Sonntag, 17. März 2013

Teil 8: Lalisch

Ein Ort von besonderem Interesse ist das Heiligtum der Jesiden, Lalisch. Weder die Religion selbst noch die damit verbundenen spirituellen und kulturellen Besonderheiten sind im Westen wirklich bekannt. Hier zunächst einmal ein kurzer Überblick:

Die Jesiden sind eine religiöse Minderheit innerhalb der Kurden. Sie nehmen für sich in Anspruch, die ursprüngliche Religion aller Kurden zu sein. Im Irak lebt heute ungefähr eine halbe Million Jesiden. Die mit 60.000 Mitgliedern zweitgrößte Gruppe ist in Deutschland angesiedelt. Die Jesiden sprechen Kurmandschi, den nördlichen Dialekt des Kurdischen, während die Mehrheit der Kurden im Nordirak Sorani spricht.
Die Religion der Jesiden ist sehr alt, wurde aber in den vergangenen Jahrhunderten und Jahrtausenden durch die umliegenden Religionen bedeutend beeinflusst. Einflüsse aus dem sufischen Islam sowie Elemente der iranischen Religionen wie z.B. dem Zoroastrismus haben das Jesidentum geprägt. Es herrscht jedoch ein strikter Monotheismus, der Gott als Schöpfer über alles stellt. Eine zentrale Rolle spielen aber auch sieben Engel, von denen einer (der Taus-i Melek) zum Wächter der Welt und Mittler zwischen Gott und den Menschen erhoben wurde. Er wird durch einen Pfau symbolisiert.
Man kann zudem nicht Jeside werden, sondern wird als solcher geboren. Es gibt keine Konversionen und es wird normalerweise auch nicht außerhalb der Gemeinschaft nicht geheiratet. Einerseits macht diese Praxis den Fortbestand einer Religionsgemeinschaft schwierig, andererseits werden Bräuche und Sitten so konserviert.


Gleich am Anfang des kleinen Rundgangs mussten wir unsere Schuhe ausziehen. Der heilige Boden darf - wie auch z.B. eine Moschee - nicht mit dem Dreck der Straße beschmutzt werden. An einem speziellen Brunnen wird eine der Exkursionsteilnehmerinnen, eine Jesidin aus Deutschland, unter laufender Kamera getauft. Eine Seltenheit, die vom kurdischen TV festgehalten werden muss.
Die Türschwellen sind etwas erhöht, doch man darf sie nicht mit den Füßen berühren. Wir machen einen großen Schritt, als wir das Hauptgebäude betreten. Im ersten Saal stehen einige Säulen, um die Tücher gewickelt sind. Vergleichbar mit den christlichen Fürbittengebeten bringt man hier Wünsche, Anliegen und Bitten vor, während man einen der vielen Knoten in den Tüchern löst und der Knotensammlung wieder einen anderen hinzufügt. Danach steigt man eine kleine Treppe hinauf zu einem weiteren Raum, in dem ein Schrein mit dem Grab von Adi ibn Musafir steht, einem jesidischen Scheich uns Glaubensreformer des 12. Jahrhunderts. Er führte u.a. das Kastensystem im Jesidentum ein. Dreimal muss man den Schrein bei der Pilgerfahrt umgehen. Das Grab des Scheichs ist Jahr für Jahr Ziel jesidischer Pilger, denn einmal im Jahr soll man als Jeside den Weg nach Lalisch zurücklegen. Für die weiter entfernt lebenden Jesiden gilt - wie für Muslime auf Mekka bezogen - der Vorsatz, die Reise zum zentralen Heiligtum mindestens einmal in ihrem Leben zu unternehmen. Die meisten Pilger kommen zwischen September und Oktober zur siebentägigen Pilgerfahrt. Im Rahmen der Feierlichkeiten wird auch ein Ochse geschlachtet.
Nachdem man den Raum mit dem Schrein des Scheichs hinter sich gelassen hat, kommt man in zwei längliche Räume, in denen es nach ranzigem Öl riecht. An den Wänden stehen große Gefäße mit dem heiligen Olivenöl, das für rituelle Zwecke hier lagert und das sich Frauen mitunter auch in die Haare schmieren.

 
Einst bildete das Jesidentum den spirituellen Kern der Region. Heute ist die kleine Glaubensgemeinschaft weitgehend isoliert und politisch unbedeutend. Als Minderheit wurden sie in den letzten Jahrhunderten oft zur Zielscheibe von Hass und Vernichtung. Den ersten Höhepunkt bildete der osmanische Völkermord an den Armeniern, in dessen Vollzug auch die Jesiden systematisch verfolgt wurden. In jüngerer Zeit (besonders seit Ende des Irakkrieges 2003) wurden jesidische Dörfer vermehrt Ziele bewaffneter Angriffe und Anschläge vonseiten der Al-Qaida. Einige Anschläge waren Racheakte für den Mord an einer jungen Jesidin, die - laut muslimischen Fundamentalisten - zum Islam übergetreten sein soll und angeblich infolgesessen von ihrem Stamm gesteinigt worden war. Der Fall machte international Schlagzeilen.


Lalisch ist ein hochinteressanter Ort, der auf jeden Fall einen Besuch wert war und der Interesse am Jesidentum weckt. Vor allem aber ist eine Besichtigung des Heiligtums notwendig, um das Puzzle der religiösen Landschaft Kurdistans und auch des Irak zu vervollständigen.

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