Der Flug in die Türkei hat schon die ersten entscheidenden Eindrücke bei mir hinterlassen: Es gab etwas zu essen bei Turkish Airlines. Es ist ja bekannt, dass man mich durch gutes Essen beeindrucken kann. Im Flugzeug sind meine Erwartungen aber nicht sonderlich hoch. Umso erfreuter war ich über den gewaltigen Köfte-Klops, das Kartoffelgratin und die Tomaten-Auberginen-Kreation, die zusammen mit einem Stückchen Kuchen, einem Tee und Hirtensalat auf dem kleinen Klapptischchen die gesammte Breite der türkischen Küche zu manifestieren versuchten. (Eine spezielle Anmerkung an die Leserin und den Leser, die mich großgezogen haben: Ja, ich habe Auberginen gegessen und ich werde es ab jetzt immer wieder tun.) - Jedenfalls, ich war zufrieden mit der Aerogastronomie, die meinen Weg nach Südosten verkürzte.
Es sei angemerkt, dass ich noch nie zuvor in der Türkei gewesen bin. Nachdem mich sowohl das Volk der Palästinenser als auch das Volk der Israelis durch ihren Unwillen, auf meine politischen Ratschläge zu hören, bitter enttäuscht hatten, schwor ich der Levante ab und wollte meinen Horizont in die türkischen Gebiete und alles östlich davon verlagern. So saß ich also am Istanbuler Atatürk-Flughafen und wartete auf meinen Anschluss gen Diyarbakır. In der Wartehalle am Gate traf ich auch einen jungen Mann namens Murat, der in Istanbul studierte und ebenfalls meinen Flug nahm. Ich demonstrierte ihm, dass ich wohl türkische Boulevardzeitungen verstehen konnte, aber keinen einzigen anständigen Satz auf seiner Sprache zu sprechen imstande war. Wir verstanden uns ganz gut und er wollte mir in Diyarbakır mit dem Taxi helfen. Als wir schließlich gestartet und wieder gelandet waren, bot er mir an, mich doch direkt ins Hotel zu fahren. Sein Bruder sei Polizist und hole ihn vom Flughafen ab. Ich dachte mir: Entweder Du sparst Dir das Geld für's Taxi und kommst wohlbehalten ins Hotel - oder Du wachst morgen früh im Straßengraben ohne Geld, Koffer und Socken wieder auf. Was soll ich sagen? Der erste Fall von Gastfreundschaft schon am ersten Tag. Denn wie man unschwer erkennen kann, bin ich wohlauf.
Da ich etwas zu früh dran war, konnte ich die zwei ersten Tage in Diyarbakır nutzen, um mir die Stadt anzusehen. Tom, der ebenfalls zu früh dran und direkt aus dem Sudan (!) gekommen war, hatte schon eine Teestube ausgecheckt und einen Käseladen, in dem man auch Arabisch verstand. Er hat mich auch per Notiz in dem für uns vorreservierten Hotel abgefangen und mich ins schäbige Hotel zwanzig Meter daneben umleiten lassen. So konnte auch ich dutzende Liras sparen und mich schon einmal mit Alaturka-Toiletten und verrauchten Gardinen anfreunden.
Die ersten Tage gingen für uns auf der Stadtmauer sitzend und Olivenkerne ausspuckend vorüber. Diyarbakır ist eine hochinteressante Stadt. Die Altstadt (Suriçi) ist von einer sechs Kilometer langen Mauer umschlossen, die von 82 (!) Türmen gesäumt wird. Abends treffen sich außerhalb der Mauern Drogendealer und sonstige Zeitgenossen, aber tagsüber gibt es keinen eindrucksvolleren Platz als einen der Türme mit seiner Aussicht über die Tigris-Ebene. Hier beginnt Mesopotamien. Und schon der osmanische Reisende Evliya Çelebi war im 17. Jahrhundert begeistert von den riesigen Wassermelonen, die auf den Feldern vor der Stadt mit Hilfe des Taubendungs aus den örtlichen Taubenzüchtervereinen sprießten.
