Freitag, 27. Mai 2011

Der Schlächter von Srebrenica

Gestern Abend wurde einer der meistgesuchten Massenmörder Europas gefasst: der ehemalige bosnisch-serbische Armeegeneral Ratko Mladić. Er war seit 16 Jahren auf der Flucht und wurde nun in Lazarevo, einem kleinen Dorf im serbischen Banat, gefasst. Seit Jahren soll er hier im Haus seines Onkels gelebt haben. Der 69jährige befinde sich in einem schlechten gesundheitlichen Zustand, hieß es aus offiziellen Berichten.

Was wird Mladić zur Last gelegt?

Der serbische General soll nicht nur unmittelbar für die Massenmorde an bosnischen Muslimen während des Bosnienkrieges 1995 beteiligt gewesen sein, er soll sie auch veranlasst haben. Der wichtigste Name in diesem Zusammenhang ist Srebrenica. Dort sollen im Juli 1995 bis zu 8.000 Bosniaken zwischen 12 (!) und 77 Jahren von serbischen Soldaten ermordet worden sein. Der Begriff Völkermord wird international nicht anerkannt, da die Frauen und Kinder (unter 12 Jahren) verschont blieben. Dabei diente die „Aktion“ eindeutig dem Zweck, die kleine Stadt Srebrenica von muslimischen Bosniaken zu „säubern“. Dies alles geschah im Beisein einer hilflosen niederländischen UNO-Schutztruppe. Die eingerichtete UNO-Schutzzone hatte keinen Effekt. Letztendlich wurden die Männer und Söhne von ihren Frauen, Müttern und Töchtern getrennt und in der umliegenden Gegend exekutiert. Bis heute arbeiten Freiwillige an der Identifizierung der Opfer, die in Massengräbern verscharrt wurden. Es ist zudem noch weitgehend unbekannt, wie viele Menschen durch den gezielten Beschuss von bosniakischen Flüchtlingen in den Wäldern starben.

Vor einigen Wochen habe ich mich durch Zufall mit Srebrenica auseinandergesetzt, als ich auf youtube.com auf einige Videos stieß, die während der Flucht der Bosniaken aus Srebrenica aufgenommen wurden. Es gibt auch einiges an dokumentarischem Videomaterial, nicht zuletzt von den Verhandlungen der eingeschüchterten Holländer mit Mladić höchstpersönlich. Für mich persönlich fügte sich aus den vielen Bildern und Szenen ein Bild zusammen, das alles andere als den stolzen Armeegeneral beschreibt, wie er auf vielen Bildern dargestellt wird. Ich war fast schon enttäuscht über die seriösen Porträtfotos, die nach dem Bekanntwerden der Festnahme von den Online-Nachrichtendiensten gezeigt wurden. Der Herr General in Uniform, der Herr General in Zivil mit Baseballmütze.


(Quelle: Handelsblatt)

Wer sich mit den Bildern aus Srebrenica auseinandersetzt und den Gesprächen und Gesten, die damals – vor nicht einmal 16 Jahren – stattfanden, wird zu einem weitaus gravierenderen Bild kommen. Mladić, wie er den Ort Potočari inspiziert, in dem die UNO-Truppenstationiert sind. In rüdem Ton weist er einen Soldaten an, ein bosniakisches Straßenschild herunterzunehmen. Er tritt vor den Kameras als serbischer Feldherr auf, der die Gegend von allem nicht-serbischen säubert. In einer anderen Aufnahme verhandelt er mit dem niederländischen Kommandeur der UNO-Truppe, Thomas Karremans. Er gibt sich teils arrogant, teils freundlich, raucht ständig seine Zigarette. Danach stoßen die Männer auf ein langes Leben an. Karremans und den Holländern ist es nicht zum Lachen zumute. Nur Mladić scheint sich zu amüsieren. Er hat die Zügel in der Hand. Trotz verschiedenen Verhandlungen und Absprachen wird er in den nächsten Tagen mindestens 8.000 bosniakische Zivilisten erschießen lassen.
Die Szene, die jedoch am ironischsten anmutet, ist der Besuch von Mladić bei einer großen Gruppe von Frauen und Kindern, die sich in der Obhut der UNO-Blauhelme befanden. Er tätschelt die Wange eines Jungen, er wirft sogar Süßigkeiten in die Menge – um kurz darauf die Familien ihrer Väter und Söhne zu berauben. Eiskalt und abgeklärt handelt er. Kein anständiger Soldat, sondern der Kommandeur eines blutigen Massenmordes.


(Quelle: img3.picload.org)

Heute wurde von einem serbischen Gericht zugewilligt, dass Ratko Mladić nach Den Haag an den Internationalen Strafgerichtshof ausgeliefert werden kann. Gestern Abend hatte er dem Haftrichter zwar noch den gebrechlichen alten Mann vorgespielt. Doch die Gerechtigkeit wird auch hier stärker sein als der Stolz des serbischen Generals. Wir haben lange genug Skrupel davor gehabt, alte Männer zu verurteilen. Ob Demjanjuk oder Mladić – zwischen Massenmördern besteht kein Unterschied. Ich wünsche mir, dass General Mladić die volle Härte des Gesetzes trifft.

Interessante sind jedoch auch die politischen Auswirkungen bzw. Hintergründe. Es wird angenommen, dass die serbische Justiz den Aufenthaltsort des Mörders von 1995 schon lange kannte. So groß ist Serbien nicht. Doch natürlich kann man sich aussuchen, wann wohl der günstigste Zeitpunkt wäre, den europäischen Staaten entgegenzukommen. Für einige Denker der serbischen Führung war dieser Zeitpunkt wohl gekommen. Als Gegenleistung für die Festnahme eines Kriegsverbrechers kommt Serbien nun dem Beitritt zur Europäischen Union einen großen Schritt näher. Bemerkenswert ist jedoch auch der Rückhalt, den Mladić und seine Kameraden innerhalb der serbischen Gesellschaft an vielen Stellen genießen. Da stellt sich die Frage: Ist das serbische Volk bereit für die EU?


