Montag, 19. März 2012

Albanien - Land der Religionen? Wohl kaum - oder doch?


Irgendwann stellt sich vielen Touristen im Gespräch mit einem Albaner die Frage nach der Religion. Wie sieht es heute mit den Bewohnern aus, nach so vielen Jahren des Kommunismus? Immerhin hatte die Partei in den 1960er Jahren alles Religiöse praktisch abgeschafft. Religionsausübung war verboten, Moscheen und Kirchen wurden zerstört. Das heute verfassungsgemäß laizistische Land hat dennoch traditionell ein ausgeprägtes muslimisches Erbe. „Natürlich bin ich Muslim“, sagt Idriz, der Barkeeper in der kleinen Café-Bar des Hostels. „Offiziell.“ Aber in Wirklichkeit sehe er sich eher als Buddhist, erzählt er mir. Religion spiele für ihn keine Rolle, er versteht auch die europäische Politik und die internationale Konkurrenz zwischen Christen und Muslimen nicht. „Die Religionen sind doch im Grunde alle gleich“, meint er und spült weiter seine Gläser.
So sehen es die meisten Albaner, so scheint es. Die albanische Hauptstadt Tirana jedenfalls wirkt nicht muslimisch auf mich. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren 70% der Albaner muslimischen Glaubens. Nach dem Krieg und mit dem Beginn der kommunistischen Zeit hatte sich die religiöse Landschaft stark verändert. Verlässliche aktuelle Erhebungen gibt es jedoch keine. Am Skanderbeg-Platz steht die Et’hem-Bey-Moschee, die schönste Albaniens, aber dem Gebetsruf des Muezzins folgen nur wenige. Hauptsächlich ältere Männer begeben sich am Mittag gemächlich zum Gebet und halten vor dem Eingang des Gotteshauses ein gemütliches Pläuschchen. Die schönen Mädchen Tiranas kleiden sich wie die jungen Frauen anderswo auch: aufreizend und manchmal ein wenig overdressed. Nur selten kommt mir eine Frau im Schleier entgegen. Nur ab und zu sieht man auf der Straße Männer, die einen Vollbart tragen und sich als religiöse Muslime oder gar Salafisten zu erkennen geben.
Albanien hat in der bunten Welt des Islam ebenfalls eine Besonderheit vorzuweisen: den Bektaschi-Orden. Dieser Zusammenschluss von Sufis steht für eine andere, eine spirituellere Richtung des Islam. Im Jahre 1939 gehörten dieser Konfession etwa ein Drittel der Muslime in Albanien an. Der Orden betreibt einige Tekken (Ordenshäuser), in denen die Bektaschi-Derwische leben. Von einem Asketen und Mystiker im 13. Jahrhundert gegründet überlebte der Bektaschi-Orden auch die Ära des Kommunismus in Albanien. Anders als in der Türkei, wo die eigentlichen Ursprünge der Bektaschis liegen. Dort wurde der Sufi-Orden nach seinem Verbot in den 1920er Jahren nie wieder zugelassen. So beherbergt Albanien heute ein Stück muslimischer Kultur, das anderswo nicht überlebt hat. Doch die kommunistische Zeit war eine Strecke des Überlebenskampfes: Als sich Albanien im Jahre 1967 zum ersten atheistischen Staat der Welt erklärte, wurden die meisten religiösen Orte der Bektaschis zerstört. Der Orden konnte sich nur schwer erholen. Wie alle anderen Glaubensrichtungen auch verlor er den größten Teil seiner religiösen Führer in den Foltergefängnissen der kommunistischen Führung. Dennoch zählen sich (unsicheren Angaben zufolge) heute noch ganze 20% der albanischen Bevölkerung zu den Bektaschis.
Ich wollte mir das Weltzentrum der Bektaschis in Tirana eigentlich persönlich ansehen. Doch auch nach langer Suche und einem einstündigen Spaziergang durch die Vorstadt habe ich die richtige Hausnummer nicht gefunden. Als am Abend die Muezzins ein letztes Mal ihr Glück versuchten, die Menschen zum Gebet zu locken, waren die Öffnungszeiten ohnehin überschritten, sodass ich mich auf den Rückweg machte. Zu meinem Glück fand ich später in meinem Nachttisch im Hostel von Prishtina (Kosovo) eine albanischsprachige Broschüre über die Bektaschis in Albanien, sodass ich nicht ganz ohne greifbare Informationen nach Deutschland zurückkehren sollte.

Albanien ist keineswegs durchweg muslimisch geprägt. Es gibt auch zahlreiche Kirchen in der Hauptstadt, viele Menschen tragen das Kreuz an einer Kette um den Hals. Die wohl berühmteste Albanerin war Christin: Agnes Gonxha Bojaxhiu, besser bekannt unter dem Namen Mutter Teresa. Sie wurde zwar in Skopje (Mazedonien) geboren, stammte aber aus einer katholischen, albanischen Familie. Als Ordensschwester ging sie nach Indien, um den Armen zu helfen. Für ihr Lebenswerk bekam sie den Friedensnobelpreis. Auch nach ihr sind in Tirana ein Platz, der Flughafen und einige andere Orte benannt. Vor der katholischen St. Pauls-Kirche nahe dem Fluss wird ihr mit einer kleinen, blau-weißen Statue gedacht, außerdem ist ihr Abbild ins Fensterglas eingearbeitet. Die Kirche macht einen neuen Eindruck, als wäre sie gestern frisch gestrichen worden. In den 1990er Jahren erfuhr Religion in Albanien eine Renaissance. Im Zuge der religiösen Restauration wurden auch Kirchen und Moscheen wieder aufgebaut. In der Stadtmitte steht die ebenfalls neu errichtete griechisch-orthodoxe Auferstehung-Christi-Kirche. Gerade die orthodoxe Kirche hat im Land einen Aufschwung erlebt. In den letzten 20 Jahren wurden über 80 Kirchengebäude gebaut und 110 renoviert und erneuert, sagen die Statistiken.

Der Alltag in Albanien ist geprägt von religiöser Toleranz. Es gibt keine Hardliner, keine Extremisten. Der Staat überlässt die Kirchen und Moscheen sich selbst – und scheinbar fährt jeder ganz gut damit. Anders als die Kommunisten hat das moderne Albanien die Religion jedoch nicht aus seinem Stadtbild gebannt. Die oft so tristen Städte mit ihren Blockbauten und Betonungetümen werden wieder durchsetzt von Minaretten und Kirchtürmen. Und zu den Gebetszeiten der Weltreligionen erfüllen christliches Glockengeläut und gesungene, muslimische Gebetsrufe die Luft.

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