Mittwoch, 10. November 2010

16. Islamwoche in Stuttgart

Letzte Woche war die 16. Islamwoche an der Universität Stuttgart. Sehr interessant, doch leider konnte ich nur die abendlichen Vorträge an drei von fünf Tagen besuchen. Aber über diese drei Veranstaltungen möchte ich jeweils einen kurzen Kommentar abgeben.

Im Vorfeld sei gesagt, dass die Islamwoche eine interessante Veranstaltung war, die vielen Menschen den Horizont erweitert hat. Dem Islam, wie er hier und heute gelebt wird, wurde ein Forum gegeben. Das Motto: "Ein Gott. Eine Welt." Die Islamwoche war nicht zuletzt dafür gedacht, Vorurteile abzubauen und eine Sichtweise aus muslimischer Sicht vorzustellen. Hierzu waren viele Referenten eingeladen, die selbst zumeist deutsche Muslime waren. Im Grunde hat das Event voll und ganz seinen Sinn und Zweck erfüllt. Doch es bleibt immer noch ein wenig Interpretationsspielraum.

Jeder Vortrag begann mit einem Vorprogramm, wo zumeist eine Hilfsorganisation vorgestellt wurde. "Muslime helfen e.V." wurde vorgestellt, ebenso wie "Wüstenkind e.V." und andere.
Der nächste zentrale Punkt war die Koranrezitation. Ein Koranvers wurde von einem "Bruder" auf Arabisch vorgelesen.
Dann folgte der Vortrag. Am ersten Tag (Montag, 1. November) redete Fatima Grimm, eine ältere Konvertitin aus Hamburg, über das Thema "Menschenwürde - Frauenwürde". Sie beschrieb im Großen und Ganzen einige Beispiele, wie muslimische Frauen heute in Deutschland leben. Dabei brachte sie das Beispiel einer jungen Frau, die ("bemerkenserterweise schon") Sara hieß und nach langjährigen Emailkontakten mit einem Algerier zum Islam konvertierte. Diese Frau reiste schließlich nach Algerien. Als sie zurückkam, war sie tief verschleiert. "Wir sagten: Wie kannst Du so etwas machen, Du wirst Deinen Job verlieren usw.", berichtet Grimm. Doch ("wie Allah es wollte") fand diese Frau einen neuen Job (als Übersetzerin muslimischer Kinerbücher) und konnte doch ihre Verschleierung beibehalten. "Gepriesen sei Allah". Ein weiteres Beispiel beschreibt einen jungen Bosnier, dessen Vater ihn gerne in der Wirtschaftsbranche gesehen hätte. Doch als der Junge älter wurde, entschied er sich anders, wurde gläubiger Muslim und ging nach Bosnien. Dort heiratete er ein Mädchen, das kurz vor dem Abitur stand. Fatima Grimm erzählt all dies, als wäre es selbstverständlich das Paradies auf Erden, wenn man so früh wie möglich heiratet, solange man doch nur religiös sei. Eine legitimierte Ansicht vielleicht, aber dennoch für den Außenstehenden etwas irritierend.
Und so ging es weiter. Im Grunde beschrieb Grimm nur, wie mislimische Frauen ihren Glauben trotz Hindernissen leben können. Um "Frauenwürde" geht es nur in dem Punkt, dass das Kopftuch für Frauen würdiger sei, als alles von sich zu zeigen und die Männer draufstarren zu lassen. Damit kann sie unter Umständen Recht haben; das will ich gar nicht bestreiten. Doch als Fazit zu diesem ersten Vortrag:
Unter dem Titel "Menschenwürde - Frauenwürde" stellt sich der Besucher einer Veranstaltung, die den Dialog und Abbau von Vorurteilen zum Ziel hat, etwas mehr Vielfalt vor. Um Vorurteile zu bekämpfen, muss man wenigstens auf sie eingehen.
Der Vortrag endet passend zur Gebetszeit. Frauen verschwinden in einem extra dafür gekennzeichneten Raum, die Männer stellen sich im Foyer in drei Reihen auf und verrichten ihr Gebet.