(Quelle: Die Welt)

Donnerstag, 19. Mai 2011

Backliteratur

Ich befand mich auf dem Nachhauseweg von der Universität, als mich nach einem relativ stressigen Dienstag ein lange angestautes Hungergefühl übermannte. Ich nötigte mich selbst, in der Filiale einer der vielen großen Supermarkt-Ketten ein traditionell schwäbisches Laugengebäck käuflich zu erwerben. Für 60 Cent, rötlichbraun im Ofen gebacken, in knisterndes Bäckerpapier eingewickelt... Meine Geschmacksnerven erwarteten schon eine kulinarisches Feuerwerk an simpler, aber doch den Heißhunger befriedigender Backkunst.
Ich möchte gar nicht lange um den heißen Brei herumreden, sondern gleich zur zentralen Frage kommen: Ist es vielleicht noch anderen Leuten aufgefallen, dass unsere gesamten Nahrungsmittel in den letzten Jahren immer schlechter schmecken?
Ich weiß nicht mehr genau, was ich mir da gekauft hatte. Es war entweder eine Brezel oder ein Laugenbrötchen (schwäbisch Laugawägglä). Sicher ist nur, dass sich die 60 Cent nicht gelohnt haben. Und diese Tatsache machte mich nachdenklich. Ich erinnerte mich an den Bäcker in meinem Heimatort, der mittlerweile im Ruhestand ist und nur noch freitags und samstags frische Brezeln und Brötchen backt. Meine ganze Kindheit war geprägt von handgeformten, vom Bäckermeister selbst gekneteten Kunstwerken. Die meisten dieser Schöpfungen erhielten zwar neben dem Urlaubsaufenthalt im Backofen neben der rotbraunen Farbe auch eine äußerst wunderliche Form, aber dennoch überbrachte mir jede einzelne Brezel eine deutliche Nachricht: "Iss mich und sonst keine!" - Im Laufe meiner Kindheit und meiner späteren Jahre wurde mir der Wert eines naturgetreuen Bäckers am Ort bewusst. Spätestens als ein Schulkamerad aus einem weiter entfernten Nachbardorf behauptete, dass unser örtlicher Bäcker doch sicherlich auch eine Brezelmaschine besäße. Anders könne es gar nicht sein, denn jeder Bäcker hätte mittlerweile so ein Ding. - Ich war geschockt. Konnte so etwas sein? Brezeln aus der Maschine, in die der "Bäcker" nur die Teigmasse einzufüllen braucht? Unvorstellbar...
Die durchschnittliche moderne Brezel in Südwestdeutschland kann sich nicht mehr messen mit dem Geschmack und der Klasse, die noch von ihren "Großvätern" in ihrer der Acht nachempfundenen Form verkörpert wurde. Wer kennt es nicht? Man kauft sich eines dieser Gebäcke - beim Bäcker im Supermarkt oder dem Discount-Laden, der sich unverschämter Weise auch Bäcker nennen darf - und beißt genüsslich hinein. Im nächsten Moment schnappt man nach Luft, reißt die Augen auf - und erstickt fast am Staub und den Krümeln, die dieses aggressive rötliche Ding namens Laugenbrezel absondert. Während man noch am Würgen ist, erholen sich die Geschmacksnerven und reagieren ihrerseits. Sie tasten, sie suchen - und finden nichts. Geschmack, Aroma, säuerlich-salzige Würze - alles weg. Geschichte. Das war einmal.
Hat noch niemand die Veränderungen der heutigen Zeit bemerkt? Oder schmecken ihnen gar die Brezeln, wie sie heute sind? Schade. Wirklich schade...

Und nicht nur die Backwaren sind betroffen. Auch das Gemüse: Wer traut denn noch den knallroten Tomaten im Januar? Legt man eine solche Tomate in die Ecke und untersucht sie nach zwei Wochen auf Herz und Nieren - man wird keinen Kratzer finden. Die heutige Tomate ist gewappnet gegen Insekten, Bakterien, Leben. Aus spanischen Gewächshäusern, vollgepumt mit Penicillin, schreien diese Tomaten förmlich danach, als pseudo-frisches Accessoire für eine gute Tomatensauce zerschnitten und gekocht zu werden. Doch auch hier gibt es einen Haken: Neben dem faden Geschmack weist diese Frucht - die Tomate zählt nach wissenschaftlicher Ansicht zum Obst! - auch eine äußerst harte Schale auf. Von einem herkömmlichen Messer kaum zu bewältigen, verdirbt die moderne Tomate jedem Kenner den Spaß und den Appetit...

Soll ich noch mit den Bananen anfangen? Lieber nicht. Aber es ist schon bemerkenswert, dass sich viele Mitmenschen mittleren Alters - vorzugsweise aus Westdeutschland - noch daran erinnern, wie gut Bananen einst geschmeckt haben müssen. Ich kann mich an diese Zeiten nur noch instinktiv zurückerinnern. Doch auch ich merke, dass die meisten Bananen, die man heute zu kaufen sind, entweder noch komplett grün sind oder einen unangenehm bitteren Geschmack beherbergen. War das früher anders? "Früher war alles besser"? Ja, in diesem Fall ist das wahrscheinlich.

