Donnerstag, 5. Februar 2015

Die Propaganda-Abteilung des IS (Teil 2)

Heute befassen wir uns mit einem IS-Video, das nicht zu den Kategorien Nasheed (Musikvideo) oder Grußvideo gehört. Ich war mir nicht ganz sicher, wie dieses Filmchen einzuordnen ist, doch am nächsten kommt vielleicht die Bezeichnung Reportage.  

A Visit To Mosul“ bringt das Publikum ins Herz des Islamischen Staates und an die aktuelle Kraftquelle der Terrorbewegung. Seit Mitte Juni 2014 befindet sich die Stadt in der Macht des IS und ist seither einer schaurigen Entwicklung ausgesetzt: Christen wurden vertrieben oder zur Konversion gezwungen, Jesiden in der Umgebung mussten flüchten und waren in isolierten Bergregionen zeitweise dem Hungertod ausgesetzt. In Mosul selbst begann der IS, Kirchen zu Moscheen umzuweihen und schiitische Schreine, Grabstätten und Gotteshäuser mit Dynamit oder Vorschlaghämmern dem Erdboden gleich zu machen. Nun ist Mosul die Hauptstadt des „Wilayat Ninawa“, des Verwaltungsbezirks Ninive. 
Zu Beginn des Videos werden Passanten gefragt, wie sich die Situation seit der „Befreiung“ durch den IS verändert habe. Natürlich gibt es nur positive Resonanz: „Es gab [früher] Verhaftungen. Verhaftungen ohne Gnade“, erzählt einer der Befragten. Straßenblockaden, unbeschreibliche Ereignisse. Doch die Behandlung der Menschen durch die Soldaten des Islamischen Staates sei sehr gut. „Es gibt keine Probleme mit der Behandlung.“ – Nach dem kurzen Interview folgt der eigentlich interessante Teil: Ein bärtiger, mutmaßlich tschetschenischer Kämpfer beschreibt die Eroberung der Millionenstadt. Er steht auf einer Autobahnbrücke und erzählt, wie die irakischen Truppen nach der Tötung eines Offiziers aus der Stadt flohen und Waffen und Ausrüstung zurückließen. Als nächstes nimmt der dschihadistische „Tour Guide“ die Zuschauer mit zur Großen Moschee von Mosul. „Mit der Ankunft des Islamischen Staates nahm der Islam in einem völlig neuen Weg Eingang in das Leben der Bewohner“, erzählt er, während zwei Männer gezeigt werden, die mit einem Auto durch die Straßen fahren und durch Lautsprecher etwas verkünden. Auf einem Schild steht „Hisba“ (حسبة), es handelt sich dabei wohl um eine Art Religionspolizei oder eher noch „Ordnungsamt“. Während die Straßenszenen mit der Kamera aufgefangen werden, berichtet der Erzähler stolz: „Viele Christen, die in der Stadt geblieben sind, sind jetzt interessiert am Islam, weil sie den wahren Islam gesehen haben, wie er umgesetzt wird und welche Ergebnisse er für alle Aspekte des Lebens bringt.“ Viele christliche Familien würden nun den Islam annehmen. Etwas zynisch – aber vom Erzähler wohl tatsächlich als Errungenschaft wahrgenommen – wirkt der Bericht darüber, dass „erst vor kurzem 130 jesidische Männer den Islam angenommen“ hätte. „Und wie Ihr wisst, sind die Jesiden Teufelsanbeter.“ Der Islam verbreite sich mit Wort und Schwert. Und aller Lob gebühre Allah…
Letzte Station der „Reportage“ ist der bekannte Scharia-Gerichtshof von Mosul. Denn die Durchsetzung der Scharia für alle Lebensbereiche sei der fundamentale Unterschied zwischen säkularen Staaten und dem Islamischen Staat. In den letzten zwei Monaten seien an diesem Gericht mehr als 1.000 Fälle behandelt worden, sagt der Reporter. Ein Beweis dafür, dass das Vertrauen der Menschen in den Islamischen Staat ungebrochen sei.


Das Video ist von der Machart her den von mir in Teil 1 gezeigten Produktionen ähnlich, was Effekte und Qualität angeht. Es fällt zudem auf, dass sich dieses Video an russisches oder tschetschenisches Publikum richtet. Dennoch wird das Gesagte durch Untertitel auch auf Englisch und Arabisch wiedergegeben. Ich bin mir nicht sicher, welcher Kategorie man dieses Video zuordnen kann, aber es trägt ganz klar Züge einer Reportage. Es gibt Interviews mit Passanten oder Offiziellen, Straßenszenen und Aufnahmen des Gebets, während der Kampfveteran das Publikum mit Informationen versorgt. Wenn er selbst ins Bild kommt, steht er meistens, doch im letzten Abschnitt geht er die Treppe des Scharia-Gerichtshofes hinauf, während er erzählt – und erinnert dabei fast zwangsläufig an amerikanische Dokumentationen, in denen der Reporter gerne gestikulierend eine Straße entlanggeht oder Treppenstufen ersteigt. Während diese Elemente zunehmen, werden andere Effekte seltener. Hintergrundmusik setzt erst im letzten Fünftel des Videos ein, schwarze Fahnen treten etwas weniger vehement auf. Bilder von Toten, die der Abschreckung dienen sollen, fehlen gänzlich. In der letzten Minute werden aber trotzdem Zeitlupe und Zeitraffer eingesetzt, fast so als sei dieses Merkmal charakteristisch für die zynische Verspieltheit der Produzenten des Al-Hayat Media Center. Als wolle es das Video, das die Ideologie eines kunst- und humorlosen Herrschaftsgebildes in die Welt tragen soll, doch um eine kunstvolle Nuance ergänzen. Und um dem Ganzen einen gewichtigen Schlusspunkt zu setzen, zeigen die Macher am Ende, als der Gerichtsbeamte aus dem Koran zitiert, ein Minarett, über dem die schwarze Fahne des IS weht. Willkommen im Kalifat, wo Recht und Ordnung herrscht. Diese Botschaft geht – wie wir gesehen haben – auf den verschiedensten Sprachen und auf unterschiedlichen Wegen hinaus in die Welt. Die wichtigste Erkenntnis für die Beobachtenden mag aber sein, dass der IS auf keinen Fall zu unterschätzen ist, was seine strukturgebenden Fähigkeiten angeht: Diese Videos bleiben nur Videos, Erzeugnisse einer Propagandamaschinerie, doch trotzdem geben sie dem Experiment „Terrorgruppe gründet Staat“ eine gewisse Festigkeit und Stabilität sowie eine Repräsentanz, die fast ganz ohne hohe Abgeordnete auskommt, sondern sich hauptsächlich auf (insgeheim wahrscheinlich verängstigte) Passanten und Ex-Frontkämpfer beruft.

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