Freitag, 15. März 2013

Teil 3: Überblick über Geschichte und Politik der Autonomen Region Kurdistan

An dieser Stelle ist es vielleicht von Nutzen, einen kurzen Einblick in die Geschichte der heutigen Autonomen Region Kurdistan zu geben. Die Thematik ist äußerst komplex, deshalb vielleicht zunächst ein paar grundlegende Angaben:

Die Autonome Region Kurdistan wurde 1970 nach langen Kämpfen und Verhandlungen zwischen Saddam Hussein und dem Kurdenführer Mustafa Barzani gegründet. Sie ist untergliedert in drei Provinzen: Erbil (Hawler), Dohuk und Sulaymaniya. Umstrittene Gebiete sind Mossul und Kirkuk.
Das irakische Kurdistan hat 3,5 Millionen Einwohner, davon sind die meisten Kurden. Vereinzelt leben hier auch Araber, Turkmenen und Assyrer. Amtssprache ist der kurdische Dialekt Sorani, der mit persischen Buchstaben und Sonderzeichen geschrieben wird.


Die Geschichte der Region ist geprägt durch Kriege und militärische Konflikte zwischen den kurdischen Freiheitsbewegungen und den irakischen Regierungen. Die größten Auseinandersetzungen gab es unter der langen Herrschaft Saddam Husseins.

Die Anfänge der langjährigen Auseinandersetzungen liegen lange zurück. Eng verknüpft ist die Geschichte des kurdischen Freiheitskampfes mit dem Namen Mustafa Barzani. Schon im Jahre 1946 wurde Barzani Präsident der neu gegründeten KDP (Kurdisch-demokratische Partei), musste jedoch ins iranische Exil fliehen. Als die irakische Monarchie in einer Revolution 1958 gestürzt wurde, beorderte der damalige Premierminister Abdelkarim Qasim den Kurdenführer zurück nach Bagdad. Es entstand zunächst eine Kooperation, die jedoch in Feindschaft umschwang, als Barzani die kurdische Sprache als erste Amtssprache in den Gebieten der Kurden durchsetzen wollte. Im Laufe der entstehenden Auseinandersetzungen wurde 1961 die Heimatstadt Barzanis, Barzan, bombardiert - zusammen mit weiteren 1270 kurdischen Dörfern und Städten. Viele Kurden zogen sich mit Mustafa Barzani als Peshmerga (Guerilla-Kämpfer) in die Berge zurück.
Nach langen Auseinandersetungen und Verhandlungen mit der irakischen Regierung wurde 1970 schließlich die Autonome Region Kurdistan gegründet, die den Kurden als Teilautonomie grundlegende nationale Rechte (wie z.B. das Sprechen der kurdischen Sprache) zusichern sollte. Die meisten der politischen Regelungen wie etwa die Autonomie des regionalen Parlaments waren nur eine Farce. In Wirklichkeit hatte weiterhin Bagdad die Kontrolle. Schon 1973 kam es zu erneuten Auseinandersetzungen: Die USA und der Iran wollten Einfluss auf die irakische Politik nehmen und unterstützten die kurdischen Rebellen im erneut aufflammenden Konflikt. Als Reaktion verstärkte die Regierung in Bagdad ihre Anstrengungen, die kurdischen Gebiete z.B. durch die Verschleppung von kurdischen Bevölkerungsteilen zu arabisieren. Das Abkommen von Algier zwischen Saddam Hussein und dem Schah von Persien beendete 1975 die Auseinandersetzungen vorerst wieder.
Schon 1983 kam es zu neuen Kämpfen. Während des Irakisch-iranischen Krieges 1980 bis 1988 gerieten die Kurden zwischen die Fronten und sympatisierten nicht selten mit dem Iran. Bagdad reagierte mit gezielten Vernichtungsaktionen gegen kurdische Dörfer. Als Anfal-Kampagne gingen diese Operationen als Völkermord in die Geschichte ein. Ihren Höhepunkt erreichten die Aktionen am 16. März 1988, als die Stadt Halabja mit Giftgas bombardiert wurde und mehr als 5.000 Menschen ihr Leben verloren.
Im Zuge des Zweiten Golfkriegs 1991 kam es zu einem Aufstand der Kurden (und auch der Schiiten) gegen die Herrschaft Saddam Husseins. Im Zuge heftiger Kämpfe gegen die von Bagdad entsandten irakischen Truppen errangen die Kurden die Hoheit über weite Teile des Nordiraks. Nach zähen Verhandlungen und der Einrichtung einer Schutzzone durch die Alliierten zogen sich die irakischen Streitkräfte aus dem Norden zurück und eine de-facto-Autonomie für das irakische Kurdistan begann sich zu etablieren. Vier Jahre lang bekämpften sich jedoch die Fraktionen der KDP (Barzani) und der PUK (Patriotische Union Kurdistans, unter Talabani). Der Krieg endete erst 1998 durch ein Abkommen in Washington.
Die Autonomie hält bis heute an und ermöglichte es den irakischen Kurden, ein weitgehend friedliches und selbstbestimmtes Leben zu führen. Der aktuelle Premierminister ist Massoud Barzani, der Sohn des berüchtigten Freiheitskämpfers. Präsident des Irak ist der Kurde Jalal Talabani, der sich derzeit in der Berliner Charité befindet. An seiner Gesundheit könnte sich die Zukunft des ganzen Irak entscheiden.

