Donnerstag, 22. März 2012

Skopje, das Klein-Istanbul Mazedoniens

Die Stadt hat aus Stein erbaute und mit Gewölben und Kuppeln gezierte Markthallen und Bazare, in denen 2.150 Kaufläden untergebracht sind. Die Gassen sind sauber gepflastert. Jeder Kaufstand ist mit Hyazinthen, Veilchen, Rosen, Narzissen, Basilienkraut, Flieder und Lilien geschmückt, die in Krügen oder Kästen stehen.

Bei heftiger Hitze ähneln die Bazare den Serdab [kühlen Sommerräumen] in Bagdad, denn die Bazare sind wie die in Sarajevo und Aleppo ganz und gar mit Bogengewölben erbaut. Es gibt armenische, bulgarische, serbische und jüdische Gotteshäuser. Solche für die Franken, Madjaren und Deutschen gibt es nicht. Es gibt jedoch ziemlich viel Lateiner [Katholiken] da. Die muslimischen Einwohner sprechen meist türkisch und albanisch. Sie haben eine besondere Mundart. Sie gebrauchen dunkle und abgewandelte Ausdrucke. Sie sprechen aber mit einer besonderen Anmut.
Es ist wirklich eine saubere Stadt, denn alle Hauptwege sind gleichmäßig weiß gepflastert. Es gibt sehr viele Notabeln, Vornehme und Angesehene da. Sie, die Stadt, ist ein Ort, wo Dichter wohnen und wo man die Armen liebt; die Leute lieben Genuss und Lebensfreude, und Liebe und Leidenschaften gehören auch dort zum Besitz des liebeskranken Herzen.

So beschreibt der osmanische Reisende Evliya Çelebi die mazedonische Hauptstadt Skopje, die damals im 17. Jahrhundert den türkischen Namen Üsküp trug. Der Osmane war fasziniert und hingerissen von der Stadt am Vardar-Fluss, was in vielen seiner Berichte herauszuhören ist.
Seinen Charme hat Skopje bis heute nicht verloren. Von Prishtina aus, der Hauptstadt des Kosovo, bewegte ich mich nach Süden. Per Überlandbus geht es in Richtung Mazedonien. Zwischen den noch schneebedeckten Felder und bewaldeten Hügel habe ich mich auf jener Route wiedergefunden, die schon Çelebi im Jahre 1660 auf seiner Reise durch den Balkan nahm. Bis heute haben sich die Zeiten natürlich geändert. Man kommt schneller und weniger romantisch voran im voll besetzen Reisebus. An der Grenze bekommt der deutsche Reisepass keinen Stempel, wahrscheinlich aus Respekt. Nach dem Grenzübertritt ist man in einer guten halben Stunde in der Hauptstadt Mazedoniens, einem Land, über das man genauso wenig weiß wie über das Kosovo. Meistens weiß man nur, dass hier Alexander der Große geboren wurde. Aber auch das entspricht nicht der historischen Wahrheit, und zwischen Mazedoniern und Griechen besteht bis heute ein Streit, wo denn das ursprüngliche Königreich des großen Feldherrn gelegen habe. Den Unterschied zwischen Mazedonien und dem griechischen Makedonien markiert lediglich ein Buchstabe.

Nach dem Grenzübertritt wechselt die Schrift an den Plakatwänden langsam zum Kyrillischen. Ansonsten ändert sich wenig. Auch Skopje selbst überrascht auf den ersten Blick wenig: sozialistische Plattenbauten, eingepfercht zwischen Hügeln. Ein Nebel liegt über der Stadt.
Und doch, sobald man Skopje näher erkundet, wird man auf viele kleine Schmankerl stoßen. Ein Spaziergang geht in der Fußgängerzone los, am großen Triumphbogen und dem überdimensionalen Alexander-Denkmal. Der Taxifahrer, der kaum Englisch konnte, hat mir zuvor mit den Fingern und einem Kopfschütteln zu verstehen gegeben, dass die Regierung hier auf Kosten des Volkes Geld aus dem Fenster geworfen hat. Reine Geldverschwendung, diese Machtdemonstration. Aber irgendwas haben diese monumentalen Kunstwerke. Sie lassen den Betrachter an andere europäische Großstädte denken. Dabei hat Skopje das eigentlich gar nicht nötig. Denn jenseits des Flusses liegt die Altstadt, das alte Üsküp. Überschreitet man die Kamen-Most-Brücke, so steht man am Fuße des Hügels, wo die alte Festung über der Stadt thront, und kann seinen Rundgang durch das Basarviertel, die Čaršija, beginnen. Hier reihen sich alte, zweigeschossige Häuschen aneinander, in denen sich Souvenirshops, Dönerbuden, Antiquitätenläden und Cafés verbergen. Die gepflasterten Gassen führen vorbei an unzähligen Moscheen, ehemaligen Hamams (Dampfbäder) und an Karawansereien, in denen sich heute meist Restaurants befinden. Eine oft nicht wahrgenommene Sehenswürdigkeit ist der Bezisten. Hier befand sich vor Jahrhunderten ein überdachter Markt. Der Gebäudekomplex fällt dem einen oder anderen Besucher durch die Symmetrie seiner Gänge auf. Heute sind auch hier vorwiegend Cafés zu finden.

Skopje ist eine multikulturelle Stadt. Viele Straßenschilder in der Altstadt weisen neben der mazedonischen auch eine albanische Beschriftung auf. Skopje ist die Heimatstadt der Mutter Teresa, die selbst aus einer katholisch-albanischen Familie stammte. Heute sind jedoch über 60% der Bevölkerung Mazedonier und somit orthodoxe Christen. Die jüdische Minderheit, die gut in die städtische Gesellschaft eingegliedert war, wurde im Zweiten Weltkrieg nahezu ausgerottet. An sie erinnert heute das nagelneue Holocaust-Gedenkmuseum, das sich am Eingang auf Mazedonisch, Englisch Hebräisch und Ladino, der spanischen Sprache der südosteuropäischen Juden, als Gedächtniszentrum zu erkennen gibt. Juden gibt es in Skopje heute nur noch eine Handvoll. Auch die albanischen Katholiken bilden eine eher kleine Minderheit. Sogar der Islam hat seine führende Rolle aus früheren Zeiten verloren. Heute machen die größtenteils muslimischen Albaner etwa 20% der Bevölkerung aus, außerdem leben in der Stadt noch über 8.000 Türken. In osmanischen Jahren gab es hier 70 Moscheen und dutzende Koranschulen. Viele der Gotteshäuser sind in keinem besonders guten Zustand mehr, andere wurden detailgetreu und liebevoll restauriert. Für Moscheenliebhaber bietet sich hier einiges: Die Ishak-Bey-Moschee (1439) liegt gleich neben der großen Hauptstraße, umringt von einem kleinen, mittelalterlichen Friedhof und der Türbe (Mausoleum) des Stifters. Die Isa-Bey-Moschee (1475) liegt im Viertel auf der anderen Seite der Verkehrstrasse und wartet mit einem frischen, gelb-grünen Ton auf. Der dicke Baum im Vorgarten des Gebäudes steht dort angeblich schon seit dem Bau der Moschee und soll der älteste Baum Skopjes sein.

Die Sultan-Murat-Moschee liegt auf einer Anhöhe gegenüber dem Festungs-Hügel und macht einen düsteren Eindruck. Ein älterer Herr führt mich herum. Er hat gerade den Rasen gemäht und spricht nur „makedonskij“. Aber er öffnet mir die Tür und knipst das Licht an. Die Moschee selbst ist ziemlich groß und hat Platz für viele Beter. Sie stammt aus dem 15. Jahrhundert und ist somit eine der ältesten islamischen Gotteshäuser der Stadt. Berühmt ist aber vor allem ihr Uhrturm aus roten Ziegeln, der gleich daneben steht und an einen Leuchtturm von der Ostsee erinnert. Er ist auf unzähligen Postkarten vom Anfang des letzten Jahrhunderts zu sehen.


Zwischen der Sultan-Murat-Moschee und der Altstadt liegt der große Markt. Auf dem Bit Pazar finet man neben frischem Gemüse auch reichlich Zigaretten und Sonnenbrillen. Hier wimmelt es von Menschen verschiedenster Nationen, auffällig sind jedoch die vielen türkischen Touristen. Skopje scheint noch heute eine starke Verbindung zur Türkei zu haben, was sich an den Namen einiger Institute, Moscheen und restaurierten Kulturdenkmälern ablesen lässt. Es erinnert auf gewisse Weise an Istanbul. Und der Name Üsküp lebt weiter, auch wenn der osmanische Glanz seit gut 100 Jahren vorbei ist.

Der Gang zur Festung hinauf ist nicht allzu lohnenswerte, denn das Gemäuer ist für Besucher geschlossen, wie ein provisorisches Schild zu verstehen gibt. Dafür kann man einen Blick auf das Fußballstadion erhaschen und einen Blick in die Mustafa-Paša-Moschee erhaschen, bevor man sich zurück in die Gassen der Altstadt macht.

Leider hatte ich auf meiner Reise für diese interessante und durchaus faszinierende Stadt nicht genug Zeit. Man kann den ganzen Charme und den Rhythmus von Skopje nicht innerhalb eines einzigen Tages fassen, doch man bekommt zumindest das Gefühl, dass schon hier der Orient beginnt. Obwohl die Geschichte auch hier oftmals Zerstörung mit sich gebracht hat – sei es der von den Österreichern verursachte Große Brand 1689, das verheerende Erdbeben von 1963 oder die Auseinandersetzungen von 2001, die letzte Nachwehe der Jugoslawienkriege – ist viel von der erstaunlichen Mischung verschiedener Kulturen erhalten geblieben. In den sauberen Gassen der Altstadt, zwischen den Minaretten und bleidächernen Kirchen, da weht noch immer die Seele des osmanischen Üsküp, des albanischen Shkup und des modernen mazedonischen Skopje.

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