Donnerstag, 22. Dezember 2011

(Un)Besinnliches

Kurz vor Heiligabend kann man sich ein letztes Mal der Frage widmen, ob man von der diesjährigen besinnlichen Adventszeit auch genug abbekommen hat – an Glühwein, Knabbergebäck und eventuellen Schnäppchen, die es zu machen gegeben hätte.
Die Welt der Weihnachtsmärkte – hier findet man alles, was das Herz begehrt. Und auch alles, was man seinen Lieben zum Fest schenken kann, das dann aber meistens das ganze Jahr im Keller steht. Für kleine Holznikoläuse, Räuchermännchen, Glühweinbowlen und Strohsterne interessiert man sich eigentlich nur bis Anfang Januar. Danach stellt man die weihnachtlichen Accessoires weit weg; dorthin, wo man sie nicht zu sehen braucht.
Doch Weihnachtsmärkte bieten auch ein wunderbares Ausflugsziel für Terroristen und psychisch gestörte Hobbychemiker. Ist da nicht tatsächlich in Berlin einer rumgelaufen und hat jungen Menschen vergifteten Glühwein angedreht? Für umsonst! Dutzende Weihnachtsmarktbesucher lagen danach hochtoxisch im Krankenhaus. Und wenn sich jetzt irgendein armer Kerl da draußen fragt, warum sich kein Mädel von ihm auf ein heißes Glas Glühwein einladen lässt: DIESER Mann ist schuld! – Danke auch.
Ach ja, die Welt ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Angenehm war da doch letztes Jahr die Terrorwarnung. Es bestand zwar zu keiner Zeit Gefahr, aber man warnte erst einmal aus Vorsicht. Um den Konsumdrang der Menschen zu beschleunigen. „Wir lassen uns doch nicht unterkriegen!“ oder „Jetzt gehen wir erst Recht auf den Weihnachtsmarkt!“ – und kaufen deswegen munter weiter, nur etwas schneller und unbesinnlicher, falls doch was passiert. Sehr hilfreich war es da, dass zwei Tage nach der Terrorwarnung von 2010 im staatlichen deutschen Fernsehen ein Film gezeigt wurde, in dem die couragierte Ivonne Catterfeld ihre entführte Tochter aus dem Sudan befreit, aus den Klauen ihres islamisierten Mannes, der sich daraufhin in Hannover auf dem Weihnachtsmarkt in die Luft sprengen wollte. Warum genau er diesen Plan gefasst hatte, war nicht ersichtlich. Es war auch nicht wichtig. Wichtig war nur, dass Normalbürger Otto und seine Hilde in der Glotze zu sehen bekamen, warum eine Terrorwarnung immer begründet ist. Weil das deutsche Fernsehen so gute Filme macht.
Nun gut, seit diesem Jahr wissen wir nun, dass es nicht nur islamistischen Terror in Deutschland gibt. Zugegeben, so richtig gab’s den hier bis jetzt auch nie. Meistens waren die betroffenen Terroristen zu dämlich, manchmal war der Verfassungsschutz auch schneller. Also, trinken wir auf den Verfassungsschutz! – Okay, wir senken die Tassen wieder, denn dieses Jahr wurden wir Zeugen davon, wie nützlich die hunderte von V-Leuten in der rechten Szene sind: Nämlich gar nicht. Terroristen müssen sich erst selbst erschießen und einen Wohnwagen in Brand setzen, dass man da genauer nachhakt. Und dann merkt man unter Umständen, was man schon vor zehn Jahren hätte merken können: Braun stinkt zwar, ist aber noch lange nicht tot.
Zugegeben, in diesen Tagen ist es trotzdem nicht einfach, Terrorist zu sein. Neben den besinnlichen Weihnachtsmärkten mit ihrem vergifteten Glühwein sind auch Bahnhöfe ein hervorragendes Ziel für eventuelle Anschläge. Und vor allem der Bahnhof in Stuttgart… Neben Islamisten und Nazis könnten hier auch Stuttgart21-Gegner aktive werden. – Obwohl, im Moment noch nicht. Erst wenn der neue (von den Grünen gebaute) Bahnhof steht. Heute würde es wohl eher vonseiten der Stuttgart21-Befürworter Sinn machen, ein kleines vor-silvesterliches Feuerwerk zu veranstalten – und somit den Abriss des alten Bahnhofs zu beschleunigen. Da stand ich also letztens am Bahngleis und wollte einfach nur meinen Müll entsorgen. Jetzt hat man aber so viele schöne Möglichkeiten zur Auswahl, wo man seinen Unrat endlagert. Mülleimer mit typisch deutscher Mülltrennung eben, drei Kategorien zur Auswahl: Verpackung, Restmüll oder Papier. Für den normalen Verbraucher kein Problem. Man müsste nur lesen können, was jedoch für die Mehrzahl der Menschen ein ernstzunehmendes Hindernis darstellt. Mein als „Verpackungsmüll“ klassifiziertes Exemplar sah sich in dem dafür vorgesehenen Behältnis mit einer Vielzahl von Papptellern und Bananenschalen konfrontiert. Und da kam mir urplötzlich der Gedanke: Was bitteschön macht ein einfacher, aber umweltbewusster und nachhaltig denkender Terrorist, der eine Bombe gebastelt hat, die sowohl Aluminiumbestandteile als auch größere Mengen an Dynamit beinhaltet? Jetzt will er das Ding in einem Mülleimer zwischenlagern. Soll er die Bombe als Verpackung werten? Oder doch lieber zum Restmüll? Das sind die Fragen, mit der sich Mustapha (oder Adolph) Normalterrorist konfrontiert sieht. Nun gut, am Ende der endlosen Mülltrennerei wird sowieso alles wieder gemischt und zu Klopapier verarbeitet. Oder zu Zement, mit dem man dann in erdbebengefährdeten Gebieten äußerst preiswert Häuser baut. Am besten nimmt der betroffene Verfassungsfeind geknickt, aber doch mit reinem Gewissen, sein Bömbchen wieder mit und verkauft es nach Afrika. Wie unsere gewiefte Bundesrepublik es vielleicht tun würde. Aber damit würde er der deutschen Waffenindustrie Konkurrenz machen. Am Ende würde er vielleicht sogar der Verfassungsschutz aufgespürt und angeklagt werden, wegen nicht lizensierten Verkaufens von Explosionsmaterialien an ein außereuropäisches Land im Kriegszustand.

Wieso all diese wirren und ergebnislosen Gedanken? Und überhaupt, was soll das alles schon wieder? Im Radio hört man nun wieder die alljährlichen Beiträge, die einem das Mit-dem-Strom-Schwimmen madig machen wollen und den Grad der Besinnlichkeit der diesjährigen Adventszeit analysieren. – Mit dem Ergebnis, dass es sich so verhält wie immer: Konsum, Stress, Werbung… null Besinnlichkeit eben. Keine Entspannung. Das Ziel von Weihnachten – verfehlt. Die wahre Aussage – unerhört.
Seien wir froh, dass es sie gibt: Die Weihnachtsmärkte verleihen unserem Konsum ein Gesicht. Sie geben der ganzen Sache mehr Stil, mehr Tradition.

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