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Donnerstag, 21. August 2014

Moscheebrände und fehlende Sensibilität

Innerhalb von nur acht Tagen brannten drei Moscheen in Deutschland. Die Meldungen darüber muss man meist in Regionalzeitungen suchen. Doch endlich fragen einige Stimmen: Was läuft falsch bei uns?

In Deutschland werden antimuslimische Straftaten in keinem Bundesland - mit Ausnahme von NRW (7. Juli) - als solche erfasst. Es ist also nicht verwunderlich, dass bei Ermittlungen zu Moscheebränden recht unsensibel vorgegangen wird. Ein Beispiel:Beim Brand des Rohbaus der Berliner Mevlana-Moschee wurde Brandstiftung fast reflexartig ausgeschlossen. Die Polizei sah „keine Hinweise auf ein politisches Motiv“. Vielmehr käme ein technischer Defekt, beispielsweise einer Baumaschine, oder Fahrlässigkeit als Brandursache in Frage, hieß es in einem kurzen Bericht des RBB am 12. August. Hohe Berliner Politiker blieben der Unglücksstelle fern, von offizieller Seite wurde nur das Mindestmaß an Anteilnahme gezeigt. Der Vorsitzende der Islamischen Föderation Berlin (IFB), Fazlı Altın, übte daraufhin scharfe Kritik am Senat: „Weder der Bürgermeister noch irgendein Senator des Landes Berlin hat es für nötig gehalten, die Mevlana-Moschee zu besuchen oder wenigstens per Telefon sein Mitgefühl mitzuteilen“, sagte er laut einem weiteren Bericht des RBB. Anstelle deutschen Vertreter machten sich der türkische Botschafter Avni Karslıoğlu und der türkische Generalkonsul Ahmet Başar Şen ein Bild von der Lage vor Ort. Türkische Repräsentanten für eine türkische Angelegenheit? Fast scheint es so. Einige Tage später fand man Spuren von Brandbeschleuniger im Schutt. War es doch Brandstiftung? Ganz klar ist es noch nicht. Doch die Situation nötigte dem Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) nun endlich eine schriftliche Stellungnahme ab, in der er versicherte, wie ernst er Brände an religiösen Gebäuden nehme - „ganz gleich, ob es sich um Kirchen, Synagogen oder Moscheen handelt“. Ein überfälliges Statement. Doch Henkel teilte auch mit, er habe den türkischen Generalkonsul telefonisch über die neuen Erkenntnisse informiert. Hier stellt sich wiederum die Frage: Wieso ist das Ganze eine türkische Angelegenheit - und keine deutsche? Henkel wird dafür von MiGAZIN-Gründer und Herausgeber Ekrem Şenol stark kritisiert: „Nicht mit den Gemeindemitgliedern [hat] er also gesprochen, sondern mit Repräsentanten der Republik Türkei. Dass die Moschee auf deutschem Grund und Boden steht und die Gemeindemitglieder mehrheitlich deutsche Staatsbürger sind, [scheint] in diesem Zusammenhang keine Rolle gespielt zu haben.“