Der zweite (von mir besuchte) Vortrag: Der katholische Uni-Professor Karl Josef Kuschel aus Tübingen spricht über das Thema "Für ein Miteinander von Juden, Christen und Muslimen: Lessings Vision als Herausforderung heute".
Und dieser Vortrag hat mir schon etwas besser gefallen. Es ging um das Werk "Nathan der Weise", das von Gothold Ephraim Lessing vor 230 Jahren geschrieben wurde. Kuschel setzt sich seit 20 Jahren für den Dialog (oder besser: Trialog) der drei Weltreligionen ein. Der gesamte Vortrag war extrem komplex, doch in sich total schlüssig und logisch. Hier nur einige Stichworte:
Das Stück "Nathan der Weise" ist das einzige Drama der deutschen Literatur, das alle drei Religionen zum Thema hat.
Das Drama hat ein gutes Ende, ganz gegen den Trend der damaligen Zeit. Lessing wollte weder Opfertod noch Märtyrertum in seinem Stück. Er lässt es gut ausgehen.
"Nathan der Weise" sei ein Toleranzstück, wird oft behauptet. Kuschel sagt: "Nein, es ist noch viel mehr als das." Toleranz bedeute Duldung. Und Duldung ist eine Beleidigung, so Kuschel. Lessing fordert Akzeptanz.
Auch die Tatsache, dass in seinem Buch ein Jude im Mittelpunkt steht, hat für Lessing eine Bedeutung. "Tugend da suchen, wo man keine vermutet", beschreibt Kuschel diese Vorgehensweise. Auch der weise Muslimherrscher Saladin wird diesem Zweck gerecht. Die Ansichten in der Zeit Lessings waren geprägt von Vorurteilen gegen Juden und "Muselmänner", denen er entgegenwirken wollte.
Lessing hat den Koran gelesen. Einen seiner Ansatzpunkte hat er aus der Koransure 5,48: "Wetteifert im Guten!" Es wird eine "echte Liebe zwischend en Religionen" gefordert. Lessing betrachtet die Religionen nicht isoliert, sondern blickt hinter die Kulissen, leuchtet die Hintergründe seiner Charaktere aus und zeigt, dass alles miteinander vernetzt ist.
Das wichtigste Element bei "Nathan der Weise" ist die sogenannte Ringparabel. Diese will ich hier einmal kurz vorstellen (für alle, die das Buch nicht bzw. mit mangelnder Aufmerksamkeit gelesen haben):
Ein Vater hat drei Söhne und einen Ring. Er liebt alle drei Söhne gleich und will den Ring deshalb an alle drei vererben. Er lässt von einem Goldschmied zwei andere Ringe machen, die dem echten so ähnlich sehen, dass nur der Vater weiß, welcher der echte Ring ist. Am Ende bekommt jeder Sohn einen Ring und denkt, er hätte den richtigen. Schließlich ziehen die Söhne vor einen Richter und wollen jeweils die Bestätigung, dass ihr Ring der echte sei. Der Richter kann/will nicht urteilen und sagt, das müsse ein anderer Richter zu einer späteren Zeit bestimmen. Der Richter fordert die Söhne gleichermaßen heraus. Er will, dass jeder seiner Sache im Guten nacheifre. Dieses Motiv kommt aus dem Koran. Die Wahrheit kann nur bewahrheitet werden durch das Wetteifern der Liebe. Jeder der Söhne solle also nicht um sein Recht kämpfen, sondern einfach annehmen, dass sein Ring der echte sei.
Eine interessante Ansicht. Ich muss zugeben, dass ich das Buch "Nathan der Weise" damals in der Schulzeit nicht wirklich mit Interesse gelesen habe. Doch wer bei diesem Buch hinter die Kulissen schaut, der entdeckt eine Sichtweise, die den meisten Menschen unbekannt ist. Doch es lohnt sich auf jeden Fall, über diese Sichtweise nachzudenken.
Das Problem ist nur: Bei der Ringparabel wird der Vater nicht wirklich nach seiner Ansicht gefragt. Lessing setzt praktisch voraus, dass Gott alle drei Religionen gleichberechtigt hat. Der Koran versteht sich jedoch als einzige und endgültige Offenbarung Gottes an den Menschen. Und noch weiter gehen (zumeist evangelikale) Christen: Hier wird der muslimische Gott erst gar nicht als derselbe Gott wie der der Juden und Christen anerkannt. Nach Lessing haben aber alle drei Religionen den gleichen Gott.

