Sonntag, 17. März 2013

Teil 5: Auf den Spuren von Halabja

Unseren Besuch in der Gedenkstätte von Halabja wollten wir von Sulaymaniya aus antreten. So saßen wir schon am Tag davor in Anzug und Krawatte in unserem Bus und fuhren von Erbil aus weiter in Richtung Südosten. Die etwa 200 Kilometer legten wir bei Dunkelheit zurück, was einerseits natürlich bedauerlich war. Andererseits konnten wir so die brennenden Öltürme von Kirkuk sehen. Für den Irak selbst braucht man zwar ein Visum, doch wir mussten trotzdem irgendwie über die Vororte von Kirkuk fahren. Der Bezirk ist gerade wegen des Öls sehr umstritten und die Zugehörigkeit ist nicht ganz geklärt. Über eine kurze Strecke befuhren wir auf dem Highway irakisches Gebiet und beanspruchten sogar irakische Toiletten auf einer raststättenähnlichen Institution am Rande der Straße. So mancher hob bei dieser Gelegenheit einen Kieselstein auf. Ein Stein aus dem "echten" Irak.
Nach kurzer Zeit wechseln die Soldaten an den Checkpoints wieder und die gewohnten kurdischen Peshmerga haben wieder das Kommando. Auf direktem Weg geht es zu unserem Zielort weiter, wo der Busfahrer uns dann quasi noch vor den Toren der Stadt auf einem Berg ablädt, damit wir die wunderschöne nächtliche Aussicht über Sulaymaniya genießen können. Es war eine Nacht ohne Regen, doch der Wind war gefühlte minus tausend Grad kalt und bließ uns fast über die Klippen. Etwas Vergleichbares habe ich selten erlebt; man konnte sich kaum auf den Beinen halten. Dementsprechend verwackelt sind die Fotos jener Nacht.


Unser Motel in der Stadt war erste Sahne, es gab Zimmer mit Küche und die islamische Gebetsrichtung war durch ein foliertes Schild mit Pfeil an der Wand angezeigt, wie in jeder Unterkunft im Nordirak. Sogar ein Teppich lag für das Gebet bereit. 
Und so präsentierte sich Sulaymaniya am nächsten Morgen, bei Betrachtung vom Fenster aus.


Nächster Tag, acht Uhr. Mein Hals kratzt und ich trage das selbe Hemd wie am Tag zuvor. Irgendwie fühle ich mich miserabel, aber ein einheimisches Frühstück in der Stadt macht wieder einiges gut. Es gibt Fladenbrot mit zwei verschiedenen quark- oder käseähnlichen Zubereitungen, die beide jeweils auf ihre eigene Art erfrischend wirken und eine gute Basis für den Tag bilden. Gut gestärkt geht es dann los in Richtung Halabja.

Die kleine Stadt Halabja liegt keine zehn Kilometer von der iranischen Grenze entfernt und hat vor über 20 Jahren traurige Berühmtheit erlangt. Gegen Ende des Ersten Golfkriegs wurde sie von iranischen Truppen und kurdischen Rebellen besetzt, woraufhin die Regierung in Bagdad ein Exempel statuieren wollte. In einem etwa 45minütigen Angriff mit Giftgas wurden am 16. März 1988 bis zu 5.000 Menschen getötet. Kinder starben in den Armen ihrer Eltern, Menschenströme wurden gezielt bei ihrer Flucht aus der Stadt auf Straßen und Feldwegen bombardiert. Der mörderische weiße, schwarze und gelbe Qualm tötete tausende in Minutenschnelle, weitere Menschen starben einen qualvollen Tod in den Stunden, Tagen und Wochen danach. Verletzte, die teilweise erblindet waren, suchten sich ihren Weg heraus aus Halabja. Viele der Verwundeten kamen in Krankenhäusern im Iran unter, wo nicht wenige von ihnen starben und weit entfernt von ihrer Heimat begraben wurden.
Die Gedenkstätte in Halabja hat angefangen, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Es gibt einen Saal mit den Namen der Getöteten. In einem weiteren Raum sind die Szenen nachgestellt, die man von Fotos kennt: Tote liegen auf der Straße, sitzen auf der Ladefläche eines Transporters.


Der Jeep, den man von einem der bekannten Bilder aus Halabja kennt, steht draußen vor dem Eingang der Gedenkstätte, so als hätte ihn jemand dort geparkt und sei zum Mittagessen gegangen. 
In einer Galerie hängen die Fotos der Journalisten, die unmittelbar nach dem Angriff vor Ort waren und der Welt berichteten, was geschehen war. Viele der Bilder sind unheimlich grausam, doch sie zeigen eine Wahrheit, die man nicht schönen kann.
Die Gedenkstätte tut jedoch mehr als nur zu dokumentieren. Sie erzählt Geschichten. In der Halle mit den Namen der Opfer sind ganze Familien aufgelistet, die innerhalb von Minuten ausgelöscht wurden. Doch es sind auch (wenige) positive Geschichten dabei. Auf der Tafel ist ein Name grün umrandet. Es ist ein Mensch, der für tot gehalten wurde, dann aber irgendwann in einem der zwanzig iranischen Flüchtlingslager wieder aufgetaucht ist.


Im Archiv der Gedenkstätte finden sich weitere Bilder, Artikel und Doppelseiten aus westlichen Zeitungen, emotional geladene Bildmotive und einige interessante Artefakte aus der jüngeren Geschichte. Der Schuh, der auf George W. Bush geworfen wurde, ruht in einer Vitrine. Seinem Besitzer sollen 10.000 US-$ für den Verkauf geboten worden sein, doch er gab ihn der  Gedenkstätte. In einer anderen Vitrine liegt ganz unscheinbar der Strick, an dem man Ali Hasan al-Majid at-Tikriti aufgehängt hat. Der Vetter Saddam Husseins, der in den westlichen Medien typischerweise einigermaßen geschmacklos Chemie-Ali genannt wurde, musste den Preis für seine Unmenschlichkeit zahlen. Er wurde 2010 in Bagdad hingerichtet. Dabei spielte Halabja in seinem Prozess zunächst gar keine allzu gewichtige Rolle. Vielmehr wurde al-Majid verantwortlich gemacht für die dutzenden anderen Angriffe auf kurdische Dörfer und Städte. Alleine auf 40 Orte gab es Attacken mit dem gleichen Giftgas. Zwischen Februar und August 1988 waren etwa 180.000 Kurden im Rahmen der Anfal-Operationen getötet worden, eineinhalb Millionen wurden in den Süden des Irak umgesiedelt.


Die Gedenkstätte spielt mit einer Symbolik, die große Hoffnung für die Kurden ausdrückt. Das Dach des Gebäudes stellt vier Hände dar, die vereinigt für die vier Teile Kurdistans in den Ländern Türkei, Irak, Iran und Syrien stehen. In der Ausstellung selbst findet sich jedoch keine anti-arabische Rhetorik. Man schaut in die Zukunft, gedenkt den Opfern von damals und wehrt sich gegen das Vergessen.
In der Gedenkstätte bekommen wir noch jeweils ein Buch mit Bildern über die Geschehnisse von damals. Die Fotogensten und Redegewandtesten von uns müssen Interviews geben und passende Worte anlässlich unseres Besuchs finden. Abends wird unsere Gruppe auf KurdSat zu sehen sein, das Fernsehteam hat eifrig gefilmt - ob wir wollten oder nicht. Zum Zeitpunkt der Ausstrahlung werden wir aber mit großer Wahrscheinlichkeit im Bus sitzen und über die kurvigen Straßen poltern, zurück nach Erbil, gestärkt mit Flussfisch und Sonnenschein.

Zunächst geht es aber weiter zum Friedhof, wo sich die Massengräber von 1988 finden. Zur Zeit des Angriffs hatte Halabja etwa 70.000 Einwohner. Heute sind es mit 57.000 deutlich weniger, die Stadt wirkt gemütlich. Am Eingang des Friedhofs wird darauf hingewiesen, dass Mitglieder der Baath-Partei, der Partei Saddam Husseins, keinen Zutritt haben.


Das Wetter ist gut und macht die Last der Geschichte erträglicher. Auf einem Gräberfeld mit cremefarbenen Grabsteinen lassen sich die Namen der Opfer lesen. Die meisten von ihnen sind kurdisch, doch immer wieder liest man auch die Namen arabischer Zivilisten, die hier umkamen.


Nach 25 Jahren ist Halabja heute ein Mahnmal für die Welt. Zu viele Verbrechen wurden begangen und blieben unentdeckt. Einige wenige ausländische Journalisten waren vor Ort, darunter auch ein türkischer Reporter. Sie berichteten der Weltöffentlichkeit von dem grausigen Massaker, das ein Diktator gegen seine Nachbarn im eigenen Land verübte - in einem Angriff, bei dem 75% der Opfer Frauen und Kinder waren. 
Heute, im Jahr 2013, gibt es Frieden in diesem Teil Kurdistans. Doch Halabja ist nicht nur ein Mahnmal für die Vergangenheit. Seit mehr als zwei Jahren tobt ein fürchterlicher Bürgerkrieg in Syrien, in dem auch Massaker verübt werden, vonseiten eines realitätsfernen und zukunftslosen Regimes, aber vermutlich auch von Rebellen. - Es ist egal, von welcher Seite Verbrechen verübt werden. Entscheidend ist, wann es der Weltgemeinschaft gelingen wird, dem einen Riegel vorzuschieben. Wann will die Welt endlich gegen die unmenschliche Gewalt in Syrien vorgehen? Oder zieht sie es vor, weiterhin wegzusehen? - Wir sollten aus der Vergangenheit lernen. Denkt an Halabja.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen