteiligen. Und dass in Deutschland tausende Menschen auf offener Straße Israel den Tod wünschen dürfen, wenn die Demonstration nur angemeldet ist. Und dass Bundesaußenminister Westerwelle bei jedem Besuch in Israel seine Kritik an den Siedlungen im Westjordanland rauslässt? Zum Kuckuck, ist das denn nicht genug?! Was erwarten die Menschen? Dass wir Israel höchstpersönlich ausradieren?
Jetzt bin ich ein wenig vom Thema abgekommen. Ob dieser Artikel seiner Überschrift gerecht wird, weiß ich nicht. Doch ich wollte einmal auf Herrn Grosser eingehen, denn ich denke den wenigsten Menschen in Deutschland sagt dieser Name wirklich etwas. Wie gesagt, obwohl ich ihm nicht oft zustimme, bewundere ihn auf eine gewisse Weise. Denn er hat seine eigene Meinung - was man heute von den wenigsten Menschen behaupten kann.
Was für mich interessant ist, ist der Redner an diesem Gedenktag selbst: der wie es heißt "umstrittene" Publizist und Autor Alfred Grosser. Der Zentralrat der Juden hatte im Vorfeld schon gedroht, sollte Grosser gegen Israel oder den Zentralrat selbst wettern, würden die Mitglieder die Veranstaltung verlassen. Zu dem großen Eklat kam es nicht.
Ich hatte im Oktober die Ehre, einer Rede von Grosser an der Uni Tübingen beizuwohnen. Grosser, selbst deutschstämmiger Jude, ist eine höchsstinteressante Persönlichkeit. Ich teile mit ihm so gut wie keine Meinung. Aber ich bewundere ihn. Er vertritt nicht etwa eine bestimmte Strömung an Meinungen. Er hat sich seine Meinung zu jedem Thema selbst gebildet.
Grosser hielt Mitte Oktober 2010 die 9. Theodor Eschenburg Vorlesung an der Uni Tübingen zum Thema "Welche Last der Vergangenheit? Deutschland und Israel". Und da ich zu dieser Vorlesung damals keinen Blogeintrag gestaltet habe, will ich das nun nachholen und Euch einmal die Politik des A. Grosser vorstellen.
Als Franzose ging Grosser natürlich zuerst einmal auf die Deutsch-Französische Zusammenarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg ein und betont, dass schon die Französische Verfassung in ihrer Präambel vom Zweiten Weltkrieg als Krieg gegen ein "Regime", nicht gegen Völker oder Länder, spricht. Grosser distanziert sich betont von der "Kollektivschuld" ("Alle Deutschen waren Nazis") und erwähnt, dass es auch Deutsche gab, die geholfen haben und von denen niemand spricht.
Er spricht die "Auschwitzkeule" an - das Totschlagargument Auschwitz. Mit der Schuldfrage geht er liberaler um als die meisten Deutschen es heute tun.
Elie Wiesel werde in Deutschland zu Unrecht verehrt, behauptet Grosser.
Auch auf Sarrazin geht er ein. Er verurteilt dessen "Werk" und weist darauf hin, dass Sarrazin geschickt Quellen verfälscht hätte - eine Sache, auf die man selten eingegangen ist, als die großen Diskussionen um Integration und Islam tobten. Grosser hält nichts vom Trend der Deutschen: "Ein bisschen Wahrheit steckt ja schon drin..." usw. hält er für schwachsinnig.
Schlagwort zur Integration:
"Frei machen ohne zu entwurzeln."
Grosser befürwortet den Ethikunterricht als Pflichtveranstaltung. So würde das muslimische Mädchen außerhalnb ihrer Familienstrukturen erkennen, dass man nicht unbedingt ein Kopftuch tragen müsse. Das gelte (in einer anderen Konstellation) natürlich auch für den katholischen Jungen aus Bayern.
Die Kirchen würden zu wenig sagen zu den verfolgten Christen weltweit, vor allem denen in der islamischen Welt.
Grossers Ansatzpunkt zur Israel-Politik und zu einigen anderen Themen lautet:
"Die Leiden der Anderen anerkennen."
Wie könne der palästinensische Junge den Schrecken der Selbstmordattentate verstehen, wenn man sein Leiden nicht anerkenne?
Grosser sieht die Gaza-Blockade als völkerrechtswidrig an.
Er sagt, es gäbe auf der Welt kein "Rückkehrrecht". Das gibt es für die vertriebenen/geflüchteten Palästinenser genauso wenig wie für die Juden (nach 2.000 Jahren!), so Grosser.
Der Schriftsteller spricht sich gegen eine Zwei-Staaten-Lösung aus. Er würde eine Ein-Staaten-Lösung anstreben, nach dem Modell Theodor Herzls. Denn schon der Begründer des Zionismus spricht in seinem Werk "Der Judenstaat" von einem friedlichen Miteinander. Hier geht er einen ziemlich einsamen Weg in unserer heutigen Zeit. Doch ich muss ehrlich sagen, dass das auch mein Lösungsansatz war, bevor ich ein Jahr in Israel verbracht habe.
Grosser weist deutlich auf das Unrecht hin, das den Palästinensern in Israel widerfahre. Doch er kritisiert auch die arabischen Staaten rund um Israel. Deutschland hätte nach dem Krieg die Vertriebenen (Sudentendeutsche, u.a.) erfolgreich in die Gesellschaft integriert. In den arabischen Staaten geschieht genau das Gegenteil. Palästinensische Flüchtlinge werden gezielt ausgegrenzt.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass Alfred Grosser dem Staat Israel das Existenzrecht abspricht, wenn dieses nur auf die jüdische Identität aufbaut. Grosser, der selbst Atheist ist, verurteilt außerdem jene atheistischen Israelis, die trotz des Abfalls von der jüdischen Religion auf die Bibel als Legitimation eines jüdischen Staates verweisen. Ich kritisiere vor allem die Ansicht, dass der Staat Israel als jüdischer Staat nicht nötig wäre. Ich stimme Grosser zu, wenn er auf dass Unrecht hinweist, das den Palästinensern geschieht. Doch er differenziert nicht genug zwischen den Ursachen für dieses Unrecht. Grossers Haltung gegenüber Lobbypolitikern wie den Mitgliedern des Zentralrats der Juden in Deutschland kommt klar rüber.
Vor allem in der nachfolgenden Diskussion kommen Anmerkungen und Fragen aus dem Publikum, bei denen in mir stellenweise die Wut aufkocht. "Warum tut keiner was, um Israel an seinen Verbrechen zu hindern?" So nach dem Motto: Wann stürzt sich die Welt endlich auf diesen kleinen, jüdischen Staat? Dann wären alle Probleme gelöst. Ich glaube, die Leute vergessen, dass sich unsere Presse auf jedes kleine Detail stürzt, mit dem der israelische Staat falsch umzugehen scheint. Und dass sich unsere Politiker doch schon an Free Gaza Aktionen auf bewaffneten Schiffen beteiligen. Und dass in Deutschland tausende Menschen auf offener Straße Israel den Tod wünschen dürfen, wenn die Demonstration nur angemeldet ist. Und dass Bundesaußenminister Westerwelle bei jedem Besuch in Israel seine Kritik an den Siedlungen im Westjordanland rauslässt? Zum Kuckuck, ist das denn nicht genug?! Was erwarten die Menschen? Dass wir Israel höchstpersönlich ausradieren?
Jetzt bin ich ein wenig vom Thema abgekommen. Ob dieser Artikel seiner Überschrift gerecht wird, weiß ich nicht. Doch ich wollte einmal auf Herrn Grosser eingehen, denn ich denke den wenigsten Menschen in Deutschland sagt dieser Name wirklich etwas. Wie gesagt, obwohl ich ihm nicht oft zustimme, bewundere ihn auf eine gewisse Weise. Denn er hat seine eigene Meinung - was man heute von den wenigsten Menschen behaupten kann.
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