Donnerstag, 26. März 2015

Zu Besuch bei den Cham-Muslimen (Teil 11)

Unseren letzten Tag in Phnom Penh verbrachten wir mit einem Marktbesuch und einem kleinen Ausflug in den muslimischen Teil der Stadt. Im Grunde besteht das islamische Phnom Penh nur aus einer einzigen Straße, die parallel zum Fluss verläuft und von der links und rechts kurze Seitenwege abzweigen. Etwa zwanzig Minuten nördlich des Stadtzentrums reihen sich hier ein Dutzend Moscheen auf einer Strecke von circa zwei Kilometern aneinander. Michael hatte uns am Morgen verlassen und war an die Küste nach Sihanoukville weitergezogen, also waren wir für heute nur noch zu zweit. Marian gehört zu meinen fellow orientalists aus Tübinger Zeiten und war deswegen genauso interessiert an einem Abstecher zu den Cham-Muslimen.


Das muslimische Volk der Cham bildet nach den Vietnamesen die größte Minderheit in Kambodscha. Zu den genauen Zahlen gibt es sehr widersprüchliche Angaben, verlässliche Quellen gehen von 237.000 Muslimen in Kambodscha aus, was ungefähr 1,6% der Bevölkerung gleichkommt. Die hiesigen Cham werden seit den 1960er Jahren auch als Khmer Islam bezeichnet, um sie als Kambodschaner von den chinesischen und vietnamesischen Muslimen abzuheben. Sie besitzen eine eigene Sprache und Schrift und gehören größtenteils dem sunnitischen Islam an. Unter den Roten Khmer litten sie Seite an Seite mit allen anderen religiösen Kambodschanern. Nach eigenen Angaben wurden 132 Moscheen zerstört, nur 20 Geistliche überlebten das Terrorregime. Viele der modernen Moscheen wurden beim Wiederaufbau durch ausländische Gelder gefördert, so gibt es (wie vergleichbar z.B. auch in Bosnien nach dem Bosnienkrieg) einige von Saudi-Arabien finanzierte Moscheen.


Ein Tuk Tuk bringt uns durch die Vororte, wo sich wieder Textilfabriken und Tochterunternehmen vietnamesischer Lebensmittelhersteller zwischen Straße und Fluss drängen. Vor einer Moschee lässt er uns absteigen. Wir haben uns bei der größten Hitze trotzdem Jeans angezogen, um nicht in Shorts durch die Gotteshäuser tingeln zu müssen. Pünktlich zum Nachmittagsgebet kommen wir an und setzen uns in den hinteren Teil der Moschee, während sich die vorderen Reihen mit Gläubigen füllen. Einige kleine Jungen, vermutlich Koranschüler, scheinen noch nie Ausländer aus dem Westen gesehen zu haben und halten es nicht so genau mit Disziplin und Ernsthaftigkeit beim Gebet. Als wir wieder gehen spricht uns jemand von den erwachsenen Männern an und fragt freundlich, woher wir kommen. Natürlich interessiert es ihn auch, ob wir Muslime sind, er verabschiedet uns nach einem sehr kurzen Gespräch mit „Welcome to Cambodia“ und erstattet seinen Freunden Bericht.


Wir spazieren die Straße entlang. Nirgendwo sonst in Phnom Penh sieht man Frauen mit Kopftuch oder Männer mit langen Gewändern und Käppchen. Das muslimische Leben scheint sich ausschließlich in dieser Gegend abzuspielen. Vor den Eingängen fehlen die kleinen Geisterhäuschen, die man überall sonst findet, und es gibt eine Vielzahl von Koranschulen und religiösen Einrichtungen. Viele Cham-Muslime leben vom Fischfang. In einer unscheinbaren Einfahrt auf der flussabgewandten Seite befindet sich das Amt des Muftis von Kambodscha, der höchsten religiösen Autorität. Die Männer an der Rezeption beäugen uns misstrauisch, während wir uns draußen den Schaukasten mit den angepinnten Fotos des letzten großen Projektes mit Malaysia anschauen. Wieder fragt jemand, was uns hierher verschlagen hat, und wieder geben wir Auskunft. Im Erdgeschoss soll gleich der Englischunterricht stattfinden.


Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mir zu oft eher die Rolle des passiven Beobachters zufällt, der die Szene überfliegt und dann zum nächsten Ort weiterzieht. Zum Glück ist Marian da anders und fragt, ob wir uns den Unterricht mal anschauen können. Wir müssen kurz auf die Lehrerin warten, die zwei Minuten später auf ihrem Moped angeflogen kommt. Die kleine Frau mit den stets vor Erstaunen geweitetem Augen und dem schwarzen Khimar, einem langen Kopftuch, ist von der Idee begeistert. Da wir Ausländer seien, hätten wir eine bessere Aussprache („prrrrronunciation“) als die Kambodschaner, meint sie und beschließt, dass heute wir den Unterricht durchführen. Die Lehrerin schaut uns perplex und abermals mit großen Augen an, als wir ihre Frage ob wir Muslime seien verneinen, aber das scheint nicht allzu schlimm zu sein. Wir stellen uns zunächst vor, Marian glänzt mit seinem Arabisch und dann lassen wir die Jungen und Mädchen, die wohl zwischen 15 und 18 Jahren alt sind und getrennt nach Geschlechtern vor uns sitzen, Fragen stellen. Die meisten trauen sich nicht richtig und die Lehrerin verkündet fast schon drohend, dass dies eine einmalige Chance sei – schließlich seien wir die ersten Ausländer in ihrem Unterricht, nach dem Mann aus Pakistan, der vor zwei Monaten zu Gast war. Nach und nach kommen dann doch in äußerster Höflichkeit gestellte Fragen, hauptsächlich von den jungen Männern: Wo kommt Ihr her? Warum seid Ihr hier? Wie gefällt Euch Kambodscha? Ein Mädchen fragt wie groß wir eigentlich seien, was für ein paar Lacher sorgt. Die meisten Fragen drehen sich aber um die Religion: Wenn Ihr Euch doch mit dem Islam beschäftigt, wieso seid Ihr dann noch nicht konvertiert? Was denkt Ihr über den Islam? Welchen Eindruck habt Ihr von Muslimen? Wir finden diplomatische Antworten und erzählen ein wenig von Deutschland. Leider vergesse ich Fotos zu machen, denn der Unterricht nimmt ein abruptes Ende, als die Lehrerin nach einer Dreiviertelstunde gehen muss. Vorher lädt sie uns aber noch für irgendwann zu sich nach Hause ein. Da wir dankend ablehnen, weil für den Folgetag schon die Weiterfahrt nach Thailand geplant ist, ruft sie einen „Bruder“ an, der mit uns reden soll. Über Islam natürlich. Wir wissen nicht, ob er ihr wirklicher Bruder ist oder nur in religiösen Dingen, doch er heißt Said und kommt mit dem Moped, auf das wir uns zu dritt setzen. Nur eine kurze Strecke ist es bis zu der großen Wiese hinter dem Viertel, in dem das Amt des Muftis liegt, und wir steigen ab.


Der Bruder kann nur Arabisch und weiß erst nicht so recht, was er mit uns anfangen soll. Auf der Fläche wird Fußball gespielt, in einem verschmutzten Wasserloch am Rande plantschen ein paar Kinder. Der Mann holt einen Freund zur Hilfe, der Englisch spricht und interessanterweise in nächster Nähe zu unserem Hostel in einem anderen Hotel arbeitet. Wir fragen typische Recherchefragen: Wie viele Muslime gibt es in Kambodscha? Das entpuppt sich allerdings als sehr interessante Frage, denn die meisten Menschen in dieser Gegend scheinen die Zahl der Muslime deutlich zu überschätzen. Als ich in der Schule erzählte, in Deutschland seien fünf Prozent der Bevölkerung muslimisch, ging ein erstauntes Raunen durch die Reihen und erst als die Lehrerin übersetzte, dass Deutschland aber auch 80 Millionen Einwohner hätte, sah man Köpfe nicken. Auch der Mann auf der Fußballwiese behauptet, dass knapp die Hälfte der Kambodschaner muslimischen Glaubens sei. Ich erkläre mir diese Überschätzung am ehesten mit der Tatsache, dass das muslimische Viertel von Phnom Penh tatsächlich sehr isoliert ist. Die Menschen bleiben unter sich und kommen vermutlich eher selten aus ihrer Welt heraus.
Vor einer anderen Moschee machen wir Abschlussfotos mit Said und lassen uns von einem Tuk Tuk wieder in die Stadt bringen. Irgendwie war das ganze ziemlich surreal und obwohl der Fernbus aus und nach Siem Reap genau durch diese Gegend fährt kommt es uns vor, als seien wir die ersten Touristen auf diesem Fleckchen Erde gewesen. Der kurze Besuch war aber eines der Highlights unseres ganzen Urlaubs und schon am Abend hat Said die zwei Fotos mit uns auf Facebook hochgeladen.


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