Sonntag, 9. Oktober 2011

September in Jerusalem - Abbas und die UN

Seit jenem Freitag im September, als Palästinenserpräsident Abbas ("Abu Mazen") seine Rede vor der UN-Generalversammlung gehalten hat, sind nunmehr über zwei Wochen vergangen. Und es scheint so, als sei die Welt mehr oder weniger zur Tagesordnung zurückgekehrt: Die Human-Rights-Newsletters in meinem Email-Postfach haben seit Langem wieder ein anderes Thema als Palästina und machen nun auf die Opfer der Finanzkrise aufmerksam. In Deutschland weht der Geist irgendeiner Landtagswahl durch die politischen Wetteraussichten. Der Euro liegt in den letzten Zügen.
Wo sind sie hin, Euphorie, Freude, Angst? Es hat unweigerlich der lange Prozess eingesetzt, der die Palästinenser am Ende entweder zu einem eigenständigen Staat macht oder eben zu einem Volk mit Beobachterstatus. Ändern wird sich ohnehin nichts, wird der pessimistische, aber politikerfahrene Leser denken und die letzten 30 Jahre Nahostgeschichte vor seinem inneren Auge Revue passieren lassen.

Ohnehin stach die Palästina-Frage in den letzten Wochen nicht ganz so heraus aus dem Weltgeschehen wie erwartet. Zwei Tage vor der Rede des Palästinenserpräsidenten gab es in New York ein ganz anderes Thema: Libyen. Eine neue Flagge wurde gehisst, die Sieger beglückwünschten sich gegenseitig im Namen der Demokratie. Libyen stellt einen der wenigen positiven Meilensteine dar. Die leidige Palästina-Debatte wurde noch aufgeschoben, man ließ die Sektkorken knallen - während bis heute gekämpft wird.
Zu diesem Zeitpunkt war in Israel und den Palästinensergebieten noch alles ruhig, was sich - wie sich später herausstellen wird - auch nicht ändern sollte. Der Alltag ging seinen gewohnten Gang. Zwar ergriff das israelische Militär die üblichen Sicherheitsmaßnahmen - Männer unter 50 Jahren wurden am Freitag der Abbas-Rede nicht auf den Tempelberg gelassen - doch im Allgemeinen herrschte eine ungewöhnliche Ruhe.


Am Abend des 23. September ging ich durch Ostjerusalem und stieß beim Damaskustor auf ein public viewing. Anstatt eines Fußballspiels zeigte man Al-Jazeera und die Rede des Präsidenten, der in den vergangenen Monaten zunehmend an Beliebtheit gewonnen hatte. Getrübt wurde die Stimmung lediglich durch den Rauch der Straßenstände, die Kebab und Fleischspießchen für die Zuschauer auf dem Grill hatten. Während auf der israelischen Seite der Schabbat begonnen hatte und die wochenendliche Ruhe einkehrte, redete Abbas vor der UNO zu den Völkern der Erde. In jedem Ostjerusalemer Laden liefen die Fernseher. Doch die Menge vor dem Damaskustor war eher überschaubar. Der große Ansturm war ausgeblieben; Plastikstühle standen fein säuberlich in Reihen herum.


Doch die Mehrzahl der Zuschauer bestand eher aus westlichen Reportern und israelischen TV-Journalisten. Die palästinensischen Zuschauer, die hier und da ihrem Präsidenten applaudierten und spontane Sprechchöre anstimmten, waren in der Unterzahl. Dennoch stürzten sich die Reporter auf diese kleine Gruppe, um möglichst authentische Fotomotive zu bekommen.


Authentischere Motive hätten sich wahrscheinlich in Ramallah ergeben, wo zur gleichen Zeit hunderte oder tausende Menschen der Rede von Abbas folgten. In Jerusalem ähnelte die Stimmung eher einem Sportverein, der sich ein Vorrundenspiel der Nationalelf ansieht. Nur gab es, als Abbas geendet hatte, eine kleine Rede, die ein wohl angesehener Ostjerusalemer vor den Zuschauern hielt und der ich aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten nur zur Hälfte folgen konnte. Es ging wohl um Jerusalem als Hauptstadt (so viel konnte ich verstehen), und sie rief einen Sturm der Begeisterung und der "Abu Mazen!"-Sprechchöre hervor.

Diese eher unspektakuläre Veranstaltung verließ ich relativ zügig. Kaum fünf Minuten nach dem Ende der Abbas-Rede setzten die Gebetsrufe der Muezzine ein. Ein gutes Timing, sogar aus New York.

Am nächsten Tag besuchten wir Ramallah. Doch auch hier war von den vorabendlichen Feiern nichts mehr zu sehen. Im Grunde war alles wie immer, schätze ich. Seit meinem letzten Besuch im Februar hatten sich nur die Plakate mit dem Gesicht des Präsidenten vermehrt. Das Ansehen von Mahmud Abbas war gestiegen. Als Nachfolger des legendären Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat hatte er es anfangs schwer gehabt. Doch die Einigung von Fatah und Hamas sowie das mutige Vorhaben bei der UN hatten ihm Pluspunkte eingebracht. Dieser Trend war deutlich zu spüren.


Beim Grab Arafats waren zu meinem Erstaunen keine Besucher. Es war leer und ruhig. Vor einem halben Jahr hatte vor dem großen Grabstein im Mausoleum noch ein grünes Kunststoffgeflecht des rumänischen Außenministers gelegen. Jetzt war der Platz reserviert für einen kleinen Kranz, gestiftet von Abbas persönlich. Vor dem Areal des Mausoleums steht ein Platz mit Fahnen. Alle Länder der Welt bilden einen Halbkreis um die Flagge des Staates Palästina - zumindest alle, die das Land bisher anerkannt hatten.


















Im Großen und Ganzen gab es in Israel und Palästina keine besonderen Vorkommnisse, die sich mit den bloßen Augen erhaschen lassen würden. Welche langfristigen Wirkungen die Rede von Mahmud Abbas vor der UN-Generalversammlung erzielen wird, bleibt abzuwarten. In drei Monaten - oder in sechs - wird es die ersten Entscheidungen geben. Vorerst bleibt alles beim Alten. Es wäre naiv, etwas anderes zu erwarten. Zu hoffen bleibt nur, dass sich beide Seiten endlich wieder an den Verhandlungstisch setzen und nach so vielen Jahren des Schweigens wieder konstruktive Ergebnisse hervorbringen.

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