(Presseschau)
In seiner aktuellen Ausgabe hat der FOCUS (44/2013,
S. 34f) einige unterschiedliche Stimmen zur NSA-Ausspähaffäre aufgefangen, die
von Empörung, Vertrauensbruch, aber auch von Naivität sprechen.
Viviane Reding, EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und
Bürgerschaft, spricht von einem Weckruf: „Muss
denn erst Frau Merkels Handy angezapft werden, damit sich führende Politiker in
Europa darüber klar werden, dass solche Datenskandale jeden Tag, jede Minute
geschehen können?“
Wolfgang Ischinger, ehemaliger deutscher Botschafter in den USA, prangert
jedoch die Blauäugigkeit der Europäer an. Schon während seiner Zeit in den USA
war ihm bewusst, dass Telefone von Geheimdiensten abgehört werden. Zur Schwere
der aktuellen Affäre sagt er dennoch: „Der
Vorgang ist eine enorme Belastung und der größte Stresstest für die
transatlantischen Beziehungen. Es ist ein großer Vertrauensbruch, und es wird
nicht ganz einfach sein, das in Ordnung zu bringen. Die US-Geheimdienste sind
offenbar außer Rand und Band geraten, haben Maß und Mitte verloren.“
Auch Jack
Janes geht auf das undurchsichtige Vorgehen der Geheimdienste ein und
meint: „Wenn der Präsident tatsächlich
von nichts wusste, dann frage ich mich, wer in Washington eigentlich die Hosen
anhat.“ Janes, der Präsident des American
Institute for Contemporary German Studies an der John Hopkins University in
Washington ist, bezeichnet die Aufdeckungen als ein „Schlag in die Magengrube“ der
Pro-Atlantiker.
Weniger naiv zeigt sich Charles Kupchan, ein ehemaliger Berater von Bill Clinton und
Mitglied des Council on Foreign Relations.
Er sagte dem FOCUS: „Dass Freunde auch
Freunde ausspionieren, ist gängiges Geschäft. Auch Frau Merkel betritt morgens
das Kanzleramt und bekommt erst einmal ein Geheimdienstbriefing vorgelegt, das
genau aus solchen Spionageaktivitäten in Großbritannien, Frankreich oder Polen
zusammengestellt wird.“
Der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Eberhard Sandschneider, schließt sich in dieser Hinsicht an: „Wenn sich jemand wundert über die
Abhöraktionen, dann wundert das wiederum mich.“ Er stellt in Hinblick auf
die Beziehung zwischen Deutschland und den USA fest: „Wir sollten die deutsch-amerikanischen Beziehungen nüchterner
betrachten und die USA als das sehen, was sie sind: ein Land mit eigenen
Interessen. Da bleiben auch strategische Partner manchmal auf der Strecke.“
Doch nicht nur die USA sind in der aktuellen
Diskussion zu beschuldigen. David
Hamilton, ehemaliger Europa-Experte im US-Außenministerium, gibt eine
Erklärung dafür, warum US-Spione nicht alle Erkenntnisse mit ihren deutschen
Kollegen teilen: „Die deutschen
Geheimdienste sind so sehr von Spionen anderer Länder infiltriert, dass sich
die USA nie sicher sein können, ob die ausgetauschten Informationen nicht gegen
sie verwendet werden.“ Dies sei aber keine Entschuldigung dafür, das Handy
der Kanzlerin anzuzapfen.
So wie Hamilton die deutschen Geheimdienste in
ein eher schlechtes Licht erscheinen lässt, so stellt auch Günter Blobel, deutsch-amerikanischer Medizinnobelpreisträger, der
deutschen Informationstechnologie ein Armutszeugnis aus. „Es ist nicht sehr vertrauenserweckend, dass die Merkel-Regierung nicht
in der Lage ist, Firewalls in ihre Kommunikationssysteme einzubauen.“
Verschiedene Stimmen, verschiedene
Erkenntnisse. Doch fest steht auf jeden Fall, was auch schon vorher nie
bezweifelt worden ist: Das Geschäft der Geheimdienste ist ein schmutziges. Und
davon sind sowohl die der USA als auch alle anderen betroffen. Um uns zu
schützen, brauchen wir neue Gesetze und Richtlinien aus Berlin und Brüssel,
deren Umsetzung irgendwie garantiert werden muss. „Nur wenn Bürger und Unternehmen fest darauf vertrauen, dass Regeln
eingehalten werden, wird in Europa ein echter digitaler Binnenmarkt entstehen“,
sagt Viviane Reding dazu.
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