Der dritte von mir besuchte Vortrag war der letzte der diesjährigen Islamwoche. Es war der gewichtigste und umfassendste. Es ging um das zentrale Thema bzw. um eine der zentralen Fragen in der Religion: "Liebt Gott den Menschen?" Den Vortrag über Gottesliebe im Islam hielt der Konvertit Gerhard Abdulqadir Schabel.
Auch hier will ich aus Platzgründen nur die wichtigsten Thesen ansprechen.
Die simple Frage, ob auch der islamische Gott den Menschen liebe, wird mit "ja" beantwortet. Gott hat den Menschen die Verantwortung über die Schöpfung gegeben. Das hat mit Vertrauen zu tun, und wen man liebt, dem vertraut man auch.
Gott hat uns mit göttlichen Eigenschaften ausgestattet sowie mit Eugenschaften, die uns ein Leben im Diesseits ermöglichen, so Schabel. Er hat uns auch mit dem freien Willen ausgestattet, also: Wer zu Gott will, kann selbst entscheiden, ob er Gutes oder Böses tut.
Frage: Haben wir Gottes Liebe entgegnet? Nehmen wir unseren Job als Behüter der Erde wahr?
Für Muslime ist das Leben eine Prüfung Gottes. Und hier haben sie es im Gegensatz zu den Christen einfacher: Der Koran verlangt, dass Muslime gegen alle Menschen "gerecht" werden. Christen würden jedoch von sich selbst verlangen, immer und andauernd Liebe zu üben. Das sei insofern schwierig (wenn nicht sogar unmöglich), da Liebe eine göttliche Eigenschaft sei. Es ist eher möglich, seinem Umfeld (auch den Menschen die man liebt) mit Gerechtigkeit zu begegnen.
Für Muslime gilt: Niemand ist befreit von der Prüfung Gottes, nur weil er sagt "Ich glaube!" ("Ich bin Muslim!") Diese Prüfung kann sowohl Angst, Not und Hunger sein, als auch bei Reichen die Bereitschaft zur Nächstenliebe.
Der Koran hat dem Muslim Regeln gegeben, an die er sich halten soll. Doch Gott liebt den Menschen für sein freiwilliges Tun, so Schabel.
Der Vortrag war sehr interessant. Er vermittelte eine andere Sichtweise auf das Gottesbild des Islam und auf den Islam selbst, als das, das uns von den Medien gemacht wird. In der anschließenden Diskussionsrunde fiel auch die Frage eines Muslims, wie man "mit Politikern wie Sarrazin oder Seehofer umgehen" solle. Zum Erstaunen vieler verteufelt Schabel niemanden, sondern er fordert die Muslime auf, sich vielmehr selbst an der eigenen Nase zu packen. Denn nicht jeder, der sich in Deutschland Muslim nennt, sei auch ein solcher. "Es gibt Muslime, die ihre Religion selbst in Verruf bringen". Auf sowas würden die Politiker reagieren.
Interessant auch: Der Islam will an vielen Stellen eher die Eintracht, wo wir sie als Außenstehende nicht vermuten. So steht im Koran angeblich am Ende einer jeden Anweisung für ein Urteil, dass in jedem Fall das "Verzeihen" der bessere Weg zu Gott wäre.

