Samstag, 2. November 2013

Antisemitismus in Deutschland - Zur ARD-Reportage (28.10.2013)

Am 28. Oktober 2013 gab es in der ARD eine ziemlich interessante Reportage zum Thema Antisemitismus in Deutschland heute. Um mal so viel vorweg zu nehmen: Auch wenn die kurze Beschreibung in der ARD-Mediathek anderes vermuten lässt, geht es nicht ausschließlich um muslimische Judenfeindschaft in Berlin. Die Dokumentation ist meiner Meinung nach nicht so voreingenommen, wie sie sich zunächst präsentiert. Denn vor allem dann, wenn beim Thema Antisemitismus auch der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern angesprochen wird, ist das Risiko von Missverständnissen groß. In der Reportage geht es aber auch um viel bedeutendere Facetten: Judenhass in der bürgerlichen Mitte, Vorurteile, Klischees und abgetrennte Schweinsköpfe.

(Zur Dokumentation geht' hier.)

Natürlich ist es nicht ganz einfach, das komplette Thema in seiner Gesamtheit durch 44 Minuten Film abzubilden. Deshalb bleibt die Dokumentation nicht ganz ohne Angriffspunkte. Dass sich die Unterscheidung von (legitimer) Israelkritik und modernem Antisemitismus auf einem äußerst schmalen Grat bewegt, ist bekannt. Deutlich wird dieser Sachverhalt, als die Macher auf den Boykott von in israelischen Siedlungen hergestellten Waren eingehen. „Boykott heute und gestern“ heißt es im Hinblick auf den Boykott jüdischer Waren zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft in den Dreißigerjahren. Trifft dieser Vergleich wirklich zu?
Andererseits wird deutlich, auf welche Erkenntnis die Reportage beim Zuschauer abzielt: „Wenn für Juden, wenn für Israel andere Maßstäbe gelten als für den Rest der Welt – das ist Antisemitismus.“ Und damit liegen die Macher ganz richtig. Untermauert wird diese Feststellung durch aktuelle Umfragen: Etwa 38,4% der Befragten in einer Umfrage des deutschen Innenministeriums äußerten angesichts der Politik, die Israel macht, Verständnis dafür, dass man etwas gegen Juden hat – obwohl das eine mit dem anderen nicht zwangsläufig etwas zu tun hat. Sogar 40,5% der Befragten waren der Meinung, Israel behandle die Palästinenser im Prinzip so wie die Nationalsozialisten damals die Juden – eine These, über die man manchmal zu streiten versucht, die aber keiner wissenschaftlichen Betrachtung standhält.

Natürlich, es gibt zwar weder eine Italienkritik noch eine Islandkritik, aber Kritik an der Politik Israels ist mit Recht sehr wohl erlaubt. Die Bevölkerung von Gaza, einer im Nahen Osten als Hafen- und Handelsstadt seit Jahrtausenden mal mehr, mal weniger bedeutenden Metropole, leidet enorm unter der Blockade durch das israelische Militär. Die Menschen im Westjordanland brauchen wegen der Checkpoints ihrer israelischen Besatzer doppelt oder dreimal so lang auf ihrem Weg zur Arbeit, in die Schule oder ins Krankenhaus und Bauern verlieren ihre Felder an militärische Sperrgebiete und marodierende Siedler. Und bei Luftangriffen auf Hamas-Führer werden teilweise ganze Familien ausgelöscht. Das alles ist kein Geheimnis und lässt sich auch mit dem Sicherheitsbedürfnis des territorial recht kleinen israelischen Staates nicht begründen. Kritik, auch scharfe, ist erlaubt und muss erlaubt sein. Wenn man aber legitime und begründete Kritik nicht äußert mit der Begründung, man würde danach ja als Antisemit gelten, dann ist man selbst schuld, wenn diese legitime Kritik nicht erhört wird.
Die ARD-Dokumentation über modernen Antisemitismus in Deutschland spricht aber von genau denjenigen Menschen, die Israelkritik als Vorwand nehmen, um ihrem Antisemitismus Luft zu verschaffen. Und die sind immer noch erschreckend zahlreich. Viele Israelgegner sprechen im ersten Satz von unterdrückten Palästinensern und im zweiten schon von Geldgier, Weltherrschaft und mitunter auch von krummen Nasen.

Meiner Meinung nach sollte man die Themenblöcke Antisemitismus und Nahostkonflikt oft auch getrennt betrachten. Zwar unterliegen beide Schlagworte einer starken gegenseitigen Beeinflussung, doch das ist nur die halbe Wahrheit. Wenn man die Fülle und Komplexität beider Themen ausschließlich unter dem Vorzeichen dieser Beeinflussung betrachtet und das eine auf das andere zurückführt, übersieht man auf beiden Seiten unendlich viele andere, durchaus bedeutendere Faktoren, deren Vernachlässigung gravierende Folgen haben kann. Der Antisemitismus ist in Deutschland immer noch verwurzelt, wie auch anderswo in Europa.

Die ARD-Reportage ist auf jeden Fall sehenswert und informativ. Man sollte sie unvoreingenommen bis zum Ende anschauen, denn wer will, wird schon nach den ersten Minuten einen Grund zum Einspruch finden – egal welche Meinung er vertritt, denn das hat dieses Thema nun einmal an sich.

__________________________________________________________

Anmerkungen zum Wort Antisemitismus

Für alle Besserwisser: Ich weiß natürlich, dass „Antisemitismus“ nicht wörtlich „Judenhass“ bedeutet. Zu den „Semiten“ gehören schließlich auch die Araber, obwohl ich glaube, dass weder die einen noch die anderen wirklich von jenem Sem, dem Sohn Noahs, abstammen. Ich schließe mich deshalb dem Duden an, der Antisemitismus offiziell definiert als „Abneigung oder Feindschaft gegenüber den Juden“. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen