Freitag, 22. April 2011

Gyöngyöspata (Ungarn): Rassismus mitten in der EU

Rechtsextremismus-Reihe


In den letzten Wochen drangen immer wieder beunruhigende Meldungen aus Ungarn zu uns herüber. Seit März 2011 residiert im Rathaus der kleinen Gemeinde Gyöngyöspata ein Mann, der in rechten Kreisen wohlbekannt ist: Gábor Vona (32), Vorsitzender der ungarischen Partei Jobbik. In dem kleinen Dorf sei es zu vermehrten Holzdiebstahl gekommen. Die Schuldigen: Angehörige der örtlichen Roma-Minderheit, die seit 500 Jahren in Gyöngyöspata - sprich: Djöndjöschpata - ansässig ist. Tatsächlich sei die Kriminalität in den letzten Monaten weder gestiegen noch gesunken, heißt es. Und doch sind sie seit drei Wochen vor Ort: Gábor Vona und seine selbsternannte Bürgermiliz. Sie tragen Tarnanzüge, patroullieren auf den Straßen von Gyöngyöspata und verbreiten Angst und Schrecken, nicht nur unter den Roma.

Dieser Fall hat eine besondere Brisanz: Ungarn besitzt in der ersten Jahreshälfte von 2011 den EU-Ratsvorsitz. Diese Amtszeit begann mit einigen Anlaufschwierigkeiten: Das verabschiedete neue Mediengesetz in Ungarn wurde von den übrigen EU-Mitgliedsstaaten heftig kritisiert. Der ungarische Ministerpräsident Orbán machte deutlich, dass er sich in Sachen Innenpolitik nichts vorschreiben lässt. Hinzu kam die Verabschiedung der neuen Verfassung Mitte April diesen Jahres, die die Vorwürfe der staatlichen Zensur eher bestärkt, anstatt sie zu entkräften. Journalisten und Schriftsteller befürchten eine Einschränkung ihrer Meinungsfreiheit.
Ungarns Politik wird heftig kritisiert. Und ein weiteres Problem für Ungarns Glaubwürdigkeit ist der Fall Gyöngyöspata. Eine rechtsextreme Miliz, die einen kleinen Ort kontrolliert und die Bevölkerung verängstigt. Ein weiterer Grund, einen genaueren Blick auf den Rechtsextremismus in Ungarn zu werfen.

Ungarn hat seit jeher eine einzigartige Stellung in Europa. Der ehemalige Vielvölkerstaat, der neben der ungarischen Bevölkerung auch Minderheiten von Deutschen, Juden, Roma, Slowaken und Kroaten beherbergte, bildete seit Jahrhunderten die Brücke zwischen Balkan und Mitteleuropa. Begonnen mit der Zeit der Völkerwanderung, als die Heere der Hunnen nach Ungarn kamen, über König Stephan I., die Türkenkriege, die Zeit der Donaumonarchie bis hin zum Eisernen Vorhang hat Ungarn eine vielfältige und hochinteressante Geschichte. Schon immer waren in Ungarn die verschiedensten Völker heimisch. Und wie in allen Vielvölkerstaaten hat sich auch in Ungarn schnell eine nationalistische Strömung gebildet. Den Gipfelpunkt erreichte diese Bewegung, als sich in den 1930er Jahren der Faschismus in Europa breit machte. Unter Miklós Horthy wurde (schon ab 1920) eine Reihe antijüdischer Gesetze erlassen. Ab 1938 verschlimmerte sich die Lage der Juden zusehends. Die ungarische Regierung näherte sich in ihrer immer weiter dem nationalsozialistischen Deutschland an. Dennoch weigerte sich Ungarn zunächst, den Deutschen ihre jüdische Bevölkerung auszuliefern. Erst ab 1944 wurden die ungarischen Juden in die Vernichtungslager verschleppt. Insgesamt kamen trotz des späten Beginns der Deportationen weit über 500.000 ungarische Juden ums Leben.
Eine wichtige Rolle bei den Deportationen und der Kooperation mit den deutschen Besatzern spielten die Pfeilkreuzler. Sie waren eine politische, nationalsozialistische Partei, die 1935 gegründet worden war und starken Zulauf hatte. Die Partei Jobbik, die im ungarischen Parlament 46 von 386 Mandaten besitzt, ist der politische Arm der paramilitärischen Ungarischen Garde (Magyar Gárda), deren Auftreten stark dem der Pfeilkreuzer erinnert.