Vielleicht ist es genau das, was bei uns falsch läuft: Trotz der alle Jahre wieder aufflammenden Debatten über Kopftücher und Religionsfreiheit ist den meisten Menschen noch immer nicht klar, dass hier keineswegs über die Angelegenheiten, die Kultur und das tägliche Leben von „Ausländern“ oder vorübergehend hier wohnenden Gastarbeitern diskutiert wird, sondern über die Belange von Menschen, die ein Teil unserer Gesellschaft sind und immer sein werden. In seinem Artikel „Moscheen in Deutschland gehören zur Türkei!“ folgert Ekrem Şenol aus der Aussage des Berliner Innensenators: „Wer sich so verhält, zeigt ganz klar, wo er sowohl die Moschee als auch die Gemeindemitglieder verortet. Wer sich so verhält, darf sich nicht wundern, wenn sich Menschen emotional mit der Türkei verbunden fühlen und diese Bindung zu Deutschland einfach nicht entstehen will. Wer sich so verhält, darf sich natürlich auch nicht wundern, wenn in Moscheen türkische Flaggen hängen und im Fernsehen türkische Nachrichten laufen. Darin finden sich diese Menschen viel häufiger als in den deutschen Nachrichten – selbst nach einem Moscheebrand.“
Kommt von deutscher Seite zu wenig? Nach der Aufdeckung der NSU-Morde gab es große Bestürzung und ebenso große Worte vonseiten der deutschen Politik. Es ging darum, Zeichen zu setzen, ein großes „Wir“ zu schaffen. Doch die Mehrheit der Deutschen lassen muslimische Tragödien jedoch kalt - zumindest wenn man vom Medienecho ausgeht. In der Praxis ist Mitgefühl nach Angriffen auf die muslimische Gemeinschaft in Deutschland nur bei Anwohnern, Nachbarn und Lokalpolitikern zu finden. In den Medien gibt es selten Bestürzung, wenn diese angebracht wäre - und selbst auf oberster Ebene herrscht zu oft Stillschweigen. Eigentlich müssten doch deutsche Politiker schon an Ort und Stelle sein, wenn eine Moschee in Deutschland brennt, noch ehe der türkische Botschafter überhaupt etwas davon mitbekommt. Doch als in Bielefeld binnen weniger Tage Gebetsräume von gleich zwei Moscheen mitsamt Koranexemplaren und Gebetsteppichen in Brand gesetzt wurden, schaffte es nur der Integrations-Staatssekretär Thorsten Klute, am Tatort vorbeizuschauen. Die Täter waren durch ein Fenster geklettert, hatten Korane gestapelt und angezündet. Eine politische Straftat war damit allerdings kurioserweise noch nicht erwiesen. Übergriffe auf Moscheen werden hierzulande immer noch als Einzelfälle wahrgenommen - oder als solche verharmlost. Drei Einzelfälle in nur acht Tagen. Können wir das wirklich ignorieren? Lässt es die deutsche Öffentlichkeit denn völlig unbeeindruckt, wenn hierzulande die (heiligen) Bücher einer Religionsgemeinschaft verbrannt werden? Lenz Jacobsen von der ZEIT meint dazu: „Aber, seien wir ehrlich – ginge es nicht um Moscheen, sondern um Kirchen oder gar Synagogen, wäre der Aufschrei groß. Und zwar zu Recht: Gewalt aus Hass gegen Religionen ist deshalb besonders geächtet, weil sie nicht nur das unmittelbare Opfer verletzt, sondern alle, die dazu gehören.“ Und er ergänzt: „Wer einen Koran anzündet, trifft jeden, dem der Koran wichtig ist.“ Dieses Phänomen, das von der Soziologie als „gruppenbezogener Menschenhass“ bezeichnet werde, träfe neben Religionsgemeinschaften auch andere gesellschaftliche Gruppen, z.B. Obdachlose, Arme, Reiche, Ausländer, Deutsche. Doch bei keiner Gruppe nehme die Öffentlichkeit in ihrer Mehrheit Angriffe so schulterzuckend hin wie bei Muslimen. „Das ist Ausdruck einer gefährlichen Kälte im Umgang und einer Distanz vieler Deutscher zu den Muslimen in diesem Land.“ Diese Kälte und ihre Auswirkungen kann sich eine Gesellschaft meiner Meinung nach aber nicht leisten. Wir sollten uns fragen, wo wir stehen und wo wir stehen wollen im Kontakt mit unseren - und zwar allen - Mitmenschen. Denn es geht hier nicht nur um die leidige Debatte, ob der Islam nun zu Deutschland gehört oder nur die Muslime - oder weder noch. Es geht in erster Linie um die Anerkennung von Menschen als unsere Nachbarn und Mitbürger. Man findet regelmäßig dutzende Gründe, eine Gruppe als Ganze zu verteufeln. Doch bei der grundlegendsten Frage des Alltags, nämlich der des friedlichen Zusammenlebens, geht es nicht zuerst um deutsche Islamisten, die in Syrien ihren persönlichen Heiligen Krieg kämpfen, oder um weit verbreitete muslimische Judenfeindschaft, die - anders als der Antisemitismus großer Teile der deutschen Mittelschicht - bisweilen offen zutage tritt. Denn das alles sind Aspekte, die nur von Menschen auf gleicher Augenhöhe angegangen und gegebenenfalls bekämpft werden können. Doch die gleiche Augenhöhe und die nötige Achtung des Gegenübers sind nicht gewährleistet in einer Gesellschaft, in der jegliche Sensibilität fehlt. In der man jemanden noch immer aus fünfzig Meter Entfernung als „Ausländer“ identifizieren zu können glaubt. In eine Gesellschaft, in der sich kaum jemand darüber empört, wenn am 20. Jahrestag des Brandanschlages von Solingen bei Anne Will über Islamismus diskutiert wird. Oder eben wenn nachts Korane verbrannt und Moscheen angezündet oder beschmiert werden.


