Montag, 19. Oktober 2015

Götterdämmerung oder Faschisten im Schafspelz

Wenn im Januar wieder das Unwort des Jahres 2015 gekürt werden soll, wird man aus einer schier unübersehbaren Masse von Vokabeln eine wählen, die das aktuelle Bild unserer Gesellschaft in den Medien und im allgemeinen Sprachgebrauch auf ihre Art besonders charakterisiert hat. Wird es der „Gutmensch“ sein oder doch eher der „Asylkritiker“? Auch die „Überfremdung“ dürfte hoch im Kurs stehen. Mein aktueller Favorit stammt aber von einem besorgten Bürger namens Engelbert M., der einstmals Bürgermeister von Bautzen werden wollte und die abendlichen Spaziergänge der Rentner, Lehrer und Doktoren aus der „Mitte des Volkes“ seit ihren Anfängen im letzten Jahr treu begleitet. Kürzlich bezeichnete er die Merkel-Gabriel-Konstruktion, die ein dumpfbackiger Patrioten auf einer Demonstration vor sich hergetragen hatte und wegen der nun die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wurde, leicht humoristisch – und vor allem beschwichtigend – als „Ziergalgen“.  
Der Untergang des Abendlandes hat viele Gesichter. Ein besonders hässliches, aber zugleich ungemein bürgerliches ist das von Pegida. Welches könnte also Unwort des Jahres werden wenn nicht das unschuldige Wörtchen „Ziergalgen“, dessen Silhouette über dem vom Sonnenuntergang eingerahmten Abendspaziergang der tapferen Patrioten thront, die grölend und schimpfend schon seit einem Jahr unsere christlichen Werte zu verteidigen vorgeben – denn Pegida feiert heute Geburtstag, und nach nur einem Jahr müssen wir bekennen, dass die Faschisten im bürgerlichen Schafspelz ihre Sicht der Dinge schon lange salonfähig gemacht haben – und dass sie überdies noch zu ganz Anderem fähig sind. Die Errungenschaften der selbsternannten Volksbewegung sind bemerkenswert: Wurden doch im ganzen Jahr 2014 „nur“ 198 Straftaten gegen Asylbewerberunterkünfte registriert, gab es bis Mitte Oktober 2015 schon 522 Übergriffe. Mit dem Messerangriff auf die inzwischen zur Oberbürgermeisterin von Köln gewählten parteilosen Henriette Reker gab es nun auch einen ersten Gewaltakt gegen eine Politikerin auf höherem Niveau. Zu verdanken ist dies dem Klima, das von Pegida und ihrer parlamentarischen Verbündeten, der „Alternative für Deutschland“ (AfD), geschaffen wurde. Kein Nazi braucht sich mehr hinter dem Stammtisch und seiner zünftigen Bierfahne zu verstecken, im Jahr 2015 sagt man frei raus was man denkt. Und den Rücken bekommt man gestärkt von den neuen Führern, den Bachmännern und Höckers, die vor ihrem versammelten Volk wirre Reden schwingen, von der Islamisierung des Abendlandes phantasieren und Asylbewerberheime als Luxussanatorien beschreiben. Diese Menschen beginnen, keinen Hehl mehr daraus zu machen was sie denken und was sie wollen. Der Journalist Klaus Hillenbrand hat in seinem Kommentar für die taz eine ganz entscheidende Feststellung getroffen: „Wer glaubt, ein paar weniger Asylsuchende in Pirna, Heidenau oder Dresden würden deeskalierend wirken, verkennt, dass es den Fremdenfeinden nicht um Kompromisse geht. Weder wollen diese einen Kompromiss noch sind deren Ansichten kompromissfähig. Sie wollen den autoritären Staat.“ Traurigerweise können wir die, die von sich behaupten aus der „Mitte des Volkes“ zu kommen, nicht einfach in die rechte Ecke verbannen. Vielleicht wäre es darum besser einzugestehen, dass mit Pegida tatsächlich Menschen aus allen Schichten durch die Straßen Dresdens marschieren. Vielleicht sollten wir nüchtern feststellen, dass auch 1933 nicht nur die Verzweifelten, Arbeitslosen und sozial Schwachen der NSDAP und Adolf Hitler mit 43,9% der Stimmen zur Macht verholfen haben, sondern – Menschen aus dem Bürgertum.
Wie wirken wir dieser bedrohlichen Entwicklung entgegen? Wenn unsere Kinder, Enkel oder Urenkel in 30 Jahren mit dem Ruf „Wir sind das Volk!“ nur noch das Jahr 2015 verbinden können, dann haben wir alle jämmerlich versagt. Lassen wir das nicht zu. Eine wehrhafte, lebendige und dynamische demokratische Gesellschaft muss dem aufkeimenden Fremdenhass und der rechten Systemfeindschaft alles entgegensetzen was sie aufzubieten hat: Hetzer wie Björn Höcke, der zuletzt bei Günther Jauch seine Hitparade der unbelegten Behauptungen und Gerüchte zum Besten geben durfte, können leicht durch Argumente und Fakten widerlegt werden, doch das „Volk“ lässt sich nur durch eine Instanz belehren: durch das Volk selbst. Wir müssen denen, die es einfach nicht besser wissen, die andere Wirklichkeit vor Augen führen und sie aus ihrer starren Weltsicht befreien. Das ist unsere Aufgabe, die sich am sinnvollsten nicht durch die Medien (a.k.a. „Lügenpresse“), sondern vielleicht besser von Mann zu Mann oder von Frau zu Frau bewältigen lässt. Doch es wird immer einen harten Kern der Unbelehrbaren geben, mit denen es nicht lohnt in Dialog zu treten. Ab einem gewissen Grad hilft gegen „besorgte Bürger“ deshalb nur noch eins: In der Gegendemo stehen und die Faschisten niederbrüllen, Aufmärsche blockieren und die Abendspaziergänger am Ende des Tages frustriert nach Hause schicken.

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