Freitag, 21. September 2012

Ein kurzer Abstecher nach Hebron

Wahrscheinlich waren es meine Nasennebenhöhlenentzündung, das beginnende Fieber und die September-Sonne, die mich von einem längeren Ausflug nach Hebron abgehalten haben. Diese Stadt, der ich persönlich noch nie etwas abgewinnen konnte, die aber ein Muss für jeden Besucher des Heiligen Landes ist, hatte ich in der Vergangenheit schon mehrere Male besucht.

Dieses Jahr bin ich von Jerusalem aus mit den arabischen öffentlichen Verkehrsmitteln angereist. Mit dem Bus vom Damaskustor in Jerusalem aus bis kurz vor Betlehem, dann weiter mit dem Sammeltaxi direkt nach El-Chalil, wie Hebron auf Arabisch heißt. Die Fahrt dauert eine knappe Stunde. Keine Checkpoints, keine Komplikationen. In der Stadt selbst herrscht Hochbetrieb. Der Basar ist um die Mittagszeit mit Menschen gefüllt und äußerst lebendig.


Nach einigem ziellosen Herumlaufen möchte ich zur Abrahamsmoschee, der Hauptsehenswürdigkeit, und in die jüdische Siedlung. Da Hebron die größte Stadt des Westjordanlandes ist bin ich einigermaßen verloren. Ein Taxifahrer macht das große Geld mit mir, indem er mich in die Nähe des Zielortes bringt. In jenem Teil der Altstadt, der an die jüdische Siedlung angrenzt, ist wenig los. Hier fällt man dann auch wieder auf als westlicher Tourist und erntet die misstrauischen Blicke der Umstehenden. Irgendwie gelingt es mir nicht, zu dem Heiligtum vorzudringen. Zu viele geschlossene Durchgänge sind im Weg. Und der Eingang zur jüdischen Siedlung, von der aus man auch zu den Gräbern von Abraham, Isaak und Jakob sowie deren Frauen gelangt, befindet sich anderswo. Ich laufe nach Gefühl und komme dann näher an mein Ziel.

Wandmalerei im arabischen Hebron

Irgendwann erreiche ich auch wieder die Straße, die man aufgrund der Wurfattacken jüdischer Siedler mit Gittern und Netzen abgesichert hat. In alten Reiseführern ist noch das Bild einer verwüsteten und unzugänglichen Straße zu sehen. Heute pocht hier das Leben der Stadt. Neben einigen kleineren Reisegruppen, die eine politische Führung absolvieren und sich (meist einseitig) weiterbilden lassen, trifft man hier auf die normalen Bewohner der Gegend, die ihr Geld in Kleidung und Nahrung investieren. Auf den Gittern liegen jedoch noch Steine, Dosen und aller möglicher Unrat.


Aus einem der Geschäfte klingt einschlägige Musik... - Da ich als selbsternannter Nahostexperte aus meinen Recherchen auf Youtube das ein oder andere Hamas-Kampflied kenne und (ohne jedoch den Text einwandfrei zu verstehen) auch zuordnen kann, identifiziere ich einen mehr oder weniger bekannten Nasheed, der aus dem Kleidergeschäft tönt und Raketen, Molotow-Cocktails und Märtyrer besingt.


Am Übergang zur jüdischen Siedlung spricht mich ein angeblicher Student von der örtlichen Universität an. Er will mir die Wahrheit zeigen, denn keiner kenne sie so gut wie er. Er erzählt mir etwas von den Juden und von den Osloer Verträgen. Ich erkläre ihm, dass ich schon einmal hier war und dass ich mich ein wenig auskenne.
In Hebron will jeder seine Version der Geschichte loswerden. - Es tut mir leid, aber irgendwie mag ich diese Stadt nicht.
Und es wird auf der anderen Seite ja nicht besser.

(Um die Dramatik zu steigern habe ich die nächsten Fotos in Schwarz-weiß geschossen. Ich kündige das hier an, damit niemand auf die Idee kommt, es wäre ein von mir heimlich eingebautes und irgendetwas bezwecken wollendes Stilelement. Es passt nur einfach zu dieser Stadt.)

