2013 war das Jahr der Enthüllungen. Im Juni geriet mit den Aufdeckungen des Guardian-Journalisten Glenn Greenwald eine Lawine ins Rollen: US-Geheimdienste würden mit Hilfe des Programmes PRISM die weltweite Internetkommunikation überwachen können, noch umfassender sei das britische Überwachungsprogramm Tempora, berichtete eine zunächst anonyme Quelle.
Diese anonyme Quelle trat am 9. Juni in Person von Edward Snowden, einem ehemaligen technischen Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA, in Hongkong vor die Öffentlichkeit. Für ihn begann eine Odyssee, die am Flughafen von Moskau mit einem Antrag auf politisches Asyl in Russland endete.
Doch das alles war erst der
Anfang: Stück für Stück kamen nun mehr Details über die Arbeit der NSA und
anderer Nachrichtendienste zum Vorschein. Jeden Tag würden von den
Geheimdiensten weltweit 5 Millionen Datensätze erfasst, hieß es. Mitten im
Wahlkampf erreichte die Welle auch Deutschland: Die Daten unzähliger Bürger
seien ausgespäht worden. Die USA würden also auch ihre eigenen Verbündeten
überwachen. Quälend lange dauerte es, bis von der deutschen Regierung ein klares
Statement zu vernehmen war. Die Affäre wurde schnell für beendet
erklärt. Eine deutliche Reaktion aus Berlin kam erst, nachdem die Meldung bekannt
geworden war, dass auch das Handy der Kanzlerin der Überwachung zum Opfer
gefallen sei. Die Regierung gab sich empört. Der amerikanische Botschafter
wurde einbestellt, der damalige Innenminister Friedrich reiste nach Washington
und kam mit nichtssagenden Ergebnissen zurück.
Eine politische Eiszeit
zwischen den USA und ihren europäischen Verbündeten ist dennoch nicht zu
erwarten. Auch deutsche Geheimdienste spähen politische Verbündete aus und
geben ihre Essays montagmorgens an Frau Merkel weiter. Heute wissen wir aber,
dass auch die Daten von deutschen Bürgern massiv ausgespäht, dass deutsche
Bürgerrechte verletzt wurden – und zwar von den Geheimdiensten der USA. Die
Zeit der Naivität ist vorbei. Wir wissen, dass jeder unserer Schritte im Netz
mitverfolgt werden kann. Natürlich, die wenigsten von uns haben sich jemals
etwas zu Schulden kommen lassen. Doch im Rahmen des Anti-Terror-Kriegs könnten
nebenbei auch Kaufgewohnheiten analysiert und wirtschaftlich wichtige Daten
abgeschöpft werden: Handy-Ortung klingt nach einer modernen Errungenschaft, die
sowohl vermisste Menschen als auch vermisste Mobiltelefone auffindet. Doch wenn
jeder Schritt eines Menschen zurückverfolgt werden kann, dann ist das auch ein deutlicher
Eingriff in die Privatsphäre. Nahezu jeder Mensch nutzt Smartphones, Google
oder Facebook und gibt dort seine Daten preis. Eigentlich war es
offensichtlich.
Eine interessante Tatsache am
Rande: Schaltet man die Ortungsdienste an seinem iPhone aus, dann kann man Siri
zwar nach Begriffen wie „Christentum“ oder „Buddhismus“ suchen lassen. Bei „Islam“
weigert sie sich aber (s. Video).
Wo wir auch schon beim „Kampf gegen den Terrorismus“ wären. In seiner Kolumne schrieb
Franz Josef Wagner: „Ich mag die
Überwachung, sie ist ein Schutz. Ich bin lieber überwacht als tot.“ Die Zeitung
mit den großen Buchstaben, in der diese Kolumne zu lesen war, hat nach eigenen
Angaben etwa 12,3 Millionen Leser. Die meisten von ihnen dürften nachempfinden,
dass es sich überwacht und gesteuert gut lebt, wo die Welt doch voll ist von
bösen Menschen, die nur darauf warten, sich auf dem nächsten Weihnachtsmarkt in
die Luft zu sprengen.
Die Überwachung dient
schließlich ausschließlich unserer Sicherheit… – Selbst wenn wir das akzeptieren
wollten, müssten wir uns einige Fragen stellen: Sind es wirklich die USA, die
wir für unsere Sicherheit zuständig wissen wollen? Sind die USA denn wirklich
an unserer Sicherheit interessiert?
Selbst wenn wir dies alles
positiv beantworten können, bleibt eine weitere Frage: Ist es gerechtfertigt,
dass die USA ihren „Kampf gegen den Terrorismus“ (oder das, was sie als solchen
ausgeben) von deutschem Boden aus führen?
Ein weiterer interessanter
Fakt: Das United States Africa Command
(kurz: AFRICOM) befindet sich in
Stuttgart. Von dort aus werden amerikanische Drohnenangriffe koordiniert. Im
Klartext heißt das: Ein/e Soldat/in in New Mexico sitzt am Computer und steuert
eine Kampfdrohne, die irgendwo in Somalia einen Terroristen tötet. Zielgenau,
unbarmherzig und vor allem sauber. Die Anweisungen und Vorschläge für die
jeweiligen Zielpersonen kommen aus Stuttgart, per Video-Chat sind die
verschiedenen Glieder der sogenannten kill
chain miteinander verbunden. Jedes fünfte Drohnenopfer ist Zivilist… – Sollte
dies die deutsche Öffentlichkeit alarmieren? Wahrscheinlich schon, denn andernfalls hätte der deutsche
Regierungsbeamte die Amerikaner nicht gebeten, die Einrichtung von AFRICOM so
unauffällig wie möglich zu gestalten. „Das würde nur Anlass zu Schlagzeilen in
der Presse geben und zu einer unnötigen öffentlichen Debatte führen.“ Und das
will man in Deutschland ja nicht, öffentliche Debatten. (Einen interessanten
Bericht lieferte der NDR: Video.)
Die USA sind unsere
Verbündeten und vielleicht auch unsere Freunde. Und doch bleibt Europa für die
meisten Amerikaner nur eine einzige, große und treue Militärbasis auf der
Durchreise in den Nahen Osten. Das Jahr 2013 wird in die Geschichte vielleicht als
ein Jahr des Umdenkens eingehen. Oder vielleicht auch nicht.
Asyl wollte man Edward Snowden
in Deutschland nicht geben. Die NSA-Affäre war wohl nicht skandalös genug für
einen solchen drastischen Schritt. Monate später ließ Putin seinen
oligarchischen Rivalen Chodorkowski frei, der sich schnurstracks auf den Weg
nach Berlin machte. Es war nur angemessen, ihn auf der Stelle herzlich zu
begrüßen…
Weitere Beiträge zum
NSA-Skandal und zur deutsch-amerikanischen Freundschaft:
Desillusionierung
(4. November 2013)
Stimmen
zur NSA-Affäre (aus dem FOCUS) (4. November 2013)
Gedanken
zu Europa (25. Oktober 2013)
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