Um den Bogen zu einem gesellschaftspolitischen Fazit zu schlagen: Warum protestiert niemand gegen den qualitativen und geschmacklichen Verfall unserer Gesellschaft? Warum schlagen sich alle Bürger mit eher halbwichtigen Nebensächlichkeiten herum, während man Tag für Tag schmecken kann, dass alles bitterer, fader oder künstlicher wird? Ich erwarte keine spontanen Demonstrationen ("Rettet das Laugenwägglä!"), aber vielleicht macht sich der ein oder andere seine Gedanken...

Samstag, 14. Mai 2011

Überblick über die aktuelle Lage im Nahen Osten

Ein Ausschnitt aus (m)einem zur Zeit noch unveröffentlichten Buch über das Thema Israel und Palästina.

Seit Ende des Jahres 2010 hat sich im Nahen Osten politisch viel getan. Plötzlich sind die Karten im Nahen Osten völlig neu verteilt. Der Umschwung war notwendig und überfällig, auch wenn in Europa niemand damit gerechnet hatte. Dabei war es anzusehen, dass Veränderungen stattfinden mussten. Auch politisch war dies spürbar. Im Nahen Osten war in den letzten Jahren ein nicht zu verachtendes Machtvakuum entstanden: Die wichtigsten Machtpole der Region, Ägypten und Syrien, hatten bedeutend an Einfluss eingebüßt. Der ägyptische Diktator Mubarak war ein altersschwacher, kranker Mann. Dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad war es seit dem Tod seines Vaters im Jahr 2000 nicht gelungen, eine vergleichbar stabile Machtposition wie sein Vater einzunehmen. Die Diktaturen waren am kränkeln. In dieses Vakuum war nun der Iran getreten, der sich neuerdings als der Pate des Panarabismus verstand. Dieses Phänomen war untypisch für den Iran, der sich zwar als sehr islamisch, aber auch persisch und keineswegs arabisch versteht. Der Iran trat nun als Schirmherr der arabischen Bewegung auf und unterstützte zudem die Terrorgruppen Hisbollah und Hamas mit Waffen und Geldern. Als neue Kraft kam auch die Türkei ins Spiel. Von der EU immer wieder aufs Neue zurückgewiesen und auf später vertröstet, machte die Türkei ihren Machtanspruch im Nahen Osten geltend und trat in die Fußstapfen des ehemaligen osmanischen Großreichs, an dessen Erbe man sich erinnerte.

Der Nahe Osten befand sich ohnehin im Umschwung. Doch nun kam der entscheidende Faktor mit dazu: das Volk. Die Menschen forderten ihre Rechte ein. Es kam zu Umwälzungen und Revolutionen, deren Tragweite in Europa zuerst vollkommen übersehen wurde. Die Aufstände der Menschen in Nordafrika und dem Nahen Osten brachten deutliche Veränderungen, sowohl für die unmittelbar Betroffenen als auch für die ganze Welt. Die arabische Welt ist nun auf dem Weg, für Europa ein wirtschaftlicher Konkurrent auf Augenhöhe zu werden. Auch – aber nicht nur – für Israel sind diese Veränderungen von Bedeutung. Plötzlich ist das kleine Land nicht mehr die „einzige Demokratie des Nahen Ostens“, wie es sich selbst gern bezeichnete. Ägypten, Tunesien und einige andere Länder sind im Aufbruch in eine neue Ära. Bis vor Kurzem war die Situation im Nahen Osten noch eindeutig: Ausnahmslos totalitäre Regime, die ihre Völker unterdrückten, ihre Länder ausbeuteten und Unmengen an Geldern, die im Land und in der Wirtschaft dringend gebraucht worden wären, auf ihre Schweizer Bankkonten deponierten. Für den Westen, der gerne die Demokratie predigt, waren diese Verhältnisse scheinbar kein Problem. Man hatte mit Husni Mubarak und all den anderen einige solide Verhandlungspartner. Der Westen nahm es hin, dass man Menschenrechte zugunsten von Stabilität und wirtschaftlichen Interessen zurücksteckte. Noch Tage nachdem in Tunesien die ersten Proteste ausbrachen, bot Paris seinem ehemaligen Ziehsohn Unterstützung bei der Unterdrückung der Demonstranten an. Dennoch kam es zum Umsturz: Zine al-Abidine Ben Ali flüchtete mit seiner Familie und 1,5 Tonnen Gold im Gepäck nach Saudi-Arabien. Der gehasste Diktator wurde abgesetzt. Tunesien war das erste Land, in dem sich die Menschen gegen ihre totalitären Herrscher erhoben. Dabei hatte es bemerkenswert lange gedauert, bis es zu dieser Erhebung der Massen gekommen war. Der Erfolg dieser Demonstrationen und die gute Organisation, mit der sie durchgeführt wurden, ist auch der Vernetzung zu verdanken, die heute schon lange auch Nordafrika erreicht hat. Mobiltelefone und nicht zuletzt Online-Communities haben zum Erfolg der Proteste beigetragen. So schwappte die Revolution von Tunesien auf andere Länder über. Erst erreichte sie Ägypten, dann den Jemen, Bahrein, Marokko und Syrien. Jedes der Länder ging anders mit dieser Konfrontation um. In Ägypten kam es nach einigen Wochen der Proteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo, der seitdem internationale Berühmtheit genießt und zu einem Wahrzeichen des Aufstandes geworden ist, zum Abtritt des Präsidenten Husni Mubarak. In Bahrein wurde der Aufstand nicht zuletzt mit der Hilfe saudi-arabischer Truppen niedergeschlagen, im Jemen und in Syrien halten die Proteste noch an.

Europas Reaktionen auf die beginnende arabische Revolution waren alles andere als erfreulich. In den ersten Momenten war man sich unsicher. Gerade in Deutschland, wo man noch in den Monaten zuvor über Mubarak als einen „Freund des deutschen Volkes“ gesprochen hatte und sich zu Staatsbesuchen mit den Diktatoren herausgeputzt hatte, tat man sich schwer darin, mit den Demonstranten zu sympathisieren. Diese anfängliche Ratlosigkeit wurde jedoch schnell überwunden. Man gestand sich auch hier ein, dass den Menschen in Tunesien, Ägypten und den anderen Ländern sehr wohl ein Recht auf Selbstbestimmung gebührte. Andererseits sah man auch die „islamistische Bedrohung“. Wir stellen unverständlicherweise die Frage, ob da nicht etwas an die Macht kommen könnte, das noch schlimmer ist als Mubarak. Wahrscheinlich wird sich diese Gefahr als nicht ganz so bedrohlich herausstellen wie befürchtet. Doch die sagenumwobenen Muslimbrüder in Ägypten waren das Schlagwort all derer, die der Revolution misstrauisch gegenüber stehen. Es ist bemerkenswert, dass bei all den Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz kaum religiöse Symbole verwendet wurden. Es ist auch bekannt, dass die Muslimbrüder ihre Anhänger aufgefordert haben, zu demonstrieren – allerdings nicht im Namen der Muslimbrüder, sondern im Namen des ägyptischen Volkes. Bemerkenswert ist auch die hohe Beteiligung von Frauen an den Protesten, besonders auf der Seite der berüchtigten Muslimbruderschaft. Während wir in Europa versuchen, jeden Schritt zu deuten und einzuordnen, übersehen wir, dass in Ägypten und den anderen Ländern etwas stattfindet, das das gesamte Volk umfasst. Demonstranten aus allen Schichten. Ägypten erfuhr und erfährt noch immer eine Revolution des Volkes.

Europa blieb misstrauisch. Da waren ja noch zwei Punkte, die es zu bedenken galt. Von diesen Punkten wird jedoch nur einer offen angesprochen: Israel. – Was geschieht mit Israel? War die Abschüttelung der ungeliebten Diktatoren etwa eine potenzielle Gefahr für die Existenz des jüdischen Staates? Würden die Friedensverträge zwischen Israel und Ägypten sowie mit Jordanien hinfällig werden? – Israel muss sich auf Veränderungen einstellen. Diese werden nicht so gravierend sein wie erwartet, doch sie sind von Bedeutung. Da wären zum Beispiel die Lieferungen von Erdgas, das bisher zu einem deutlich unter dem internationalen Handelsdurchschnitt liegenden Preis aus Ägypten gekommen war. Im Anschluss an die Revolution gab es einige Anschläge auf die Gaspipeline. Der Gasvertrag zwischen Ägypten und Israel von 2005 wurde immer wieder heftig kritisiert und war im Volk alles andere als beliebt. Es war ein Vertrag zwischen Mubarak und Israel; ein Vertrag, aus dem nichts für das ägyptische Volk ehraussprang. Nun gilt es, die Verträge neu auszuhandeln und für beide Seiten fair zu gestalten. – Doch besteht eine wirkliche unmittelbare Gefahr für Israel? Nein. Es geht nur darum, wie Israel mit den neuen Gegebenheiten umgeht. Es ist zu erwarten, dass sich die Bewegung auch auf die Palästinenser auswirkt. Und das hat es sogar schon: Demonstrationen in Ramallah und Gaza – allerdings mit einer etwas merkwürdigen Forderung: Die Forderung zur Vereinigung von Hamas und Fatah, um einen gemeinsamen Kampf gegen den „Besatzer“ aufzunehmen. Dies sind die Problematiken, mit denen Israel nun umzugehen wissen muss. Die Hamas wird zwar nichts an ihrem Kurs ändern. (Am Mittwoch, dem 11. Mai 2011, ließ Hamas-Führer Mahmud az-Zahar verlauten, dass die Hamas zwar einen Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967 akzeptieren würde, den jüdischen Staat jedoch weiterhin nicht anerkennen wolle. Seine Organisation würde einen Palästinenserstaat "auf jedem Teil Palästinas" anerkennen. Eine formelle Anerkennung Israels würde "das Recht der nächsten Generationen aufheben, das Land zu befreien", sagte Az-Zahar weiter. Ein solcher Schritt würde zudem das Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr gefährden. Der Hamas-Führer bestätigte, dass seine Organisation zusammen mit der Fatah-Partei entschieden habe, einen Waffenstillstand Israel gegenüber einzuhalten. Laut As-Sahar sei dies "Teil des Widerstandes und nicht dessen Aufgabe". Er betonte weiter: "Waffenruhe ist kein Frieden".) Der Trend wird jedoch dahin gehen, dass man auch im arabischen Raum bald Verhandlungspartner haben wird, die man nicht zurückweisen kann unter dem Vorwand, sie seien Diktatoren und sollten zuerst einmal mit ihren eigenen inneren Problemen fertig werden, bevor sie Israel kritisierten. In Kürze wird Israel ebenbürtige Verhandlungspartner auf Augenhöhe haben. Die Revolutionen haben die grundlegenden Gegebenheiten über den Haufen geworfen. (Das betrifft übrigens nicht nur Israel; Husni Mubarak war auch ein persönlicher Freund von Mahmud Abbas, dem Palästinenserpräsidenten.)

Wie Israel steht auch Europa vor einer veränderten Situation. Und hier kommen wir zu einem anderen Punkt, einem der zwei Punkte, die ich oben erwähnt habe. Der zweite Punkt neben Israel wird ungern angesprochen und in der Öffentlichkeit diskutiert: das Öl. Es hält uns Europäer am Leben. Unglücklicherweise jedoch kommt es hauptsächlich entweder aus Russland oder aus Nordafrika. Bisher hatten die Ölverträge mit den Diktatoren nur Positives für uns gehabt. Nun müssen wir uns darauf einstellen, dass das Öl um einiges teurer wird. Das Volk wird in Zukunft selbst am Hebel sitzen; die korrupten Regierungschefs, die sich mit Bestechungsgeldern Villen und Zweithäuser überall in der Welt leisten konnten, haben ausgedient. Nun liegt es an uns zu handeln. Wie gehen wir mit der neuen Situation um? Leider haben sich die Dinge nicht sonderlich positiv entwickelt: Die Revolution in Tunesien konnte nicht verhindern, dass verzweifelte Menschen vor der Armut zu entfliehen versuchen. Im Gegenteil: Präsident Ben Ali hatte dafür gesorgt, dass illegale Flüchtlingsschiffe mit Kurs auf Europa schon an der Küste abgefangen worden waren. Nun, nachdem man ihn von der Spitze vertrieben hat, ist es für die Menschen einfacher, die Barriere zu überqueren und als Arbeitsmigranten nach Europa zu flüchten – was uns wiederum vor ungeheuer große Probleme stellt: Was tun mit den Flüchtlingen? Italien hat sich in dieser Situation ganz cool gezeigt und den angekommenen Afrikanern einfach Visa gewährt. Nun haben die Menschen praktisch einen Freifahrtschein für alle Mitgliedsstaaten der EU. Ein ganzer Zug wurde daraufhin an der Grenze zu Frankreich aufgehalten und den Menschen die Einreise verwehrt. In Deutschland denkt man darüber nach, wieder Grenzkontrollen einzuführen. In Dänemark ist das schon geschehen. Das Schengen-Abkommen droht hinfällig zu werden. Wird sich unser Kontinent wieder zur „Festung Europa“ entwickeln? Werden wir als Reaktion auf die Demokratisierung Nordafrikas und der arabischen Welt, die doch einmal den Stamm unserer Kolonien bildeten, in unseren Bergschlössern verbarrikadieren? Ist das etwa alles, was wir den neuen, dynamischen und aufstrebenden Gesellschaften entgegensetzen können, denen wir so lange die Demokratie gepredigt haben, in der Erwartung, dass sie diese nie erreichen würden? Europa hat an der Misere und der Armut in Nordafrika (und Afrika im Allgemeinen) eine große Mitschuld – oder sogar ein großes Interesse. Man war hier der Annahme, die Araber seien unfähig, eine Demokratie zu bilden. Ja, die Araber würden sich nur in einer autoritären Gesellschaft wohlfühlen. Freie Wahlen, Pressefreiheit, Demokratie – unmöglich! Das war unsere Ansicht. Dabei waren wir es, die diese Gesellschaften kleingehalten haben und ihre Beherrscher mit den neuesten Waffensystemen ausgestattet haben und noch immer tun (vgl. Saudi-Arabien). Unser Hauptinteresse lag weder in den Menschenrechten noch in Israel. Unser Hauptinteresse ist und bleibt das Öl.

Israel ist nur ein Vorwand. Wir wollen Stabilität, um Israel zu schützen – ein ethisch durchaus vertretbarer Vorsatz. Doch in Wirklichkeit geht es uns in erster Linie um uns selbst. Seit der Zeit des Imperialismus hat sich in Europa nichts geändert. Immer noch gehen wir als Prediger und Missionare in die Welt hinaus – damals für Christus, heute für die Demokratie. Doch in Wirklichkeit stecken wirtschaftliche Interessen dahinter. Schon in Afghanistan machte man diesen Fehler: Man setzte einen (amerika)treuen Präsidenten ein. Das ist Demokratie. Man schloss Wirtschaftsverträge ab (nach westlichem Muster) und versuchte, den Menschen unsere Werte aufzudrücken. Das ist Demokratie. Man lässt wählen. Aber gut ist nur jenes Ergebnis, das auch für uns gut ist.

Ist das Demokratie?

Montag, 2. Mai 2011

Rechtsextreme Propaganda in Deutschland und ihre Werkzeuge

Als ich mir vor Jahren an einem Bahnhofskiosk zum ersten Mal ein Exemplar der "Deutschen Stimme" kaufte, war ich erstaunt: Ein Blatt, dass mit langen Artikeln Themen erörtert, die sonst kaum angesprochen werden. Ich war andererseits jedoch auch erschüttert, wie offen diese Zeitung mit ihrer kompromisslos rechten Meinung um sich wirft. Als das offizielle Presseorgan der NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands) ist sie eines der wenigen legalen Propagandamittel der deutschen Rechtsextremen. Beim Kauf der Zeitung tat es mir gleich schon wieder Leid, den Rechten mein Kleingeld in den Rachen geworfen zu haben. Doch immerhin finanzierte man damals mit dem Geld noch die Billigarbeiter einer tschechischen Druckerei, heute befindet sich der Herstellungsort in Litauen. Die so vaterlandstreue NPD ließ im europäischen Ausland drucken.
Doch mit dem Kauf eines Exemplars der "Deutschen Stimme" bekam man auch allerlei lohnenswerte Informationen. Interessant waren nicht etwa die längst gewohnten Berichte über ungeliebte Asylbewerber und die "Überfremdung" der "geliebten deutschen Heimat". Von Interesse sind in jeder Ausgabe viel eher die Details. Die reichen von den Kontaktinformationen zu lokalen "patriotischen Stammtischen" bis hin zu Veranstaltungs- und Buchtipps. Bücher, die es in keinem Laden zu kaufen gibt, werden bekanntgemacht. Der Name so manches Autoren lässt aufhorchen.
Die "Deutsche Stimme" - die angeblich eine Auflage von 25.000 Stück pro Monat hat - ist die Soft-Variante für Einsteiger, die sich mit rechtsextremer Propaganda auseinandersetzen wollen. Hier findet man keine wilden Naziparolen oder Texte, die offen volksverhetzend sind. Vielmehr verpackt sich der braune Schlamm in einer Hülle aus einem Hauch von Intellekt und Journalismus. Die langen Artikel über die wirtschaftliche Situation des Vaterlandes oder die Berichte über illegale Einwanderer aus den neuen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind zwar keine Lektüre für den glatzköpfigen Schläger in Bomberjacke und Springerstiefeln. Doch stellen diese fachmännisch zusammengestellten und sehr vielfältigen Themen ein gut sortiertes Sammelsurium an moderner Politpropaganda dar, die so zurechtgeschneidert ist, dass sie jeder halbwegs gebildete Mensch lesen und nachvollziehen kann.
Aus der Zeitung wird auch offen ersichtlich, wie international der deutsche Rechtsextremismus mittlerweile vernetzt ist. Eine Vielzahl von Interviews werden im Laufe eines Jahres geführt; Gespräche mit rumänischen Nationalisten und französischen Schriftstellern, Kommentare zu niederländischen Rechtspopulisten, und vieles mehr.


Der "Deutschen Stimme" kann man keine Volksverhetzung vorwerfen. Es wäre auch zu einfach. Denn das Presseorgan der NPD ist eher daran interessiert, ein seriöses Bild bei neugierigen Lesern zu hinterlassen. - Das hindert sie jedoch nicht daran, unter der Kategorie "Am linken Rand" über bekannte und unbekannte Antifaschisten zu spotten oder weiter den "amerikanischen Imperialismus" anzuprangern, der Deutschland mit einschließt und wie gewohnt anzuprangern, dass Deutschland von Israel regiert wird (?).
Besondere Merkmale aus der rechtsextremen Rhetorik sind Worte, die dem Außenstehenden seltsam erscheinen und oft auch schleierhaft bleiben. Hier einige Beispiele:
Wenn von den neuen Bundesländern die Rede ist, wird stets von Mitteldeutschland gesprochen. Der Begriff Ostdeutschland wird stets vermieden, denn der "deutsche Osten" ist für die Rechtsextremen immer noch die Gegend um Breslau, Königsberg und Posen - alles das, was früher Deutschland war und heute (seit fast 70 Jahren) Polen bzw. Russland ist.
Gerne wird von USrael gesprochen, wenn der Kapitalismus als solcher bezeichnet werden will: Ein Zusammenschluss zwischen den USA und Israel, der angeblich die Welt regiert.
Um Anglizismen zu vermeiden, wird bevorzugt von Weltnetz (Internet) geredet. Seltener ist der Begriff Heimatseite (für Homepage). Manche Umschreibungen sind mittlerweile wieder aus der Mode gekommen (wie etwa Stöberer für "Browser"), andere hingegen sind täglich in Gebrauch, wie etwa T-Hemd (T-Shirt).

Mit T-Hemden handelt auch der verlagseigene Versand der "Deutschen Stimme". Zum Thema Propaganda gibt es hier eine ganze Menge zu kaufen. Da die Zeitung an sich eher ein Tropfen auf dem heißen Stein bei der Verbreitung der rechtsextremen Ideologie ist, bietet der Versand so einiges an "originellen" Accessoires. Bei der Bekleidung dominiert schwarz das Bild, bei den Ansteckern schwarz-weiß-rot. Ob die Aufkleber zum 140. Geburtstag des Deutschen Reiches (1871 bis 2011) der Renner sind, lässt sich schwer beurteilen. Interessanter ist da schon das Arsenal unter der Kategorie "Tonträger": Hier gibt es alles, was gerade noch nicht verfassungsfeindlich ist, von klassischer urdeutscher Volksmusik bis hin zu den "modernen deutschen Balladen". Und hier stoße ich auf eine Lichtgestalt des rechtsextremen Volkstums: Frank Rennicke, Fascho-Barde und ehemals Anwärter auf das Amt des Bundespräsidenten. Mit diesem Sänger lässt sich wahrlich keine nationale Revolution starten - Gott sei's gedankt...

Wie schon gesagt, die "Deutsche Stimme" und ihr hauseigener Versand sind der Einstieg in die Subkultur des Rechtsextremen. Hier gibt es alles, was den wirklichen extremistischen Ideologen (nicht) interessiert.
Um die richtig brisanten Überreste der Ideologie von einst zu finden, muss man in den Tiefen des Internet graben - oder sich mit den Liedern der sogenannten Schulhof-CD beschäftigen.

Die Schulhof-CD wurde zum ersten Mal 2004 von der NPD zum Wahlkampf gebraucht. Auf ihr finden sich Rechtsrock-Bands wie Lunikoff, Noie Werte oder Sturmwehr sowie der schon erwähnte Frank Rennicke. Ziel dieser CD war die Anwerbung von Jugendlichen, die mit der primitiven und eingängigen Musik, die dazu noch Tabu-Themen anspricht, angelockt werden sollten. Die Propaganda per CD war jedoch keine Erfindung der NPD. Das Projekt Schulhof-CD war im gleichen Jahr aus Werbezwecken von den militanten Freien Kameradschaften gestartet worden.


Die rechte Musikszene ist eines der wirkungsvollsten Propagandamittel der Rechtsextremisten. Zwar ist auch hier der Verfassungsschutz aktiv, jedoch vereinfacht das Internet das illegale Herunterladen illegaler Lieder enorm. Während Websites mit rechtsradikalem und verfassungsfeindlichem Inhalt über kurz oder lang identifiziert und gesperrt werden, verbreitet sich Musik in der Szene schnell und mit hoher Effizienz. Das Interesse von Jugendlichen, die sich gerade in einer Phase der politischen Orientierung befinden, ist oft groß. Die Tatsache, dass in den Songtexten über "verbotene" Themen geredet wird, macht die Lieder der verbotenen Band Landser oder anderer Gruppen attraktiv.
Die Texte der Rechtsrockbands bewegen sich meist auf einem relativ niedrigen Niveau. Die Themen sind klar: Entweder es geht um Deutschland heute und die Ausländer, die als eines der Hauptprobleme gesehen werden. Schon Titel verraten eine ganze Menge vom Inhalt des Liedes: "Hurra, das Asylheim brennt" sangen Landser. Eine andere Band, Kommando Freisler, verherrlicht den Holocaust auf ziemlich grausige Weise. Die erste Strophe beginnt mit "In Belsen, in Belsen, da hängen sie an den Hälsen"... Die Top-Themen sind die Vergangenheit Deutschlands, wo man die Rolle der SS verherrlicht. Der Deutschland-Kult reicht bis hin zu den alten Germanen und ihren Gottheiten. (Man zieht in rechtsextremen Kreisen die Verehrung des germanischen Gottes Thor gegenüber der "jüdischen" Religion des Christentums vor.) In der heutigen Zeit spielen die meisten Lieder auf die Ausländer-Problematik an oder auf Amerika und Israel. Antisemitismus, Fremdenhass und Verherrlichung bzw. aktive Verehrung des Faschismus sind die "Evergreens" der rechten Rockkultur.


Um einmal kurz zusammengefasst ein Profil modernen rechtsextremen Propaganda zu entwerfen, will ich die wichtigsten Mittel noch einmal nennen:

1. Öffentlichkeitsarbeit der Parteien aus dem rechtsextremen Bereich.
Offizielle Presseorgane der rechtsextremen Parteien, wie etwa die "Deutsche Stimme" sowie die Wahlkampfwerbung der NPD. Hierzu gehört auch der NPD-Parteichef, der gezielt Bürger seines Wahlkreises auf dem Wochenmarkt anspricht.
Zielgruppe: Menschen aus allen Bildungsschichten und Berufsgruppen, auch ältere.

2. Das Internet.
Versandhäuser und Download-Portale, wo Schriften wie Hitlers "Mein Kampf" zu erhalten sind sowie Websites mit rechtsextremistischem Textmaterial. Diese Seiten werden meist von deutschen Neonazis aus den USA gelenkt und verwaltet, was den Zugriff des deutschen Verfassungsschutzes erschwert bzw. unmöglich macht.
Zielgruppe: schon radikalisierte junge Neonazis, die ihre Ideologie an Neuzugänge weitergeben.

3. Musik.
Das Musikgeschäft ist eines der Hauptverbreiter rechtsextremer Propaganda.
Zielgruppe: junge, enttäuschte Menschen, potenzielle Wähler und Nachwuchs-Neonazis.

Sonntag, 1. Mai 2011

"Der nationale Sozialist von nebenan": Ein Querschnitt durch die Szene des Rechtsextremismus in Deutschland

Rechtsextremismus-Reihe
(Deutschland, Einführungsbeitrag)


Am 1. Mai wird Deutschland an seine Vergangenheit erinnert. Zwar vergessen die meisten Wanderer und Anhänger des üppigen Bierkonsums, was es mit dem "Tag der Arbeit" auf sich hat. Doch dafür gibt es eine gut gelaunte, mit bunten Fahnen ausgestattete Gruppe von jungen Menschen, die uns daran erinnert, wem wir diesen Tag zu verdanken haben. Der Name des besagten Österreichers dürfte uns allen wohl bekannt sein. Zur Beruhigung kann gesagt werden, dass der erste 1. Mai seiner Art in Deutschland schon im Jahre 1919 abgehalten wurde. Er ist also keine Erfindung der Nationalsozialisten. (Ebensowenig ist die oft gerühmte Autobahn eine Innovation aus dem NSDAP-Repertoire; die erste Autobahn wurde schon 1932 nach dreijähriger Bauzeit vom damaligen Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer (!) eröffnet.)

