Sonntag, 17. März 2013

Teil 6: Bei den Barzanis in Barzan

Eine Etappe unserer Tour führte uns von Erbil nach Dohuk. Auf dem Weg dorthin machten wir in Barzan halt, dem Herkunftsort des Barzani-Clans, dem der derzeitige Premierminister Massoud Barzani und sein berüchtigter Vater Mustafa entstammen. Das Dorf diente den kurdischen Guerillas während der 1960er Jahre als Rückzugsort. Hier in den Bergen lieferten sich die Peshmerga Gefechte mit der irakischen Armee. Barzan selbst wurde schon 1961 Ziel mehrerer Luftangriffe.


Wir besuchten das Grab von Mustafa Barzani, der 1979 in den USA starb und hier bestattet wurde. Neben ihm liegt sein Sohn Idris. Osterglocken schmücken die Gräber. Als offizielle deutsche Delegation legen wir einen Kranz nieder, jemand hält eine Rede. Der Ort ist sehr geladen mit Pathos und ich kann nicht behaupten, dass ich mich so richtig wohlfühle, als Unbeteiligter in die Position des Rebellen-Verehrers geworfen zu werden. Doch aus Respekt gegenüber den Toten akzeptieren wir unsere Rolle und lassen uns auch dieses Mal nicht vom kurdischen Fernsehen stören, das die Szene filmt.
Mustafa Barzani (1903-1979) war die bedeutendste kurdische Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts. Als Kind wurde er mit seiner Familie nach Diyarbakır verschleppt. Schon in seiner Jugend beteiligte er sich an Aufständen gegen die verschiedenen Machthaber der Region. Sein ganzes Leben war vom Kampf geprägt, doch heute wird vor allem die diplomatische Figur Barzani hervorgehoben. Er stand ständig in Verhandlungen mit Bagdad, auch als er sich mit seinen Kämpfern in die Berge Kurdistans zurückgezogen hatte. - Als wir später, nach der kurzen Zeremonie am Grab des Nationalhelden, in einem großen Zelt sitzen und mit Lamm, Huhn und Tomatensuppe verwöhnt werden, erfahren wir im Gespräch ein wenig mehr über die Region. Neben der Tatsache, dass hier früher Muslime, Christen und auch Juden friedlich zusammenlebten, erzählt man uns auch, dass die Caritas beim Wiederaufbau des Gebiets geholfen hatte. Nachdem hier 1983 bis zu 8.000 Mitglieder des Barzani-Clans deportiert worden waren und die Gegend weitgehend zerstört wurde, kam mit der Caritas ein Mann namens Eberhard nach Barzan. Die tiefe Dankbarkeit der Kurden sei heute noch spürbar, da viele Familien ihre Söhne auch Eberhard nennen würden.
Vom Essenszelt ziehen wir um ins Teezelt und bekommen neben einem mehr als propagandistischen Barzani-Button auch einen großen Bildband überreicht. Er enthält Fotos eines französischen Fotografen, der hier in den 1960er Jahren mit den kurdischen Rebellen unterwegs gewesen war und deren Leben in den Bergen dokumentierte. Er hatte Mustafa Barzani persönlich kennengelernt und war auch Zeuge seiner Verhandlungen mit Bagdad.

Der Chef unseres "Empfangskomitees".
Neben dem Grab Barzanis wird demnächst ein großer Gebäudekomplex fertiggestellt, der wohl so etwas wie eine Gedenkstätte oder ein Museum werden soll. Denn noch liegt der Ort Barzan ziemlich abgelegen. Auf unserer Weiterreise nach Dohuk kommen wir an einigen kleinen Nomadendörfern vorbei. Kleine Lehmhütten mit blauen Kunststoffplanen auf den Dächern schmiegen sich auf den grünen Wiesen an die felsigen Füße der Berge an. Die Landschaft ist - wie auch schon auf der Strecke zwischen Halabja und Sulaymaniya - einfach atemberaubend. Barzan selbst liegt nur auf 700 Metern Höhe, die Gegend macht jedoch einen fast alpinen Eindruck.


In Dohuk haben wir den letzten offiziellen Termin des Tages. Der Kulturbeauftragte der Stadt klärt uns - wie dutzende offizielle Personen zuvor - über das Leid des kurdischen Volkes in der Vergangenheit auf und betont den Blick in die Zukunft. Es gebe keine Minderheiten in Kurdistan, meldet er auf Nachfrage. Alle seien hier gleich. Und auch auf die Tatsache angesprochen, dass in allen Ländern zuerst beim Kulturetat gespart werde, kann er uns nur das genaue Gegenteil versichern. Nun gut, es mag vieles stimmen. Aber in Dohuk angekommen befinden wir uns schon fast am Ende unserer Reise und haben zu oft die selben Phrasen gehört. Kurdistan ist ein fortschrittliches Land, eine junge Deomkratie mit viel Potential. Aber es ist beileibe nicht das Paradies auf Erden.
Das Essen in dem vornehmen 5-Sterne-Hotel, in dem wir uns mit dem Kulturbeauftragten getroffen haben, schmeckte dennoch vorzüglich. Was die Kulinarik angeht, waren wir auf unserer Reise immer ausnahmslos gut versorgt.

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