Heute Vormittag war ich mit
einem Bekannten im Ägyptischen Museum in Leipzig. Dort habe ich eine der
verwirrendsten, beeindruckendsten und merkwürdigsten Personen getroffen, die
mir seit Langem untergekommen sind.
„Glauben Sie, dass die alten
Ägypter den Regenbogen gekannt haben?“, fragte mich die alte Dame.
Merkwürdige Frage. Ich
antwortete: „Hmm, Regenbögen treten ja in regenreicheren Ländern bestimmt
häufiger auf.“
Und mit dieser einfachen, physikalisch
und optisch völlig inkorrekten Antwort hätte ich es wahrscheinlich auf sich
beruhen lassen.
„Aber beim Wasserschlauch…“ –
Okay, sie war nicht zufrieden. Und sie hatte auf dieses Gespräch gelauert,
merkte ich.
Was folgte, waren in wenige
Sätze gefasste Erklärungen, die von den beiden Enden eines Regenbogens sowie
seines parallel verlaufenden, aber spiegelverkehrten Ebenbildes bis hin zu dem
Schmuckstück führte, das vor uns in der Vitrine lag. Zunächst hielt ich die
alte Dame für eine verwirrte Kampfrentnerin. Doch ihre Erklärung, wieso das vor
uns liegende Collier in Wirklichkeit grün gewesen sein musste und nicht blau
und rot, wie die Restaurateure es eingefärbt hatten, überzeugte mich. Wieso
genau und warum, ich kann es nicht mehr sagen. Ich fragte sie, ob sie Ägyptologin
sei. Doch da meinte sie nur, sie sei hier, um nicht mit Demenz ins Heim
eingeliefert zu werden. Sie hätte keine leiblichen Kinder, deshalb bräuchte sie
Kinder im Geiste. Dann folgte irgendeine Erklärung, die mit ägyptischer
Symbolik zu tun hatte. Dabei berührte sie ihren Kopf und klopfte auf ihren
Unterleib.
Als ich dieser Frau eine
Etage weiter oben wieder begegnete, ging es wieder los. Dieses Mal hatte sie
einen Schakal auf einem Boot oder Schlitten entdeckt und quasi ad hoc eine neue
Erkenntnis gewonnen – an die ich mich im Detail allerdings nicht erinnern kann.
Es ging mit heiligen Schriften los. Am Anfang war das Wort, meinte sie
jedenfalls. Und dann ging es über frühchristliche Sakralarchitektur, Vorhänge
im Altarraum und das geometrische Kreuz zwischen Ost und West zur nächsten
Erkenntnis: Ost und West seien dasselbe. Was man übrigens auch an Frau Merkel
und Herrn Putin merken würde. Aber da war nichts Politisches dabei, es ging vielmehr
um Philosophie. Dazu malte sie irgendwelche Bilder auf ihre Eintrittskarte. Ich
meinte stirnrunzelnd, dass ich auf diesen Gedanken jetzt nicht gekommen wäre –
halb skeptisch, aber auch ein wenig beeindruckt von dieser unglaublich
gebildeten Dame, für die jeder Satz zu kurz war, um alles hineinzupacken was
sie eigentlich loswerden wollte. Die Frau meinte nur, ich sei ja auch keine 75
Jahre alt wie sie selbst. Sie fragte mich, was ich studiert hätte. Als ich ihr
geantwortet hatte meinte sie, dass es kein Zufall sei, dass ich ihr heute
begegnet war. Sie redete noch ein wenig weiter und irgendwann meinte sie dann
noch, dass sie keine Angst vor dem Tod hätte, da ja schon Einstein bewiesen
hätte (e=mc²), dass Masse nicht einfach verschwinden könne und so immer irgendetwas
zurückbliebe. Schließlich wünschte sie mir viel Erfolg und wandte sich anderen
Vitrinen zu.
Fazit: Entweder bin wirklich ich
persönlich zu dumm, um die wesentlichen Erkenntnisse dieser Frau weiterzutragen
– oder sie war uns allen einfach irgendwie voraus. Egal wie wirr alles
geklungen haben mag, was sie mir gesagt hat, ich konnte kaum etwas
hinterfragen. Diese alte Frau war nicht verrückt und nicht im Geringsten
verwirrt. Alles was sie sagte hatte – auf den ersten Blick zumindest - Hand und
Fuß. Ich hatte eher das Gefühl, dass sie in jeden einzelnen Satz so viel
Information packte, dass es schwierig war ihr zu folgen. Unmittelbar nach den
beiden Gesprächen hatte ich das Gefühl, einer der „erleuchtetsten“ Personen
begegnet zu sein, die mir jemals über den Weg gelaufen sind. Aber irgendwie
fand ich es auch gleichermaßen erschreckend und gruselig.
Aber ihr dürft mich gern für
verrückt erklären… ;)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen