Während meines Israel-Aufenthalts habe ich einige Zeit bei meinem ehemaligen Arbeitskollegen Chen verbracht. Er gehört auch zweifellos zu den vielen interessanten Menschen, die man auf Reisen trifft. Seine Studentenbude bot mir die Möglichkeit, ein wenig Abstand vom Hostel-Leben zu nehmen, das auf die Dauer vor allem finanziell etwas ins Gewicht fällt. Bei Freunden kommt man jedoch mit einem einfachen, aber guten Geradstettener Trollinger des Jahrgangs 2009 billig unter.
Hier finde ich endlich jemanden, mit dem man ein wenig über Politik und aktuelle Themen reden kann. Chen , dessen Großeltern in den 1950er Jahren aus dem Irak eingewandert waren, arbeitet in der
Jerusalemer Stadtverwaltung als Office Assistant für Meir Margalit, einen Politiker der Meretz-Partei. Der Anthropologie-Student ist selbst in dieser Partei aktiv und besucht regelmäßig Demonstrationen in Tel Aviv und Jerusalem - für die Rechte der Homosexuellen, für soziale Gerechtigkeit, gegen Hauszerstörungen in Ostjerusalem. Als Assistent von Meir Margalit zu arbeiten bot Chen nun neue Perspektiven und Möglichkeiten: Margalit ist zuständig für die Angelegenheiten Ostjerusalems. Er ist damit der erste Politiker einer linken Partei seit langer Zeit, dem dieser Zuständigkeitsbereich zufiel. Bisher waren meistens rechte Politiker für das größtenteils von Palästinensern bewohnte Ostjerusalem zuständig, was aufgrund der schwierigen politischen Lage in der Vergangenheit nicht selten für Komplikationen sorgte. Die Stadt steckt voller Probleme. Immer wieder lassen sich radikale jüdische Siedler in arabischen Wohngegenden nieder und beanspruchen Land für sich, was von den meisten rechten Politikern gefördert oder zumindest geduldet wurde. Illegal errichtete Häuser stehen auf Land, das seit 1967 offiziell als Grünanlage gilt, und werden oft mit einer 24stündigen Vorwarnung abgerissen. Die Bewohner werden auf einen Schlag obdachlos. In den Medien wird hier von der "Judaisierung Ostjerusalems" gesprochen. Natürlich sind die Strukturen und bürokratischen Abläufe, die dahinter stecken, nicht mit wenigen Sätzen erklärt. Doch die nationalistische Haltung der Stadtverwaltung sei bezeichnend. Margalit ist jedoch bekannt für seine kritischen Haltungen gegenüber den Ansichten des Jerusalemer Bürgermeisters Nir Barkat. Dieser vertritt nach Chen eine sehr diskriminierende und nationalistische Position gegenüber den palästinensischen Einwohnern der Stadt. In der Stadtverwaltung würden viele gute Menschen arbeiten, sagt Chen. - Aber Politik ist schließlich kompliziert.
Meir Margalit selbst war zunächst auf dem rechten Flügel der Politik angesiedelt. Der in Argentinien geborene Juden kam 1972 mit einer zionistischen Jugendgruppe nach Israel. Während seines Militärdienstes gründete er sogar eine jüdische Siedlung in Gaza. Nach seiner Teilnahme am Jom-Kippur-Krieg 1973 änderte sich seine Haltung jedoch grundlegend und er wechselte zur radikalen Linken. Im Jahr 2008 wurde er dann zum zweiten Mal in den Stadtrat gewählt, wo er die Meretz-Partei vertritt.
Die Meretz-Partei war die erste, die die Notwendigkeit eines palästinensischen Staates an der Seite des israelischen anerkannte. Die Partei wurde 1992 als Wahlbündnis gegründet und bildet heute eine linksliberale Splitterpartei, die wie viele andere Splitterparteien einige wenige Sitze in der Knesset belegt. Sie unterscheidet sich von der sozialdemokratischen Avoda, dem kommunistischen Chadasch und der arabischen Mitte-Links-Partei Balad. Die Parteienlandschaft in Israel ist sehr vielfältig. Aufgrund der niedrigen Hürde für den Einzug in die Knesset haben auch kleine, unbedeutende Parteien eine Chance. Dies erleichtert jedoch nicht unbedingt die Regierungsbildung. Dominiert wird die israelische Politik jedoch von der liberalen Kadima-Partei, dem rechten Likud-Block, der säkular-nationalistischen Partei Israel Beiteinu und der sozialdemokratischen Avoda dominiert. Auch die ultraorthodoxe Schas-Partei hat nicht zu vernachlässigendes Gewicht. Alle anderen Parteien - Meretz und die arabischen Parteien eingeschlossen - bleiben ohne wirkliche Bedeutung.
Die aufregenden Tage des Protests gegen die soziale Lage der Bevölkerung in Israel sind vorbei. Vor einigen Tagen hat Chen zusammen mit einigen anderen Meretz-Aktivisten gegen die Uhrumstellung demonstriert. In Israel wird die Uhr immer vor Jom Kippur auf Winterzeit zurückgestellt - gut eineinhalb Monate vor Europa und den anderen Ländern. Der Grund? Religiöse Juden fasten an Jom Kippur. Nach Aussage der Ultraorthodoxen werde das Fasten erleichtert, wenn es eine Stunde früher dunkel werden würde. Was eigentlich Unsinn ist, behaupten viele Gegner, denn gefastet wird ohnehin 25 Stunden. - Es gäbe viele Gründe, gegen die Orthodoxen zu demonstrieren. Sie zahlen keine Steuern, bekommen Gelder vom Staat, arbeiten nicht, bekommen dafür aber zwischen sechs und elf Kindern. Und sie sind vom Wehrdienst befreit. Zwar regt sich in der israelischen Gesellschaft langsam Widerstand, doch es werde wohl nie zu einer Pflicht für die Orthodoxen kommen, meint mein Kollege Chen. Und selbst wenn - ein Orthodoxer würde wohl eher ins Gefängnis gehen, als seinen Wehrdienst für ein Land abzuleisten, dessen Existenz er selbst als Gotteslästerung auffasst.
Im Treppenhaus kleben Sticker der Partei. In Chens Wohnung stapeln sich die Kisten. Diese Woche zieht er um in einen anderen Stadtteil. Dazu muss er seine hunderte von Büchern auf allen möglichen Sprachen irgendwo unterbringen. Auch ich verlasse seine Wohnung wieder, um im Hostel zu wohnen und so an Jom Kippur näher am Stadtzentrum zu sein. An diesem Tag steht der Verkehr still und man ist überall recht abgeschnitten. Ich will jedoch abends in die Synagoge gehen und muss deshalb zentral wohnen. Und der dazugehörige Bericht wird dann auch folgen.
Die aufregenden Tage des Protests gegen die soziale Lage der Bevölkerung in Israel sind vorbei. Vor einigen Tagen hat Chen zusammen mit einigen anderen Meretz-Aktivisten gegen die Uhrumstellung demonstriert. In Israel wird die Uhr immer vor Jom Kippur auf Winterzeit zurückgestellt - gut eineinhalb Monate vor Europa und den anderen Ländern. Der Grund? Religiöse Juden fasten an Jom Kippur. Nach Aussage der Ultraorthodoxen werde das Fasten erleichtert, wenn es eine Stunde früher dunkel werden würde. Was eigentlich Unsinn ist, behaupten viele Gegner, denn gefastet wird ohnehin 25 Stunden. - Es gäbe viele Gründe, gegen die Orthodoxen zu demonstrieren. Sie zahlen keine Steuern, bekommen Gelder vom Staat, arbeiten nicht, bekommen dafür aber zwischen sechs und elf Kindern. Und sie sind vom Wehrdienst befreit. Zwar regt sich in der israelischen Gesellschaft langsam Widerstand, doch es werde wohl nie zu einer Pflicht für die Orthodoxen kommen, meint mein Kollege Chen. Und selbst wenn - ein Orthodoxer würde wohl eher ins Gefängnis gehen, als seinen Wehrdienst für ein Land abzuleisten, dessen Existenz er selbst als Gotteslästerung auffasst.
Im Treppenhaus kleben Sticker der Partei. In Chens Wohnung stapeln sich die Kisten. Diese Woche zieht er um in einen anderen Stadtteil. Dazu muss er seine hunderte von Büchern auf allen möglichen Sprachen irgendwo unterbringen. Auch ich verlasse seine Wohnung wieder, um im Hostel zu wohnen und so an Jom Kippur näher am Stadtzentrum zu sein. An diesem Tag steht der Verkehr still und man ist überall recht abgeschnitten. Ich will jedoch abends in die Synagoge gehen und muss deshalb zentral wohnen. Und der dazugehörige Bericht wird dann auch folgen.
Der Begriff "orthodox" bedarf noch genauerer Differenzierung
AntwortenLöschenGegen die Orthodoxen gibt es viele Gründe zu demonstrieren. Sie ... bekommen zwischen 6 und 11 Kinder.
AntwortenLöschenWHAT?? mein lieber Thorsten, es gibt tatsächlich gute Gründe (auch aufgelistet) gegen sie zu demonstrieren... aber der hier???
Lass dich net zu sehr einlullen ;)
Grüß Land und Leute - ich vermiss es!!!
Wie Du schon bemerkt hast, habe ich die guten Gründe zuvor aufgelistet. ;) Die Größe der Familien ist nur ein Aspekt, der die anderen Aspekte quantitativ noch verstärkt. - Und von einlullen kann keine Rede sein. ;) Bin ja selber groß. Und meine Leser auch - hoffe ich.
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