In der Siedlung ist nichts los. Sogar der Checkpoint davor sieht dieses Mal recht gleichgültig aus. Der Palästinenserin vor mir schaut ein Soldat kurz in die Tasche und winkt sie dann durch. Normalerweise muss man hier Schlange stehen. Mich fragt man, was ich drüben getan hätte. Ich muss nicht einmal den Rucksack öffnen.


In der jüdischen Siedlung von Hebron leben ungefähr 800 Siedler. Sie werden von Soldaten der israelischen Armee beschützt. Daneben gibt es in diesem Teil der Stadt noch 32.000 Palästinenser. Die bekannte Straße der Siedlung, al-Shuhada Street, ist gesäumt von zwangsgeräumten und versiegelten Geschäften. Hier ist kein Leben zu spüren. Nur vereinzelt kommen palästinensische Kinder aus der Schule zurück.


Die radikal-fundamentalistischen Juden, die hier leben, wollen die heiligen Stätten schützen. Die Höhle, die einst der Patriarch Abraham als Begräbnisstätte für sich und seine Frau gekauft hatte, ist ein wichtiges Heiligtum sowohl im Judentum als auch im Islam. Beide Religionen teilen sich diesen Ort.


Innerhalb der jüdischen Siedlung erinnern Schilder und Gedenktafeln an die Toten, die in der Vergangenheit den Gräueltaten von palästinensischen Terroristen zum Opfer gefallen sind. Es wird ausführlich das Massaker von 1929 beschrieben, bei dem 67 Juden ermordet worden waren. Das Massaker war traumatisch für die jüdische Gemeinde von Hebron, wird bis heute jedoch auch stark ideologisiert. Von den vielen arabischen Familien, die hunderte Juden vor dem Tod retteten und in ihren Häusern versteckten, ist nirgends die Rede.

Eine Tafel erinnert an die Opfer eines Attentats

Hebron ist eine Stadt der Massaker. Auch die Muslime hatten darunter zu leiden: Der jüdische Extremist Baruch Goldstein stürmte 1994 den muslimischen Teil des Heiligtums und erschoss 29 betende Palästinenser, bevor er mit einem Feuerlöscher erschlagen wurde. Vielen Siedlern gilt er heute als Märtyrer, sein Grab wird verehrt.

Eine Stadt voller Geschichten - und es sind fast ausnahmslos Geschichten des Leids. Hebrons jüdische Siedlung ist verbarrikadiert, Mauern und Stacheldraht sieht man an jeder Ecke. Die Menschen ignorieren sich oder feinden sich an. Einen Mittelweg scheint es nicht zu geben. Ich habe einmal eine Dokumentation über die jüdische Siedlung in Hebron gesehen, da wurde eine Siedlerin gefragt, ob sie die Araber nicht stören würden. Wenn sie aus dem Fenster sehe, blicke sie ja direkt auf die arabische Seite. Die Frau überlegte kurz, dann zuckte sie nur mit den Schultern und sagte so etwas wie: "Ja, natürlich... es wäre schöner, wenn sie weg wären. Aber für mich existieren sie gar nicht." - In Hebron lebt man aus Feindseligkeit aneinander vorbei. Keine der beiden Seiten ist die eindeutig bessere. Als ich an der Bushaltestelle sitze, gehen einige palästinensische Schulkinder, Jungen und Mädchen, an uns vorbei und schneiden dem alten Juden neben mir Grimassen und rufen unschöne Dinge. Ein bewaffneter Siedler fährt mit einem Golfplatzmobil durch die Gegend, als würde er auf Patrouille fahren. Die Soldaten an ihrem kleinen Stand schauen nur desinteressiert zu. Ein Junge geht zu einem der Uniformierten und zerrt an einem Gummigurt, den dieser in der Hand hält. Der israelische Soldat ist sichtlich genervt, verkneift sich aber alles, was später irgendwann mal auf Youtube erscheinen könnte. Der Junge zieht weiter. Er hat heute den Helden gespielt und ist im Ansehen bei seinen Freunden garantiert gewachsen.
Und ich warte, dass endlich der Bus mit seinen Panzerglasscheiben kommt, der mich aus diesem unseligen Ort wieder fortbringt.

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