Am 28. Oktober 2013 gab es in der ARD eine
ziemlich interessante Reportage zum Thema Antisemitismus in Deutschland heute.
Um mal so viel vorweg zu nehmen: Auch wenn die kurze Beschreibung in der
ARD-Mediathek anderes vermuten lässt, geht es nicht ausschließlich um
muslimische Judenfeindschaft in Berlin. Die Dokumentation ist meiner Meinung
nach nicht so voreingenommen, wie sie sich zunächst präsentiert. Denn vor allem
dann, wenn beim Thema Antisemitismus auch der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern
angesprochen wird, ist das Risiko von Missverständnissen groß. In der Reportage
geht es aber auch um viel bedeutendere Facetten: Judenhass in der bürgerlichen
Mitte, Vorurteile, Klischees und abgetrennte Schweinsköpfe.
(Zur Dokumentation geht' hier.)
Natürlich ist es nicht ganz einfach, das komplette Thema in seiner Gesamtheit durch 44 Minuten Film abzubilden. Deshalb bleibt die Dokumentation nicht ganz ohne Angriffspunkte. Dass sich die Unterscheidung von (legitimer) Israelkritik und modernem Antisemitismus auf einem äußerst schmalen Grat bewegt, ist bekannt. Deutlich wird dieser Sachverhalt, als die Macher auf den Boykott von in israelischen Siedlungen hergestellten Waren eingehen. „Boykott heute und gestern“ heißt es im Hinblick auf den Boykott jüdischer Waren zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft in den Dreißigerjahren. Trifft dieser Vergleich wirklich zu?
Andererseits wird deutlich, auf welche Erkenntnis
die Reportage beim Zuschauer abzielt: „Wenn für Juden, wenn für Israel andere
Maßstäbe gelten als für den Rest der Welt – das ist Antisemitismus.“ Und damit
liegen die Macher ganz richtig. Untermauert wird diese Feststellung durch
aktuelle Umfragen: Etwa 38,4% der Befragten in einer Umfrage des deutschen Innenministeriums
äußerten angesichts der Politik, die Israel macht, Verständnis dafür, dass man
etwas gegen Juden hat – obwohl das eine mit dem anderen nicht zwangsläufig
etwas zu tun hat. Sogar 40,5% der Befragten waren der Meinung, Israel behandle
die Palästinenser im Prinzip so wie die Nationalsozialisten damals die Juden –
eine These, über die man manchmal zu streiten versucht, die aber keiner wissenschaftlichen
Betrachtung standhält.
Natürlich, es gibt zwar weder eine
Italienkritik noch eine Islandkritik, aber Kritik an der Politik Israels ist
mit Recht sehr wohl erlaubt. Die Bevölkerung von Gaza, einer im Nahen Osten als
Hafen- und Handelsstadt seit Jahrtausenden mal mehr, mal weniger bedeutenden
Metropole, leidet enorm unter der Blockade durch das israelische Militär. Die Menschen
im Westjordanland brauchen wegen der Checkpoints ihrer israelischen Besatzer
doppelt oder dreimal so lang auf ihrem Weg zur Arbeit, in die Schule oder ins
Krankenhaus und Bauern verlieren ihre Felder an militärische Sperrgebiete und
marodierende Siedler. Und bei Luftangriffen auf Hamas-Führer werden teilweise
ganze Familien ausgelöscht. Das alles ist kein Geheimnis und lässt sich auch
mit dem Sicherheitsbedürfnis des territorial recht kleinen israelischen Staates
nicht begründen. Kritik, auch scharfe, ist erlaubt und muss erlaubt sein. Wenn
man aber legitime und begründete Kritik nicht
äußert mit der Begründung, man würde danach ja als Antisemit gelten, dann ist
man selbst schuld, wenn diese legitime Kritik nicht erhört wird.
Die ARD-Dokumentation über modernen
Antisemitismus in Deutschland spricht aber von genau denjenigen Menschen, die Israelkritik
als Vorwand nehmen, um ihrem Antisemitismus Luft zu verschaffen. Und die sind
immer noch erschreckend zahlreich. Viele Israelgegner sprechen im ersten Satz
von unterdrückten Palästinensern und im zweiten schon von Geldgier, Weltherrschaft
und mitunter auch von krummen Nasen.
Meiner Meinung nach sollte man die
Themenblöcke Antisemitismus und Nahostkonflikt oft auch getrennt
betrachten. Zwar unterliegen beide Schlagworte einer starken gegenseitigen Beeinflussung,
doch das ist nur die halbe Wahrheit. Wenn man die Fülle und Komplexität beider
Themen ausschließlich unter dem Vorzeichen dieser Beeinflussung betrachtet und
das eine auf das andere zurückführt, übersieht man auf beiden Seiten unendlich
viele andere, durchaus bedeutendere Faktoren, deren Vernachlässigung gravierende
Folgen haben kann. Der Antisemitismus ist in Deutschland immer noch verwurzelt, wie auch anderswo in Europa.
Die ARD-Reportage ist auf jeden Fall
sehenswert und informativ. Man sollte sie unvoreingenommen bis zum Ende anschauen,
denn wer will, wird schon nach den ersten Minuten einen Grund zum Einspruch
finden – egal welche Meinung er vertritt, denn das hat dieses Thema nun einmal
an sich.
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Anmerkungen zum Wort Antisemitismus
Für alle
Besserwisser: Ich weiß natürlich, dass „Antisemitismus“ nicht wörtlich
„Judenhass“ bedeutet. Zu den „Semiten“ gehören schließlich auch die Araber,
obwohl ich glaube, dass weder die einen noch die anderen wirklich von jenem
Sem, dem Sohn Noahs, abstammen. Ich schließe mich deshalb dem Duden an, der
Antisemitismus offiziell definiert als „Abneigung oder Feindschaft gegenüber
den Juden“.
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