Ab und zu
beobachte ich die Medien. Dabei mache ich das volle Programm durch: Ich glaube
alles, was man mir sagt. Ich bezweifle auch alles, was ich nicht hören will.
Ich schimpfe lautstark oder protestiere gegen das, was ich an Dummheit in den
Ansichten Anderer identifizieren zu können glaube. Und wenn extreme Meinungen
aufeinander prallen und sich benachteiligt fühlen, werde ich irgendwie sauer.
Irgendwie wissen immer zwei gegensätzliche Gruppen genau, wie der Hase läuft
und niemand bemerkt, wo er im Pfeffer liegt.
Jedenfalls,
das Thema „Russland und die Ukraine“ steckt voller Irrtümer. Der erste Irrtum
beherrscht die Meinung aufseiten vieler eher links eingestellter Menschen: „Europa
und die NATO betreiben Kriegshetze und wollen den Krieg!“, heißt es da. Ein
Irrtum? Ja, denn einmarschiert auf die Krim sind die Russen. Putin hat sogar
zugegeben, dass russische Soldaten hinter ihren Landsleuten auf der Krim
standen, als diese die Kontrolle an sich nahmen. Und was sich jetzt in der Ostukraine
abspielt, ist zu einem großen Teil dem Einfluss des übermächtigen Nachbarlandes
zu verdanken. Niemand zweifelt mehr ernsthaft daran, dass Russland seine Schäfchen
auf der grünen ostukrainischen Weide in jeder Hinsicht unterstützt. Doch in den
Augen vieler vor allem linker Friedensaktivisten ist es die EU, die einen Krieg
auf jeden Fall provozieren will. Vielleicht wurzelt diese Überzeugung noch aus
dem Glauben an den sozialistischen Grundsatz der Friedenspolitik: Der „Osten“
wollte immer den Frieden und trug zum Frieden in der Welt bei, während der
amerikanisch-kapitalistische Imperialismus um sich griff. Bis heute, sagen sie.
Und da sind
wir schon beim zweiten Irrtum, der sich sowohl auf Seiten der linken Aktivisten
als auch in der westlichen Politik wiederfindet: Es wird angenommen, dass
Russland in irgendeiner Weise noch immer die Sowjetunion und den Sozialismus
verkörpert, sozusagen als Gegenpart zur westlichen Hemisphäre, als Gegenpol des
hiesigen Lebensstils. Dabei wird grob übersehen, dass Russland zwar noch immer
den Kontrahenten der USA zu stellen versucht, das System als solches jedoch
näher am rechten als am linken Rand steht. Putins Präsentation als starker
Bärenjäger und freier Oberkörper der Nation erinnert zwar an die einstigen
Führungspersönlichkeiten der Sowjetunion, doch Führer hat es schon immer in
jeder politischen Extremen gegeben. Und Putins Partei „Einiges Russland“ hat mitnichten
den Sozialismus auf dem Programm…
Wie man es
dreht und wendet, es wird viel übereinander geredet, gegeneinander und
aneinander vorbei. Die einen sehen mit offensichtlicher Bestürzung – und mit
innerlicher Genugtuung –, dass die klaren Grenzen von damals nun endlich wieder
Gestalt annehmen. Gut und Böse, klar definiert in West und Ost. Die anderen
sehen das System, in dem sie leben und von dem sie profitieren, und seine
Verbündeten als eigentliches Übel an und stellen sich (wie so oft) provokant
auf die Gegenseite. Und beide Seiten fühlen sich in den Medien
unterrepräsentiert – ein klares Zeichen dafür, dass sich beide als Advokaten
derjenigen sehen, die hier gern die Opferrolle einnehmen. Für die Linken wird
Putin zum Heiligen, für die Konservativen ist er der Gestalt des Teufels
ähnlich. Und Obama? Kriegstreiber oder guter Samariter? Ansichtssache. Die
Revolutionsregierung in Kiew – Demokraten oder Nationalisten? Man könnte endlos
darüber streiten, was Frau Timoschenko in Wirklichkeit damit gemeint hat als
sie sagte, sie wäre bereit, Herrn Putin mit einer Kalaschnikow in den Kopf
schießen. Ein Gleichnis – oder eine Kriegserklärung?
Das Fazit
der letzten Tage, Wochen und Monate fällt einigermaßen deprimierend aus:
Politische Lösungen in Form von Sanktionen sind nutzlos. Illegitime
Volksbefragungen führen zu Annexionen von ganzen Landesteilen. Sturköpfe auf
allen Seiten noch dazu. Man findet sie in Washington, Paris und Berlin, in
Moskau und in Peking, am Persischen Golf und auch in Brüssel. Und die Opfer?
Die sterben in Syrien, massakrieren sich gegenseitig in Slawjansk oder
ertrinken auf dem Weg in ein besseres, aber dennoch beschissenes Leben im
Mittelmeer.
Und das
alles genau hundert Jahre nach 1914.
In aller
Welt rennen Außenminister wie z.B. Dr. Frank-Walter Steinmeier von einem
Kongress zum nächsten, um sich mit Historikern über das Pulverfass Europa zu unterhalten,
das zu Beginn des 20. Jahrhunderts explodiert ist. Doch Menschen scheinen nichts
aus der Geschichte zu lernen – oder zu wenig.
Oder das
Falsche.
Es nimmt
kein Ende, bis alle Passagiere in den oberen Decks des gleichen Bootes, in dem
wir ja bekanntlich alle sitzen, gelangweilt und jene auf den unteren Decks
entweder ausgeschifft haben oder ertrunken sind.
Je mehr man
darüber nachdenkt, desto weniger Lust hat man, sich die Nachrichten anzuschauen.
Wer sich dieser Tage als hoffnungsvoller Pazifist outet, muss sehr naiv sein. Dann
lasst uns doch mal alle zusammen naiv sein. Ich bin dabei.
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