In Ungarn ist das "Heldengedenken" an gefallene SS-Soldaten bis heute lebendig. Jedes Jahr ziehen die rechtsextreme Feierlichkeiten tausende von Neonazis aus ganz Europa an. Im Februar findet alljährlich das "Blood & Honour"-Treffen in Budapest statt. Am Heldenplatz gedenkt man der Kesselschlacht vom 11. Februar 1945, in der um Budapest zehntausende deutscher und ungarischer Soldaten im Kampf gegen die Rote Armee fielen. Heute dienen diese Gedenkfeiern, um europäischen Neonazis eine Plattform zu bieten. Zu Gast sind meist auch Redner von der deutschen NPD.

Bis heute ist in der ungarischen Bevölkerung der Antisemitismus viel gegenwärtiger als zum Beispiel in Deutschland. Doch vor allem die gesellschaftlichen Problematiken mit der Roma-Bevölkerung sorgen für Wirbel. Die Roma, die in Ungarn übrigens nur von Politikern (politisch korrekt) als "Roma" bezeichnet werden und sich selbst "Zigeuner" nennen, sind eine ungeliebte Minderheit, die aufgrund ihrer Andersartigkeit seit Jahrhunderten ins Abseits gedrängt wird. Viele dieser Menschen bleiben ohne Perspektive - und werden deshalb tatsächlich kriminell. Viele Vorurteile haben einen wahren Kern; jedoch nur, weil man den Roma nie eine Chance gegeben hat, sich innerhalb der Gesellschaft zu bewähren.

(Archivbild aus Rumänien)

Im Fall von Gyöngyöspata dienten einzelne gezielte Vorwürfe ganz einfach dazu, ein Theater zu veranstalten. Die Partei Jobbik ("Bewegung für ein besseres Ungarn") entsandte ihre Bürgermiliz, um eine Machtdemonstration zu veranstalten. Die Regierung blieb auffallend ruhig. Entweder ist man machtlos gegen die neue (alte) Kraft von Rechts, oder man toleriert das Gehabe der Rechtsextremen. Die Jobbik und ihre Miliz nutzen die Lage unterdessen zu ihren Gunsten. Sie verstehen sich als Vorstreiter für ein neues, dynamisches und ungarisches Ungarn - und werden damit von Teilen der Bevölkerung bewundert.
Am gestrigen Donnerstag war es dann so weit: Der Höhepunkt ist erreicht. Die Ohnmacht des ungarischen Staates reicht so weit, dass sechs Busse des Roten Kreuzes vorfuhren und 277 Frauen und Kinder der Roma in Sicherheit brachten. Danach fuhren mindestens zehn Polizeiautos auf.

Gyängyöspata ist übrigens nicht das einzige Beispiel. Laut Spiegel online patroullieren die Rechten auch in Hajdúhadháza. Die Bürgermiliz dort nennt sich Szebb Jövöert ("Schönere Zukunft"); einige der Extremisten seien wegen Rowdytums festgenommen worden, wurden jedoch wenig später wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Kinder der "Zigeuner" in Hajdúhadháza trauen sich angeblich nicht mehr auf die Straße.

Solche Beispiele aus Ungarn erinnern an das Treiben der SA-Gruppen in den späten 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Diese waren die Vorboten weitaus schlimmerer Geschehnisse. Zum Glück kann so etwas bei uns in Deutschland nicht mehr vorkommen. - Oder doch?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen