Seit meinem letzten Besuch in Nablus im Februar 2011 hat sich nicht viel verändert. Nur das übergroße Plakat des inhaftierten Terroristen/Freiheitskämpfers Marwan Barghuthi prangt nicht mehr am Ortseingang. Das geschäftige Treiben in der Altstadt, die vielen Taxis und der Duft der Bäckereien und das Gegacker der Hühner in ihren garantiert nicht EU-konformen Käfigen ist noch immer dasselbe. Auf dem Weg hinunter vom Berg Garizim bietet sich uns der Blick über die ehemals bedeutendste Stadt Samarias.
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Panorama |
Ein vielfaches palästinensischer als Ramallah und weniger bis gar nicht touristisch ist diese Stadt zwischen den zwei Bergen - dem Garizim und dem Ebal - ein gut gelegenes Ziel für einen Ausflug von Jerusalem aus. Die Anreise erfolgt per Bus via Ramallah. Je nach Dichte der Checkpoints dauert die Fahrt mal länger, mal weniger lang. In der Regel benötigt man etwas mehr als eine Stunde.
Um aus einem einzigen Nachmittag das meiste herauszuholen, haben wir uns zuerst unseren Weg durch die Gassen gebahnt auf der Suche nach der ultimativen kulinarischen Köstlichkeit: Kafeh. - Ein zuckersüßes Etwas von zweifelhafter Konsistenz, hergestellt aus weißem Käse, überbacken mit orangem Weizen und übergossen mit Sirup. Auf jeden Fall lohnenswert.
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Knafeh |
Das kleine Lokal war ein Geheimtipp eines meiner Mitreisenden, direkt neben einer Parfümerie gelegen, in der man angeblich importierte Meisterwerke der französischen Duftkunst käuflich erwerben kann - was westliche Touristen natürlich sofort tun.
Und weiter ging's zur Seife. Die gute Olivenseife à la Nablus stand von Anbeginn auf meiner Einkaufsliste. Drei Fliegen mit einer Klappe schlagend griff ich zu: Kurbelte ich doch durch meinen Kauf die schwache palästinensische Wirtschaft an, erwarb ich gleichzeitig auch ein Stück Geschichte, das aus einer Zeit erzählt, in der Nablus noch der wirtschaftliche Knotenpunkt des damaligen Palästina war - an der Straße nach Damaskus gelegen und umgeben von Olivenhainen. Und ein Haufen origineller Souvenirs in Form grünlichbrauner, wage an Würfel erinnernder Klötze war mein.
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Seifenklötze (hier verpackt), Öl und Eier |
Das Aroma des Suq begleitet einen durch die Gassen. Bäckereien, Gewürzhändler und Fleischer, Souvenirhändler mit Schachbrettern und Lebensmittelhändler lassen den Orient aufleben, wie man ihn sich erträumt. Was in Jerusalem manchmal künstlich wirkt, hat hier seine Authentizität behalten.
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Gewürze |
Man darf jedoch nicht die Tatsache aus den Augen verlieren, dass im Jahre 2004 die Arbeitslosenrate in Nablus bei 60% lag. Die Menschen haben nur das Nötigste und sind oftmals auf Improvisationen angewiesen. Touristen sind ein seltenes Bild; blonde Deutsche sind wandelnde Attraktionen. Die Einwohner der Stadt versuchen, sich mit dem Handel über Wasser zu halten. Und selbst die Limonade aus der PET-Flasche, für die man als Tourist schätzungsweise den doppelten Preis bezahlt, ist mit ihren 4 Schekeln immer noch halb so teuer wie in Israel.
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Bäckerei |
Nablus hat wirtschaftlich gewiss noch ein großes Potenzial. Dieses Jahr wurde der Hawara Roadblock entfernt. Seitdem kann auch wieder die berühmte Eiscreme nach Jordanien und in den Irak exportiert werden. Pro Tag werden von Al-Arz ganze 50 Tonnen Eis produziert.
Die Stadt ist gesäumt von Autowerkstätten und Möbelhandlungen, von denen jedoch auch jede einzelne die Frage offen lässt, ob denn genug Kundschaft für das Angebot da ist.
Der Wirtschaft würde eine Beschleunigung des Friedensprozesses (oder besser: die Wiederingangsetzung desselben) gut tun. Doch in Nablus ist die Distanz zu Israel oder einer baldigen Lösung des Konflikts größer als an vielen anderen Orten. In den Gassen hängen noch hunderte Plakate der "Märtyrer" aus Zeiten der Zweiten Intifada. Es sind Kämpfer der Al-Aqsa-Brigaden, Terroristen - aber auch Kinder. Viele der Abgebildeten sprengten sich in israelischen Linienbussen selbst in die Luft und wurden so zu Mördern, andere wurden bei einem der vielen Einsätze der israelischen Armee inmitten der Stadt als unschuldige Zivilisten getötet. Sie haben die unterschiedlichsten Schicksale, doch hängen sie an derselben Wänden - verewigt für einige weitere Jahre, auf vergilbendem Papier, das sich schon vom Untergrund löst. Der Schmerz der Hinterbliebenen, der Stolz, die Wut - diese Emotionen werden die Lebensdauer des Papiers überleben. Um hier in naher Zukunft Brücken bauen zu können bedarf es einer real wahrscheinlich nicht existierenden Kraft.
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