Ein Fazit:
Eine interessante Woche mit vielen Informationen und Sichtweisen. Auf jeden Fall eine Horizonterweiterung.

Kritik:
Natürlich ist alles eine Sache der Interpretation. Für außenstehene Personen war vor allem der erste Vortragstag etwas verwirrend, wenn nicht sogra abeschreckend. Betende Muslime im Foyer, Koranrezitationen. Es glich wahrhaft eher einer Missionsveranstaltung. Die meisten Besucher der Vorträge waren Studentinnen mit Kopftuch. An Info-Material gab es vor allem Bücher und Broschüren, die auf die Stellung Jesu im Koran eingingen. Die vorgestellten Hilfsorganisationen arbeiten vor allem in muslimischen Ländern und helfen auch in erster Linie Muslimen (z.B. in Gaza). Es schien alles eher eine innermuslimische Angelegenheit und Propagandaveranstaltung zu sein. Jedoch alles im Rahmen des Legalen. Es ist ja schließlich nicht verboten, Werbung für seine Religion zu machen. Nur ein wenig hat es mich gewurmt, als in den Pausen und vor Beginn der Vorträge einige muslimische Lieder kamen, - es waren ziemlich genau immer drei gleiche -, die teilweise zweifelhaften Inhalt hatten. Eines dieser Lieder erzählte davon, wie Muslime in "ihren Ländern für den Islam" sterben, wie sie verfolgt werden. In diesem Lied kommen folgende Textzeilen vor (auf Englisch): "So leben wir unser Leben in Stille/und geben vor, nicht zu hören/die Stimmen unseres Volkes nicht zu hören./Der Schrei ist so klar./Warum stehen wir nur dabei und schauen zu/wenn unsere Brüder "Dschihad" rufen?/Wir sind verbunden durch unsere Überzeugung,/wir glauben an Allah!" Der Refrain fragt: "Hast du gehört von Kosovo gehört, von Afghanistan?" und zählt einige weitere Länder auf. Das Ende des Refrains lautet: "Weißt Du, dass all diese Menschen für den Islam sterben?" Ich weiß nicht ob dieses Lied es wert ist, dass man so ausführlich darauf eingeht. Doch es war irgendwie charakteristisch.
Kritik jedoch auch an einem anderen Punkt: Angeblich hat die MSU (Muslimische Studentenunion) zur Islamwoche unzählige Einladungen - auch an offizielle Stellen - verschickt. Niemand ist gekommen. Da muss man sich fragen: Ist es so verwunderlich, dass die ersten Vorträge eher einer rein muslimischen Angelegenheit glichen, wenn es von deutscher/christlicher Seite niemand nötig hat, sich blicken zu lassen? Dialog ist wichtig und in unserer heutigen Zeit unerlässlich.

Zum Stichwort Dialog.
Ich habe einmal an der Uni ein Seminar besucht, wo es um Dialog ging, allerdings im christlich-jüdischen Sinne. Und ein Fazit ist mir ganz interessant erschienen:
Dialog heißt, dass ich mich mit dem anderen auseinandersetze, mit ihm ins Gespräch komme. Dialog heißt aber nicht, dass ich mich auf irgendetwas einigen muss. Jeder Teilnehmer am Dialog hat das Recht zu sagen: "Okay, ich hab deine Position gehört, ich hab dir meine Position erklärt. Wir haben miteinander geredet, wir haben miteinander Kaffee getrunken. Aber das war's dann auch." Wo steht geschrieben, dass man beim Dialog auf eine "Einigung" oder auf irgendeine Lösung kommen muss? Doch ich glaube das ist es, was die meisten Menschen vom Dialog abhält - die Angst, sich mit dem anderen auf irgendeinen Punkt einigen zu müssen.
Soviel nur dazu. Dialog ist wichtig - auch mit den Muslimen in Deutschland.

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