Auf unserer Tour durch die Empfangssäle irakisch-kurdischer Politiker bekamen wir natürlich meist die kurdische Version der Geschichte zu hören. Das ganze Ausmaß der Problematik zu begreifen erscheint auch unmöglich. Fest steht jedoch, dass es in der Vergangenheit viel Leid gegeben hat - meist auf Seiten der Zivilbevölkerung. Die Schuldigen der Massaker von Halabja und anderswo sind jedoch größtenteils verurteilt. Man schaue in Kurdistan nicht so sehr in die Vergangenheit, sondern vielmehr in die Zukunft, so sagt man uns.

Doch wie sieht das Verhältnis der Region Kurdistan zum Irak heute aus? - Diese Frage stellten wir den entsprechenden Personen mehr als einmal.
Der Außenminister der Region Kurdistan, Falah Mustafa Bakir, der das Department of Foreign Relations in Hawler/Erbil aufgebaut hatte, ließ die Frage nach einer Unabhängigkeit Kurdistans mehr oder weniger offen. Die Zukunft des Irak sei abhängig vom Staatspräsidenten Talabani, der in der Vergangenheit oft Streit zwischen Schiiten und Sunniten geschlichtet hätte. Mit Bagdad müsse sich Bakir selbst immer abstimmen, denn schließlich sei der Irak mit Bagdad als Hauptstadt der äußere Rahmen. Im Hinblick auf die Türkei sagt der Minister, der sehr gut Englisch spricht, dass sich Fortschritte und Verbesserungen abzeichnen würden. Der türkische Ministerpräsident Erdoğan sei sogar zu Besuch in Erbil gewesen. 
Während der Außenminister sehr diplomatische Worte findet, weisen uns die Zuständigen der kurdischen Partei KDP auf einige schwierige Aspekte hin. Ungefähr zwei Monate bevor wir in Kurdistan angekommen waren entstand in einem umstrittenen Gebiet eine brenzlige Situation: Im Streit um die Nutzung des Flughafens in Kirkuk, das zu den umstrittenen Regionen gehört, ließ die irakische Armee 50.000 Soldaten aufmarschieren. Die Kurden hatten 200.000 Mann zu bieten (wenn man einem Sprecher der KDP glauben mag) und die Lage wurde wieder entschärft. Der KDP-Sprecher wollte uns jedoch nicht erläutern, wer genau Schuld an der Situation gehabt hatte.

Während unserer Reise trafen wir ausschließlich Mitglieder der KDP oder Persönlichkeiten, die aus der Kaderschmiede der KSU (Kurdistan Student Union) stammten. Die kurdische Perspektive war immer klar: Unendliches Leid in der Vergangenheit, langjähriger Kampf, blühende Zukunft. Eine noch junge Demokratie mit Fehlern und Mängeln, die jedoch Gleichberechtigung für alle bereithält. - Diese Ansicht klingt plausibel und optimistisch. Doch vor allem die Tatsache, dass man sehr viel Wert auf Gleichberechtigung jeder Art lege, wurde für meinen Geschmack ein paar Mal zu oft erwähnt...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen