Wenn im Januar
wieder das Unwort des Jahres 2015 gekürt werden soll, wird man aus einer schier
unübersehbaren Masse von Vokabeln eine wählen, die das aktuelle Bild unserer
Gesellschaft in den Medien und im allgemeinen Sprachgebrauch auf ihre Art besonders
charakterisiert hat. Wird es der „Gutmensch“ sein oder doch eher der „Asylkritiker“?
Auch die „Überfremdung“ dürfte hoch im Kurs stehen. Mein aktueller Favorit stammt
aber von einem besorgten Bürger namens Engelbert M., der einstmals
Bürgermeister von Bautzen werden wollte und die abendlichen Spaziergänge der Rentner,
Lehrer und Doktoren aus der „Mitte des Volkes“ seit ihren Anfängen im letzten
Jahr treu begleitet. Kürzlich bezeichnete er die Merkel-Gabriel-Konstruktion, die
ein dumpfbackiger Patrioten auf einer Demonstration vor sich hergetragen hatte
und wegen der nun die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wurde, leicht
humoristisch – und vor allem beschwichtigend – als „Ziergalgen“.
Der
Untergang des Abendlandes hat viele Gesichter. Ein besonders hässliches, aber
zugleich ungemein bürgerliches ist das von Pegida. Welches könnte also Unwort
des Jahres werden wenn nicht das unschuldige Wörtchen „Ziergalgen“, dessen Silhouette
über dem vom Sonnenuntergang eingerahmten Abendspaziergang der tapferen
Patrioten thront, die grölend und schimpfend schon seit einem Jahr unsere
christlichen Werte zu verteidigen vorgeben – denn Pegida feiert heute Geburtstag,
und nach nur einem Jahr müssen wir bekennen, dass die Faschisten im
bürgerlichen Schafspelz ihre Sicht der Dinge schon lange salonfähig gemacht
haben – und dass sie überdies noch zu ganz Anderem fähig sind. Die Errungenschaften
der selbsternannten Volksbewegung sind bemerkenswert: Wurden doch im ganzen
Jahr 2014 „nur“ 198 Straftaten gegen Asylbewerberunterkünfte registriert, gab
es bis Mitte Oktober 2015 schon 522 Übergriffe. Mit dem Messerangriff auf die
inzwischen zur Oberbürgermeisterin von Köln gewählten parteilosen Henriette
Reker gab es nun auch einen ersten Gewaltakt gegen eine Politikerin auf höherem
Niveau. Zu verdanken ist dies dem Klima, das von Pegida und ihrer
parlamentarischen Verbündeten, der „Alternative für Deutschland“ (AfD),
geschaffen wurde. Kein Nazi braucht sich mehr hinter dem Stammtisch und seiner zünftigen
Bierfahne zu verstecken, im Jahr 2015 sagt man frei raus was man denkt. Und den
Rücken bekommt man gestärkt von den neuen Führern, den Bachmännern und Höckers,
die vor ihrem versammelten Volk wirre Reden schwingen, von der Islamisierung
des Abendlandes phantasieren und Asylbewerberheime als Luxussanatorien beschreiben.
Diese Menschen beginnen, keinen Hehl mehr daraus zu machen was sie denken und
was sie wollen. Der Journalist Klaus Hillenbrand hat in seinem Kommentar für
die taz
eine ganz entscheidende Feststellung getroffen: „Wer glaubt, ein paar weniger
Asylsuchende in Pirna, Heidenau oder Dresden würden deeskalierend wirken,
verkennt, dass es den Fremdenfeinden nicht um Kompromisse geht. Weder wollen
diese einen Kompromiss noch sind deren Ansichten kompromissfähig. Sie wollen
den autoritären Staat.“ Traurigerweise können wir die, die von sich behaupten aus
der „Mitte des Volkes“ zu kommen, nicht einfach in die rechte Ecke verbannen. Vielleicht
wäre es darum besser einzugestehen, dass mit Pegida tatsächlich Menschen aus
allen Schichten durch die Straßen Dresdens marschieren. Vielleicht sollten wir
nüchtern feststellen, dass auch 1933 nicht nur die Verzweifelten, Arbeitslosen
und sozial Schwachen der NSDAP und Adolf Hitler mit 43,9% der Stimmen zur Macht
verholfen haben, sondern – Menschen aus dem Bürgertum.
Wie wirken
wir dieser bedrohlichen Entwicklung entgegen? Wenn unsere Kinder, Enkel oder
Urenkel in 30 Jahren mit dem Ruf „Wir sind das Volk!“ nur noch das Jahr 2015
verbinden können, dann haben wir alle jämmerlich versagt. Lassen wir das nicht
zu. Eine wehrhafte, lebendige und dynamische demokratische Gesellschaft muss
dem aufkeimenden Fremdenhass und der rechten Systemfeindschaft alles entgegensetzen
was sie aufzubieten hat: Hetzer wie Björn Höcke, der zuletzt bei Günther Jauch
seine Hitparade der unbelegten Behauptungen und Gerüchte zum Besten geben durfte,
können leicht durch Argumente und Fakten widerlegt werden, doch das „Volk“
lässt sich nur durch eine Instanz belehren: durch das Volk selbst. Wir müssen
denen, die es einfach nicht besser wissen, die andere Wirklichkeit vor Augen
führen und sie aus ihrer starren Weltsicht befreien. Das ist unsere Aufgabe,
die sich am sinnvollsten nicht durch die Medien (a.k.a. „Lügenpresse“), sondern
vielleicht besser von Mann zu Mann oder von Frau zu Frau bewältigen lässt. Doch
es wird immer einen harten Kern der Unbelehrbaren geben, mit denen es nicht
lohnt in Dialog zu treten. Ab einem gewissen Grad hilft gegen „besorgte Bürger“
deshalb nur noch eins: In der Gegendemo stehen und die Faschisten niederbrüllen,
Aufmärsche blockieren und die Abendspaziergänger am Ende des Tages frustriert nach
Hause schicken.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen