Freitag, 27. Mai 2011

Der Schlächter von Srebrenica

Gestern Abend wurde einer der meistgesuchten Massenmörder Europas gefasst: der ehemalige bosnisch-serbische Armeegeneral Ratko Mladić. Er war seit 16 Jahren auf der Flucht und wurde nun in Lazarevo, einem kleinen Dorf im serbischen Banat, gefasst. Seit Jahren soll er hier im Haus seines Onkels gelebt haben. Der 69jährige befinde sich in einem schlechten gesundheitlichen Zustand, hieß es aus offiziellen Berichten.

Was wird Mladić zur Last gelegt?

Der serbische General soll nicht nur unmittelbar für die Massenmorde an bosnischen Muslimen während des Bosnienkrieges 1995 beteiligt gewesen sein, er soll sie auch veranlasst haben. Der wichtigste Name in diesem Zusammenhang ist Srebrenica. Dort sollen im Juli 1995 bis zu 8.000 Bosniaken zwischen 12 (!) und 77 Jahren von serbischen Soldaten ermordet worden sein. Der Begriff Völkermord wird international nicht anerkannt, da die Frauen und Kinder (unter 12 Jahren) verschont blieben. Dabei diente die „Aktion“ eindeutig dem Zweck, die kleine Stadt Srebrenica von muslimischen Bosniaken zu „säubern“. Dies alles geschah im Beisein einer hilflosen niederländischen UNO-Schutztruppe. Die eingerichtete UNO-Schutzzone hatte keinen Effekt. Letztendlich wurden die Männer und Söhne von ihren Frauen, Müttern und Töchtern getrennt und in der umliegenden Gegend exekutiert. Bis heute arbeiten Freiwillige an der Identifizierung der Opfer, die in Massengräbern verscharrt wurden. Es ist zudem noch weitgehend unbekannt, wie viele Menschen durch den gezielten Beschuss von bosniakischen Flüchtlingen in den Wäldern starben.

Vor einigen Wochen habe ich mich durch Zufall mit Srebrenica auseinandergesetzt, als ich auf youtube.com auf einige Videos stieß, die während der Flucht der Bosniaken aus Srebrenica aufgenommen wurden. Es gibt auch einiges an dokumentarischem Videomaterial, nicht zuletzt von den Verhandlungen der eingeschüchterten Holländer mit Mladić höchstpersönlich. Für mich persönlich fügte sich aus den vielen Bildern und Szenen ein Bild zusammen, das alles andere als den stolzen Armeegeneral beschreibt, wie er auf vielen Bildern dargestellt wird. Ich war fast schon enttäuscht über die seriösen Porträtfotos, die nach dem Bekanntwerden der Festnahme von den Online-Nachrichtendiensten gezeigt wurden. Der Herr General in Uniform, der Herr General in Zivil mit Baseballmütze.


(Quelle: Handelsblatt)

Wer sich mit den Bildern aus Srebrenica auseinandersetzt und den Gesprächen und Gesten, die damals – vor nicht einmal 16 Jahren – stattfanden, wird zu einem weitaus gravierenderen Bild kommen. Mladić, wie er den Ort Potočari inspiziert, in dem die UNO-Truppenstationiert sind. In rüdem Ton weist er einen Soldaten an, ein bosniakisches Straßenschild herunterzunehmen. Er tritt vor den Kameras als serbischer Feldherr auf, der die Gegend von allem nicht-serbischen säubert. In einer anderen Aufnahme verhandelt er mit dem niederländischen Kommandeur der UNO-Truppe, Thomas Karremans. Er gibt sich teils arrogant, teils freundlich, raucht ständig seine Zigarette. Danach stoßen die Männer auf ein langes Leben an. Karremans und den Holländern ist es nicht zum Lachen zumute. Nur Mladić scheint sich zu amüsieren. Er hat die Zügel in der Hand. Trotz verschiedenen Verhandlungen und Absprachen wird er in den nächsten Tagen mindestens 8.000 bosniakische Zivilisten erschießen lassen.
Die Szene, die jedoch am ironischsten anmutet, ist der Besuch von Mladić bei einer großen Gruppe von Frauen und Kindern, die sich in der Obhut der UNO-Blauhelme befanden. Er tätschelt die Wange eines Jungen, er wirft sogar Süßigkeiten in die Menge – um kurz darauf die Familien ihrer Väter und Söhne zu berauben. Eiskalt und abgeklärt handelt er. Kein anständiger Soldat, sondern der Kommandeur eines blutigen Massenmordes.


(Quelle: img3.picload.org)

Heute wurde von einem serbischen Gericht zugewilligt, dass Ratko Mladić nach Den Haag an den Internationalen Strafgerichtshof ausgeliefert werden kann. Gestern Abend hatte er dem Haftrichter zwar noch den gebrechlichen alten Mann vorgespielt. Doch die Gerechtigkeit wird auch hier stärker sein als der Stolz des serbischen Generals. Wir haben lange genug Skrupel davor gehabt, alte Männer zu verurteilen. Ob Demjanjuk oder Mladić – zwischen Massenmördern besteht kein Unterschied. Ich wünsche mir, dass General Mladić die volle Härte des Gesetzes trifft.

Interessante sind jedoch auch die politischen Auswirkungen bzw. Hintergründe. Es wird angenommen, dass die serbische Justiz den Aufenthaltsort des Mörders von 1995 schon lange kannte. So groß ist Serbien nicht. Doch natürlich kann man sich aussuchen, wann wohl der günstigste Zeitpunkt wäre, den europäischen Staaten entgegenzukommen. Für einige Denker der serbischen Führung war dieser Zeitpunkt wohl gekommen. Als Gegenleistung für die Festnahme eines Kriegsverbrechers kommt Serbien nun dem Beitritt zur Europäischen Union einen großen Schritt näher. Bemerkenswert ist jedoch auch der Rückhalt, den Mladić und seine Kameraden innerhalb der serbischen Gesellschaft an vielen Stellen genießen. Da stellt sich die Frage: Ist das serbische Volk bereit für die EU?


(Quelle: Die Welt)

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