(Quelle: AP)

Zitierte Quellen:
Moscheen in Deutschland gehören zur Türkei!“ (Ekrem Şenol, MiGAZIN, 21.08.2014)
Und im Stillen brennen die Moscheen“ (Lenz Jacobsen, ZEIT, 21.08.2014)
Keine Hinweise auf politisches Motiv bei Moscheebrand“ (RBB, 12.08.2014)
Ermittlungen nach Moschee-Brand“ (RBB, 16.08.2014)

Dienstag, 22. Oktober 2013

Der Fall Florian H.

„Bad Cannstatt: Aus bislang ungeklärter Ursache ist am Montagmorgen (16.09.2013) gegen 09.00 Uhr an der Mercedesstraße ein Peugeot in Brand geraten.“ – So beginnt die Pressemitteilung des Polizeipräsidiums Stuttgart. Ein Zeuge habe Rauchentwicklung bemerkt und das brennende Auto entdeckt. Der Insasse des Wagens sei verbrannt.
In den folgenden Wochen sorgte der Fall des 21jährigen Florian H. aus Eppingen (Landkreis Heilbronn) für Wirbel, aber nicht für die wirklich großen Schlagzeilen. Dabei ist der Sachverhalt äußerst interessant: Ein Aussteigewilliger aus der rechten Szene wird als Zeuge vernommen, zum NSU und seinem Bezug zu Baden-Württemberg. Dabei erwähnt er auch eine bisher unbekannte Gruppierung, die NSS („Neoschutzstaffel Öhringen“). Und genau an dem Tag, an dem er zum zweiten Mal an einem geheimen Ort in Stuttgart vor den Ermittlern des Landeskriminalamtes aussagen soll, verbrennt er in seinem Auto, in der Nähe des Canstatter Wasens, um 9.00 Uhr morgens. Angeblich auf der Zufahrt desselben Campingplatzes, auf dem sich schon die drei NSU-Terroristen aufgehalten haben sollen. Die Polizei stellt Suizid als Todesursache fest, der Fall wandert zu den Akten.

© 7aktuell
Vielleicht war es ein Selbstmord. Vielleicht hielt Florian H. dem Druck nicht mehr Stand. Und doch, es bleiben einige Merkwürdigkeiten bestehen. Der junge Mann hinterließ keinen Abschiedsbrief, obwohl das Motiv laut dem Stuttgarter Polizeisprecher Thomas Ulmer „im Bereich einer persönlichen Beziehung liegen“ würden. Zumindest ungewöhnlich. Die Mutter des Toten sagt: „Florian war ein sehr lebenslustiger und kritischer Mensch. Er hatte so viele Träume, Wünsche und Ziele. Wer ihn gekannt hat, geht nicht von einem Suizid aus.“ Er hatte außerdem noch einige Termine. Am Tag seines Todes hätte H. eine neue Stelle als Lehrling bei einer Baufirma antreten sollen – und er hatte um 17.00 Uhr einen Termin mit der Polizei.
Schon vor Bekanntwerden der NSU-Morde sprach H. angeblich von einem rechtsextremistischen Hintergrund des Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn. Man hielt ihn für einen Wichtigtuer, bis die Terrorgruppe aufflog. Später erwähnte H. die NSS Öhringen und bezeichnete sie nach dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ als zweitradikalste Gruppe in Deutschland. Es habe sogar ein Treffen zwischen den beiden Gruppierungen gegeben, behauptet er. Auch jetzt hielt man ihn für größenwahnsinnig, weil er sich bei den Aussagen in Widersprüche verstrickte. Er hatte behauptet, den Polizistenmörder zu kennen, konnte bei der Vernehmung jedoch keine Namen nennen.
Dann drängt das LKA nach Monaten plötzlich auf ein erneutes Treffen. Zwischen dem ersten Termin im Januar 2012 und der zweiten, nicht mehr stattgefundenen Befragung lagen mehr als eineinhalb Jahre. Egal, was Florian H. aussagen sollte, er kam nicht mehr dazu. Entweder hat er es selbst verhindert – und dann stellt sich die Frage nach dem Warum – oder er ist verhindert worden. Dabei trennten den Ort, an dem er angeschnallt, in aufrechter Sitzposition und 50 Kilometer von seinem Heimatort entfernt starb, nur 700 Meter vom Landeskriminalamt. Die Stuttgarter Polizei bestreitet zudem nicht, dass es am Ort des Suizids eine Explosion gegeben habe. Allerdings seien auch Spuren von Brandbeschleunigern gefunden worden. Wollte H. den beiden NSU-Terroristen Böhnhardt und Mundlos nacheifern, die ebenfalls vor ihrem Tod das eigene Auto in Brand setzten? Man weiß es nicht. Man könnte aber durchaus in dieser Richtung weiter ermitteln. Doch die Polizei ermittelt nicht weiter.

Sind die zahlreichen Ungereimtheiten nur Zufall? Vielleicht. Doch wie oft haben sich – gerade im Zusammenhang mit dem NSU – viele gemutmaßten Zufälle als fatale Irrtümer und Fehleinschätzungen erwiesen? Es bleiben auf jeden Fall noch eine Menge Fragen offen. Vielleicht würde es sich lohnen, in Baden-Württemberg einen eigenen NSU-Untersuchungsausschuss einzurichten, um Licht hinter all die Zusammenhänge zu bringen.

Ein Informant beschrieb H. dem Schwäbischen Tagblatt zufolge als labil. Und trotzdem meint er: „Mein erstes Gefühl sagte mir, jetzt haben sie ihn doch noch gekriegt.“

Samstag, 28. September 2013

Die einzige Errungenschaft der FDP

Deutschland hat gewählt, die Koalitionsverhandlungen laufen. Es gab eine überragende Gewinnerin und ein paar Verlierer. Für die FDP war das Ergebnis der letzten Bundestagswahl allerdings ein Desaster. Die Folge von fehlgeleiteter Parteipolitik und einem enormen Vertrauensverlust in die Führungsspitze ist gravierend: In der neuen Legislaturperiode werden die Liberalen zum ersten Mal in ihrer Geschichte nicht mehr im Bundestag vertreten sein. Ganze 95,2% der Wählerinnen und Wähler haben ihr Kreuzchen nicht bei der FDP gemacht – infolgedessen werden die meisten von ihnen die Partei auch nicht sonderlich vermissen.

Szenenwechsel. Am 22. August 2013 legte der NSU-Untersuchungsausschuss seinen Abschlussbericht vor. Im Januar letzten Jahres war das Gremium unter Vorsitz des Abgeordneten Sebastian Edathy (SPD) einberufen worden, um seinen Beitrag zur gründlichen und zügigen Aufklärung der Taten der Terrorgruppe zu leisten. Schlussfolgerungen für die Qualifizierung der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden und für eine effektive Bekämpfung des Rechtsextremismus sollten gezogen und Empfehlungen ausgesprochen werden. Elf Abgeordnete des 17. Deutschen Bundestages arbeiteten parteiübergreifend zusammen und setzten sich mit den Versäumnissen aufseiten der bundesdeutschen Behörden zusammen. Nach 16 Monaten voller Zeugenanhörungen lag ein Bericht vor, der über 1.300 Seiten füllte. Das Ergebnis war erschreckend: Der Vorsitzende Edathy sprach von einem „historisch beispiellosen Behördenversagen“. Was noch schlimmer ist: Der Ausschuss hatte im Laufe seiner Untersuchungen mit erheblichen Widrigkeiten, Vertuschungen und Urkundenunterdrückungen zu kämpfen.

Mitglied dieses Ausschusses war auch Hartfrid Wolff von der FDP, der diese Aufgabe mit unübersehbarem Ernst wahrnahm und auch die 250 Seiten starke FDP-Stellungnahme unterzeichnete. Das Fazit bescheinigt den Sicherheitsbehörden ein mangelhaftes Zeugnis. Sowohl im FDP-Bericht als in einigen anderen Stellungnahmen betonte Wolff, dass es immer noch mehr Fragen als Antworten gebe. Doch der Ausschuss hat seine Untersuchungen mit dem Abschlussbericht offiziell abgeschlossen.
Manche mögen die Arbeit des Untersuchungsausschusses vielleicht als beendet ansehen, aber Wolff tut das nicht. Nach Veröffentlichung des Berichts sagte er: „Überall geht die Aufklärung weiter, nur der Ausschuss des Deutschen Bundestages will seine Arbeit beenden – das kann nicht sein und dafür werde ich auch weiter kämpfen.“

Aus Sicht der FDP ist die Aufklärung der Missstände und Behördenversagens noch nicht abgeschlossen. Es ist jedoch fraglich, ob der NSU-Untersuchungsausschuss im nächsten Bundestag fortgeführt wird. Die FDP wird in der kommenden Legislaturperiode nicht mehr vertreten sein. Selbst wenn man den Liberalen politisch in den letzten Jahren kaum etwas abgewinnen konnte – hier werden sie sicherlich fehlen. Wenn es auch nur eine einzige Sache gibt, die man der FDP zu Gute halten sollte, dann ist es die Vehemenz, mit der sie im Namen der Gerechtigkeit die politische Aufarbeitung der NSU-Mordserie vorangetrieben hat.

„Wir plädieren dafür, nach der Bundestagswahl wieder einen Untersuchungs-
ausschuss zur NSU-Mordserie einzusetzen.“ (Foto: Homepage der FDP-Fraktion)