Während der 1. Mai dem Großteil aller (jungen) Deutschen heute als Anlass für ausgelassenes Feiern, Fressen und Saufen dient, haben sich z.B. in Heilbronn bis zu 1.000 junge "Nationaldemokraten" versammelt, um an eine vergangene Zeit zu erinnern. Bei der Demonstration gab es (wie immer) ein riesiges Polizeiaufgebot und eine weitaus größere Gegendemonstration. Etwa 5.000 Demonstranten versperrten den Rechten die Marschroute. Etwa 300 "Linke" wurden vorübergehend festgenommen, weil sie die "angemeldete Demonstration der Rechten" stören wollten.
An dieser Stelle muss bemerkt werden, dass solche Demonstrationen stets nach dem gleichen Muster ablaufen: Zuerst wird die rechtsextreme Demo angemeldet. Die Stadt prüft zuerst, ob man diese Demonstration genehmigen kann. Nicht etwa, weil dort verfassungsfeindliche Parolen gerufen werden, sondern vielmehr, weil man etwaige Gewalt vonseiten der linken Gegendemonstranten fürchtet. Schon bemerkenswert. Aber für Sicherheit ist ja gesorgt: In Heilbronn waren tausende Polizisten im Einsatz, um die Gruppen der Demonstranten getrennt zu halten und die Rechten zu "schützen". Die Polizei, dein Freund und Helfer. Sie schützt Dich, auch wenn Du das System bekämpfst, für das sie steht...
An dieser Stelle eine kurze Einschätzung der schwarzgekleideten, vermummten Gegendemonstranten: Der gewöhnliche Linksautonome gibt sich als Werkzeug der Demokratie - oder des Anarchismus - aus, je nach Situation. Er sammelt am Bahnhof Steine aus dem Kiesbett, um sie dann gegen die Nazis zu werfen. Und wenn keine Nazis da sind, dann wirft er sie auf die Polizei. Sollte die Polizei mal außer Reichweite sein, werden Schaufenster und Supermarkteingänge demoliert. Der 1. Mai bringt noch den Vorteil, seine emotionalen Ausbrüche gegen die Prestigeobjekte der Bourgeoisie zu richten - kurz gesagt gegen alles, was vier Räder hat, einen Mercedes-Stern trägt und sich irgendwie entzünden lässt. Wenn die antifaschistische Bewegung an Tagen wie diesen zum größten Teil aus halbwüchsigen Krawallmachern besteht, dann wird unserer Demokratie bald nicht mehr zu helfen sein...

Das Thema in diesem Artikel sind jedoch nicht die Linken, sondern ihre ewiggestrigen Gegenspieler. Und hier muss man zuerst einmal klassifizieren, denn das rechte Spektrum ist sehr vielschichtig:

1. Der deutsche Karl-Wilhelm-Friedrich-Adolf-Normalverbraucher.
Mittleren bis spätmittelalterlichen Alters. Er tritt in Gasthöfen auf, bestellt ein, zwei (oder bis zu 13) Bier und bildet sich ein, etwas von Politik zu verstehen, was er in Diskussionen am Stammtisch auch offensiv zur Geltung bringt. Gängige Zitate sind "Die Ausländer sind schuld!" oder "Das wird man doch noch mal sagen dürfen!", oft wird noch auf die abgedroschene Phrase "Früher war alles besser" zurückgegriffen.
Unmittelbares Gefahrenpotenzial: gering, jedoch vorhanden (da wahlberechtigt)

2. Der kahlköpfige Schläger.
Jung, ohne nennenswerte Schulbildung, dafür aber oft mit Baseballschläger und gleichwohl glatzköpfigen Freunden unterwegs. Brüllt bevorzugt Parolen und singt national gesinnte Lieder, die meist verboten sind und mit einem Haftbefehl geahndet werden. Wird als aggressiv und brutal eingeschätzt. Schwenkt gerne schwarz-weiß-rote Fahnen mit Reichsadler. Die klassische Glatze (Nationalicus cottbusensin) kommt jedoch immer seltener vor; der moderne Nationalist tritt in Anzug und Krawatte auf Wochenmärkten und Wahlkampfveranstaltungen auf.
Unmittelbares Gefahrenpotenzial: akut.

3. Der nette Sozialist von nebenan.
Tritt gern seriös auf und tarnt sich mit grauen Sakkos. Spricht Passanten an und stellt ausgewählte Fragen wie "Mögen Sie die derzeitige Regierung?" oder "Wussten Sie schon, dass wir von Amerika regiert werden?" Bei Interesse lädt er gern zur heimatlichen Stammtischrunde ein, wo Fotos vom Krieg gezeigt werden und wo man über Deutschlands Zukunft diskutiert. Hauptprogrammpunkt in Fragen zu Wirtschaft, Bildung und Umwelt: "Ausländer raus!"
Unmittelbares Gefahrenpotenzial: unberechenbar; stellt die Demokratie in Frage und erwirbt sich seine Sympathisanten mit bunt-braunen Flyern und Broschüren.

(Quelle: Bundesministerium des Innern)

(Ein besonders seltenes Exemplar aus der Gattung der rechten Extreme ist das "deutsche Mädel", meist blond, leider ungebildet, aber hübsch anzuschauen. Vertritt den 27%-Frauenanteil innerhalb der NPD.)


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Zurück zur Ernsthaftigkeit. In den nächsten Beiträgen zum Thema Rechtsextremismus geht es unter Anderem um den Zusammenschluss von NPD und DVU am 1. Januar 2011, der von der Öffentlichkeit eher unbeachtet geblieben ist, sowie um einige Einblicke in die rechtsextremistische Zeitung "Deutsche Stimme" und rechtes Propagandamaterial im Allgemeinen. Das Problem der deutschen Öffentlichkeit ist, dass man sich über Rechtsextreme im häufigsten Fall lustig macht, dass man sie parodiert und lächerlich macht. Das ist ein Weg, aber es ist wahrscheinlich nicht der sinnvollste, um vor einer ernstzunehmenden Gefahr zu warnen. Das ernsthafte Informieren ist meistens aufschlussreicher, wenn es darum geht, rechtsextremen Argumenten und Propaganda auf den Grund zu gehen und sie fachgerecht zu entschärfen. Die nächsten Artikel und Beiträge auf meinem Blog werden deshalb schätzungsweise um ein Vielfaches seriöser werden.
Was ist der Grund, dass manche Menschen für ein System auf die Straße gehen, das unmenschlich war und zudem auch politisch komplett versagt hat? Wie spiegelt sich die Einstellung dieser Menschen manchmal sogar in den Medien oder in der öffentlichen Meinung wider? Warum sagt ein "nationaler Demokrat" lieber Weltnetz anstatt Internet? Und warum gleichen die Oberlippenbärte der jungen Nationalen immer dem des Österreichers?? Diesen Fragen werden wir auf den Grund gehen.