Tauben spielen in der kurdischen Sagentradition eine wichtige Rolle. So landen z.B. Geister in Taubengestalt bei Brunnen und verwandeln sich in schöne Mädchen. Später verwandeln sie sich wieder zurück und fliegen davon. Die Taubenzucht an sich hat in Diyarbakır eine 500 Jahre allte Tradition.
Tauben spielen in der kurdischen Sagentradition eine wichtige Rolle. So landen z.B. Geister in Taubengestalt bei Brunnen und verwandeln sich in schöne Mädchen. Später verwandeln sie sich wieder zurück und fliegen davon. Die Taubenzucht an sich hat in Diyarbakır eine 500 Jahre allte Tradition.
In Diyarbakır betrachten sich nur 14% der Menschen als ethnische Türken. Die meisten Bewohner sind Kurden und Zazas. Einige wenige Christen sind geblieben, ansonsten sind die Menschen überwiegend sunnitische Muslime.
Seit 2004 gibt es kurdische Radio- und Fernsehsender. Vor Jahren noch war der Gebrauch der kurdischen Sprache strafbar. Heute ist Privatunterricht auf Kurdisch an Schulen in der Türkei erlaubt, auch kulturelle Ereignisse sind legal.
Tom und ich haben beim Abendessen einen Mann namens Ali C. getroffen, der uns (s)einen Standpunkt zur Politik erläuerte. Anders als viele Menschen in Diyarbakır ist er nicht gegen den Ministerpräsidenten Erdoğan und seine AKP. In der Stadt selbst stellt die kurdische Barış ve Demokrasi Partisi (BDP) den Bürgermeister. Ali beschuldigt den Bürgermeister jedoch, Geld zu veruntreuen bzw. falsch zu investieren und Hotels an der Küste zu bauen. Die BDP würde von den Ladenbesitzern fordern, an Tagen der Parteiversammlungen ihre geschäfte früher zu schließen. Das würde den Alltag verkomplizieren. Auch die PKK und alle ihre Untergruppierungen seien nicht gut für die Kurden. Ein Staudammprojekt, das laut Ali sehr gut für die Region sei, wäre von der PKK durch die Zerstörung von 80 Lastwagen verhindert worden. Erdoğan und die AKP seien gut für die Türkei und auch für die Kurden, meint Ali. Er betont die Reformen des letzten Jahrzehnts und erzählt uns, dass er aufgrund seiner AKP-Sympathien von manchen Leuten verdächtigt wird, kein Kurde zu sein, was er jedoch zu 100% leugnet. Währenddessen essen wir, trinken Ayran und sehen im Fernsehen, wie ein türkisches Publikum den rundlichen Koreaner beim Gangnam Style unglaublich textsicher begleitet. Ali stellt uns ein interessantes Bild dar. Was man ihm jedoch glauben kann oder wie ernst er zu nehmen ist, wissen wir nicht.
Am nächsten Tag werden wir von einer Jesidin, die in Oldenburg eine Änderungsschneiderei betreibt, zum Kaffee ins Deliler Han eingeladen, eine ehemalige Karavanserei im für die Stadt typischen schwarz-weißen Baustil. Basalt war hier als Baustoff sehr beliebt. Die Frau ist sichtlich froh, Deutsche zu treffen und erzählt überschwänglich, dass sie hier Verwandte besuchen würde und so schnell wie möglich wieder nach Deutschland zurück wolle. Auf Muslime ist sie nicht gut zu sprechen. Auch unsere Begeisterung für Diyarbakır kann sie nicht teilen.
Ich bleibe aber trotzdem dabei: Diyarbakır ist eine überraschende Stadt mit dicken Mauern und einem gewissen Reiz. Leider bleiben wir hier nicht allzu lange. Nachdem die Gruppe am Abend des 1. März eingetroffen ist, brechen wir am nächsten Morgen in aller Frühe auf.
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