Das kulinarische Leben eines Studenten ist sicherlich bunter als die Allgemeinheit vermutet. Zwar wartet die typische Tiefkühlpizza gerade darauf, von mir in den Ofen geschoben zu werden und all die vielen suspekten Zutaten, die sie in sich trägt, zu einem goldbraunen, italienischen Gaumenschmaus - an dem ich mir regelmäßig den Gaumen verbrenne - zu verbraten, doch das ist nur eine Notlösung für Tage, an denen mich die Schreibwut packt. Ansonsten koche ich mit Vergnügen selbst.
Die studentische Küche ist bunt. Und doch beschränkt sich mein persönlicher Bedarf eher auf die wenigen Gerichte, die ich zustande bringe. Zwar begrenzt an der Zahl, dafür aber umso perfektioniert. Im Grunde dreht sich alles um zwei Bestandteile.
Nudeln und Tomaten.
Es ist eine Sucht, ein Segen und ein Fluch. Denn aus diesen Elementen lassen sich durch Hinzufügen verschiedener Module die raffiniertesten kulinarischen Feuerwerke erschaffen. Spaghetti Bolognese, Spaghetti mit Thunfisch-Tomaten-Sauce, Spaghetti mit reiner Tomatensauce. Mit Pilzen oder ohne. Tödlich scharf mit Chili-Sauce oder veredelt mit Rotwein. Alles ist möglich. Und immer frisch - wenn man holländische Tomaten im Winter als solcherlei bezeichnen kann.
Wie dem auch sei, man hat durchaus die Möglichkeit selbst zu kochen. Alleine oder im Rudel. Man kann natürlich auch in der Mensa essen. Man könnte vermuten, dort gäbe es meistens das gleiche - es hieße nur immer wieder anders. Oder man geht zum Döner. Oder zum Chinesen oder in die Pizzeria. Alle Wege stehen einem offen und man hat sehr wohl die Möglichkeit, die Tiefkühlpizza zu vermeiden.
Was mich in den letzten Wochen jedoch umgetrieben hat ist der Zwang, mit der Zeit zu gehen.
Ich wollte Vegetarier werden.
Dieser Gedanke kam ganz spontan eines Abends und ich dachte mir: Wieso eigentlich nicht.
Ganze zwei Tage meines Lebens hatte ich euphorisch und guter Hoffnung versucht, mir einzureden, ich könne Vegetarier werden. Dazu bin ich erst einmal einkaufen gegangen und habe anstatt dem üblichen 60% Bio-Anteil glatt die 95%-Marke geknackt, habe Fleisch und alle anderen des Menschen unwürdige Nahrungsmittel links liegen gelassen und mich der Gutmenschenabteilung im Kühlregal zugewandt. Bei der unerschöpflichen Auswahl an Veggie-Produkten steht einem ja förmlich der Mund offen. Von Cevapcici über Spaghetti Bolognese bis hin zur Currywurst gibt es eine Vielzahl herkömmlicher Gerichte auch für die anerkannte Minderheit der Vegetarier. Meine kürzliche Einkaufstour hat mir bis jetzt einen nicht zu verachtenden Vorrat an haltbaren Lebensmitteln eingebracht: Tofu im Glas, Geschnetzeltes in Trockenform (keine Ahnung welche Bestandteile da drin stecken) und Bio-Reiswaffeln natur.
Ich war bereit.
Wer unbeschwert
kein Fleisch verzehrt,
der ernährt
sich nie verkehrt.
Soweit so gut. Ich habe mich frisch und munter gefühlt, als ich nach eineinhalb Tagen gemerkt habe, dass ich komplett biologisch abbaubar und guten Gewissens lebe, ohne einem Tier geschadet zu haben. Zudem fühlt man sich gesünder und die Welt steht einem offen. Ich habe es genossen, Vegetarier zu sein.
Eine Hürde bliebe jedoch noch zu überwinden... - Ich bin im Allgemeinen kein großer Freund von Gemüse. Das entpuppt sich für einen Neovegetarier schon mal als ein nennenswertes Hindernis.
Dieses Hindernis hätte jedoch mit einiger Mühe überwunden werden können. Wenn es für Fleisch einen Ersatz gibt, dann wird es auch für Gemüse einen geben. Nein, mein Kartenhaus wurde zum Einstürzen gebracht, als der Tofu sein wahres Gesicht gezeigt hat:
Tofu schmeckt nicht nach Fleisch.
Ich habe die Cevapcici-Zubereitung zusammen mit Reis und Pilzen genossen, habe gourmetant die Augenbrauen gehoben und auch geschmatzt. Doch mit dem nüchternen Abstand einiger Stunden habe ich am Abend bemerkt, dass ich 1. noch Hunger hatte und 2. mein Mittagessen aus der Ferne betrachtet gar nicht gut war.
Das wäre durch meine "Kochkünste" noch zu entschuldigen gewesen, denn der Volksmund sagt nicht umsonst: "Jeder ist seiner Suppe Koch." Und immer noch gilt der Vorsatz: "Man muss das Schnitzel klopfen, so lange es noch roh ist." - Doch es sollte noch härter kommen. Denn als ich an einem grauen Samstagmittag in dieser Jahreszeit, die sich Winter schimpft, durch die Straßen zog, kam mir der Geruch von Sonnabendküche in die Nase, dieses kulinarische Zusammenspiel von Backofen und Küchenherd, welches den Schwaben von der Kehrwoche an den Küchentisch lockt. Wie ein Nebel lag das Aroma von schwäbischer und ungarischer Cuisine über der spießigen, von Einfamilienhäusern gesäumten Straße und erinnerte mich an meine Heimat. An meine kulinarische Heimat. Und mit einem Mal klopfte mein Gewissen an die weiche Schädeldecke und sagte: "Du darfst die Tradition Deiner Väter - und vor allem der Mütter, denn die haben ja gekocht - nicht verachten! Thorschten, komm zur Besinnung!"
Die Kirchenglocken schlugen und ich kam zur Besinnung. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich Hackfleisch aufgetrieben und fand mich in der kleinen Küche wieder. Zwar brachte ich nichts Schwäbisches auf die Reihe - es wurde das übliche Mittagsmahl in Gestalt italienischstämmiger Hartweizenprodukte mit einer der vielen Varianten von Sauce auf Tomatenbasis - doch es ging um die Sache an sich. Endlich wieder was festes im Magen zu haben. Zwar immer noch zu mindestens 75% Bio, aber zumindest Fleisch.
So kam eins zum anderen. Mein zweitägiger Exkurs war vorüber. Die eigens angestammte Pasta-Tradition hatte mich wieder in ihre schützenden Arme genommen.
Heute bin ich wieder der Alte. Regelmäßig wird sich einseitig-kreativ von Tomatensauce und Nudeln ernährt. Bliebe nur noch die Frage zu klären, wie sich jemand so viele Gedanken über das Essen machen kann. Ich weiß es selbst nicht. Doch wir sollten uns vielleicht sogar noch viel mehr Gedanken ums Essen machen. Es ist wahrlich nicht selbstverständlich, dass wir etwas auf dem Tisch haben. Weltweit sterben täglich 37.000 Menschen am Hunger, alle fünf Sekunden verhungert ein Kind auf der Welt. Und in unseren Großstädten werden täglich ganze LKW-Ladungen von Brot und Backwaren vernichtet, weil sie am nächsten Tag nicht mehr frisch sind. Besorgniserregend. Ich glaube, wenn mein Schnitzel irgendjemanden auf der Welt vor dem Verhungern retten könnte, dann würde ich es mit dem Vegetariersein doch gerne nochmal versuchen.
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