Freitag, 31. Mai 2013

In Worten: Achtzig komma zwei Millionen!

Heute, am 31. Mai 2013, wurden die Ergebnisse der letzten Volkszählung aus dem Jahr 2011 veröffentlicht. Großes Erstaunen: Die Deutschen sind weniger geworden. Aber nicht nur die: Auch die Zahl der Ausländer in Deutschland ist um 1,1 Millionen niedriger als angenommen.
Der Zensus 2011 rief große Kritik hervor. Kritiker sahen den Datenschutz durch die Umfrage gefährdet, bei der etwa jeder zehnte Haushalt untersucht wurde.


Das Ergebnis der Volkszählung weicht überraschend stark von dem ab, das aus den Zahlen der letzten Volksbefragungen vor mehr als zwei Jahrzehnten errechnet wurden. Die letzte Volkszählung in Deutschland fand im Jahr 1987 statt, in den alten Bundesländern - der damaligen DDR - liegt die letzte Erfassung der Bevölkerungszahlen sogar noch länger zurück: 1981 wurde hier das letzte Mal gezählt. Die aktuellen Zahlen zeigen, dass auch Baden-Württemberg an Bevölkerung verloren hat. Nur in Rheinland-Pfalz stimmten die geschätzten Zahlen in etwa mit dem neusten Ergebnis überein.
Negative Folgen haben die Zahlen für einige Städte wie z.B. Mannheim: Weniger Menschen bedeuten auch weniger Steuern, weniger Geld. Mannheim überlegt sich sogar, gegen das (unrealistisch) abweichende Ergebnis zu klagen. - Richtig hart dürfte jedoch Berlin finanzielle Einbußen zu spüren bekommen: Der Stadtstaat müsste bis zu einer Milliarde Euro aus dem Länderfinanzausgleich zurückzahlen, da gut 180.000 Menschen weniger in Berlin leben als zuvor angenommen.
Etwa 7,7% der Einwohner der Bundesrepublik sind Ausländer, d.h. sie besitzen einen ausländischen Pass. Insgesamt haben knapp 19% der Bevölkerung einen Migrationshintergrund. In einzelnen Länder wie Hamburg, Baden-Württemberg und Bremen sind es sogar über ein Viertel der Einwohner. In diese Zahlen sind auch alle Deutschen eingeschlossen, die nach 1955 auf das Gebiet der heutigen Bundesrepublik zugezogen sind oder mindestens einen Elternteil haben, bei dem dies der Fall ist. Vor allem in den neuen Bundesländern haben sich die Annahmen auf Grundlage der letzten bekannten Zahlen - was die ausländischen Bürger angeht - gründlich verschätzt: So wurde etwa geschätzt, dass in Sachsen 115.000 Ausländer leben würden. Der Zensus 2011 ergab nun eine Zahl von 77.000 Personen.

Aus der aktuellen Volkszählung können wir nun allerlei Rückschlüsse ziehen. Umfassendes Zahlenmaterial findet sich auf der Seite des Statistischen Bundesamtes.
Rückschlüsse für die Zukunft sind wichtig. Aber dennoch sollten wir in diesen Tagen auch den verwirrenden und falschen Rückschlüssen der Vergangenheit gedenken: 
Vor 20 Jahren, am 29. Mai 1993, wurde in Solingen der tödliche Brandanschlag auf ein von Türken bewohntes Haus verübt. Diese von jungen Rechtsextremen begangene Tat fand nicht in einem Vakuum statt, sondern in einem äußerst aufgeheizten Klima. Die Angst bestimmter Gruppen innerhalb der deutschen Bevölkerung, die Bundesrepublik würde von einer Flut von Ausländern und Asylbewerbern überrollt, führte zu Ausschreitungen und tödlichen Übergriffen. Sowohl die BILD-Zeitung als auch der Spiegel sorgten mit Schlagzeilen wie "Das Boot ist voll!" für Panik. In diesem Klima wurde z.B. auch die Zentrale Annahmestelle für Asylbewerber in Rostock-Lichtenhagen eine halbe Woche lang von hunderten Rechtsextremen und 3.000 Schaulustigen belagert und schließlich zerstört, in diesem Klima wurden schließlich auch Wohnhäuser angezündet.
Wenn wir die aktuellen Daten betrachten, sind 7,7% Ausländer keine alarmierende Zahl. Die neuen Bundesländer wurden nicht - wie von vielen Alteingesessenen damals befürchtet - durch Heere von Asylanten "überrollt". Die Zahlen der ostdeutschen Ausländer sind deutlich niedriger als erwartet. Dort wo der Rechtsextremismus immer noch den rasantesten Zulauf hat, nämlich in den ostdeutschen Ländern, ist der Ausländeranteil in der Bevölkerung ausnahmslos unter 2%!
Knapp ein Fünftel aller Deutschen hat einen Migrationshintergrund. Mit diesen Gegebenheiten muss man als moderne Gesellschaft umgehen können. Eine wichtige Aufgabe, die nicht unmachbar ist. Allerdings fehlt es noch immer an Feingefühl. Zum Beispiel wenn am 20. Jahrestag ebendieses oben erwähnten Anschlags im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Talkrunden stattfinden, nicht etwa zur Gefahr durch Rechtsextremismus, sondern mit dem reißerischen Titel "Allahs Krieger im Westen - Wie gefährlich sind radikale Muslime?" Gewohnte Fehlgriffe, die dennoch traurig sind.

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