Montag, 16. Februar 2015

Rosenmontag in Köln & Bonn

Karneval ist für viele Menschen Sinnbild eines Schreckensszenarios: Zerbrochene Bierflaschen soweit das Auge blicken kann, Erbrochenes und Konfetti, vollgepinkelte Hauseingänge. In der Zeit zwischen Donnerstag (Weiberfasnacht) und Aschermittwoch drehen die Menschen im Rheinland durch, wahrscheinlich mehr als irgendwo sonst in Deutschland. Es herrscht der vollkommene Ausnahmezustand. Sogar Rewe macht am Donnerstag früher zu, Friseure und Antiquariate haben an Weiberfasnacht generell geschlossen. Alles in allem hält der jahrhundertealte Brauch des Feierns vor der vierzigtägigen Fastenzeit die Rheinländer mehr auf Trab als Weihnachten.


Was andernorts in der Bundesrepublik Fasching heißt, trägt in Köln den Namen „Fastelovend“. Der Rosenmontag ist traditionell Höhepunkt des Karnevals und bietet mit seinem Rosenmontagszug ein unvergleichliches Spektakel: Die Strecke des Umzugs ist knapp sieben Kilometer lang, die Straße wird gesäumt von knapp einer Million Menschen – unter die ich mich dieses Jahr gemischt habe. Beim Kölner Karneval sind so gut wie alle Zuschauer verkleidet, von der kitschigen Plastik-Blumenkette (oftmals Überbleibsel aus Zeiten der Fußballweltmeisterschaft) über Bären- und Bienenkostüme oder Minions bis hin zu wirklich ausgefuchsten oder ungewöhnlichen Verkleidungen wie Barockgestalten oder britische Gardesoldaten. Alle stehen am Rand und fangen Süßigkeiten („Kamelle“) auf. Je nach Alkoholpegel werden die Schreie nach Süßem lauter und das wilde Gestikulieren mit den Armen stärker. Und vonseiten der Karnevalisten wird scharf geschossen: Während der gewöhnliche Bonbon quasi durch die Luft segelt, kann man hier und da immer wieder förmlich hören, wie Schokoladentafeln einer unbehelmten Zuschauerin oder einem unachtsamen japanischen Touristen gegen den Kopf knallen. Die Freude hierüber ist jedoch unermesslich und man bedauert bloß, nicht von einer der äußerst raren Schachteln voller Schnapspralinen getroffen worden zu sein. (Insgesamt wurden heute 300 Tonnen Kamelle in Köln unters Volk gebracht.)


Während die Karnevalsvereine vorbeiziehen gibt es Musik – mal von einem der marschierenden Orchester, mal aus dem Lautsprecher. Jeder neue Verein wird mit „Kölle alaaf“ begrüßt. Der Einheizer von der Galeria-Kaufhof-Bühne etabliert auch schon gleich zu Beginn den Slogan „Galeria Kaufhof alaaf!“ – das gehört hier wohl einfach dazu. Funkenmariechen, rot und blau Uniformierte mit Blasinstrumenten, Tanzgruppen und bonbonschleudernde Rentner auf festlich geschmückten oder politisch ausgerichteten Festwagen ziehen vorbei. Der 1. FC Köln ist präsent und auch Charlie Hebdo wird indirekt thematisiert: Der allererste Wagen zeigt einen Karnevalisten, der einen Bleistift („Narrenfreiheit“) gießt.


Eine belgische Besucherin erzählt mir, dass sie von der Organisation und Ordnung erstaunt sei, die hier an den Tag gelegt wird. In Belgien, wo es kleinere Umzüge gebe, breche jedes Jahr Chaos aus. Nicht hier in Köln. Am Rande des Umzuges versorgen die Sanitäter zwar den einen oder anderen Fall von Selbstüberschätzung was Alkohol angeht, aber die Menge braucht in vielen Straßen nicht einmal Absperrungen, um dem Zug freies Geleit zu geben. Unmittelbar unter dem Dom und vor dem Hauptbahnhof ist jedoch jeder Stehplatz vergeben und die Menschen drängen sich hinter den Absperrgittern.


In der ganzen Stadt ist es schwer voranzukommen, und der Weg zurück zum Bahnhof wird noch immer einige Male von der Route des Umzugs gekreuzt, weshalb sich die U-Bahn als Rückzugsmittel anbietet. Am frühen Nachmittag sind auch viele verkleidete Leute schon auf dem Heimweg oder auf dem Sprung zur nächsten Location. Ich fahre zurück nach Bonn und denke irgendwie, dass auch dort das Gröbste schon gelaufen sein wird. Schließlich begann der Kölner Umzug um 10.11 Uhr vormittags. Dieser Rückschluss erweist sich jedoch als falsch. Meine geliebte Bonner Altstadt ist wortwörtlich der Mittelpunkt des hiesigen Geschehens, der Karnevalszug – der in Bonn erst um 12.11 Uhr begonnen hat – zieht sogar direkt vor meiner Haustür vorbei.


Auf den umliegenden Straßen gibt es kein Durchkommen. Tausende Menschen in Feierlaune, Feuerwehr, Eltern mit kleinen Kindern, gleichermaßen kostümiert wie betrunkene Nachbarn und Nachbarinnen. Es grenzt geradezu an Kulturschock. Und trotzdem, die Altstadt von Bonn (die eigentlich gar nicht die wirkliche Altstadt ist) als Wohnort gewählt zu haben beschert mir zum ersten Mal einen Logenplatz am Küchenfenster.


Man will gar nicht daran denken, was da bis morgen früh an Müllbergen und (zumeist reparablen) Schäden zurückbleiben wird, aber momentan empfinde ich noch so etwas wie Begeisterung. Fasching war nie mein Fall, aber Kultur ist eben nicht nur nüchtern und leise. Gesellschaftliche Rituale erfüllen alle einen Zweck und der Karneval erfüllt so auch seinen: Obwohl man im 21. Jahrhundert eigentlich jeden Tag die persönliche Freiheit ausschöpfen kann, so bietet der Karneval zusätzlich noch die Möglichkeit närrisch zu sein. Ordnung regiert den Alltag das ganze Jahr über. Und selbst wenn die VIP-Bühnen manchmal mehr Kamelle abzubekommen scheinen, so hebt Närrischkeit trotzdem ein stückweit die gesellschaftliche Grenzen auf.

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