Mittwoch, 7. Mai 2014

Nachrichten - nur mit Wodka und Krimsekt zu ertragen

Ab und zu beobachte ich die Medien. Dabei mache ich das volle Programm durch: Ich glaube alles, was man mir sagt. Ich bezweifle auch alles, was ich nicht hören will. Ich schimpfe lautstark oder protestiere gegen das, was ich an Dummheit in den Ansichten Anderer identifizieren zu können glaube. Und wenn extreme Meinungen aufeinander prallen und sich benachteiligt fühlen, werde ich irgendwie sauer. Irgendwie wissen immer zwei gegensätzliche Gruppen genau, wie der Hase läuft und niemand bemerkt, wo er im Pfeffer liegt.
Jedenfalls, das Thema „Russland und die Ukraine“ steckt voller Irrtümer. Der erste Irrtum beherrscht die Meinung aufseiten vieler eher links eingestellter Menschen: „Europa und die NATO betreiben Kriegshetze und wollen den Krieg!“, heißt es da. Ein Irrtum? Ja, denn einmarschiert auf die Krim sind die Russen. Putin hat sogar zugegeben, dass russische Soldaten hinter ihren Landsleuten auf der Krim standen, als diese die Kontrolle an sich nahmen. Und was sich jetzt in der Ostukraine abspielt, ist zu einem großen Teil dem Einfluss des übermächtigen Nachbarlandes zu verdanken. Niemand zweifelt mehr ernsthaft daran, dass Russland seine Schäfchen auf der grünen ostukrainischen Weide in jeder Hinsicht unterstützt. Doch in den Augen vieler vor allem linker Friedensaktivisten ist es die EU, die einen Krieg auf jeden Fall provozieren will. Vielleicht wurzelt diese Überzeugung noch aus dem Glauben an den sozialistischen Grundsatz der Friedenspolitik: Der „Osten“ wollte immer den Frieden und trug zum Frieden in der Welt bei, während der amerikanisch-kapitalistische Imperialismus um sich griff. Bis heute, sagen sie.
Und da sind wir schon beim zweiten Irrtum, der sich sowohl auf Seiten der linken Aktivisten als auch in der westlichen Politik wiederfindet: Es wird angenommen, dass Russland in irgendeiner Weise noch immer die Sowjetunion und den Sozialismus verkörpert, sozusagen als Gegenpart zur westlichen Hemisphäre, als Gegenpol des hiesigen Lebensstils. Dabei wird grob übersehen, dass Russland zwar noch immer den Kontrahenten der USA zu stellen versucht, das System als solches jedoch näher am rechten als am linken Rand steht. Putins Präsentation als starker Bärenjäger und freier Oberkörper der Nation erinnert zwar an die einstigen Führungspersönlichkeiten der Sowjetunion, doch Führer hat es schon immer in jeder politischen Extremen gegeben. Und Putins Partei „Einiges Russland“ hat mitnichten den Sozialismus auf dem Programm…
Wie man es dreht und wendet, es wird viel übereinander geredet, gegeneinander und aneinander vorbei. Die einen sehen mit offensichtlicher Bestürzung – und mit innerlicher Genugtuung –, dass die klaren Grenzen von damals nun endlich wieder Gestalt annehmen. Gut und Böse, klar definiert in West und Ost. Die anderen sehen das System, in dem sie leben und von dem sie profitieren, und seine Verbündeten als eigentliches Übel an und stellen sich (wie so oft) provokant auf die Gegenseite. Und beide Seiten fühlen sich in den Medien unterrepräsentiert – ein klares Zeichen dafür, dass sich beide als Advokaten derjenigen sehen, die hier gern die Opferrolle einnehmen. Für die Linken wird Putin zum Heiligen, für die Konservativen ist er der Gestalt des Teufels ähnlich. Und Obama? Kriegstreiber oder guter Samariter? Ansichtssache. Die Revolutionsregierung in Kiew – Demokraten oder Nationalisten? Man könnte endlos darüber streiten, was Frau Timoschenko in Wirklichkeit damit gemeint hat als sie sagte, sie wäre bereit, Herrn Putin mit einer Kalaschnikow in den Kopf schießen. Ein Gleichnis – oder eine Kriegserklärung?

Das Fazit der letzten Tage, Wochen und Monate fällt einigermaßen deprimierend aus: Politische Lösungen in Form von Sanktionen sind nutzlos. Illegitime Volksbefragungen führen zu Annexionen von ganzen Landesteilen. Sturköpfe auf allen Seiten noch dazu. Man findet sie in Washington, Paris und Berlin, in Moskau und in Peking, am Persischen Golf und auch in Brüssel. Und die Opfer? Die sterben in Syrien, massakrieren sich gegenseitig in Slawjansk oder ertrinken auf dem Weg in ein besseres, aber dennoch beschissenes Leben im Mittelmeer.

Und das alles genau hundert Jahre nach 1914.

In aller Welt rennen Außenminister wie z.B. Dr. Frank-Walter Steinmeier von einem Kongress zum nächsten, um sich mit Historikern über das Pulverfass Europa zu unterhalten, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts explodiert ist. Doch Menschen scheinen nichts aus der Geschichte zu lernen – oder zu wenig.
Oder das Falsche.
Es nimmt kein Ende, bis alle Passagiere in den oberen Decks des gleichen Bootes, in dem wir ja bekanntlich alle sitzen, gelangweilt und jene auf den unteren Decks entweder ausgeschifft haben oder ertrunken sind.
Je mehr man darüber nachdenkt, desto weniger Lust hat man, sich die Nachrichten anzuschauen. Wer sich dieser Tage als hoffnungsvoller Pazifist outet, muss sehr naiv sein. Dann lasst uns doch mal alle zusammen naiv sein. Ich bin dabei.


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